Die erfolgsverwöhnten Landeshauptleute mussten zuletzt schmerzliche Niederlagen hinnehmen. Absolute Mehrheiten sind passé. Ein Grund dafür: Das Modell der von der Bundespolitik abgehobenen, gütigen Überfigur funktioniert nicht mehr. Auch weil sich die Länderchefs in Coronazeiten in die innenpolitische Arena begeben haben. Plus: Konrad Paul Liessmann und Josef Winkler zur Kärnten-Wahl.
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Ein Wahlergebnis um die 40 Prozent – in der Bundespolitik würde das frenetischen Jubel bewirken und in einer rauschenden Partynacht enden. Bei Wahlergebnissen von 39,9 Prozent für die ÖVP in Niederösterreich und 38,9 Prozent für die SPÖ in Kärnten herrscht hingegen Katerstimmung. Man kann die Schuld für dieses Ergebnis bei anderen suchen, wie Niederösterreichs Landeshauptfrau Johanna Mikl-Leitner. Sichtbar enttäuscht spricht sie am Wahlabend Ende Jänner von einer "Protestwelle, die über das Land gerollt ist", ausgelöst durch weltweite Krisen, wie den Krieg in der Ukraine und die Pandemie sowie die Folgen von Teuerung und Inflation. Und sie verweist explizit auf die Unzufriedenheit mit der Bundespolitik. Die ÖVP Niederösterreich und sie hätten die Rechnung für Dinge präsentiert bekommen, für die sie gar nichts können, lautet die Botschaft.
Man kann aber auch die Verantwortung für das Wahlergebnis übernehmen, wie der Kärntner Landeshauptmann Peter Kaiser nach der Landtagswahl vergangenen Sonntag. Auch er ist enttäuscht, immerhin hat seine Partei gut zehn Prozentpunkte und "den Vierer" vor dem Wahlergebnis verloren. Er sagt: "Es ist eine schlimme Niederlage. Ich nehme die Verantwortung auf mich." Auch er nennt Covid und "die Verantwortungsübernahme" in dieser Zeit als eine Ursache, ebenso die Teuerung und den Krieg. Aber er adressiert weder die Bundesregierung noch seine Bundesparteichefin Pamela Rendi-Wagner als Verantwortliche. Größe, die in der Politik alles andere als selbstverständlich ist.
Mehrheiten werden kleiner
Vor den beiden hatte der Tiroler Anton Mattle erlebt, wie es ist, gut zehn Prozentpunkte zu verlieren. Er hatte allerdings den Startnachteil, dass Langzeitlandeshauptmann Günther Platter wenige Monate vor der Wahl doch eher abrupt seinen Rückzug aus der Politik verkündet hatte. Der bisherige Wirtschaftslandesrat Mattle hatte also nur wenig Zeit, sich als Spitzenkandidat der Tiroler Schwarzen zu etablieren. Umfragen verhießen einen tiefen Fall. Da wurde ein Absturz von 44,3 auf 34,7 Prozent fast schon wieder gefeiert.
Der nächste Langzeitlandeshauptmann auf dem Prüfstand ist der Salzburger Wilfried Haslauer. Er hatte bei der Wahl 2018 8,8 Prozentpunkte zugelegt und hält zurzeit bei 37,8 Prozent der Stimmen. Umfragen sagen ihm für die Ende April stattfindende Wahl ebenfalls Verluste voraus.
Das Bild, das Landeshauptleute bisher gern von sich gezeichnet haben, sieht etwa so aus: mächtig, allwissend, das Ohr am Volk, großzügig (bei Förderungen für Firmenzentralen, Häuslbauer, Sommertheater usw.), hemdsärmelig einerseits, die Ärmel aufkrempelnd andererseits, wenn eine Naturkatastrophe das Land erschüttert. Für die unangenehmen Dinge ist die Bundesregierung zuständig. Steuern und deren Erhöhung beispielsweise. Die Länder verteilen lieber das Geld, das sie sich bei den Finanzausgleichsverhandlungen erstreiten, anstatt sich mit Steuerbescheiden selbst unbeliebt zu machen.
