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Der Fall Teichtmeister: Drei Stunden, die über ein Leben entscheiden

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©FLORIAN WIESER / APA / picturedesk.com
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5. September, 9.45 bis 13 Uhr: Florian Teichtmeister steht vor Gericht. Wir baten namhafte Therapeuten und Juristen um ihre Einschätzung.

Die Opfer, denen in erster Linie Mitgefühl, Aufmerksamkeit, Stimme zu geben ist, können nicht befragt werden. Sie sind ja in unendlicher Überzahl namenlos, und der Wiener Schauspieler Florian Teichtmeister hat nie ein Kind bedrängt. Aber er hat die Erzeugnisse einer menschenzerstörenden Industrie heruntergeladen, in irrwitziger Zahl zwischen Februar 2008 und Sommer 2021. Deshalb hat sich News-Redakteurin Franciska Rhomberg über aktenkundige Opfer informiert und mit einer Fachtherapeutin gesprochen (-> siehe Textabschnitt): Als Journalist ist man ja kein Strafverteidiger und deshalb auch nicht zum Vorfreispruch qualifiziert. Man ist aber auch kein Staatsanwalt und kein Richter -diesen Part übernimmt am Dienstag der strenge, aber gerechte Stefan Apostol. Und Vorverurteilung samt standrechtlicher Blitzvollstreckung ist im Strafgesetz weder vorgesehen noch erwünscht.

Bleibt die Option der Wahrheitssuche durch Konsultation von Fachleuten. Mit der Sachverhaltsdarstellung der Medienstelle des Landesgerichts für Strafsachen in Wien als Grundlage:

In der Strafsache Teichtmeister findet die Hauptverhandlung am 5.9.2023 von 9.45 Uhr bis voraussichtlich 13.00 Uhr im Großen Schwurgerichtssaal statt. Der ursprünglich angesetzte Termin am 8.2.23 war aufgrund der Erkrankung des Angeklagten abberaumt worden.

In der Zwischenzeit wurde durch das Gericht eine ergänzende Auswertung der sichergestellten Daten veranlasst. Aufgrund der großen Datenmenge von rund 23 Terabyte nahm das längere Zeit in Anspruch, war für die rechtliche Einordnung der Darstellungen (Unterscheidung zwischen Abbildungen mündiger oder unmündiger Minderjähriger, Abklärung, ob es sich um Herstellung, Veränderung oder Besitz handelt) aber notwendig. Gegenständlich sind nun rund 76.000 Bilder.

Der Gutachter hatte mittlerweile auch veränderte Dateien gefunden, womit die Causa einer höheren Strafdrohung als der reine Besitz unterliegt:

Die Staatsanwaltschaft Wien wirft Teichtmeister sowohl die Herstellung (durch Vervielfältigung, Zusammenschneiden und Kommentieren) als auch den Besitz von kinderpornografischen Dateien vor (§ 207a Abs 1 Zi 1, Abs 3 1. Satz, Abs 3 2. Satz StGB), die Strafdrohung beträgt bis drei Jahre.

Die Causa wurde deshalb einem mit zwei Laien besetzten Schöffengericht überantwortet. Dazu kam noch ein Gutachten des psychiatrischen Sachverständigen Peter Hoffmann:

Die Staatsanwaltschaft Wien hat die Unterbringung des Schauspielers im so genannten Maßnahmenvollzug (früher: Anstalt für geistig abnorme Rechtsbrecher, Anm.) beantragt. Ausschlaggebend dafür ist ein psychiatrisches Gutachten, das - basierend auf den jüngsten datenforensischen Erkenntnissen - dem Schauspieler eine schwerwiegende und nachhaltige psychische Störung bescheinigt.

Perner: "Er war suizidgefährdet"

Der Reihe nach also, wobei zunächst die Juristin, Sexualtherapeutin und evangelische Theologin Rotraud Perner, 79, am Wort ist. Hat Teichtmeister, wie vielfach nachzulesen, den Prozess im Februar tatsächlich mutwillig verschieben lassen, um sich noch einen entspannten Sommer zu gönnen? Rotraud Perner hat als Reaktion auf die Medienaufbereitung der Causa ein Buch verfasst: "So a Hetz - über Empörungsmeuten und die Lust am Menschenjagen" erscheint in diesen Tagen im Fachverlag Aaptos.

