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"Wir gehen nicht auf Wallfahrt nach Wien"

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Thomas Stelzer
©Bild: Ricardo Herrgott
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Oberösterreichs Landeshauptmann Thomas Stelzer macht einmal mehr klar: Als Bittsteller wollen sich die Länder bei den Verhandlungen über den Finanzausgleich nicht behandeln lassen. Die energieintensive Industrie in seinem Bundesland müsste rascher gefördert werden, als es der Bund derzeit tut. Und: Sollte Deutschland einen Industriestrompreis einführen, müsste Österreich in irgendeiner Form mitziehen.

In Deutschland gibt es große Sorgen, dass eine anhaltende Wirtschaftskrise bevorstehen könnte. Die Stimmung ist schlecht, die Wirtschaft schrumpft. Befürchten Sie, dass sich das auch auf Österreich niederschlägt?
Es ist sicher so, dass wir an einem Wendepunkt stehen. Für einen Produktionsstandort ist der Umbau Richtung erneuerbare Energien an sich schon eine Riesen-Challenge. Dazu kommt das Thema, dass die EU hier aus meiner Sicht sehr ehrgeizig vorgeht. Man könnte auch sagen streberhaft. Viele Unternehmen - auch bei uns hier - sagen, die Zukunft sehen wir in anderen Wirtschaftsräumen der Erde, in Amerika, Asien oder sonstwo. Das muss man im Blick haben, neben all den anderen Themen, die uns beschäftigen. Das ist die große Herausforderung für unsere jetzige Gestalter- oder Politikergeneration, dass wir es schaffen, ein Industrie- und Produktionsstandort zu bleiben. Für Oberösterreich gilt das natürlich ganz besonders.

Sehen Sie auch eine "schleichende Deindustrialisierung", wie viele Beobachter derzeit in Deutschland?
Das findet in Europa längst statt. Nicht nur schleichend, sondern sichtbar. Darum bin ich sehr froh und glücklich, dass wir in Oberösterreich nach wie vor ein so starker Industriestandort sind und dass hier auch massiv investiert wird, um auf erneuerbare Energien umzusteigen und etwa in der Wasserstoff-Forschung voranzukommen. Nur, das muss auch unterstützt werden. Und es braucht eine gewisse Zeit, das umzusetzen.

Die jüngste Konjunkturumfrage der Industriellenvereinigung zeigt, dass oberösterreichische Unternehmer pessimistisch in die Zukunft blicken und "hohe Erwartungen an Bundes- und Landespolitik haben, die Wettbewerbsfähigkeit weiter zu verbessern", wie es heißt. Tut die Politik zu wenig?
Die Wirtschaft ist nach dem Corona-Schock unglaublich schnell wieder nach oben gegangen, gerade auch in der Industrie. Wir haben also eine starke Basis. Aber wenn wir wollen, dass wir in Europa komplett auf Erneuerbare umsteigen, muss das finanziert werden. Da kann der Staat, die Politik vieles tun. Die Gelder, die unter dem Titel Transformationfonds in Aussicht gestellt werden, kommen aus meiner Sicht allerdings ein bisschen sehr zögerlich, und es hat auch lange gedauert, bis die erste Tranche ausbezahlt wurde. Wir bemühen uns in Oberösterreich, das Unsrige dazu zu tun, und haben einen eigenen Zukunftsfonds dafür aufgelegt. Aber wenn man hier schneller sein will, muss man das auch unterstützen.

Aus der Konjunkturumfrage der Industriellenvereinigung geht auch hervor, dass Oberösterreichs Unternehmerinnen und Unternehmer den Fachkräftemangel für das mit Abstand größte Problem halten. Was kann, was muss man dagegen tun?
Zunächst einmal Realitätssinn haben und nicht glauben, das ist bloß eine Delle, die wir durchwandern, sondern anerkennen, dass es sich um eine nachhaltige Herausforderung handelt. Was können wir tun? Das eine ist, und das ist, glaube ich, mittlerweile unumstritten, dass wir gesteuerten und klar geregelten Zuzug von Mitarbeiterinnen und Mitarbeitern aus Drittländern brauchen. Wo man klar sagt, wo brauchen wir Arbeitskräfte, und unter welchen Bedingungen? Die Rot-Weiß-Rot-Card muss noch besser werden, die Berufsliste, die dem zugrunde liegt, muss erweitert werden. All jene, die nicht Vollzeit arbeiten oder nicht Vollzeit arbeiten wollen, müssen wir motivieren, in Vollzeit zu gehen. Das beginnt bei der Kinderbetreuung, in die wir massiv investieren, geht aber auch zum Thema Steuern. Zahlt es sich überhaupt aus, wenn ich voll arbeite? Wir müssen bei den Überstunden bessere Regelungen schaffen. Und die Menschen, die arbeitslos sind, brauchen Schulungen, sie brauchen Begleitung und Qualifizierungsmaßnahmen.

