Analyse
Herbert Kickl hat ein Problem: Wenn am Sonntag Nationalratswahlen wären, würde er mit der FPÖ, die er führt, vielleicht auf Platz eins kommen. Davon hat er jedoch wenig bis nichts. Es taugt, um sich feiern zu lassen und auch gute Stimmung für die niederösterreichische Landtagswahl am 29. Jänner zu machen, ist sonst aber wertlos. Siehe SPÖ-Chefin Pamela Rendi-Wagner: Vor einem Jahr lag ihre Partei so gut, dass sie den Anspruch auf das Kanzleramt erhob. Davon, dieses Ziel zu erreichen, hat sie sich mittlerweile aber wieder entfernt. Umfragewerte geben es nicht mehr her.
Kickl kann sich nicht einmal darüber freuen, dass er zum bestimmenden Politiker Österreichs aufgestiegen ist. Auch maßgebliche Mitbewerber orientieren sich an ihm. Dass die ÖVP Asyl und Migration im Spätherbst wieder zum großen Thema machte und sich Bundeskanzler Karl Nehammer gerne auch mit dem ungarischen Ministerpräsidenten Viktor Orban zeigte, der für einen harten Kurs bekannt ist, hat nicht nur damit zu tun, dass er auf den Sebastian-Kurz-Vertrauten Gerald Fleischmann hört: Nehammer meint, Kickl allein so Paroli bieten und Wähler davon abhalten zu können, letzten Endes wirklich zu den Freiheitlichen abzuwandern.
Für den FPÖ-Chef sind die Entwicklungen fast schon unheimlich: Er kann provozieren, wie er will, es traut sich kaum noch jemand, ihn anzugreifen. In militärisch anmutender Kleidung wirbt er auf Plakaten für eine Festung Österreich. Heinz-Christian Strache hätte sich Kritik und die Frage gefallen lassen müssen, worauf er hinauswill mit einer solchen Aufmachung. In seinem Fall kommt nichts dergleichen.
Türkise scheuen sich, ihn anzugreifen. Aus Angst, damit auch seine wachsende Anhängerschaft gegen sich aufzubringen und so erst recht potenzielle Wähler zu verlieren, die man eventuell noch überzeugen könnte. Sozialdemokraten geht es ähnlich. Auch sie glauben, nicht auf diese Stimmen verzichten zu können. Es sind zu viele.
Das Problem für Kickl ist, dass die nächsten Nationalratswahlen erst in eineinhalb Jahren stattfinden könnten. Und dass zum Beispiel ein freiheitlicher Triumph in Niederösterreich, wie er möglich scheint, etwas auslösen wird. SPÖ-intern ist etwa klar, dass es Folgen haben muss, wenn sie zum ersten Mal im Land hinter die FPÖ zurückfällt.
Dann muss Rendi-Wagner liefern, was sie nach der Wahlniederlage 2019 (minus 5,7 Prozentpunkte) verabsäumt hat: Eine Neuaufstellung der Partei. Oder aber dem burgenländischen Landeshauptmann Hans Peter Doskozil weichen, der sich als Spitzenkandidat anbietet und den bezeichnenderweise auch schon der verzweifelte niederösterreichische Frontmann Franz Schnabl zum Hoffnungsträger erklärt hat. Derlei würde es für Kickl schwerer machen, ins Kanzleramt zu kommen.
Zahl
Schwarze Bastion wackelt
Schwarze Bastion wackelt
Jede Stimme ist gleich viel wert. Natürlich. Stimmen bei der niederösterreichischen Landtagswahl fallen jedoch in besonderer Weise ins Gewicht. Allein schon, weil es hier so viele zu gewinnen gibt für die Parteien. Mit 1,3 Millionen ist die Zahl der Wahlberechtigten größer als in allen anderen Bundesländern; auch in Wien, wo zwar mehr Menschen leben, sich darunter aber weniger wahlberechtigte Österreicher befinden.
