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Dass sich das Jahr 2023 zurückzieht, will man ihm nicht verübeln

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Heinz Sichrovsky
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Der Antisemitismus ist kein Luxusproblem mehr, sondern katastrophale Realität mit mehreren Verursachern. Eine andere Regierung wird man sich für den kommenden Herbst wünschen dürfen. Die Jahresbilanz bleibt vorsichtig skeptisch

Das nahe Christfest und den sich anbahnenden Jahreswechsel erkennt unsereins an den Rückblicken. Speziell ich, der Fach-Autist - Idiot darf man auf Geheiß ebendieser Spezies nicht mehr sagen -, nehme den Spätadvent als die Zeit der Kompetenzüberschreitung wahr. Heißt: Ich wurde wieder verpflichtet, das Jahr hinauszubegleiten, und hätte ihm gern den ikonischen Satz nachgerufen, mit dem am 2. November 2020 ein Innenstädter den Terroristen vom Schwedenplatz in die Schranken brüllen wollte: "Schleich di, du Oaschloch!" Da sich allerdings in der vorliegenden News-Ausgabe der Dichter Köhlmeier und der Philosoph Liessmann diese pauschale Titulatur in einem funkelnden Zwiegespräch verbitten, kehre ich pointenlos zum bitteren Ernst zurück.

Man hat mich in den vergangenen Jahren der Themenfixierung verdächtigt, weil ich wieder und wieder Maßnahmen gegen den Antisemitismus gefordert habe. Das Chorgegröle niederösterreichischer Kellernazis war dabei nicht meine größte Sorge (im Lichte späterer Entwicklungen vielleicht ein Fehler). Mir ging es um den schicken, den linken Antisemitismus, der unter Israel-kritischen Kürzeln die Fratze präsentiert. Und immer hörte ich: der Labour-Versager Corbyn? Der altersseltsame Roger Waters? Kümmern wir uns lieber um unsere eigenen, demnächst zu Staub zerfallenden SS-Mumien! Und jetzt haben wir sie alle hier: einerseits das jugendlich erstarkende Volksempfinden. Und andererseits die mörderische Kumpanei gewaltbereiter Nazis aus dem Nahen Osten mit einer linken Schickeria, die lächelnd verhindert, dass über derlei ideologischen Giftmüll ein Importverbot ohne Wenn und Aber verhängt wird, gegebenenfalls auch ein konsequentes Exportgebot.

Und komme mir keiner mit der unsäglichen UNO. Oder mit der Präsidentin der Harvard University, die offenbar aus Diversitätsgründen über ihre intellektuellen Verhältnisse ins Amt befördert wurde und heute meint, solange im Verlauf der Ausschreitungen auf dem Universitätsgelände kein Jude erschlagen werde, sei die Situation demokratisch gedeckt (die fast identische Äußerung hat im Verlauf der Waldheim-Affäre den ÖVP-Generalsekretär Graff binnen zweier Tage den Job gekostet, goldene Zeiten waren das).

Vielmehr ist der Rektor der Angewandten in Wien zu fragen, ob auch nur einer der Massakerbefürworter, die sich gewalttätig gegen jüdische Studenten verhalten haben, noch an der Hochschule immatrikuliert ist. Das erscheint mir noch vordringlicher als die lückenlose Durchgenderung des akademischen Betriebs samt Etablierung mehrerer zugehöriger Lehrkanzeln.

Also: keine Ausrede auf die in der Tat horrible israelische Regierung. Die wird demokratisch zur Rechenschaft gezogen werden. Hier geht es, alle Parolen belegen es, darum, ein Volk aus seiner Zuflucht vor der nächsten Shoah aufzujagen und ins Meer zu werfen. Um nichts sonst.

Das bedeutet nicht, dass man nicht Vorkehrungen gegen die Regierungsübernahme der FPÖ treffen müsste. Eine Partei, von der 70 Prozent der Bevölkerung nicht regiert werden wollen, hat auf gar nichts ein demokratisches Anrecht. Das Liebste wäre mir - dem sprichwörtlich gepeinigten SPÖ-Stammwähler - die Wiederherstellung zivilisierter Verhältnisse durch die einst staatstragenden Parteien (die sich zuvor allerdings im Umgang erst selbst zivilisieren müssten). Da SPÖ und ÖVP von der Regierungsmehrheit aber weit entfernt sind, sollen sie meinetwegen die NEOS in den geflickten Kahn holen. Dass die uns nicht an die NATO verschachern und keine sozialen Abscheulichkeiten auf den Weg bringen werden, beglaubigen sie überzeugend als rosarot lackierte Pappkameraden in der Wiener Stadtregierung.

Die rabiaten Amateure von links und rechts wären dann mindestens mittelfristig von der Macht ferngehalten. Ob ich so tatsächlich die Grünen bezeichne, wollen Sie wissen? Jawohl, da stehe ich nicht an. Die unabhängige Justiz, diese hegebedürftige Pflanze, ohne die sich die Demokratie verabschiedet wie der Koala in Schönbrunn ohne seine Eukalyptusblätter (Sie verzeihen das gewagte Bild), ist in keinem guten Zustand. Insgesamt leben wir seit der Machtergreifung der sozialen Medien unter dem Diktat reaktivierter Blockwarte und Inoffizieller Mitarbeiter, so nannte sich ein besonders widerwärtiges Segment der Stasi. Es werden schon in Amtsräumen Briefkästen für anonyme Beschuldigungen montiert, und eine Strafanzeige, früher der Beginn des Beginns von Ermittlungen, zieht dank Bemusterung der Massenmedien schon das Urteil samt standrechtlicher Vollstreckung nach sich.