Die Leute müssen sehen, dass es sich auszahlt, wenn sie mehr leisten

Zuwanderung wird jetzt auf einmal dringend gebraucht. Es gibt Umfragen, wonach ausländische Arbeitskräfte nicht gerne in Länder gehen, in denen politisch Stimmung gegen Zuwanderer gemacht wird. Auch in Österreich hat man versucht, mit Anti-Ausländer-Stimmung schnelles politisches Kleingeld zu machen. War das ein Fehler?
Ich glaube, man muss da genau trennen. Das eine ist das Thema Flucht und Asyl, bei dem Österreich und ganz viele Menschen in Österreich extrem viel geleistet haben, viel mehr als andere europäische Länder. Da muss man einfach sagen - und da stehe ich hinter der Linie der letzten Jahre -, dass das nicht unbegrenzt geht. Aber Flucht und Asyl sind von gesteuertem Zuzug zu unterscheiden. Ich glaube, dass Österreich einen großen Vorteil hat, das sagen mir viele Menschen, die aus anderen Ländern zu uns gekommen sind und hier arbeiten: Es ist so wunderbar, bei euch zu leben. Man arbeitet in einer Industrie-Hochburg, ist aber in wenigen Minuten auch mitten in der Natur. Lebensqualität. Sicherheit. Die Einkommensverhältnisse. Diese Vorteile müssen wir wieder in den Mittelpunkt stellen. Aber das Wichtigste ist, diese Bereiche auseinander zu halten. Asyl ist das eine. Wirtschaftliche Zuwanderung etwas ganz anderes.

Da würden Ihnen wahrscheinlich die wenigsten widersprechen. Dennoch: Das Thema war in Österreich jahrelang sehr unsachlich besetzt. Vor allem von der FPÖ - aber auch von der ÖVP - wurde bewusst eine gewisse Stimmung geschürt. Fällt uns das jetzt auf den Kopf?
Dass es diese Stimmung gab, ist nicht von der Hand zu weisen. Es kam aber schon auch daher, dass Österreich und Deutschland lange Zeit unfairerweise von der EU zu viel aufgebürdet bekommen haben und andere Länder in der europäischen Familien ihren Anteil nicht geleistet haben. Darum war es auch wichtig aufzuzeigen, dass es Grenzen des Leistbaren gibt. Aber ich würde in den Vordergrund stellen, dass wir ein internationales und weltoffenes Land sind, in dem auch Kultur immer noch eine große Rolle spielt. Wir haben eine starke Basis genug, um uns durchaus als Anziehungspunkt und weltoffen präsentieren zu können.

Ein anderes Problem für den Wirtschaftsstandort ist die Bildung. Österreich schneidet bei den PISA-Tests mittelmäßig ab. Es ist, aufgrund eines erstaunlich plötzlich aufgetretenen Lehrermangels, derzeit nicht einmal sicher, ob alle Kinder ordentlich lesen und schreiben lernen. Wo sollen die hochqualifizierten Kräfte herkommen, die in Oberösterreichs Firmen forschen?
Es ist ja interessant, wenn man fragt, was sind die Vorteile des Standorts Österreich oder Oberösterreich? Bei den Lohnkosten können wir nicht mithalten, die Produktionskosten sind aus Unternehmenssicht anderswo oft viel attraktiver. Der entscheidende Faktor sind immer die qualifizierten Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter. Also offensichtlich gelingt uns schon vieles im Bildungsbereich. Aber ich will nicht kleinreden, dass Bildung eine Dauerherausforderung ist. Die Inhalte ändern sich, die Informationen steigen. Da gibt es natürlich ständigen Verbesserungsbedarf. Wobei wir in Oberösterreich jetzt eine große Chance mit der neuen Universität für digitale Transformation haben. Das ist ein wichtiges Signal in die Welt hinaus und wird auch international Leute anziehen.

