Der FPÖ-Chef drängt auf Neuwahlen. Seine Erfolgsaussichten könnten sich eher wieder eintrüben. Vor allem, wenn es um "Normalität" und die Frage geht, ob er kanzlertauglich ist
Analyse
Wenn es nach Herbert Kickl gehen würde, müsste möglichst bald gewählt werden. Dann würde er am ehesten mit der FPÖ auf Platz eins kommen. Daher drängt er auch auf einen Urnengang. Er weiß: Besser können die Aussichten kaum noch werden. Sie könnten sich eher eintrüben.
Das Problem des 54-Jährigen ist, dass seine Stärke auf der Schwäche seiner Mitbewerber und auf der allgemeinen Krisenlage beruht. Selbst hat er kaum etwas einzubringen. Er mag sich gerne als "Volkskanzler" inszenieren und behaupten, dass Bundeskanzler Karl Nehammer (ÖVP) längst aus dem Amt geflogen wäre, wenn es nach den Wählerinnen und Wählern gehen würde. Das ist jedoch ein Ablenkungsmanöver: Wie Nehammer würde er bei einer Direktwahl nur auf gut ein Fünftel der Stimmen kommen. Schlimmer: Mehr als zwei Drittel geben an, ihm kein Vertrauen zu schenken. Das unterstreicht, dass er zwar überzeugte Anhänger haben mag, die Ablehnung, die ihm entgegenschlägt, jedoch riesig ist.
Im Durchschnitt der Umfragen liegt die FPÖ seit Jahresbeginn bei knapp 30 Prozent und damit vor ÖVP und SPÖ. Im Falle eines Urnengangs am kommenden Sonntag wäre sie die große Gewinnerin. Sie könnte ihren Stimmenanteil beinahe verdoppeln. 2019 ist sie infolge der Ibiza-Affäre ja auf 16 Prozent abgestürzt.
Zurücklehnen können sich Kickl und Co. jedoch nicht. Es wirkt, als hätten sie ihr Potenzial ausgereizt. Vor allem aber beruhen die knapp 30 Prozent unter anderem eben auf der massiven Teuerung sowie den Sorgen und Nöten sehr vieler Menschen, die damit einhergehen. Kickl spricht sie gezielt an und vermittelt den Eindruck, regierenden Eliten sei das alles egal. Damit hat er schon gewonnen. Bloß: Von Dauer wird dieser Zustand wohl kaum sein. Es gibt erste Hinweise darauf, dass sich die finanzielle Lage der österreichischen Haushalte leicht, aber doch entspannt. Laut einer Analyse des Instituts für Höhere Studien (IHS) beginnt der Anteil derer zurückzugehen, die von Einkommensverlusten und Schwierigkeiten berichten, ihren Lebensunterhalt zu bestreiten. Gut möglich, dass ein Trend daraus wird: Die Inflation bleibt zwar hoch, wird im kommenden Jahr aber deutlich niedriger ausfallen als zuletzt.
Doch nicht nur unter diesen Umständen könnte es für den FPÖ-Chef schwieriger werden, sich zu behaupten: Karl Nehammer hat zu Botschaften gefunden, die Kickl ernst nehmen muss. Das gezielte Umwerben "normaler" Menschen ist gerade auch auf seine Zielgruppe ausgerichtet. Außerdem hat ihn Nehammer als Kanzler ausgeschlossen. Mag sein, dass dieser bei den Wählern nicht besser abschneidet. Das ist jedoch kein Trost für Kickl. Der Punkt ist, dass er ebenfalls von einer Masse abgelehnt wird - und dass es dann, wenn sich ein Wahlkampf auf diese Frage zuspitzt, schwieriger für ihn wird, zu triumphieren. Statt der Schwäche seiner Mitbewerber stehen dann seine Fähigkeiten im Vordergrund.
