Als Klubobmann ist Philip Kucher die Stimme von SPÖ-Chef Andreas Babler im Parlament. Im Interview erklärt er, wie seine Partei mit der neuen Konkurrenz von links fertig werden will. Anders als sein Parteichef hat er Dominik Wlazny bei der Bundespräsidentschaftswahl nicht gewählt.
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Die SPÖ sieht sich mit Konkurrenz im linken Spektrum konfrontiert. Hat man der KPÖ oder Dominik Wlazny zu viel Raum gelassen?
Das Positive an der Demokratie ist, dass jeder kandidieren kann, der das möchte. Aber nicht jeder kann Schwarz-Blau verhindern. Das kann nur eine starke SPÖ. In den nächsten Monaten geht es um eine Richtungsentscheidung: Herbert Kickl, den die ÖVP zum Kanzler machen würde, oder Andreas Babler, der die Sorgen und die Herausforderungen für die Menschen in Österreich in den Mittelpunkt seiner Politik stellt.
Sie sind meiner Frage ausgewichen: Hat es die SPÖ verabsäumt, das politische Spektrum links der Mitte hinter sich zu vereinen?
Es ist ja kein Geheimnis, dass wir ein durchaus turbulentes Jahr gehabt haben. Jetzt ist es unsere Aufgabe, Vertrauen zurückzugewinnen. Ich bin froh, wenn auch andere Bewegungen das leistbare Wohnen zum Thema machen. Aber real verändern wird es nur die SPÖ können. Zu Herrn Pogo: Ich trinke auch gerne Bier und ich ess gern Kärntner Käsnudeln. Aber ich wage zu bezweifeln, dass es deswegen nötig ist, eine eigene Käsnudelpartei zu gründen.
Aber das Beispiel zeigt, dass man nicht unbedingt ein Programm braucht, sondern ein symapthisches, unverbrauchtes Gesicht reicht, um die Vier-Prozent-Hürde ins Parlament zu schaffen.
Ich habe da einen anderen Zugang. Politik darf nicht eine Ego-Show sein. Es geht immer um das Wir und das Miteinander. Genauso wie du Grundwerte und Haltungen brauchst, brauchst du natürlich auch eine breite Palette an Persönlichkeiten. Und wenn wir zurückblicken: In Österreich haben wir mit One-Man-Shows nicht die besten Erfahrungen gemacht. Egal, ob es Frank Stronach war oder Peter Pilz oder nun Marco Pogo – außer Spesen ist nie viel geblieben.
Diese Listen haben es immer ins Parlament geschafft. Offenbar wollen viele Wähler etwas Neues.
Jeweils einmal, dann nie wieder. Da ist Andreas Babler das viel bessere Angebot gegen dieses unappetitliche Hickhack zwischen ÖVP und FPÖ, dieses gegenseitige Aufarbeiten der Missstände der letzten Regierungsbeteiligung. Babler versucht, anders als seine Mitbewerber, wirklich einen konkreten Plan vorzulegen, der auch machbar ist, wenn man sich anstrengt. Herr Nehammer redet ja lieber über das Binnen-I als das "I" in Inflation und darüber, wie man sie bekämpft. Das wäre die Aufgabe der Politik. Babler weiß als Bürgermeister, dass es darum geht, Menschen konkret zu helfen und ihre Probleme nicht auf die lange Bank zu schieben. Dieser Zugang finden sich jetzt auch in der Sozialdemokratie wieder.
Angenommen Sie treffen beim nächsten Zeltfest Wähler, die zwischen Bierpartei und SPÖ schwanken. Wie wollen Sie die mit wenigen Sätzen überzeugen?
Damit, dass die SPÖ die Partei ist, die wirklich dafür sorgt, dass es der breiten Masse in der Bevölkerung besser geht. Wir stellen das tägliche Leben der Menschen in den Mittelpunkt und wollen es Tag für Tag ein kleines Stück besser machen. Dazu gehört, dass sich die Pensionistin oder der Pensionist im Supermarkt Lebensmittel leisten können, dass sich die Leute das Wohnen leisten können, dass die Arbeitslosigkeit sinkt und dass die Kinder die bestmögliche Ausbildung bekommen. Dafür muss man Vorschläge erarbeiten, sich die Ärmel hochkrempeln und das dann wirklich umsetzen. Unsere Ziele sind durchgerechnet, vernünftig, machbar und bitter nötig.
Die SPÖ gilt als Partei der Pensionistinnen und Pensionisten. Im SPÖ-internen Wahlkampf sind viele junge Leute neu in die Partei gekommen. Was ist das Angebot für sie?
