SPÖ-Chef Andreas Babler hat sich als Teletext-süchtig geoutet. Was kann das unscheinbare, aber allgegenwärtige ORF-Medium mit dem Retro-Charme?
Ungefähr 900.000 Österreicherinnen und Österreicher machen es täglich. Sie drücken auf den entsprechenden Knopf ihrer Fernbedienung - oder, wir schreiben schließlich das Jahr 2023, öffnen die App - und nehmen den ORF-Teletext in Betrieb. Was da aufgeht, egal ob auf dem Fernseher oder dem Handy, ist beruhigend altmodisch. Vertraut. Die ganze Welt auf einen Blick. Acht Topmeldungen, die das gerade Allerallerwichtigste verkünden. (Oder zumindest das, was im Kosmos Österreich am allerwichtigsten scheint).
Dann klickt sich der routinierte Teletext-Konsument von der Startseite weiter. Auf den ersten zehn Seiten: Die Topstorys. Dann österreichische und internationale Politik, Chronik, Wirtschaft. 14 Zeilen ist eine (einseitige) Teletext-Meldung lang. Rund 80 Wörter. An die 500 Zeichen. Nicht einmal zwei Twitternachrichten, aber so viel mehr Substanz.
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ORF-Teletext-Gründung 1980
ORF-Redakteur Andreas Simhofer gehört zum Gründungsteam der Teletext-Redaktion. Anfang 1980 ging es los, mit nur zweieinhalb Wochen Vorlaufzeit, erinnert er sich. Die Startseite, anno damals: schlicht-schwarz, darüber stolz der Titel. TELE-TEXT. Da musste er ja noch vorgestellt werden. Da war er noch Avantgarde. Denn: Wer hatte damals schon einen teletextfähigen Fernseher mit Fernbedienung?
Aber der coole Nerd unter den ORF-Informationsangeboten ist gut gealtert. Immer noch verspricht die nüchterne Aufmachung neueste Informationen, knapp und seriös aufbereitet. Und die Redaktion liefert, was das Design verspricht. Die Kunst der knappen Meldung erfordert oft einiges Tüfteln, berichtet Simhofer, gerne auch im Kolleginnen-und Kollegenkreis. Komplexe Wirtschaftskrimis so kompakt aufbereiten? Gar nicht einfach. Fehler kommen natürlich vor. Legendär, erinnert sich Simhofer: "Der Untergang der Costa Cordalis".
1980. Damals wurden 64 Seiten bespielt, es gab nur 500 teletextfähige Geräte im Land. Als eine der ersten TV-Stationen in Europa nutzte der ORF die Möglichkeit, regelmäßig Textinformationen über die Austastlücke des Sendesignals auf den Fernsehbildschirm zu bringen.
Die Teletext-Redaktion ist neben den Ö3-Nachrichten die einzige 24 Stunden besetzte ORF-Nachrichtenredaktion, erklärt Sebastian Prokop, Chef des ORF-Newsdesks (Link zu Twitter-Account von Sebastian Prokop)und damit auch für den Teletext verantwortlich. Es ist also nicht nur alte Gewohnheit, wenn der erste Blick am Morgen dem Teletext gilt: Steht die Welt noch? Sondern sachlich begründet. Zuerst steht es nämlich hier. In der Nacht beliefert der Teletext auch die Blaue Seite mit "Breaking News".
Auch in Sachen Wahlberichterstattung oder Politikbeobachtung ist der Teletext routiniert. Aus einer einstündigen Pressestunde eine 14-zeilige Meldung zu machen, das schaffen nur Journalisten mit langjähriger Erfahrung in der Kunst der sinnvollen Verknappung. Und es wundert nicht, dass heute prominentes ORF-Personal aus den Reihen der Teletext-Redakteure hervorging. Paul Tesarek, früherer Chefredakteur des ORF Wien, zum Beispiel, oder Russland-Korrespondent Christian Lininger.
Die Moden gingen auch am Teletext nicht vorbei, zeigt das Archiv. 2001 brachte er Porträts heute längst vergessener Taxi-Orange-Kandidaten. Martin. Sternzeichen: Fische. Liebesstatus: Freundin. Bekantheitsstatus 2023: null.
Auch als Nachhilfelehrer wurde der Teletext (den man in Deutschland als Videotext kennt) eingesetzt. Und 2019 schufen 13 Künstlerinnen und Künstler eigene Teletext-Kunstwerke, die ausgestellt wurden. Wo? Im Teletext natürlich.
2001. Moden kommen und gehen. Zum Beispiel die Castingshow Taxi Orange, eine Eigenentwicklung des ORF, die zwischen 2000 und 2001 ausgestrahlt wurde und großen Erfolg hatte. Der Teletext stellte damals Kandidatenporträts zur Verfügung: Martin, Fische, Freundin
2019. "ORF-Teletext trifft Kunst", lautete der Name eines Projekts, bei dem Künstlerinnen und Künstler Teletext-Kunst anfertigten. Das abgebildete Werk stammt von Dan Farrimond und heißt "TV Shutdown". Online ist die Ausstellung immer noch abrufbar, unter teletextart.com
Teletext als absolute Verknappung
Zu viel Mode darf aber nicht sein, sonst revoltiert das Publikum, weiß Simhofer. Entsprechende Versuche in den 90er-Jahren ernteten wäschekorbweise Protestpost. Jetzt, verspricht Prokop, bleibt alles, wie es ist. Optisch und inhaltlich. Never change a winning teletext.
Die Teletext-App ist in den App Stores von Apple oder Google Play verfügbar.
"Die Menschen schätzen am Teletext die absolute Verknappung und die Reduktion auf das Wesentliche. Es gibt auch nicht, wie im Internet, lästige Cookies oder andere Probleme. Einfach einschalten und los geht's, wie gewohnt", erklärt Prokop das Erfolgsgeheimnis. Auch viele jüngere Menschen, erzählt er, hätten die Teletext-App am Handy installiert. Gute Aussichten für noch viele erfolgreiche Jahre im Schatten des Scheinwerferlichts der glamouröseren ORF-Informationsangebote. Der Werbeslogan stünde auch schon fest, wenn er nicht schon anderweitig vergeben wäre. Simhofer und Prokop einhellig: "Quadratisch, praktisch, gut".
Dieser Beitrag ist ursprünglich in der News-Printausgabe Nr. 25-26/2023 erschienen.