In Österreich leiden rund zwei Millionen Menschen an chronischen Rückenschmerzen - Tendenz steigend. Was Sie vorbeugend dagegen unternehmen können, und wie Sie sich bei Schmerzen richtig verhalten.
Stundenlanges Sitzen, ständiges Starren aufs Handy, viel zu wenig Bewegung und dazu noch Stress - perfekte Voraussetzungen, um früher oder später Probleme mit Nacken und Rücken zu bekommen. Mittlerweile leiden fast zwei Millionen Österreicherinnen und Österreicher an chronischen Rückenschmerzen.
Frauen sind häufiger betroffen als Männer. Zusätzlich erhöht sich das Risiko mit dem Alter. So leidet jeder fünfte unter 60-Jährige an Rückenschmerzen, bei den über 60-jährigen Menschen ist es bereits jeder Dritte, zeigen Daten der Österreichischen Schmerzgesellschaft.
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Die Anzahl jener, die nicht an chronischen, sondern (noch) an sporadischen Schmerzen leiden, ist ebenfalls alarmierend. So gaben in einer Befragung des Robert-Koch-Instituts 54,9 Prozent der Frauen an, in den vergangenen zwölf Monaten zumindest einmal an Nackenschmerzen gelitten zu haben. 19,4 Prozent der Befragten hatten im vergangenen Jahr sogar gleich mit mehreren Bereichen des Rückens Probleme.
War die Zahl der Betroffenen in den vergangenen Jahren schon hoch, stieg sie durch die Coronapandemie neuerlich deutlich an. Grund dafür sind eine noch ausgeprägtere Inaktivität und Homeoffice an einem oft ergonomisch nicht optimalen Arbeitsplatz. "Kreuz- und Rückenschmerzen sind eine Volkskrankheit", weiß Richard Crevenna, Vorstand der Universitätsklinik für Physikalische Medizin, Rehabilitation und Arbeitsmedizin an der MedUni Wien.
23,2 Prozent der Österreicherinnen und Österreicher haben täglich mit Rückenproblemen zu kämpfen, ergab eine Studie von Marketagent.
150 Minuten Bewegung pro Woche empfiehlt die WHO allen Erwachsenen. Zusätzlich sollte man zweimal wöchentlich Krafttraining betreiben.
3-5 Milliarden Euro an Kosten durch Krankenstände und Behandlungen verursachen Rückenschmerzen jedes Jahr.
"Overdoctoring" nicht sinnvoll
Treten die Schmerzen erstmalig auf und bessern sich innerhalb weniger Tage nicht von selbst, sollte ein Arzt aufgesucht werden. "Durch Befragung und klinische Untersuchung kann dieser feststellen, ob die Schmerzen eine fassbare, organische sogenannte spezifische Ursache haben", erklärt Crevenna. Dazu zählen etwa ein symptomatischer Bandscheibenvorfall, Frakturen, eine schwerwiegende Osteoporose, Tumorabsiedelungen (Metastasen) oder gewisse Infektionserkrankungen. Hier muss sofort und spezifisch reagiert werden.
"Gut 80 Prozent der Fälle sind hingegen "unspezifisch bzw. nicht spezifisch" und damit nicht gefährlich. Hier soll leitliniengemäß behandelt werden, so Crevenna, der von "Overdoctoring" abrät, sobald organische Ursachen ausgeschlossen sind: "Es sind in diesen Fällen keine Überbehandlung und keine ausufernde weiterführende Diagnostik erforderlich."
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Bewegung trotz Schmerzen
Eine Krankschreibung ist für Crevenna in den meisten Fällen nicht notwendig - im Gegenteil. "Besonders wichtig ist es, bei unspezifischen Rückenschmerzen auf eine primäre Krankschreibung zu verzichten und die Betroffenen nicht durch Bettruhe in eine kontraproduktive Inaktivität und passive Rolle zu drängen", so der Mediziner. "Bei unspezifischen bzw. nicht spezifischen Kreuz- und Rückenschmerzen sind die Patienten zu informieren, dass die Schmerzen nicht gefährlich sind und Bewegung die Schmerzsituation nicht verschlechtert, sondern im Gegenteil sogar verbessert."
Zur Behandlung der Rückenprobleme werden neben Bewegung eine medikamentöse Schmerztherapie sowie physikalisch-medizinische Maßnahmen wie Bewegungs- und Trainingstherapien empfohlen. Auch Wärme kann zur Linderung beitragen.
Ausdrücklich rät Crevenna hingegen von "allen Methoden der Alternativmedizin" ab, "die nicht der an Universitäten gelehrten State-of-the-Art-Medizin entsprechen".
Innerhalb von sechs Wochen sollte sich jedenfalls Erfolg einstellen. "Ist nach dieser Zeit keine Besserung eingetreten, sind eine fachärztliche weiterführende Diagnostik und - je nach auslösender Ursache - eine entsprechende Therapie angezeigt", sagt Crevenna.
