Wenn es erst mal schmerzt, ist es in der Regel schon zu spät. Dann helfen nur noch Medikamente und Bewegung. Dabei ließe sich einem Bandscheibenvorfall oft ganz einfach vermeiden. Wer besonders häufig betroffen ist, ab wann es gefährlich wird und wie man vorbeugen kann, erklärt Dr. Ulrich Lanz vom Sportorthopädie Zentrum in Wien.
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- Was ist ein Bandscheibenvorfall?
- Wie erkenne ich einen Bandscheibenvorfall?
- Ab wann wird es gefährlich?
- Wie erfolgt die Diagnose?
- Wer ist besonders gefährdet?
- Wie wird ein Bandscheibenvorfall behandelt?
- Ab wann ist eine Operation notwendig?
- Wie kann ich einem Bandscheibenvorfall vorbeugen?
- Welche Sportarten sind weniger gut?
- Welche Matratze ist die richtige?
Was ist ein Bandscheibenvorfall?
Zwischen den einzelnen Wirbeln eingebettet liegt, von einem festen Ring - dem Faserring - umgeben, die Bandscheibe - eine gallertartige Flüssigkeit, die dort als Stoßdämpfer fungiert. "Sobald die Bandscheibe komprimiert wird, wird der Druck in alle Richtungen gleichmäßig abgegeben. Dadurch kann die Bandscheibe die Wirbelsäule immer optimal stabilisieren und stützen", erklärt der Sportmediziner. Bei einem Bandscheibenvorfall reißt der Faserring. Aufgrund des Drucks, der in seinem Inneren herrscht, tritt die gallertartige Flüssigkeit aus - typischerweise genau an jener Stelle, an der die Nerven liegen, die vom Rückenmark aus in Arme und Beine verlaufen.
Wie erkenne ich einen Bandscheibenvorfall?
Zwei Symptome deuten auf einen Bandscheibenvorfall hin: Der lokale und der periphere Schmerz. Der lokale Schmerz wird in erster Linie durch den Riss im Faserring und die in weiterer Folge auftretende Entzündungsreaktion verursacht. "Die Schwellung, die bei der Entzündung entsteht, drückt auf das Gewebe", veranschaulicht der Lanz. Unter Umständen kann die austretende gallertartige Flüssigkeit - der Gallertkern - auch auf den im unmittelbaren Umfeld liegenden Nerv drücken. In dem Fall kommt es zum peripheren Schmerz.
"Man kann sich das wie ein Stromkabel mit einer Glühbirne vorstellen. Egal, an welcher Stelle man ins Kabel zwickt - es flackert immer die Glühbirne, die ganz unten dran hängt. So ist es auch bei den Nerven", erklärt Lanz. Während der Nerv direkt an der Wirbelsäule in Mitleidenschaft gezogen wird, spüren wir es ganz woanders. Je nachdem, wo der betroffene Nerv hinläuft, tritt der Schmerz entweder im Bein oder im Arm auf. Darüber hinaus kann es zu einem Taubheitsgefühl oder - wenn auch der motorische Nerv betroffen ist - zu einer Lähmung kommen.
Ab wann wird es gefährlich?
Kritisch ist es dann, wenn es zu einer Lähmung kommt. "Wenn man so schwach ist, dass man den Arm oder das Bein nicht mehr über die Schwerkraft hinaus bewegen kann", erklärt Lanz. "Dann muss man sofort ins Spital fahren oder zumindest einen Arzt aufsuchen." Ebenso Handlungsbedarf besteht, wenn der Schmerz zwar schwächer, die Schwäche aber stärker wird. Im Vergleich zur Sensorik lässt sich die Motorik nämlich weniger gut, im schlimmsten Fall sogar gar nicht wieder herstellen. Abgesehen davon sollten beim Auftreten sogenannter "Red Flags" die Alarmglocken läuten.
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Dabei handelt es sich um Symptome wie Fieber, Gewichtsverlust, Nachtschweiß oder ein gestörtes Harnverhalten, die, im Zusammenhang mit Schmerzen im Rücken, umgehend untersucht werden sollten. Das gilt auch dann, wenn nach einem Unfall oder einem Bagatelltrauma Lähmungen auftreten. Letzteres beschreibt eine schwache Krafteinwirkung auf den Körper, die bei einem gesunden Menschen keinerlei Schäden verursacht. Bei einem Osteoporose-Patienten reicht es unter Umständen aber schon, wenn sich dieser leicht stößt. In der Folge auftretende Lähmungen könnten ein Hinweis auf einen gebrochenen Wirbel sein.