Doch wenn die nun geschwächten Landeschefs Corona als Wahlmotiv gegen sie geltend machen, greift es zu kurz, wenn sie dabei nur auf Impf- und Maßnahmenskeptiker abzielen, die der FPÖ Zulauf verschaffen. Die Landeshauptleute haben in der Pandemie großen Einfluss auf Entscheidungen der Bundesregierung genommen, sie zeitweise vor sich hergetrieben. Jeder Veränderung der "Ampelfarben" gingen lähmende Debatten und Gereiztheiten voraus. Lockdowns angesichts hoher Inzidenzzahlen und überlasteter Spitäler mussten ihnen in tagelangen Verhandlungen abgerungen werden. Wann und wie oft PCR-Tests möglich waren, wann und wo geimpft werden konnte – als die Nachfrage noch groß und die Lieferung der Impfdosen schleppend war –, all das führte zu lauten Debatten. Höhepunkt: eine heute fast schon legendäre Sitzung am Tiroler Achensee, bei der Länderchefs ihr Ja zu einem neuerlichen Lockdown mit der Einführung einer Impfpflicht junktimierten.
Ergebnis: Nicht nur die Impfgegner grollen, auch jene, die für strengere Regeln waren oder zum Freitesten Dutzende Kilometer fahren mussten, fanden die Landeshauptleute als Krisenmanager nicht gerade überzeugend. Dass die Länderchefs nach der Pandemie sofort ins Teuerungsbremsen-Geschäft einstiegen – teils der Bundesregierung gute Ratschläge gaben, teils selbst Hilfen programmierten –, hatte eine ähnliche Wirkung. Die Unzufriedenheit der Menschen färbt auf sie ab.
"Kluge Warnschüsse"
Konrad Paul Liessmann
Die Einschätzung, in Kärnten wäre ein Debakel der SPÖ zu beobachten, teile ich nicht. Die Verluste sind zwar überraschend hoch, aber dass die SPÖ die bestimmende Kraft in Kärnten bleibt, steht außer Streit. Deshalb ist auch die österreichische Besonderheit der Landeskaiser nicht in Gefahr: In Tirol, Niederösterreich und jetzt in Kärnten wurden die Landeshauptleute zwar abgestraft, aber nicht so, dass sie nicht mit erheblichen Mehrheiten weiterregieren könnten. Ich halte das für kluge Warnschüsse des Wählers, die darauf aufmerksam machen, was sich an Lebensbedingungen verschlechtert hat. Und wen als diejenigen, die Verantwortung tragen, soll man denn in die Verantwortung nehmen? Es ist auch beruhigend, dass sich die FPÖ kaum nennenswert steigern konnte, weil neben ihr noch eine andere Kraft imstande war, Proteststimmen zu binden. Mit dem Phänomen, dass auf regionaler Ebene neben den Parteizentralen auch regionale Kräfte eine Rolle spielen, werden wir uns vertraut machen müssen. Das halte ich im Sinn der demokratischen Partizipation für prinzipiell nicht negativ.
Zwei Beobachtungen geben mir allerdings zu denken: Der Trend, dass Regierungsparteien verlieren, ist zwar bei den Regionalwahlen weitgehend bestätigt worden, aber die ÖVP war in Kärnten ja in der Regierung und hat es als kleinere Kraft doch geschafft, ohne spektakuläre Aktionen unerwartet leichte Zugewinne zu erzielen. Auf der anderen Seite sind die Grünen, der kleine Koalitionspartner in der Bundesregierung, untergegangen. Das lehrt uns unter anderem, dass der durch spektakuläre Protestaktionen erzeugte Eindruck, das Klima sei unser wichtigstes Thema, eine vollkommene mediale Fehleinschätzung ist. Hier wird ein elitäres Problem, das Hietzinger Gymnasiastinnen interessiert, zu einem riesigen Thema gemacht. Das ist doppelt bedenklich: 1) Was ist von Medien zu halten, die derartige Fehleinschätzungen produzieren? Und 2) ist es ja nicht so, dass Klima kein Problem wäre.
Entzaubert und jetzt?
