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Aussteigen und auf der Alm leben: Pure Idylle oder beinharte Arbeit?

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Julia Barbarino auf der Alm

©Julia Barbarino
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Die Alm ist ein Sehnsuchtsort für viele Stadtmenschen. Ruhe und Entschleunigung versprechen sich Vielbeschäftigte von dem Ort, an dem man gerne zurück zur Natur und damit zu sich selbst finden will. Doch wie klappt das mit dem Ausstieg aus dem Alltag und Leben auf der Alm? Wie entschleunigend ist es wirklich? Und was muss man sonst noch beachten? Julia Barbarino wagt das Abenteuer seit Jahren – und gibt Antworten.

Frau Barbarino, Sie verbringen so gut wie jeden Sommer auf der Alm. Wie kam es dazu?

Fasziniert hat es mich schon immer, im Studium habe ich dann auf einer Jausenstation gearbeitet, wobei mich viel mehr der Bauer und seine Tiere interessiert haben. Jede freie Minute war ich dort und hab mir gedacht: Irgendwann mache ich das einmal!

Als ich nach dem Studium mit dem zweiten Kind schwanger war, ist mir die Decke auf den Kopf gefallen und ich dachte: Ich muss was ändern. Ich wollte nicht arbeiten gehen, weil ich die Kinder nicht weggeben wollte und dann kam beim Wandern mit meiner Schwester die Idee: Das wäre es! Machen wir einen Sommer auf der Alm, da kann man die Kinder mitnehmen, wir haben eine Beschäftigung, schöne Landschaft ,… und so war die Idee geboren.

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Julia Barbarino verbringt ihre Sommer mit vier Kindern auf der Alm

 © Julia Barbarino

War das für Sie eine Form von Ausstieg?

Damals ging es eigentlich mehr darum, eine Beschäftigung zu haben. Mittlerweile ist es vielmehr ein Ausstieg, weil ich in der Routine drinnen bin mit mittlerweile vier Kindern, Schule und Job.

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Was arbeiten Sie?

Ich bin in die Dirndlmanufaktur meiner Mutter hier in Bockhausen eingestiegen. Ich mache das mit meiner Mutter zusammen und sollte die Manufaktur irgendwann übernehmen – wenn nicht Corona dazwischenfunkt.

Wie lange sind Sie im Sommer auf der Alm?

Inzwischen nicht mehr so lange, ich bin an die Ferien der Kinder gebunden und kann auch den Betrieb nicht mehr so lange verlassen. Es sind also circa noch vier bis sechs Wochen, die ich noch oben verbringen darf.

Julia Barbarino hat über ihre Erfahrungen auf der Alm ein Buch geschrieben:

Auf der Alm – Vom Glück des einfachen Lebens: Sommer in den Bergen

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Wie lässt sich die Alm mit dem Job vereinbaren?

So lange mich meine Mutter mich noch so gut unterstützt und vertritt, geht es gut.

...dann kommt man zurück in die Zivilisation und ist überfordert mit den ganzen Reizen.

Wie sehr genießen Sie beim Zurückkommen die Zivilisation - und was fällt schwer nach dem Alm-Sommer?

Im ersten Moment ist man total überfordert. Auf der Alm ist man so beschränkt auf das Wesentliche und so runtergekommen und dann kommt man zurück in die Zivilisation und ist überfordert mit den ganzen Reizen. Ganz schwer ist etwa Autofahren oder Einkaufen: Man steht vor dem Regal, braucht ein Joghurt – es gibt aber 20. Da habe ich immer Schwierigkeiten.

Aber natürlich genießt man auch das Leben, wenn im Sommer viele Leute unterwegs sind, man kann baden gehen oder ein Eis kaufen. Das sind Vorzüge, die es auf der Alm nicht gibt. Aber es dauert nicht lange, dann sehnt man sich wieder in die Einsamkeit zurück.

Das Leben auf der Alm stellt man sich so idyllisch und ruhig vor, aber wie viel Zeit bleibt wirklich zum Genießen? Zum Wandern? Zum Nichtstun?