Es geht um Chancengerechtigkeit. Wir wollen garantieren, dass jeder junge Mensch die besten Chancen im Leben hat, egal, aus welchem Elternhaus man kommt. Ob deine Eltern arm oder reich sind, soll keinen Unterschied machen, ob du dir das Studium leisten kannst. Lehrlinge sollen von ihrem Gehalt auch leben können. Junge Menschen sollen eine Wohnung bekommen, die leistbar ist. Ich sehe in vielen Gesprächen, dass es eine Repolitisierung gibt, ein gesteigertes Interesse bei den jungen Menschen, dass man nicht nur auf sich selbst schaut, sondern ein Miteinander spürt in der Gesellschaft.
Im Bildungsbereich werden die Probleme größer und von Chancengleichheit kann keine Rede sein. Vor allem in den Großstädten ist das Problem rund um die Mittelschulen ungelöst. Gleichzeitig jammern wir über den Arbeitskräftemangel von morgen.
Wir haben hier konkrete Vorschläge vorgelegt. Flächendeckend Ganztagsschulen, ein kostenloses Mittagessen für die Kinder und Jugendlichen. Eine Schule, in der die Kinder die Chance haben, die beste Bildung zu genießen und im Idealfall ohne Schultasche nach Hause kommen, weil alles erledigt ist und man am Abend einfach Kind sein darf. Der gegenwärtige Zustand im Bildungssystem ist zukunftsvergessen. Es geht ja nicht nur um die Chancen junger Menschen, sondern auch um den Wirtschaftsstandort Österreich. Die ÖVP hat, gefühlt seit Maria Theresia, jede Schulreform torpediert. Das rächt sich jetzt. Dabei liegen die Vorschläge parteiübergreifend seit vielen Jahren auf dem Tisch.
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Derzeit kommen Kinder von Asylberechtigten nach Österreich, die die Sprache nicht können, keine Freunde haben, dem Unterricht kaum folgen können. Was muss passieren?
Es hilft nicht, dieses Problem nur zu beschreiben und zu bejammern. Die Politik muss für Lösungen sorgen. Ich erinnere mich an einen ÖVP-Bildungsminister, der in seinem Antrittsinterview gesagt hat, er sehe den Mehrwert von Sozialpädagogen an Schulen nicht.
Andere europäische Staaten zeigen vor, dass es mit vergleichbaren Bildungsausgaben möglich ist, ein gutes, starkes Schulsystem zu schaffen, wo Lehrerinnen und Lehrer gerne motiviert in die Schule gehen, wo Kinder wirklich gefordert und gefördert werden, wo Eltern dann nicht mit den Kindern Hausübungen machen müssen. Das ist eine Frage des politischen Willens. Durchwurschteln und Nichtstun kann nicht die Antwort sein.
Experten plädieren für die gemeinsame Schule. Sehen Sie irgendeine Chance, das in einer Regierung mit der ÖVP umzusetzen?
Ich kann als Optimist nur hoffen, dass die ÖVP die Augen aufmacht und sich ansieht, was europaweit längst bestens funktioniert.
Im Programm Bablers nimmt der Klimawandel einen breiteren Raum ein als früher. Wie glaubwürdig ist das, wenn gleichzeitig SPÖ-Landeshauptleute die Klimaministerin dazu anhalten, auf EU-Ebene nicht für das Renaturierungsgesetz zu stimmen?
Wie so oft hat es Leonore Gewessler nicht geschafft, eine praktikable Lösung, abseits von Überschriften, zu produzieren. Sie redet von einem Klimaschutzgesetz, das aber seit mehr als 1.000 Tagen überfällig ist …
In meiner Frage geht es aber um ein EU-Gesetz.
Naja, es geht schon auch darum, dass beim Klimaschutz nicht nur Überschriften produziert werden, sondern wir real weiterkommen. Das ist vielleicht der Unterschied zwischen der SPÖ und den Grünen, die immer nur gerne mit dem erhobenen Zeigerfinger durchs Land pilgern, aber vergessen, dass man auch ganz konkret Maßnahmen setzen und die Menschen mitnehmen muss. Wenn eine Alleinerzieherin ihr Auto für den Weg zur Arbeit braucht, hilft es nichts, ihr zu sagen, dass das Auto böse ist. Da braucht es konkrete Alternativen, die von der Politik auch umgesetzt werden. Wir haben auf der einen Seite die Grünen mit dem erhobenen Zeigerfinger, auf der anderen Seite die Klimaleugner von der FPÖ, denen egal ist, wenn die Erderhitzung voranschreitet. Beides bringt uns nicht weiter.
Und die SPÖ hat prominente Vertreter, die etwa am Lobautunnel festhalten. Hilft das bei der Glaubwürdigkeit in Klimafragen?
Das ist ein Musterbeispiel für das parteipolitische Agieren der Grünen. Die Planung für den Tunnel hat unter einer grünen Verkehrsstadträtin begonnen, die persönlich eine Umweltverträglichkeit attestiert hat. Jedes Dorf in Österreich hat eine Umfahrung, nur in Wien wird das jetzt, wo die Grünen nicht mehr in der Regierung sind, skandalisiert.