Wie erfolgt die Diagnose?
Das optimale Verfahren zur Diagnose ist die Magnetresonanztomografie. "Aus dem MRT kann man sehr viel herauslesen", erklärt Lanz. Zum einen zeigt es die Weichteile, drunter die Nerven, zum anderen kann man Knochenveränderungen wie zum Beispiel Abnützungen oder Entzündungen im Knochen erkennen. Neben dem MRT kann ein Bandscheibenvorfall auch mittels klassischer Röntgenuntersuchung diagnostiziert werden. Lanz spricht von den sogenannten Funktionsaufnahmen. "Man beugt sich vor und macht eine Aufnahme, dann beugt man sich zurück und macht eine Aufnahme." So kann man sehen, ob die Bandscheiben möglicherweise schon instabil sind und die Wirbelkörper dadurch gegeneinander gleiten, was ebenso die Nerven irritieren und Schmerzen auslösen kann.
Wer ist besonders gefährdet?
In der Regel tritt der Bandscheibenvorfall um das 40. Lebensjahr herum auf. Es gibt aber auch über 90-Jährige, die nie Probleme mit den Bandscheiben hatten, und Kinder, die bereits betroffen sind. Was daran liegt, dass ein Bandscheibenvorfall einerseits genetisch bedingt sein kann. Zurückzuführen ist er in dem Fall auf eine erblich bedingte Bindegewebsschwäche. "Deswegen haben auch Schwangere kurz vor der Geburt, wenn die Bänder weich werden, oft einen Bandscheibenvorfall", erklärt der Facharzt. Anderseits wird er durch chronische Überlastung, herbeigeführt durch einseitige Tätigkeit, ausgelöst. "Das schädigt jedes Gelenk - auch das Bandscheibengelenk."
"Oft sieht man das bei Bauarbeitern, die viel schwer heben und tragen müssen. Oder bei Malern, die vor allem über Kopf arbeiten. Je nachdem, ob sie Rechts- oder Linkshänder sind, wird dann die eine oder die andere Seite überlastet." Lanz spricht in dem Zusammenhang von der absoluten Überlastung. Anders die relative Überlastung, die nicht durch das Ausführen bestimmter Bewegungsmuster, sondern durch allgemeinen Bewegungsmangel zustande kommt. "Wir sitzen im Büro am Schreibtisch und unsere Muskulatur verkümmert. Das heißt, die passiven Strukturen - also Bänder und Gelenke - müssen viel zu viele Funktionen übernehmen, weil die aktiven - die Muskeln mit den Sehnen - zu schwach sind."
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Und noch eine Sache begünstigt das Auftreten eines Bandscheibenvorfalls: "Wir essen viel zu viel Fastfood und bewegen uns zu wenig", mahnt der Sportmediziner. Die Folge ist Übergewicht. "Wenn man zehn Kilo zu viel wiegt, ist das so, als ob man eine Kiste Mineralwasser umgeschnallt hat, die man ständig mit sich herumschleppt. Das schafft man nicht lange, dem Körper mutet man es aber Tag und Nacht zu." Eine Möglichkeit, einer Überlastung der Bandscheiben vorzubeugen, wäre Krafttraining. "Entweder man trainiert so viel, dass man das Gewicht problemlos stemmen kann, oder man schaut, dass man es loswird", rät der Arzt.
Wie wird ein Bandscheibenvorfall behandelt?
In erster Linie wird ein entzündungshemmendes Schmerzmittel verschrieben. "Der Schmerz wird ja durch die Entzündung ausgelöst", erklärt der Mediziner. Das Ziel ist es nun, das Mittel an die betreffende Nervenwurzel zu spritzen - am besten unter Zuhilfenahme bildgebender Verfahren wie Röntgen oder Computertomografie. Auf diese Weise kann der Schmerz häufig rasch genommen, im Idealfall sogar von vornherein abgefangen werden. "Das ist natürlich ein riesiger Vorteil, weil die Muskulatur dann nicht so leidet." Der Schmerz hemmt den Muskel nämlich in seiner Arbeit. Je früher der Schmerz demnach beseitigt wird, desto eher kann der Muskel die Wirbelsäulensegmente stabilisieren.
