ANALYSE
Bei der ÖVP wirkt es logisch: Sebastian Kurz ist zurückgetreten, auch viele "seiner" Wähler sind daher weg. Aber bei den Grünen? Sie haben ebenfalls auf allen Ebenen zu kämpfen: In der Stadt Salzburg haben sie gerade einen Verlust hinnehmen müssen, Kay-Michael Dankl (KPÖ plus) hat ihnen zu schaffen gemacht. In Innsbruck wird es bei den Wahlen am 14. April schwer für sie, sich vorne und das Bürgermeister-Amt zu halten, das ihr Vertreter Georg Willi ausübt. Es wäre wichtig für sie. Mit Erfolgen und Misserfolgen in Städten stehen und fallen sie. Und die Aussichten auf die Wien-Wahl im kommenden Jahr sind nicht gut. Derzeit könnten sie schlechter abschneiden als Dominik Wlazny (Bierpartei).
Mit Wlazny ist schon einmal eine Warnung für die Partei von Vizekanzler Werner Kogler einhergegangen: Bei der Bundespräsidenten-Wahl 2022 hat er in ihrer Klientel groß gepunktet. 100.000 haben nicht Ex-Grünen-Chef Alexander Van der Bellen, sondern ihn unterstützt.
Es war ein Signal: Bei Weitem nicht alle Anhänger von ihnen schätzen Pragmatiker der Macht. Sie geben sich auch nicht damit zufrieden, was Kogler und Co. in der Regierung zum Klimaschutz erreichen. Schwerer wiegt für sie, was nicht geht und außerdem, dass die Partei darüber hinaus kaum Akzente zu setzen vermag. Ob zu Asyl-, Bildungs- oder Gleichstellungsfragen: Im Koalitionsalltag sind türkise Zugänge bestimmend. Den Grünen gelingt es daneben nur bedingt, klarzumachen, wofür sie stehen.
Das ist dazu angetan, dass Wähler abwandern, wenn es Alternativen gibt. Und die gibt es da und dort. Dankl und Wlazny zum Beispiel, die bei allen Unterschieden eint, dass sie links der Mitte stehen und politisch unverbraucht sind, dass sie kompromisslos sagen, was sie für richtig halten.
Im Hinblick auf die EU-Wahl haben die Grünen darauf reagiert: Lena Schilling, ihre Spitzenkandidatin, ist bisher keine Politikerin, sondern Klimaaktivistin, die für ihre Sache brennt. Bei der Nationalratswahl wird Kogler wieder antreten. Seine Hoffnung ist, enttäuschte Anhänger als profilierter Gegner von Herbert Kickl und einer freiheitlichen Regierungsbeteiligung dazu bewegen zu können, doch noch einmal grün zu wählen. Daran arbeitet er, ist – neben Andreas Babler (SPÖ) etwa – aber nicht allein damit.
BERICHT
EU-Wahl: üble Stimmung in Österreich
EU-Wahl: üble Stimmung in Österreich
Auch zwei Monate vor der Europawahl steht die EU bei den Österreichern nicht gut da. Im Dezember sorgte eine "Eurobarometer"-Umfrage für Schlagzeilen, wonach die Zugehörigkeit zur Union in keinem anderen Mitgliedsland so übel bewertet wird. Genauer: 22 Prozent der Leute sind der Meinung, dass sie "negativ" ist. Nur 42 Prozent finden, dass sie "positiv" ist.
Gebessert hat sich das nicht seither. Eher im Gegenteil: Kurz vor Ostern wurden neue "Eurobarometer"-Ergebnisse veröffentlicht. Diesmal wurde die Stimmungslage in den Regionen erkundet. In allen Bundesländern gibt demnach mehr als ein Viertel der Befragten an, ein "negatives" Bild von der EU zu haben. Ausnahme: Wien. Hier ist das bei 24 Prozent der Fall. Am meisten sind es in Niederösterreich (30 Prozent), der Steiermark (31), Kärnten (32), Vorarlberg (35) und Salzburg (36 Prozent). Dort haben umgekehrt nur 34 Prozent ein "positives" Bild. Auch wenn man bei kaum mehr als 300 Befragten pro Bundesland davon ausgeht, dass es gewisse Unschärfen gibt, kommt damit eine Stimmungslage zum Ausdruck, die schwer getrübt ist.
Überraschend ist das alles nicht: In der Innenpolitik wird die EU vorzugsweise mit Bürokratie und einem "kaputten" Asylsystem in Verbindung gebracht. Das bleibt hängen bei einer Masse. Schlimmer: Es trägt dazu bei, dass sich Parteien quasi zu Getriebenen ihrer selbst machen. So versucht nicht nur die FPÖ, dem wachsenden Potenzial gerecht zu werden, das es mit EU-Kritik gibt bei der Europawahl, sondern auch die ÖVP. Sie, die im Sinne von Alois Mock einst klar proeuropäisch war, drängt heute auf weniger Europa. Im Österreich-Plan von Parteichef Karl Nehammer etwa ist von einem "Abbau von Überregulierungen", vor allem aber einer "Refokussierung der Union auf Wirtschaftsthemen" die Rede.
ZAHL
Warum offen bleibt, wer nach der Wahl Kanzler wird
Warum offen bleibt, wer nach der Wahl Kanzler wird
Aktuelle Umfragewerte zeigen, dass nach der Nationalratswahl im September sehr viel möglich sein könnte. Natürlich: Mit an Sicherheit grenzender Wahrscheinlichkeit wird sich Türkis-Grün nicht mehr ausgehen. Und Herbert Kickl kann davon ausgehen, die FPÖ auf Platz eins zu führen. Alles Weitere ist jedoch offen. Und zwar auch, wer Kanzler wird.
Die Austria Presse Agentur (APA) führt einen "Wahltrend". Er basiert auf veröffentlichten Umfrageergebnissen. Werden alle berücksichtigt, kommt die FPÖ auf 28,1 Prozent. Die ÖVP müsste sich mit 20,5 Prozent begnügen. In Summe wären das 48,6 Prozent und etwas weniger als die übrigen Parteien, die den Sprung ins Hohe Haus schaffen und zusammen 50,6 Prozent erreichen würden. Das sind SPÖ, Grüne, Neos, die Bierpartei und die KPÖ. Sie könnten sich zwar kaum auf eine Regierung verständigen, gegen sie zu arbeiten wäre jedoch ebenfalls schwierig: Sie, die der FPÖ ablehnend bis distanziert gegenüberstehen, hätten ja eine Mehrheit.
Nur geringfügig besser schaut es für Kickl und Co. aus, wenn beim APA-Wahltrend ausschließlich Umfragen berücksichtigt werden, bei denen Qualitätskriterien des Verbands der Markt- und Meinungsforschungsinstitute eingehalten werden. Hier liegt die FPÖ bei 30 und die ÖVP bei 21 Prozent. Das ergibt eine hauchdünne Mehrheit von 51 Prozent.
Das ist eine Momentaufnahme, die aus der Karwoche stammt. Die Wahl kann ganz anders ausgehen. Der Punkt ist jedoch: Man muss damit rechnen, dass es letzten Endes weniger denn je darauf ankommen könnte, wer auf Platz eins landet, sondern wer es schafft, ein Drei-, Vier-Parteien-Bündnis mit einer Mehrheit zu schmieden. Insofern ist auch für Amtsinhaber Karl Nehammer (ÖVP) und SPÖ-Chef Andreas Babler noch lange nicht alles verloren.
Johannes Huber, Journalist und Blogger zur österreichischen Politik, www.diesubstanz.at