Österreich investiert im internationalen Vergleich sehr viel Geld in Bildung, müsste dabei nicht mehr herauskommen?
Wir haben ein sehr breit gestreutes, dezentrales Bildungsangebot. Das kostet natürlich Geld. Auf der anderen Seite ist das im Sinne der Nähe auch wichtig. Aber wie gesagt, ich will überhaupt nicht negieren, dass Bildung und Weiterentwicklung der Bildungsangebote eine große Herausforderung sind. Und da gelingt manches besser, manches nicht so gut. Bei dem von Ihnen angesprochene Lehrermangel handelt es sich einerseits um einen Mangel, wie es ihn in vielen anderen Berufen auch gibt. Aber man muss schon sagen, man hat vor einigen Jahren eine große Reform der Lehrerausbildung durchgeführt und die Ausbildung verlängert. Da darf man sich nicht wundern, wenn man sich zusätzlich zum Problem der Bevölkerungsstruktur ein Thema geschaffen hat.

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Thomas Stelzer folgte 2017 auf den früheren ÖVP-Landeshauptmann Josef Pühringer. Er arbeitet in einer Koalition mit der FPÖ zusammen © Ricardo Herrgott

Sie sprechen an, dass viele sogenannte Babyboomer, also in den beiden Jahrzehnten nach Kriegsende geborene Menschen, in Pension gehen, aber weniger Erwerbstätige nachkommen. Denen Work-Life-Balance noch dazu wichtiger zu sein scheint, als Selbstverwirklichung durch Arbeit. Was ist da schiefgelaufen?
Der eine Faktor ist das Thema Teilzeit. Die Leute müssen einfach sehen, dass es sich auszahlt, wenn sie mehr leisten, nicht, dass die Steuer alles wegfrisst. Und zweitens: Ist es noch realistisch, sich große Lebensträume - Stichwort Schaffung der eigenen vier Wände - zu erarbeiten? Auch da hat sich Österreich leider durch unsere Regelungen in der Finanzmarktaufsicht viel zu rigide gestaltet. Wir schreiben den Banken da strengere Regeln vor als andere Länder. Es ist heute de facto fast unmöglich, dass junge Leute - selbst in gut entlohnten Berufen - ein Haus bauen können oder überhaupt einen Kredit bekommen. Daher sind wir uns auch unter den Landeshauptleuten einig: Das gehört dringend entschärft.

Ist die jüngere Generation zu pessimistisch? Hat sie vor dem Hintergrund des Klimawandels und der allgemeinen wirtschaftlichen Lage zu wenig Glauben an die Zukunft?
Der Glaube an die Zukunft ist ein ganz entscheidender Punkt. Man braucht Perspektiven, ganz egal, in welchem Bereich. Das ist auch der Grund, warum wir in Oberösterreich immer sagen, wir möchten ein Land der Möglichkeiten sein, kein Land der Verbote, in dem wir alles überreglementieren. Es ist sicher eine Aufgabe von uns politischen Vertreterinnen und Vertretern, dass wir bei allen Schwierigkeiten immer auch die großen Vorhaben in den Mittelpunkt stellen. Das kann motivieren, das erzeugt positive Stimmung. Anstatt uns in den auch für mich oft schwer verständlichen, kleinlichen Hackeleien zu ergehen, die außer die Politik und vielleicht Journalistinnen und Journalisten wirklich niemanden mehr interessieren.

Ein großes Problem für den Wirtschaftsstandort Oberösterreich sind die hohen Energiepreise. In Deutschland wird jetzt über Förderungen, einen sogenannten Industriestrompreis, diskutiert. Wäre das auch in Österreich gescheit?
Gescheit gewesen wäre, wenn man sich in der EU einig gewesen wäre, wie man das mit der Energiepreisbildung machen will. Wenn man schaut, was die Amerikaner mit dem Biden-Act machen, dann ist klar, man kann nicht genug zusammenarbeiten in Europa. Aber das ist vergossene Milch. Für mich ist klar, wir dürfen nicht zulassen, dass wir einen Nachteil gegenüber deutschen Unternehmen haben. Wir hängen unmittelbar an Deutschland. Es ist einiges getan worden, von der Strompreisbremse im Privatbereich bis zu den Unterstützungen des Bundes. Unser großes Thema ist ja, dass wir neben den Energiepreisen jetzt auch die Umstellungskosten auf Erneuerbare zu stemmen haben. Da wird es, je nachdem was andere rund um uns herum machen, sicher den Bedarf geben, nachzubesssern.

Wenn Deutschland einen Industriestrompreis einführt, muss Österreich nachziehen?
Man muss das deutsche Modell nicht sklavisch kopieren, aber wir müssen auf gleicher Ebene unterwegs sein.