Zum Einsatz kommen können auch Muskelrelaxantien, "also Mittel, die den Muskel entspannen. Weil durch den Schmerz verkrampft der Muskel und löst so noch mehr Schmerzen aus". Auch Wärme tut hier ihren Zweck, zugeführt zum Beispiel über Kirschkernkissen oder Wärmepads. Sodann heißt es: Trainieren, trainieren, trainieren! Je früher man damit beginnt, desto besser. Denn Bettruhe ist hier insofern kontraproduktiv, als dass sie die Muskulatur bloß zusätzlich schwächt. Auf dem Programm stehen Dehnungs-, Kräftigungs- und koordinative Übungen, "damit man sich wieder richtig bewegt". Im Rahmen einer Bewegungsschule wird zum Beispiel der Frage nachgegangen, wie man am Arbeitsplatz Fehlhaltungen vermeidet.
Die Symptome des Bandscheibenvorfalls bleiben in der Regel acht Wochen lang bestehen. "Wobei man mindestens ein halbes Jahr weiter trainieren muss."
Ab wann ist eine Operation notwendig?
"Primär probiert man, das System mit Muskelkraft wieder in Gleichklang zu bringen", sagt der Sportmediziner. Nicht zuletzt deswegen, weil eine Operation nicht selten mit Komplikationen verbunden ist. In manchen Fällen ist sie aber notwendig. Etwa dann, wenn akute Lähmungen auftreten oder die Beschwerden chronisch werden. "Mit einer Wirbelsäulenoperation kann man den peripheren Schmerz sehr gut bekämpfen", erklärt Lanz. Die lokalen Schmerzen, entstanden durch die Abnützung der umliegenden Gelenke, werden dadurch allerdings nicht beseitigt. Das ginge zwar auch, erfordere aber einen anderen, größeren Eingriff. "In den allermeisten Fällen geht es aber" - die Bandscheiben betreffend - "ohne OP."
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Wie kann ich einem Bandscheibenvorfall vorbeugen?
Bewegung ist das Um und Auf, um einem Bandscheibenvorfall vorzubeugen. "Was wir machen können, ist nicht den Lift nehmen, sondern die Stufen steigen. Die eine Station nicht mit der Straßenbahn fahren, sondern die zehn Minuten zu Fuß gehen. Wenn man das jeden Tag macht, kommt schon etwas zusammen." Abgesehen davon rät der Mediziner natürlich zu Sport. "Ganz egal, welcher Sport. Hauptsache, man macht was." Der eine geht gerne ins Fitnessstudio, dem einen macht Laufen Spaß, wobei Ausdauersport den Bandscheiben ganz besonders gut tut. Anfangs reichen tägliche Einheiten von fünf Minuten. "Irgendwann ist man dann auf einer Stunde oben, weil es einem Spaß macht", prognostiziert Lanz.
Neben Bewegung spielt auch Ernährung eine Rolle. Der Mediziner rät zu antientzündlicher Kost, so, wie sie bei einer Gicht-Therapie empfohlen wird. Weniger Alkohol, weniger Zucker, weniger Fleisch, dafür mehr grüne Lebensmittel. "Alles, was grün ist, ist gut. Außer Erbsen", erklärt er. Denn während Spinat, Gurke und Petersilie basisch sind, zählen Hülsenfrüchte zu den säurebildenden Lebensmitteln. "Mit der Ernährung kann man sehr viel bewirken. Denn die Entzündung braucht eine eigene Nahrung. Und wenn man ihr die nicht gibt, kann sie auch nicht so stark ausbrechen." Ebenso wichtig ist die Flüssigkeitszufuhr. Die Empfehlung des Sportmediziners lautet 35 Milliliter pro Kilogramm Körpergewicht. Bei einer 60 Kilo schweren Person wären das gute zwei Liter täglich. Aber: "Je mehr, desto besser".
