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Ich wünsche "Corsage" allen Erfolg der Welt

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Heinz Sichrovsky

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Die Engländer haben Marie Kreutzers Meisterwerk in die Endrunde für den Filmpreis genommen. Beim Oscar war man leider nicht so couragiert. Aber Zensur hat man nicht ausgeübt. Gut so!

Das Looshaus auf dem Michaelerplatz war schon in der Planungsphase anno 1909 ein Abrisskandidat. Jetzt könnte endlich das schwere Gerät auffahren, denn der bekämpfte Bahnbrecher der architektonischen Moderne wurde 1928 wegen Herstellung von Kinderpornographie zu vier Monaten bedingt verurteilt. Peter Altenberg und der Mathematiker Charles Lutwidge Dodgson, der unter dem Namen Lewis Carroll das erste surrealistische Kinderbuch, "Alice im Wunderland", schrieb, waren pädophil. Auch bei ihnen ging es um Bilder, und sie alle folgten einer unheilvollen Zeitverirrung, die damals als genialisch-exzentrische Schwärmerei toleriert wurde. Aber so wie niemand daran denkt, ihr Werk geringzuschätzen, das Looshaus zu schleifen oder den einschlägig kontaminierten Vatikan abzutragen; so wie nur Einfältige Roman Polanskis Albtraumkreaturen auslöschen wollen; so wie Werner Herzogs radikales Werk bewundert wird, obwohl sein vielfacher Protagonist Klaus Kinski von einer seiner Töchter posthum des Missbrauchs und damit eines der ausdenkbar scheußlichsten Verbrechen beschuldigt wird: So hat auch der herausragende Film "Corsage" seiner Bedeutung entsprechend gezeigt, besucht und ausgezeichnet zu werden. Ich wünsche ihm jeden Erfolg der Welt und erkläre mich angenehm überrascht von den Auswahlgremien für den Britischen Filmpreis und den Oscar, die "Corsage" vom Wettbewerb zumindest nicht ausgeschlossen haben. Obwohl sie doch anderwärts kaum noch wissen, wen sie unter dem Druck dümmlicher Diversitätsdiktate gut finden dürfen.

Man hat das Werk vom Darsteller zu trennen, nicht 300 Beteiligte in Geiselhaft zu nehmen

Wobei es mir, anders als der Regisseurin, vollkommen gleichgültig ist, dass der bedrängte Film ein feministischer ist. Auch jeder andere, selbst der schlechteste, wäre hier entschieden in Schutz zu nehmen, denn niemand außer dem jetzt ins Bodenlose stürzenden Nebendarsteller hat sich in der Sache etwas vorzuwerfen. Als Teichtmeisters Verfehlungen anonymisiert öffentlich wurden, waren seit seinem letzten Drehtag drei bis vier Monate vergangen. Keinem Pädophilen wird hier eine Bühne gegeben, sondern ein hervorragender Schauspieler verkörpert den Kaiser Franz Joseph, und es kann leicht seine persönliche Dernière sein. Hier hat man die denkbar schärfste Trennung zu beachten, statt 300 Beteiligte in Geiselhaft zu nehmen. Ich bin kein Jurist und habe in der Sache nichts zu verteidigen - man muss nicht einmal Kinder haben, um noch den weitesten Bereich dieses Delikts zu verabscheuen. Ich sitze aber auch in keinem Standgericht und wünsche Florian Teichtmeister einen guten Psychiater, der ihm in die Seele blickt und ihm, nach Verbüßung der Strafe, bei der Resozialisierung behilflich ist.

Das Burgtheater habe ich in Beantwortung verblüffend vieler medialer Anfragen (offenbar ist es schon ein Alleinstellungsmerkmal, in einer multipel diskutierten Causa die Angelegenheiten der Kunst nicht auszublenden) wieder und wieder in Schutz genommen. Ich bleibe dabei - und folge damit der Argumentation des renommierten Arbeitsrechtlers Georg Schima -, dass die vorzeitige Entlassung oder auch nur öffentliche Suspendierung Teichtmeisters einer existenzvernichtenden Vorverurteilung gleichgekommen wäre. Zumal sich mir nicht erschließt, welcherart die Gefahr gewesen wäre, die man mit solchen Maßnahmen vom Haus abgewendet hätte. Es wäre mir an Stelle der Direktion aber auch nicht eingefallen, einen ernsthaft Verdächtigen in drei zentralen Premieren an die Rampe zu schicken, statt ihn diskret zurückzustellen. Dass man, wenn sich die Befürchtungen bewahrheiten, das halbe Repertoire wegwerfen muss, hätte man vorhersehen können. Das Chaos ist erheblich, der Protagonist kaum ersetzbar, die Disposition überfordert. Auf dem Spielplan standen noch zur Wochenmitte Vorstellungen, für die keine Karten erworben werden konnten. Und das bis weit in den Februar. Dass man nun, statt die eigene Führungskompetenz einer eventuell schmerzhaften Analyse zu unterziehen, einen Niedergestreckten auf Schadenersatz verklagt: Das bitte ich Sie selbst zu bewerten.

Was meinen Sie? Schreiben Sie mir bitte: sichrovsky.heinz@news.at

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