Es kommt immer auf die Alm drauf an. Ich war fünf Jahre auf einer Jungviehalm, da musste man nicht melken, da blieb viel Zeit zum Wandern oder um einfach einmal zu sitzen und ins Tal zu schauen, was wahnsinnig entschleunigend ist. Auf der letzten Alm waren aber zum Beispiel zwölf Kühe zu melken, das ist dann schon mehr Arbeit.

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Melken gehört auf der Alm zum Alltag dazu.

 © Julia Barbarino

Wie viel Ruhe haben Sie denn überhaupt so alleine mit vier Kindern dabei?

Die Kinder beschäftigen sich, es gibt keine Langeweile da oben. Die genießen die Ruhe, dass sie machen können, was sie wollen, spielen, lesen, ….ohne dass jemand sagt, was zu machen ist.

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Die Kinder lieben das Alm-Leben. Barbarino: "Es gibt keine Langeweile da oben."

 © Julia Barbarino

Wie läuft ein Tag auf der Alm ab?

Ich erzähle vom letzten Jahr:

Man steht um halb 6 Uhr etwa auf, dann muss man Feuer machen, damit es warm wird in der Hütte und man warmes Wasser hat. Dann muss der Milchtank, der ins Tal gebracht wird, abgewaschen werden. Wenn alles sauber ist, versucht man, die Kühe zu fangen. Manchmal muss man sie zuerst suchen, denn die sind ja draussen in der Nacht, und sie nach Hause treiben. Sind alle im Stall, melkt man sie und versorgt sie.

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Die Kühe müssen oft erst gesucht werden, bevor man sie in den Stall treiben kann.

 © Julia Barbarino

Um circa 9/halb 10 Uhr ist man fertig, dann gibt es erst mal Frühstück.

Danach macht man so alltägliche Sachen wie Wäsche waschen oder Mittagessen vorbereiten, denn man muss ja auch den Holzofen eine halbe Stunde vorher anheizen, damit man kochen kann. Zwischendrin schaut man immer wieder in den Stall, ob alles in Ordnung ist.

Um 4 Uhr geht es wieder weiter mit Stall ausmisten, sauber machen, damit die Tiere nicht im eigenen Dreck liegen und wieder melken. Dann bringt man die Tiere zurück auf die Weide, wäscht das Milchgeschirr ab und bereitet den Stall für den nächsten Tag vor. Dann ist es ungefähr halb 8 Uhr abends.

Man wäscht sich und die Kinder, bereitet das Abendessen vor. Und dann sitzt man gemütlich vor der Hütte und lässt den Tag ausklingen.

Welche Rolle spielt Zeit auf der Alm?

Eigentlich spielt Zeit überhaupt keine Rolle, aber es ist immer ein von den Tieren vorgegebener Rhythmus da.

Wie sieht es mit Einsamkeit auf der Alm aus? Fühlt man sich je einsam?

Es ist nicht so, dass man wochenlang alleine ist. Es kommt immer wieder jemand vorbei, entweder Besuch oder Almnachbarn oder Wanderer. Manchmal ist es sogar so viel, dass man sich denkt: Ich möchte jetzt wieder alleine sein.

Was ist anstrengender? Ein Manager-Job oder Sennerin?

Sennerin zu sein ist körperlich anstrengender, dafür hat man unglaublich viele Momente, in denen man im Geist runterkommt. Das alltägliche Leben als alleinerziehende Mutter mit vier Kindern hier herunten zu schupfen und zu arbeiten, ist für den Kopf wesentlich anstrengender, dafür körperlich nicht wirklich. Es ist ein guter Gegensatz.

Man darf kein Weichei sein.

Was muss man mitbringen, um auf der Alm glücklich zu werden, um es zu schaffen?