Der Mediziner warnt gleichzeitig davor, die Schmerzen auf die leichte Schulter zu nehmen: Wird nichts dagegen unternommen, können diese chronisch werden. Wiederum ist das bei Frauen öfter der Fall als bei Männern.
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Körperliches Training, Stress reduzieren
Zu den Hauptursachen für Rückenschmerzen zählt die jahrelange Fehlbelastung der Muskulatur durch viel zu wenig Sport, falsche Haltung sowie psychische Überbelastung am Arbeitsplatz und im Privatleben. Vorbeugung hilft daher, gesund zu bleiben.
Regelmäßiges körperliches Training spielt dabei eine bedeutende Rolle. "Bewegung, Bewegung, Bewegung sowie ein 'gesundes' Stressmanagement mit - heute würde man sagen - einer guten Work-Life-Balance", empfiehlt Crevenna. "Bewegung kann gegen Rückenschmerzen wie ein Medikament eingesetzt werden. Die nationalen und internationalen Bewegungsempfehlungen sind daher konsequent umzusetzen."
Mindestens 150 Minuten pro Woche sollten Erwachsene laut WHO bei moderater bis hoher Intensität sportlich tätig sein und zusätzlich zweimal pro Woche Krafttraining betreiben.
Kindern und Jugendlichen zwischen fünf und 17 Jahren wird empfohlen, sich täglich rund eine Stunde zu bewegen und dabei mindestens dreimal wöchentlich ins Schwitzen zu kommen. Und für alle Altersgruppen gilt: die Zeit vor Computer und Handy auf ein Minimum beschränken.
Ergonomische Beratung und guter Schlaf
Für das Homeoffice ist, um Haltungsschäden entgegenzuwirken, eine ergonomische Beratung sinnvoll. Denn, gibt Crevenna zu bedenken, "richtiges Arbeiten vor dem Computer will gelernt sein. Unser Rücken soll beim Sitzen am Computer nicht be-, sondern entlastet werden! Themen der Arbeitsorganisation, die ergonomische Gestaltung des Bildschirmarbeitsplatzes und der Umgang mit (neuen) psychischen Belastungen sind heutzutage für die Erhaltung unserer Rückengesundheit entscheidend."
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Psychischer Stress führt ebenfalls zu Verspannungen und in weiterer Folge zu Schmerzen im Nacken- und Rückenbereich. "Entspannung ist wichtig, denn man kann nicht gleichzeitig geistig angespannt und körperlich entspannt sein und umgekehrt", betont Crevenna. Dazu zählt, gut zu schlafen: "Der Schlaf sowie die Liegeposition beeinflussen zusätzlich unsere Rücken- und Wirbelsäulengesundheit."
Fast ein Drittel unseres Lebens schlafen wir. Dementsprechend schlaffreundlich muss die Umgebung sein: ausreichend Frischluft und Luftfeuchtigkeit, möglichst wenig Licht und keine elektronischen Geräte im Schlafzimmer. Weitere Tipps Crevennas lauten, sich ein Einschlafritual anzugewöhnen sowie vor dem Zu-Bett-Gehen nichts mehr zu essen und zu trinken.
So viele Erwachsene leiden an Kreuzschmerzen
Mehr als die Hälfte aller Frauen in Deutschland verspürten in den vergangenen zwölf Monaten Nackenschmerzen. Bei den Männern traten die Schmerzen am häufigsten im unteren Rücken auf.
Beim Kauf von Lattenrost und Matratze sind eine Beratung und Probeliegen sinnvoll. Denn, weiß der Mediziner: "Je individueller Ihr Schlafsystem, also Schlafzimmer, Bett, Lattenrost, Matratze und Polster, an Ihren Körper angepasst wird, desto besser."
Entscheidend ist dabei der sogenannte Abstützeffekt. Das bedeutet, größere, schwerere Menschen benötigen härtere Matratzen als kleinere und leichtere. Eine passende Matratze gibt im Bereich von Gesäß und Schultern entsprechend nach. In Rückenlage muss die natürliche Form der Wirbelsäule erhalten bleiben.
Beim Liegen und Schlafen auf der Seite sollen Schultern und Becken so einsinken, dass dadurch die Wirbelsäule eine gerade Linie bildet. Und die Höhe des Kopfpolsters ist so auszuwählen, dass die Halswirbel auf Höhe der Wirbelsäule liegen - nicht nur, um gut zu schlafen, sondern auch, um Schäden und Schmerzen zu vermeiden.
Buchtipp
Der Ratgeber "Rückenschmerzen"* liefert Tipps und Übungen, um Rückenproblemen vorzubeugen bzw. um zu verhindern, dass Schmerzen chronisch werden. Manz-Verlag.
Der Beitrag erschien ursprünglich im News 47/2022.