Als die Causa Teichtmeister im Jänner 2023 nach zwei Jahren unbenamter Gerüchte detonierte, nahm Rotraud Perner mit dem Beschuldigten Kontakt auf. Sie diagnostizierte Selbstmordgefahr: "Er ist nicht mein Klient, aber ich habe gesehen, dass er präsuizidal ist. Man merkt das an der Atmung, er hat auch gesagt: ,Mein Leben ist aus, ich kann nie wieder den Beruf ausüben.'"

Dass der Prozess verschoben wurde, war also medizinisch begründet, zog aber schwere Konsequenzen nach sich: Als sich Teichtmeister im März verhandlungsfähig erklärte, hatte das Gericht schon die folgenschweren weiterführenden Ermittlungen beauftragt. Dass der offenbar übertrefflich Beratene im Juli die Lokale Schwarzes Kameel und Fabios besuchte, beide in unmittelbarer Nähe seines Wohnsitzes, war fraglos sein Recht. Das Recht, sich dadurch herausgefordert zu fühlen, wird man allerdings umgekehrt auch dem Gericht nicht absprechen können.

Der Suchttherapeut widerspricht

Der Wiener Universitätsprofessor Michael Musalek, 68, war bis zu seiner Pensionierung Direktor des Wiener Anton-Proksch-Instituts (vulgo: "Kalksburg") und ist eine europäische Autorität in Fragen der Suchttherapie.

Von News um seine Analyse gebeten, widerspricht er dem Gerichtsgutachten diametral. Dabei verweist er auf den August 2021: Da rückte bei Teichtmeister auf Grund einer Anzeige seiner damaligen Lebensgefährtin erstmals die Polizei ein. Sie fand neben albtraumbeladenen Datenträgern auch 100 Gramm Kokain - ebenfalls eine enorme Menge.

Musalek diagnostiziert nun folgerichtig zwei einander unheilvoll ergänzende Arten Sucht: "Das eine ist die Kinderpornografie und das andere das Kokainproblem. Beide hängen hier eng zusammen."

Wie das? "Wir alle haben eine sexuelle Ausrichtung und Neigung, und keiner weiß, warum es gerade diese und keine andere ist. Das wird in bestimmten Fällen, etwa bei Hingezogenheit zu Kindern, als sehr schuld-und schamhaft empfunden. Eine Droge wie Kokain führt aber zur Enthemmung, Barrieren werden eingerissen, Schamgefühle werden nicht mehr in der Form erlebt. Das erklärt auch die Unzahl an pornografischem Material, die er sich ja in einer Zeitspanne von kolportierten zwölf Jahren gar nicht ansehen konnte, selbst wenn er von früh bis spät nichts anderes getan hätte." Heißt: "Bei der Pornografiesucht geht es nicht nur um das Ansehen des Filmmaterials, sondern auch um den Akt des Herunterladens. Auch bei der Kaufsucht steht vor allem der Kaufakt selbst im Mittelpunkt. Das Produkt wird oft nicht einmal ausgepackt, in der Regel auch nicht verwendet."

Der Vorgang, auf den auch Rotraud Perner verweist, ist als "Hoarding" - Horten - geläufig, man kennt ihn von den Messies, die ihre Wohnungen bis zur Unbetretbarkeit vermüllen.

Die vielleicht entscheidende Frage lautet nun: Ist Teichtmeister gefährlich? Gar der Sonderstrafanstalt zu überantworten?

Insgesamt setzen Voyeure kaum realiter sexuelle Handlungen an Menschen

Musalek: "Wir unterscheiden eine Pädophilie, die direkte sexuelle Handlungen mit Kindern nach sich zieht, vom Ansehen pornografischer Machwerke, einer besonderen Form des Voyeurismus, die sich bis zur Pornografiesucht steigern kann. Insgesamt setzen Voyeure kaum realiter sexuelle Handlungen an Menschen. Wer pornografische Filme im Übermaß konsumiert bzw. schon suchtkrank ist, wird von realiter gelebter Sexualität in der Regel überfordert wie von den Handlungen selbst, dem Geruch, den damit auch verbundenen Peinlichkeiten etc. Und wenn ein prominenter Mensch wie Teichtmeister sexuelle Handlungen an Kindern realiter gesetzt hätte, wäre das mit höchster Wahrscheinlichkeit nicht verborgen geblieben."