Zahl
Schlechte und sehr schlechte Werte
Das hat es noch nie gegeben: Bei einer Kanzlerdirektwahl würde sich Herr oder Frau "Niemand" klar durchsetzen. Genauer: Bei Umfragen, bei denen es darum geht, entfallen die meisten Antworten auf keinen der genannten Parteivorsitzenden. FPÖ-Obmann Herbert Kickl ist zuletzt in einer Erhebung des Meinungsforschungsinstituts OGM für die Gratiszeitung "Heute" zwar auf Platz eins gekommen, das aber mit gerade einmal 21 Prozent. Amtsinhaber Karl Nehammer (ÖVP) musste sich mit 19, SPÖ-Chef Andreas Babler mit 14 Prozent begnügen. Neos-Sprecherin Beate Meinl-Reisinger erreichte sieben, Vizekanzler Werner Kogler (Grüne) sechs Prozent. Die relativ meisten Befragten gaben also niemandem den Vorzug: 33 Prozent, um genau zu sein.
Das kommt nicht irgendwoher. Im APA/OGM-Vertrauensindex wird allen Parteivorsitzenden ein negativer Saldowert ausgewiesen. Das bedeutet, dass ihnen eher misstraut wird. Das trifft vor allem auch auf die beiden zu, die derzeit vorne liegen: Kickl und Nehammer.
Wobei es im Laufe der Zeit durchaus Veränderungen gibt: Bei Nehammer haben sich die Vertrauenswerte in den vergangenen eineinhalb Jahren eher verschlechtert. Zunächst gaben laut OGM knapp 50 Prozent an, ihm zu vertrauen. Zuletzt handelte es sich nur noch um 36 Prozent. Umgekehrt schenkten ihm 58 Prozent kein Vertrauen. Bei Kickl haben sich die Werte zwar leicht verbessert, sie sind jedoch schlechter als die von Nehammer geblieben: Bei der Erhebung im Juni erklärten gerade einmal 27 Prozent, ihm zu vertrauen, und ganze 70 Prozent, es nicht zu tun.
Das sind alles in allem Rahmenbedingungen, die mehr denn je einen Wahlkampf erwarten lassen, der von "Negative Campaigning" geprägt ist: Wenn kein Kandidat überzeugende Argumente für sich hat, ist die Verlockung groß, herauszuarbeiten, was gegen Mitbewerber sprechen könnte, sie also zu beschädigen.
Bericht
Pensionskommission ohne Chef
Das Bundesverwaltungsgericht hat seit Monaten weder eine Präsidentin noch einen Präsidenten, die Bundeswettbewerbsbehörde verfügt lediglich über eine interimistische Generaldirektorin und der Vorsitz in der Alterssicherungskommission, die die Zukunft der Pensionen im Auge haben sollte, ist seit einer halben Ewigkeit vakant: Wachsende Teile des Staates sind mehr oder weniger führungslos. Verantwortlich dafür zeichnen ÖVP und Grüne, die sich schwertun, gemeinsam noch etwas zusammenzubringen.
Bei der Alterssicherungskommission hat der ehemalige Vorsitzende Walter Pöltner mit Dezember 2021 seinen Rücktritt erklärt. Und zwar ausdrücklich "aus Frust, weil die Politik die langfristige Sicherung der Pensionen, aber auch der Pflege nicht ernst genug nimmt". Das wollte er sich nicht mehr antun.
Für die Nachfolge zuständig ist Sozialminister Johannes Rauch (Grüne). Laut Gesetz hat er im Einvernehmen mit Bundeskanzler Karl Nehammer und Finanzminister Magnus Brunner (beide ÖVP) eine Vorsitzende oder einen Vorsitzenden zu bestellen. Frist gibt es keine. Auf Nachfrage heißt es aus seinem Ressort, dass die Gespräche noch nicht abgeschlossen seien: "Man befindet sich diesbezüglich nach wie vor im Austausch mit dem Finanzministerium und dem Bundeskanzleramt."
Insgeheim muss man in Regierungskreisen nicht unglücklich sein über diesen Zustand: Eine Kommission mit einer starken Spitze, die regelmäßig auf Reformen drängt, könnte gerade in Vorwahlkampfzeiten lästig sein. Geht's inhaltlich doch um höchst Unpopuläres: Einschnitte bei den Pensionen.
Johannes Huber, Journalist und Blogger zur österreichischen Politik, www.diesubstanz.at