Es ist sonnenklar, auf welcher Seite die Schritte jetzt kommen müssen

Sie haben jetzt mehrfach betont, dass es wichtig ist, die Industrie beim Energiewandel zu unterstützen. Wie lange soll das gehen?
Wir haben in den letzten Jahren erlebt, dass sich so vieles so schnell geändert hat. Ich möchte nicht unvorsichtig sein und heute über Dinge g'scheiteln, die vielleicht nächstes Jahr ganz anders aussehen. Was aber schon klar ist: Unsere Betriebe brauchen Verlässlichkeit, jetzt, wenn sie Großinvestitionen tätigen. Einen Hochofen aus der jetzigen Technologie auf Elektro und in weiterer Folge auf Wasserstoff umzustellen, das sind Investitionen, die über ein Jahrzehnt hinausreichen. Da müssen Sie auch die Garantie - unter Anführungszeichen - haben, dass sich das hier am Standort lohnt. Und das kann man schon durch entsprechende Unterstützungen und Rahmenbedingungen leisten. Sonst finden Investitionen nicht statt.

Was sie aber auch brauchen, sind sehr große Mengen an grünem Strom. Wo soll der herkommen?
Das ist ein Thema, mit dem wir ehrlich umgehen müssen. Für mich steht fest: Wenn wir all die Ziele, die sich Europa in der Energie vorgenommen hat, erreichen wollen, dann ist auch klar, dass der viele grüne Strom nicht ausschließlich in Österreich oder in Europa alleine produziert werden kann. Denn wir reden ja nicht nur von dem Strom, den wir für das tägliche Geschäft brauchen, sondern auch von der Produktionsunterstützung. Grünen Wasserstoff werden wir aus anderen Teilen der Erde importieren müssen. Darum ist wichtig, dass wir jetzt schon die entsprechenden Kontakte knüpfen, möglicherweise Lieferoptionen tätigen und die nötige Infrastruktur hergestellt wird. Wir dürfen uns dabei aber nicht von einzelnen Staaten und Erdteilen abhängig machen.

Nachholbedarf haben Sie auch im eigenen Land. Eine neue, von der Wirtschaftskammer in Auftrag gegebene Studie weist aus, dass in Oberösterreich 340 Windräder mehr stehen könnten. Wann wollen Sie die bauen?
Wir haben natürlich auch die Pflicht, im eigenen Hause alles zu tun, um möglichst viel erneuerbare Energie zu erzeugen. Die Frage ist aber immer, was wäre theoretisch möglich und was ist praktisch machbar? In Oberösterreich haben wir die Situation, dass wir rund 75 % unseres Strombedarfs aus Erneuerbaren decken. Unser Ziel sind 90 %im Jahr 2030. Wir sind bei der Photovoltaik die Nummer eins in Österreich, bei Wasserkraft und Biomasse sind wir auch vorne. Bei Windkraft liegen wir ungefähr in der Mitte der Bundesländer auf Platz vier. Es wird auch bei der Windenergie einen weiteren Ausbau geben. Jedes Projekt, bei dem das rechtliche Verfahren zu dem Schluss kommt, dass es machbar ist, wird auch umgesetzt. Aber unsere Potenziale liegen ganz massiv in der Sonne, auch in der Nutzung der Biomasse.

Ein neues Klimaschutzgesetz, hochumstritten zwischen ÖVP und Grünen, würde Unternehmen Orientierung beim Energiewandel geben. Sollte die Koalition im Bund das noch zustande bringen?
Politik sollte sich davor hüten, ständig mit erhobenem Zeigefinger allen möglichen Leuten vorzuschreiben, was sie zu tun haben, sondern sich eher in der Ermöglicherrolle sehen. Wenn man das Klimaschutzgesetz, so wie es jetzt lange diskutiert wurde, eher unter dem Blickwinkel der Einschränkungen und Verbote versteht, dann halte ich es für gefährlich, weil wir unseren Fortschritt wirklich aus Innovation schaffen. Wenn ich schaue, wie weit die Privaten sind, wie viele bereit sind, in Photovoltaik zu investieren und das auch tun. Wenn ich schaue, wie viele Unternehmen aller Größenordnung selbst in Forschung investieren, um voranzukommen. Dann, glaube ich, sollte man eher diesen Innovationsgeist unterstützen und fördern und nicht glauben, manche in der Politik wären weiter.