Kurz: "Menschen mit Pornografiesucht stellen kein erhöhtes Gefahrenmoment für andere dar. Es ist auch nicht erwartbar, dass man, wenn man jemanden in den Maßnahmenvollzug einweist, damit Produktion und Vertrieb von Kokain bzw. kinderpornografischem Material nachhaltig wirksam minimiert. Eher muss man alles tun, um die Versorgungswege abzuschneiden und den Produzenten und Händlern das Handwerk zu legen."

Das oft gehörte Argument, Pädophilie sei nicht therapierbar, schlägt im Fall von Suchterkrankungen nicht, sagt Musalek. "Eine Suchterkrankung ist eine chronische Erkrankung, die man ein Leben lang hat. Man muss deshalb aber nicht immer krank sein. Wenn man das Suchtmittel nicht zu sich nimmt, ist man gesund im Sinne von symptomfrei. Die Prognose von Suchterkrankungen insgesamt -so auch jene von Kokainsucht und Pornografiesucht -ist bei regelmäßiger Behandlung außerordentlich gut: Die Chance, bei regelmäßiger Behandlung symptomfrei zu sein, beträgt bis zu 80 bis 90 Prozent. Ohne regelmäßige Behandlung fällt dieser Prozentsatz auf zehn bis 15 zurück. Das Entscheidende für die Prognose einer Suchterkrankung ist somit, ob jemand in regelmäßiger ambulanter Behandlung ist." Teichtmeister gibt an, sich sofort nach der ersten polizeilichen Amtshandlung anno 2021 in eine bis heute ununterbrochene Therapie begeben zu haben. Musalek: "Suchtbehandlung ist immer eine langfristige ambulante Behandlung. Das für die Betroffenen schwierigste Jahr der Abstinenz ist immer das erste Jahr. Schafft es ein Patient in den ersten beiden Behandlungsjahren, abstinent zu sein, ist die Chance, bei fortdauernder Behandlung weiterhin abstinent zu bleiben, hervorragend."

Den Schöffenprozess sieht er skeptisch: "Das halte ich für problematisch. Jeder findet Kinderpornografie ganz zu Recht abscheulich - in der Regel selbst auch die an dieser Sucht Leidenden. Bei einem solchen Maß an Vorverurteilung wie in Fall Teichtmeister halte ich es für sehr schwierig, ohne entsprechendes juristisches bzw. psychologisches Fachwissen völlig unvoreingenommen und ohne wesentliche emotionale Beteiligung ein rationales Urteil zu fällen."

Und noch etwas zusätzlich Heikles: Oft wurden Pädophile in ihrer Kindheit selbst Opfer einschlägiger Übergriffe. Kann das hier zutreffen?"Bei an Pädophilie Leidenden findet sich nicht selten der Umstand, dass sie in der Kindheit selbst Opfer von Pädophilie waren. Bei Voyeurismus bzw. Pornografiesucht sind solche Zusammenhänge aber nicht überzufällig häufig zu beobachten."

Das Freimaurer-Marterl

Minder Kompliziertes lässt sich durch Augenschein entkräften. Etwa die Meldung, Teichtmeister habe auf einem Feld beim niederösterreichischen Familienwohnsitz einen Freimaurertempel errichtet. Ein solcher manifestiert sich allerdings als quadratischer Raum für mindestens zehn bis 15 Personen und ist reich mit Sitzgelegenheiten und rituellem Gerät ausgestattet. Auf dem niederösterreichischen Acker hingegen wurde bloß eine Art Marterl mit freimaurerischen Grundbegriffen fotografiert, und als Stifter gibt sich ein verheirateter Mann mit zwei Söhnen zu erkennen. Auf Florian Teichtmeister trifft das offenbar nicht zu, sondern eingestanderweise auf seinen Vater, einen pensionierten Juristen. Der kann über die Folgen der Erregung vom Juli 2023 nur von außen berichten: Er lag über Monate mit lebensbedrohlichen Herzproblemen im Krankenhaus, konnte sich also nur erzählen lassen, wie seiner Frau Drohungen an die Haustür geschmiert wurden.

Ansonsten bleibt er wortkarg: Der Sohn wohne mit seiner Lebensgefährtin im gemeinsamen Haushalt und unterziehe sich, so wie seit zwei Jahren, wöchentlich der Therapie. "Disziplin ist seine Haupteigenschaft. Er hat ja 20 Jahre nur gespielt und gedreht, fast täglich."