Sie sind also für den Lobautunnel?
Ich bin jedenfalls der Meinung, dass es eine Entlastungsstraße für die betroffenen Anrainer braucht. Wien ist ja im Klimaschutz eine Musterstadt, die mit U-Bahnverbindungen dafür sorgt, dass man den Klimaschutz auch leben kann.
Wäre der Lobautunnel eine Koalitionsbedingung der SPÖ, sollte sie nach der Nationalratswahl mit den Grünen verhandeln?
Ich tu mir immer schwer mit Koalitionsbedingungen. Wenn man beobachtet, wie biegsam die Grünen in der Koalition mit der ÖVP waren, glaube ich, dass man bei ihnen gar keine Bedingungen aufstellen muss. Sie haben sich oft genug von der ÖVP über den Tisch ziehen lassen.
Die SPÖ in früheren Koalitionen auch – siehe Bildungspolitik.
Die letzte große Bildungsreform ist in einer Regierung mit der SPÖ zustande gekommen. In der Umsetzung haben danach ÖVP und FPÖ und ÖVP und Grüne ordentlich nachgelassen. Heute redet man nicht einmal über Reformen, geschweige denn darüber, dass etwas besser wird.
Wie ist die Zusammenarbeit mit ÖVP-Klubchef August Wöginger? Sollten SPÖ und ÖVP nach der Wahl eine Koalition bilden, müssten Sie mit ihm das Regierungsprogramm im Parlament umsetzen.
Mir ist es wichtig, dass es über alle Parteigrenzen eine gute Gesprächsbasis gibt. Persönlich ist diese gut, inhaltlich trennen uns Welten, etwa bei der Steuergerechtigkeit. Wir wollen die breite Masse entlasten, Karl Nehammer hat aber einen Plan vorgelegt, bei dem Spitzenverdiener überdurchschnittlich profitieren sollen und wenig Geld für die breite Masse bleibt.
Und der Kontakt zur FPÖ? Im Parlament sieht man ja bisweilen die Kooperation der beiden großen Oppositionsparteien.
Da muss man unter Herbert Kickl eine deutliche Radikalisierung beobachten. Das ist ein Zugang, der uns in Österreich nicht weiterbringt. Die Wortwahl und der Plan, Andersdenkende, Journalistinnen oder Journalisten, oder Menschen, die sich in der Zivilgesellschaft engagieren, mit Fahndungslisten zu verfolgen – das ist nicht das Menschenbild, das uns in Österreich stark gemacht hat. Man kann in der Familie oder unter Freunden durchaus mal anderer Meinung sein. Aber man kann nicht wie ein beleidigtes Kind dann immer trotzig reagieren und Menschen verfolgen, die anderer Meinung sind.
Dennoch haben SPÖ und FPÖ in den U-Ausschüssen kooperiert.
Bei der Aufklärung ist es notwendig, sich über alle Parteigrenzen hinweg abzusprechen, um Fehler der Vergangenheit aufzuklären. Grundsätzlich ist unsere Position zur FPÖ aber völlig klar: Eine Partei, die Hass und Hetze in den Vordergrund stellt, kommt für uns als Koalitionspartner nicht infrage. Wenn Menschen auf dem Boden liegen, steigt man nicht drauf, wie die FPÖ das macht, sondern versucht, die Hand zu reichen und ihnen aufzuhelfen. Das ist unser Menschenbild.
Wäre Herbert Kickl in Koalitionsverhandlungen überhaupt zu Kompromissen bereit?
Also, wenn es um Posten und Macht geht, war die FPÖ in der Vergangenheit immer sehr flexibel. Man hat gesehen, dass ihnen Macht wichtiger war, als der kleine Mann oder die kleine Frau.
Kann das auch nach der nächsten Wahl so sein?
Ich sage immer, jede Stimme für Nehammer ist eine Stimme für Herbert Kickl als Kanzler. Wenn ÖVP und FPÖ miteinander die Mehrheit haben, hauen sie sich immer auf ein Packerl. Das hat man ja in Ober- und Niederösterreich und Salzburg gesehen.
Um an die Anfangsfrage anzuschließen: Hätte die SPÖ versuchen sollen, mit Herrn Wlazny ein Wahlbündnis zu schließen?
Ich würde mich sofort mit ihm auf ein Bier zusammensetzen und ratschen. Ist sicher nett. Aber wofür er inhaltlich steht, was er in Österreich konkret verbessern möchte – diese Antworten bleibt er schuldig.
Haben Sie ihn bei der Bundespräsidentschaftswahl gewählt?
Nein.
Dieser Beitrag ist ursprünglich in der News-Printausgabe Nr. 19/2024 erschienen.