Reden wir noch über einen letzten Punkt, den Studien als Nachteil für den Wirtschaftsstandort Oberösterreich ausweisen: die hohe Staatsverschuldung Österreichs. Wie sollen wir da herauskommen?
Das ist auch, was meine Regierungstätigkeit anlangt, ein ganz wesentlicher Teil. Ich bin ja angetreten mit dem Anspruch, Schulden abzubauen. Das ist uns vor Corona auch gelungen. Dann hatten wir Ausnahmejahre, und seitdem beschäftigen wir uns damit, wie können wir auch bei uns in Oberösterreich wieder vernünftig budgetieren. Was klar ist, wenn das Wachstum so gering ist, muss der Staat investieren, man darf nicht mit falsch verstandenem Spargeist Dinge abwürgen. Es wird also Verschuldung geben müssen. Man muss aber auch wieder darüber reden, wann und in welchem Ausmaß man wieder beginnt, die Schulden rückzuführen. Das darf man nie aus dem Auge verlieren, schon allein nicht aus Generationengerechtigkeit heraus. Aber auch aus Bonitätsgründen nicht.

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Politik sollte die großen Themen in den Mittelpunkt stellen, anstatt sich in "auch für mich oft schwer verständlichen, kleinlichen Hackeleien" zu ergehen, sagt Stelzer © Ricardo Herrgott

Bund und Länder streiten seit Monaten über die Aufteilung der Steuereinnahmen, also den Finanzausgleich. Die Ländern möchten künftig deutlich mehr Geld. Wie soll der Bund das fehlende Geld dann wieder hereinholen?
Wir haben in Österreich einen gemeinsamen Steuertopf, in denen alle Regionen einzahlen. Und wir haben neben dem Steuertopf die Verfassung, die regelt, wer wofür zuständig ist. Für die Bewerkstelligung der Aufgaben, die uns von der Verfassung gegeben sind, müssen wir aus dem gemeinsamen Topf die Mittel erhalten. Die Länder sind für die Spitäler, für die Pflege und das Soziale zuständig, das sind alles Bereiche, die dynamisch wachsen. Es gibt verschiedenste Studien, unter anderem des Wifo, die das klar darlegen. Wenn man will, dass die Leistungen, die wir zum Beispiel im Gesundheitsbereich erbringen, hoch bleiben, dann brauchen wir auch mehr Geld. Das ist aber nichts, wo wir auf Wallfahrt nach Wien gehen und darum bitten, das ist eine Selbstverständlichkeit.

Das Wifo sieht aber auch große Ineffizienzen in Bereichen, die im Zuständigkeitsbereich der Länder liegen, und regt daher Reformen an, um einen Teil des künftigen Ausgabendrucks abzufangen.
Ich bin sehr für Reformen im Gesundheitsbereich, weil sie uns helfen würden. Warum? Wenn ich am Nachmittag, am Abend oder am Wochenende eine Ärztin oder einen Arzt brauche, bekomme ich nur in der Spitalsambulanz eine rasche Behandlung. Im niedergelassenen Bereich, für den der Bund und die Sozialversicherung zuständig sind, gelingt das offenbar nicht. Daher höre ich die Worte des Gesundheitsministers sehr gerne, wenn er von Reformen spricht. Sie sind in seinem Bereich.

Ich nehme an, der Gesundheitsminister weiß auch, welche Kompetenzen in seinem und welche in Ihrem Bereich liegen. Was will er denn konkret von Ihnen?
Das ist oft schwierig, denn wir hören auch immer das Wort Reform. Wir sind gerne dazu bereit. Ich habe nur in meiner politischen Erfahrungen gelernt, je deftiger die Wortwahl, umso geringer ist dann das Ergebnis. Darum hoffe ich jetzt, dass die Reformen dort, wo sie liegen, auch wirklich angegangen werden. Wenn man will, dass in den Spitälern reformiert wird, dann frage ich nur, was will man dort? Denn wer sonst sollte unsere Bevölkerung versorgen? Es ist sonnenklar, auf welcher Seite die Schritte jetzt kommen müssen.

Für steuerzahlende Beobachter dieser Debatte ist das Anspruchsdenken, das in manchen Wortmeldungen mitschwingt, etwas befremdlich. Es ist nicht das Geld der Länder und nicht das Geld des Bundes, es ist das Geld der Steuerzahler, und es soll bitte möglichst effizient eingesetzt werden. Verstehen Sie dieses Gefühl?
Ja, das kann ich gut verstehen. Wir sollten nicht so tun, als ob es hier um eine Geheimwissenschaft ginge oder Anspruchsdenken praktizieren, hüben wie drüben. Die Leute und die Unternehmen zahlen Steuern ein, und sie wollen, dass für dieses Geld die möglichst beste Leistung geboten wird. Darum ist es mir auch wichtig zu sagen, es geht nicht darum, dass ein Land "gewinnt" oder der Bund "gewinnt", sondern es geht darum, dass wir die gemeinsamen Steuermittel zielorientiert einsetzen.

Dieses Interview erschien ursprünglich in der News-Printausgabe Nr. 34/2023.

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