Eine niederösterreichische Landtagswahl ist eine kleine Nationalratswahl. Die Neos mögen hier 2018 kaum mehr als fünf Prozent erreicht haben. Dahinter standen aber 46.801 Stimmen. Das entspricht einem Fünftel aller Stimmen, die sie zuletzt bei Landtagswahlen vom Boden- bis zum Neusiedlersee erhalten haben. Auch für Sozialdemokraten und Freiheitliche geht es um viel. Beide sind bei Landtagswahlen in der jüngeren Vergangenheit nur je einmal zu mehr Stimmen gekommen als in Niederösterreich vor fünf Jahren – die SPÖ in Wien, die FPÖ in Oberösterreich.
Niederösterreicher schaffen an
Extrem ist es bei der ÖVP: Dafür, dass die Niederösterreicher parteiintern den mit Abstand größten Einfluss auf die Bundespartei von Karl Nehammer haben, gibt es viele Gründe. Sie stellen nicht nur die Landeshauptfrau (Johanna Mikl-Leitner) und regieren "absolut", sondern sind auch mit rund 450.000 Stimmen in den Landtag gewählt. Das sind um ein Drittel mehr als die ÖVP in Oberösterreich und mehr als doppelt so viele wie die Schwarzen in der Steiermark.
Diese Verhältnisse könnten sich nun ändern. Die blau-gelbe Volkspartei muss mit Verlusten rechnen. Im parteiinternen Machtgefüge würde sie sich damit ihren Schwesterorganisationen in Oberösterreich und in der Steiermark annähern. Im schlimmsten Fall für sie würde sie ihre Dominanz verlieren und müsste sich stärker mit den beiden arrangieren, wenn es um bundespolitische Angelegenheiten, wie die Obmannfrage, geht.
Bericht
Feindbild Klimaaktivisten
Feindbild Klimaaktivisten
Die niederösterreichische Landeshauptfrau Johanna Mikl-Leitner (ÖVP) fordert Haftstrafen für Klimaaktivisten, der Wiener FPÖ-Chef Dominik Nepp würde noch viel weitergehen: Auf Facebook stellte er ein neues Verkehrszeichen vor: Darauf zu sehen ist ein Strichmännchen, das einer auf einer Straße sitzenden Person auf den Kopf pinkelt. Damit kein Missverständnis entsteht, wie das gemeint ist, ist daneben ein grüner Daumen nach oben abgebildet. Eine Ermunterung.
Feindbild Klimaaktivisten: Vor allem von Rechtspopulisten werden sie in Wahlkämpfen als Gefährder dargestellt. ÖVP-Generalsekretär Christian Stocker meint, sie wollten den demokratischen Parlamentarismus durch einen sogenannten Bürger:innenrat ersetzen, der Entscheidungen trifft. Damit habe "auch die Sowjetunion begonnen". FPÖ-Spitzenkandidat Norbert Hofer warnte vor der Nationalratswahl 2019 in Anspielung an Greta Thunberg vor einer "Zöpferl-Diktatur".
Zu Mobilisierung vor Wahlen
Woher kommt diese Verhärtung? Freiheitliche wie Türkise wollen nicht nur einer Klientel gerecht werden, für die Klimaschutz keine Priorität hat, wie Befragungen zeigen. Es entspricht auch einer Politik, die den Leuten einredet, dass man eh genug tue und daher keine Einschnitte nötig habe, die auch im Alltag spürbar sind. Nicht einmal Tempo 100 darf daher sein. Klimaaktivisten widersprechen dem. Sie stören ein selbstgefälliges Wohlfühlprogramm. Außerdem: Sie werden sogar sehr gerne zu bedrohlichen Gegnern erklärt. Das hilft, die eigene Anhängerschaft bei Wahlen viel besser zu mobilisieren.
Johannes Huber, Journalist und Blogger zur österreichischen Politik, www.diesubstanz.at