Man darf kein Weichei sein! (lacht) Man muss hart im Nehmen sein. Man muss mit den einfachen Dingen zufrieden sein und darf keinen Luxus erwarten. Man lebt in der und mit der Natur. Es gibt Tage, da ist es kalt und anstrengend, dann ist wieder das schönste Wetter, bei dem man sich regenerieren kann. Man braucht viel Geduld und auch Liebe zum Tier, weil das doch die Hauptaufgabe ist; man ist ja verantwortlich für die Tiere. Und man braucht ein gewisses Durchhaltevermögen.

Trainieren Sie vorab in Vorbereitung auf die körperliche Anstrengung?

Nein. Das geht das schon. Aber man merkt die Arme in den ersten paar Tagen schon ganz schön.

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Alm-Arbeit ist körperlich anstrengend. Dafür macht es im Kopf frei.

 © Julia Barbarino

Was darf man nicht mitbringen? Angst vor Spinnen?

Ich hab selber Spinnenangst. (lacht) Angst ist generell schlecht. Viele Leute fragen, ob ich nicht Angst in der Nacht hätte, so allein auf dem Berg. Aber das kenne ich nicht.

Man braucht Nerven, muss sich zu helfen wissen und praktisch veranlagt sein. Man kann ja zum Beispiel nicht sofort Hilfe holen, also ist es wichtig, dass man sich alleine zurechtfinden oder helfen kann.

Tragen Sie auf der Alm Dirndl?

Wenn überhaupt nur Sonntags, weil das Dirndl ist ja eine Festtracht und zum Arbeiten ist es mir zu schade, auch wenn es ursprünglich eine Arbeitskleidung war.

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Julia Barbarino: Das Dirndl wird, wenn dann, nur Sonntags getragen.

 © Julia Barbarino

Sonntag ist Festtag auf der Alm? Was ist da anders als an normalen Tagen?

Der Sonntag hat auf der Alm und in dieser Kultur schon eine spezielle Bedeutung. Auf der einen Alm gab es zum Beispiel immer ein Treffen von allen AlmerInnen und man hat Rosenkranz gebetet. Jetzt treffen sich am Sonntag alle AlmerInnen zum Mittagessen auf der nahe gelegenen Alpenvereinshütte, wie bei einem Stammtisch.

Wie findet man eine Alm für den Sommer? Und die richtige für sich selbst?

Übers Internet. Es gibt verschiedene Seiten, wo Almstellen ausgeschrieben sind. Dann muss man natürlich wissen, was man will:

  • Will man nur Jungvieh haben (kein melken)?

  • Will man Kühe haben (melken)?

  • Um wieviele Tiere will man sich kümmern?

  • In welche Region möchte man?

Die Schweiz ist sehr beliebt, weil die sehr gut bezahlen, aber das ist auch ein ganz anderes Kaliber, weil da meistens so 80-100 Tiere auf der Alm sind und das wirklich Knochenarbeit ist, die man aber meist nicht allein macht, sondern im Team.

Wird einem vorab gezeigt, wie das alles funktioniert?

Das kommt auf den Bauern drauf an. Bei meiner ersten Alm kam etwa die Bäuerin in der Früh zum Melken und hat uns unterstützt, ich hatte ja keine Ahnung davor. Aber irgendwann ging es dann selbst. Aber man ist ja vom Bauern angestellt und kümmert sich um sein Vieh, also kommt dieser in der Regel schon und weist einen ein.

Es muss auch für beide passen, das ist wie ein Vorstellungsgespräch.

Gibt es davor so etwas wie ein Vorstellungsgespräch?

Ja. Es muss auch für beide passen, das ist wie ein Vorstellungsgespräch.

Wird man für die Arbeit auf der Alm bezahlt?

Ja, man bekommt Geld, weil es ist ja wirklich Arbeit.

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Für diese Blicke lohnt es sich für Barbarino jährlich wieder auf die Alm zu ziehen.

 © Julia Barbarino

Müssten Sie einen Punkt nennen: Was ist das schönste am Almleben?

Die Einfachheit, die Konzentration aufs Wesentliche.

Was lernt man vom Almleben, das man fürs restliche Leben brauchen kann?

Gelassenheit und dass man am besten mit der Natur lebt.

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