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Wobei man bei hoher Flüssigkeitszufuhr nicht darauf vergessen dürfe, die Mahlzeiten ausreichend zu salzen. Mit der Flüssigkeit wird nämlich auch das Salz aus unserem Körper heraus geschwemmt. Und weil unser Körper nun mal eine gewisse Menge an Salz braucht, müssen wir für Nachschub sorgen. Schließlich kann man einem Bandscheibenvorfall auch mit dem sogenannten 16:8-Fasten vorbeugen. Diese Form des Fastens gibt den Zellen die Möglichkeit, sich zwischenzeitlich zu regenerieren. "In der Zelle ist, bildlich gesprochen, ein Mistkübel drin, der hin und wieder entleert werden muss. Und das geht nur, indem man eine Zeitlang nichts isst. Auf diese Weise können die Zellen ihre Energiereserven, die sie im Laufe der Zeit angesammelt haben, abbauen und sich reinigen", veranschaulicht Lanz.
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Welche Sportarten sind weniger gut?
Natürlich ist das Risiko bei Sportarten, bei denen erhöhte Sturzgefahr besteht oder die auf einem monotonen Bewegungsablauf basieren, höher, dass es früher oder später zu einer körperlichen Abnützung kommt. "Tennisspieler haben häufig Probleme durch das Aufschlagen, bei dem sehr einseitig gearbeitet wird", weiß der Arzt. Davon betroffen seien aber weniger die Bandscheiben als die Facettengelenke - ebenso ein Teil der Wirbelsäule. Von einer speziellen Sportart abraten würde Lanz jedenfalls nicht. "Die Bandscheiben brauchen die Belastung und die Bewegung", betont er. Daher sei jeder Sport besser als gar kein Sport.
"Man muss sich das so vorstellen: Die Bandscheiben haben einen ganz langsamen Stoffwechsel. Sie brauchen irrsinnig lang, um sich zu regenerieren und zu ernähren." Was daran liegt, dass keine Blutgefäße in sie hineinlaufen, die sie mit all dem, was sie brauchen, versorgen könnten. "Das würde gar nicht gehen, denn wenn da Blutgefäße durchlaufen würden, wäre die mechanische Stabilität nicht mehr gegeben", erklärt der Mediziner. Also müssen sie sich auf andere Weise ernähren - und zwar durch Be- und Entlastung. "Wie ein Schwamm, den man auspresst und der sich dann wieder mit Wasser vollsaugt." Ohne Belastung daher auch keine Regeneration. Und ohne Regeneration keine gesunde Bandscheibe.
Welche Matratze ist die richtige?
Welche Matratze der Wirbelsäule gut tut, hängt ganz davon ab, in welcher Position man für gewöhnlich schläft. Bauchschläfer sollten eine Matratze wählen, die im Bereich des Gesäßes etwas härter ist. Ansonsten besteht die Gefahr, dass ebendieses durchhängt, man im Hohlkreuz liegt und morgens mit Rückenschmerzen aufwacht. Dasselbe gilt für den Seitenschläfer, der darüber hinaus darauf achten sollte, dass er seinen Kopf auf einen Polster bettet, der ihn seitlich ausreichend stützt. Rückenschläfer wiederum sollten auf eine weichere Matratze setzen. "Die schwereren Körperteile, sprich der Schultergürtel und das Gesäß, sollten im Schlaf absinken können. So wird die Wirbelsäule in die Länge gezogen. Ein passives Stretching, sozusagen."
Abgesehen davon sollte die Matratze natürlich nicht ein gewisses Alter überschreiten. Alle zehn Jahre sollte man sie wechseln. Wenn sie durchgelegen ist, natürlich schon früher. Und noch eine Sache: "Man verbringt sieben bis acht Stunden täglich im Bett. Wer sparen will, soll das lieber beim Bier und den Zigaretten machen. Aber nicht bei der Matratze."
Steckbrief
Ulrich Lanz
Als ehemaliger Profisportler betreut Dr. Ulrich Lanz, Facharzt für Orthopädie, orthopädische Chirurgie und Sportorthopädie, unter anderem das österreichische Daviscup Team und das österreichische Leichtathletik Nationalteam als Teamarzt. Seit 2019 bietet er - gemeinsam mit Orthopäden, Physiotherapeuten und Osteopathen - in seinem Sportorthopädie Zentrum in Wien Hietzing neben klassischen Behandlungsmethoden auch Therapiekonzepte aus dem Spitzensport für jedermann an.