Landeshauptleute hätten sich immer dagegen gewehrt, für unpopuläre Dinge verantwortlich zu sein, meint Politikexperte Thomas Hofer, "in Zeiten schwerer Krisen – Klima, Pandemie, Krieg, Inflation – können sie diese Rolle aber nicht mehr halten". Die Inszenierung des "gütigen Landesvaters, der Landesmutter", die den Schutzschild über ihre Bürger halten, funktioniere nicht mehr. Auch weil sich die Landeschefs selbst in die innenpolitische Arena begeben haben: "Früher haben sie nach dem Motto agiert: 'Was immer im Bund passiert, mir ist es wurscht.' Heute werden sie als Regierende wahrgenommen und abgestraft." Dazu kommt: "Absolute Mehrheiten sind heute ein Anachronismus. Der Einbruch war nur eine Frage der Zeit."
"Schwierig" findet Hofer Kaisers Strategie, im Landtagswahlkampf eindeutige Positionierungen zu polarisierenden Themen zu vermeiden. "In einer polarisierten Zeit, wo jedes Thema Sprengstoff birgt, ist es schwierig, eine solche Rolle zu halten. Nicht positionieren, nicht anecken – heute muss man viel öfter Stellung beziehen." Was den Landeshauptleuten bei ihren Wahlgängen ebenfalls schade: "Ein Narrativ der Zweiten Republik gerät ins Rutschen. Nämlich jenes, dass es die Kinder besser haben werden. Das ist heute nicht mehr haltbar." Inzwischen gehe es in der politischen Auseinandersetzung nicht mehr um "links gegen rechts", so Hofer, "sondern um oben und unten. Und natürlich bist du immer oben, wenn du regierst."
Rückkehr zur Absoluten
Die Politikwissenschaftlerin Kathrin Stainer-Hämmerle sieht die Ursache des fehlenden Landeshauptleute-Bonus in der "sprunghaft angestiegenen Unzufriedenheit und Verunsicherung der Bevölkerung. Sie sucht Schuldige und findet keinen positiven Anker." Dass die Stärke der Landeshauptleute mit ihren absoluten Mehrheiten endgültig Geschichte sei, glaubt die Politikexpertin allerdings nicht: "Im Burgenland hatte Hans Peter Doskozil 49,9 Prozent – allerdings ohne Pandemie und Teuerung."
Für ihn war es damals die erste Wahl. Bei Mikl-Leitners 49,6 Prozent des Jahres 2018 kamen Rückenwind durch die damals höchst erfolgreiche Kurz-ÖVP und die Liederbuchaffäre rund um FPÖ-Spitzenkandidat Udo Landbauer kurz vor der
Wahl zum Tragen. Bei Kaisers 47,9 Prozent 2018 profitierte er von der Selbstdemontage der zerstrittenen Kärntner Grünen. Für Stainer-Hämmerle zeigt der Rückblick auf diese speziellen Umstände auch eines: "Absolute Mehrheiten in den Ländern sind weiter möglich, wenn Stimmung und Kandidat passen."
"Der wieder ausbalsamierte, makabre Wahlhelfer"
Josef Winkler
Es ist bedauerlich, dass bei der Wahl die SPÖ mit Peter Kaiser weit unter den Erwartungen geblieben ist, denn durch seine behutsame Politik ist es Kaiser mit seinem Koalitionspartner gelungen, nach den Turbulenzen mit Jörg Haider und seinem kadavergehorsamen Nachfolger den Ruf des Landes wiederherzustellen.
Erbärmlich finde ich es, weil die Kärntner FPÖ, die gottseidank stagniert, es tatsächlich wieder einmal notwendig hatte, ihren vor nun bald 15 Jahren verstorbenen Herrn und politischen Meister als makabren Wahlhelfer auszubalsamieren, der mit seinem Größenwahn das Land an den Rand des Abgrunds geführt hat. Schließlich war er der größte politische Bankräuber der Zweiten Republik, der außerdem seine Strichbuben in hohe politische Ämter gehoben hat. Einbalsamieren! Ausbalsamieren! Einbalsamieren! Ausbalsamieren! Habe ich einmal geschrieben.
Dieser Beitrag erschien ursprünglich in der News-Printausgabe Nr. 10/2023.