René Benkos Signa Holding zahlte Millionen an eine obskure Moskauer Firma aus dem Dunstkreis des flüchtigen Ex-Wirecard-Vorstands Jan Marsalek.
Im Juni 2020 sorgt der deutsche Zahlungsdienstleister Wirecard für ein Beben in der internationalen Finanzwelt. Luftbuchungen des einstigen Vorzeigeunternehmens des deutschen Aktienindex DAX in Milliardenhöhe werden bekannt. Der Zusammenbruch erfolgt krachend und bis in seine einst so solide wirkenden Grundfesten. Game over. Gleichsam über Nacht. Schon bald wird selbst berufsbedingten Beschwichtigern klar: Nichts geht mehr.
Abflug gen Minsk
Nahezu zeitgleich, konkret am 19. Juni 2020, macht sich ein damaliges Vorstandsmitglied des Unternehmens mit dem Hauptquartier in München auf den Weg nach Wien. Genauer: zum Privatflugplatz im niederösterreichischen Bad Vöslau. Dort besteigt der Chief Operating Offi cer der Wirecard eine kleine Maschine vom Typ Cessna und lässt von den Piloten die weißrussische Hauptstadt Minsk ansteuern. Dann geht es weiter gen Osten. Seither wird nach dem Österreicher Jan Marsalek international gefahndet.
Strippenzieher
Um Marsaleks momentanen Aufenthaltsort ranken sich verschiedene Erzählungen. Westliche Geheimdienste vermuten den Geschäftsmann mit Wiener Wurzeln jedenfalls irgendwo im Dreieck zwischen Moskau, Istanbul und dem Emirat Dubai. Schon kurz nach Marsaleks Flucht begannen sich Untersuchungsausschüsse im deutschen Bundestag und Ermittlungsbehörden in Deutschland wie Österreich intensiver mit dessen Netzwerk zu beschäftigen. Offenbar konzentrierte sich das Marsalek-Netzwerk in Österreich auf ÖVPlastige Lobbying-Agenturen, FPÖ-nahe Beamte im Innen-und Außenministerium sowie auf eine in der Wallnerstraße im Zentrum Wiens beheimatete Freundschaftsgesellschaft. Konkret: auf die im Jahr 2000 gegründete Österreich-Russische Freundschaftsgesellschaft (ORFG). Gegründet von Florian Stermann, seines Zeichens Generalsekretär der ORFG. Ein umtriebiger Vertreter russischer Wirtschaftsinteressen in Wien und österreichischer Wirtschaftsinteressen in Moskau. Bei Florian Stermann und seiner diskreten Österreich-Russischen Freundschafts- Gruppe laufen die Fäden dieser Recherche zusammen.
Büro in Moskau
Die Freundschaftsgesellschaft unterhielt nicht nur eine Repräsentanz in Wien, sie war auch in Moskau vertreten. Direkt im Zentrum. Unweit des Roten Platzes. Teil der dortigen Niederlassung in der Hauptstadt der Russischen Föderation war zum damaligen Zeitpunkt eine weitere Schlüsselfigur dieser Geschichte. Ein Mann namens Andrei Shibaev. Und eben dieser Andrei Shibaev war nicht nur Teil der österreichisch-russischen Freundesrunde rund um Florian Stermann, er trat auch als Geschäftsführer einer Firma namens Famiko auf.
Famiko war zumindest bis 2020 eine Beratungsfirma mit Sitzen in Moskau, Dubai und eben auch in Wien. In der österreichischen Hauptstadt wurde Famiko von einer Stermann-Firma bei der Anbahnung neuer Kundenbeziehungen begleitet.
Partner russischer Unternehmen
Seit dem Jahr 2011 stand Shibaevs Famiko in einer Geschäftsbeziehung zu Wirecard. Das zeigen News-Recherchen nun erstmals laut Aktennotizen, die vom flüchtigen Wirecard-Vorstand Jan Marsalek persönlich unterfertigt wurden: Darin heißt es etwa: "Zum 31. Dezember 2013 bestehen gegenüber der Firma 000 Famiko, Starokachalovskaya Ulitsa, 117628 Moskau, Russische Föderation, Forderungen in Höhe von Mio. EUR 4,592 resultierend aus einer vertraglichen Vereinbarung aus 2011 zum Aufbau einer Open Prepaid Wallet (OPW) Plattform (Projekt "Taurus"). Hierbei agiert Famiko als gemeinsamer Projekt-und Procurement-Manager für einen Verbund russischer Unternehmen."
"Leider nichts Schriftliches"
News liegen zum Thema Famiko zahlreiche quartalsweise gelegte Rechnungen über abstrakte Leistungen im Zusammenhang mit "Cooperation in project implementation" aus den Jahren 2014 bis 2018 vor. Adressiert wurden diese Rechnungen an Wirecard Sales International. Und regelmäßig gingen diese Rechnungen bei Jan Marsalek persönlich ein, jeweils über den Betrag von 37.500 Euro. Mit der administrativen Abwicklung zwischen Wirecard und Famiko war auch eine Wiener Firma von Florian Stermann betraut. Bei Wirecard intern hat diese eigenwillige Vertragsbeziehung zwischen einer Moskauer Firma und dem damals nach außen hin strahlenden DAX-Konzern Wirecard Rückfragen bei Jan Marsalek ausgelöst. So erkundigte sich etwa im Mai 2017 eine enge Mitarbeiterin bei Marsalek persönlich und via Mail nach den konkret erbrachten Leistungen von Famiko. Unter dem Betreff "Vertrag Famiko" heißt es: "Nochmal wg. Famiko - zu den Leistungen, die sie uns in Rechnung gestellt haben, gibt es leider nichts Schriftliches " Die Rechtsabteilung habe "nur diese alten Verträge hier", schreibt die Marsalek-Mitarbeiterin. Und fragt am Ende: "Soll denn die aktuelle Rechnung bezahlt werden?"