Deshalb bin ich vorsichtig optimistisch, dass das höchstgerichtliche Verbot, ad libitum private Korrespondenzen abzugreifen, den Anfang vom Ende dieser ministeriell geförderten Lynchjustiz bezeichnet. Halten Sie mich für seltsam, wenn ich außerdem bekenne, dass es mich nicht im Geringsten interessiert, ob Kurz in einem karikaturhaften Ausschuss "na" oder "naa" gesagt hat? Dass ich das Instrument des Untersuchungsausschusses verhängnisvoll überstrapaziert finde? Deshalb soll die ÖVP nicht lockerlassen, die Veröffentlichung von Strafakten untersagen zu wollen. Noch vordringlicher fände ich das Verbot, die gänzlich irrelevanten Strafanzeigen zu publizieren. Und sogar um das Amtsgeheimnis ist mir leid: Ein Amt auszuüben, ist keine Freizeitaktivität, in die sich Laien einbringen sollten. Im Missbrauchsfall hat hier die Justiz einzugreifen, nachdem in ihr wieder vertrauenswürdige Verhältnisse hergestellt worden sind. All das betrifft übrigens auch durch Allparteienbeschluss beförderte Straßenbauprojekte, deren klimatologische Auswirkungen zu beurteilen sich der Kompetenz von Hietzinger Gymnasiastinnen und Soziologiestudenten im Bachelor schlicht entzieht. Von rabiateren Maßnahmen nicht zu reden, der Klimaschutz steht schon jetzt in verhängnisvollem Verruf.

Denunziantentum gehört unter Strafe gestellt, der Neid der Nullen, vor dem kein Einser mehr sicher ist, sollte verachtet, nicht ermuntert werden. Es geht niemanden etwas an, was ein Museumsdirektor oder eine Führungskraft des ORF verdient, und wenn sich dort ein Mitarbeiter einen Marktwert erarbeitet hat, so soll das mit Stolz, nicht mit dem Verbot von Moderationen auf Buchmessen quittiert werden.

Jetzt bleibt, nichts anderes war zu erwarten, für die Kunst kaum noch Platz. Dass die Klage eines Zusatzchoristen gegen die Salzburger Festspielführung wegen Nichtbeschäftigung in der Corona-Zeit von Selbstdarstellungsgschaftlhubern in eine konfuse Strafanzeige wegen Betrugs und gefährlicher Drohung umgewandelt wurde: lachhaft, so etwas wäre mit Glück Gegenstand eines Schlichtungsausschusses. Aber auch wieder nicht lächerlich: Die Justiz mit Unfug zu beschäftigen und dann das mediale Halsgericht einzuberufen, kann erfolgreich sein. Speziell, wenn in Vorwahlzeiten der Vertrag eines künstlerisch mustergültig agierenden Intendanten zur Verlängerung ansteht.

Wissen Sie übrigens, wie das mit der Blitzabsetzung der miserablen "Jedermann"-Inszenierung unbestätigterweise war? Es wurden nach der Debakelpremiere überproportional viele verkaufte Karten in Kommission gegeben (Rückgabe ist nicht vorgesehen) und fanden keine Abnehmer. Die Entscheidung, weiter Kunden zu verärgern und den Devisenbringer "Jedermann" zu beschädigen, war im Sinne der kaufmännischen Gebarung gegen Pönalzahlungen aufzurechnen, nichts sonst.

Verlassen werden uns 2024 Klaus Albrecht Schröder (Albertina, beweint) und Martin Kusej ("Burg", unbeweint). Und die Nachfolge des Importvolkstheaterdirektors Kay Voges für die Saison 25/26 wird zu entscheiden sein. Die einen, die sich mit der Kulturstadträtin eine Wohnblase teilen, wollen die Fortsetzung des Kurses: leeres, selten bespieltes Haus, Programm für die Jury des Berliner Theatertreffens und entspannte wirtschaftliche Verhältnisse, weil ja für ein unbesuchtes Theater nichts lukrativer ist, als gar nicht zu spielen und das Budget durch Vermietungen zu stabilisieren.

Schon las ich, Voges hätte das Volkstheater "wieder groß gemacht" (bei aller Skepsis würde ich ihn nicht mit Trump vergleichen). Anderswo erging der Appell, das Volkstheater dürfe "nicht erkalten" (die erste Maßnahme, wenn man ein Haus warm abtragen will). 47 haben sich beworben, nur elf aus Österreich. Sollte es Anna Bergmann (dtz. Karlsruhe) werden, so hätte sie in Wien wenigstens schon inszeniert, und die Seele der Stadträtin fände trotzdem ihre Karlsruhe. Paulus Manker, Thomas Gratzer, die es könnten? Außer Diskussion bzw. abgewinkt. Aber Alexander Pschill und sein Damenteam von "Bronski und Grünberg"? Die haben soeben die heruntergewirtschaftete Bezirkstournee des Volkstheaters in Gang gebracht. Wenn ihnen das seitens der Kulturpolitik nur nicht als unfreundlicher Akt vermerkt wird.

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