Schauplatzwechsel. Nach Wien. In das Palais Harrach auf der Freyung, das zuletzt um einige bronzene Toilettenutensilien und Fußabstreifer mit Signa-Logos ärmer wurde, weil alles unter dem Hammer kommt, was bei René Benkos dramatisch intransparenter Firmengruppe über Jahre zu den Insignien seiner vermeintlichen Finanz-Macht zählte. Monatelange News- Recherchen rund um die mittlerweile insolvente Signa-Holding zeigen nun, dass René Benko in Österreich wie in Deutschland über Jahre enge Bande zu einflussreichen Netzwerkern, Lobbyisten und Unternehmern geknüpft hatte, die beste Beziehungen nach Russland unterhielten. Mitunter bis ganz nach oben. Bis hinein in den Kreml. Bis zu Wladimir Putin.
Die Senator-Mitgliedschaft
René Benko pflegte nicht nur einen engen Austausch zu seinen Jagdfreunden Siegfried Wolf und Klaus Mangold, sondern auch zum umtriebigen Immo-Investor und Oligarchenfreund Ronny Pecik. Darüber hinaus zählte Benkos Signa Holding auch zu jenen an Geschäften mit Russland interessierten Unternehmen, die bei der Österreich-Russischen Freundschaftsgesellschaft eine "Senator-Mitgliedschaft" lösten. Der Tarif dafür: 10.000 Euro pro Jahr. Mehr noch: Die Signa-Gruppe refinanzierte sich über viele Jahre und in großem Stil über die russischen Bankhäuser Sberbank und VTB.
Aber nicht nur mit russischen Banken war Benkos Firmenkonglomerat gut im Geschäft. Der Signa-Erfinder selbst verfügte mit der Signa Holding über eine weitere, bisher unbekannte, aber nicht minder brisante Geschäftsbeziehung nach Moskau. Zu eben jener Gesellschaft namens Famiko. Zu just deren Geschäftsführer namens Andrei Shibaev. Und auch zu einem Mann namens Florian Stermann.
"Neuer Investitionsmarkt"
Die Signa Holding bezahlte in den Jahren 2014 bis 2018 mehrere Hunderttausend Euro pro Jahr an die obskure Moskau-Firma. In Summe sollen fast vier Millionen Euro über Konten bei österreichischen Banken nach Russland geflossen sein. Aus einem News vorliegenden "Kooperationsvertrag" zwischen Signa Holding und Famiko aus dem Jahr 2014 kann abgeleitet werden, worum es bei der Geschäftsbeziehung gegangen sein dürfte: "Der Auftraggeber ist daran interessiert, Russland als neuen Investitionsmarkt zu erschließen und neue Immobilienentwicklungsprojekte anzugehen. Unter anderem will er Grundstücke mit Bebauungsrechten in der Russischen Föderation und/oder nicht liquide eingestellte Projekte akquirieren." Die Beratungstätigkeit von Famiko war auch innerhalb der Signa offenbar lediglich einem verschworenen Zirkel rund um René Benko und den beiden Signa-Holding- Geschäftsführern bekannt.
Im Nebel
Noch kann nicht beantwortet werden, wie genau die Beratungsleistungen seitens der Firma Famiko ausgesehen haben. Noch ist offen, ob sich die kostspielige Geschäftsbeziehung für die heute schwer strauchelnde Signa schlussendlich bezahlt gemacht hat -zumindest vorübergehend. Noch liegt im Nebel, ob in Russland und Umgebung im Zuge der Aufarbeitung des Signa-Desasters tatsächlich auch Benko- Baustellen zutage gefördert werden. Ein wenig Licht ins russische Dunkel könnte die forensische Aufarbeitung historischer Geschäftsfälle durch den Insolvenzverwalter der Signa Holding bringen, der seit dem Entzug der Eigenverwaltung mit deutlich mehr Macht und Möglichkeiten ausgestattet ist. Er bildet jetzt tatsächlich und faktisch die Holding-Geschäftsführung. Er kann jetzt ohne jedes Sperrfeuer die notwendigen Schritte setzen. Er hat seit Ende Jänner 2024 die operativen Zügel in der Hand.
In Stein gemeißelt sind bislang folgende Fakten:
2020 ging Wirecard pleite.
2023 ging die Signa Holding pleite.
Seit 2020 ist Jan Marsalek auf der Flucht.
Dieser Beitrag erschien ursprünglich in der News-Printausgabe Nr. 5/2024.
Die Causa Benko - News berichtete:
Über die Autoren
Rainer Fleckl
Rainer Fleckl ist ein österreichischer Investigativjournalist. Er schrieb unter anderem für News.
- 2017 bis 2020: Leiter des Investigativ-Teams bei Addendum
- bis April 2021 Bereichsleiter ServusTV
Seit November 2023 ist er Investigativjournalist bei Krone Multimedia. Für seine journalistischen Tätigkeiten wurde er unter anderem mit dem Alfred-Worm-Preis und dem Prälat-Leopold-Ungar-Preis ausgezeichnet.
Sebastian Reinhart
Sebastian Reinhart ist Investigativ-Journalist. Er war unter anderem Referent für Untersuchungsausschüsse im österreichischen Nationalrat während der Aufarbeitung der Hypo-Affäre. Er war für die Recherche-Plattform Addendum tätig und schreibt für den Spiegel sowie derzeit für das Magazin News.