Der Jurist zum Prozess

Wohin es in den drei Stunden und 15 Minuten am Dienstag steuern wird? Ein namhafter Strafverteidiger hat uns seine Einschätzung schriftlich übermittelt: "Beim Delikt ,pornografische Darstellungen Minderjähriger' (§ 207a StGB) wird bei unbescholtenen Ersttätern in der Regel eine bedingte Freiheitsstrafe ausgesprochen. Gleichzeitig wird die Auflage einer engmaschigen Therapie erteilt. Auch wenn es sich bei dem Fall Teichtmeister um einen prominenten Schauspieler und ein ganz besonders in der Öffentlichkeit stehendes Verfahren handelt, gehen die meisten Juristen davon aus, dass auch bei Teichtmeister, der unbescholtener Ersttäter ist, eine bedingte Freiheitsstrafe mit strengen Auflagen hinsichtlich einer engmaschigen Therapie verhängt wird."

Steinhauer zum ORF-Verdikt

Derweil muss der lang Gefeierte, der am Burgtheater die im Rückzug begriffene österreichische Schauspielkunst hochhielt, von seiner Ersetzbarkeit Kenntnis nehmen. Wer hätte vermutet, dass die Fernsehserie "Die Toten von Salzburg" ohne den identitätsstiftenden Ermittler im Rollstuhl den Schimmer einer Perspektive hätte? Aber Folge zehn, an deren Schluss Teichtmeister nur noch 30 Sekunden lang ins ewige Off rollte, laborierte an keinerlei Seherschwund. Deshalb wurde im Frühjahr Folge elf mit Ausstrahlungsdatum 2024 gedreht. Teichtmeisters bisherige Entourage - Fanny Krausz und Erwin Steinhauer - rückt künftig bloß näher ans Zentrum der Ereignisse.

Ich finde es vollkommen lächerlich, dass wir alle mit hineingezogen werden

Dass der ORF bis auf Weiteres kein Material mit Teichtmeister zeigt, bringt das gesamte Team um beträchtliche Wiederholungshonorare. Nicht das Hauptproblem, wie Steinhauer festhält: "Ich finde es vollkommen lächerlich, dass wir alle mit hineingezogen werden. Ich beteilige mich auch sicher nicht an der medialen und politischen Hetzjagd. Der Florian ist krank und hat sich schuldig gemacht und weiß das auch. Er wird verurteilt und bestraft werden. Und was ist danach? Soziale Ächtung bis zum Tod? Oder gibt man ihm unter bestimmten therapeutischen Bedingungen die Möglichkeit, für seinen Lebensunterhalt aufzukommen?"

Rotraud Perners Schlusswort

Er soll ein Buch daraus machen. Ein trockener Alkoholiker ist der beste Alkoholismustherapeut

Für die Wiederaufbauhilfe hielte sich die Doyenne Rotraud Perner zur Verfügung. Als sie bei Teichtmeister Suizidgefahr diagnostizierte, entwickelte sie ihm die Gegenstrategie. "Ich sagte ihm, er soll mit dem Blickwinkel, ein Buch daraus zu machen, Tagebuch schreiben, sodass vielleicht auch ein Drehbuch daraus werden kann. Ein trockener Alkoholiker ist nämlich der beste Alkoholismustherapeut, den es gibt. Wer immer die Intelligenz und die Überzeugungskraft hat, kann anderen mit derselben Problematik helfen."

Das sagen die, die wir gefragt haben. Beim Prozess sprechen die anderen, deren Wort gilt.

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"Für Betroffene ist es purer Horror"

Im Jahr 2022 gab es in Österreich 2.061 Anzeigen wegen pornografischer Darstellung Minderjähriger. Sexueller Missbrauch, dessen Darstellung oder geleakte Nacktbilder bedeuten für die Psyche von Opfern großes Leid, das sogar in Suizidgedanken gipfeln kann

Daniel Gunz war erst 13, als es passierte. Und er entschloss sich kurz nach dem Bekanntwerden des Falls Teichtmeister, als Missbrauchsopfer über mehrere Medien an die Öffentlichkeit zu gehen. "In meinem Fall war es ein Jugendbetreuer", präzisierte er im Jänner 2022 das Erlittene. Der Missbrauch habe ein halbes Jahr gedauert. "Danach gab es ein ganz starkes Verdrängen. Ich dachte: Irgendwann werde ich es schon vergessen." Durch Leistungssport sei ihm das einige Jahre gelungen. Doch elf Jahre nach dem Vorfall, so sagte der heute 32-Jährige der "Kleinen Zeitung", sei er von seinem Trauma eingeholt worden. Mit 23 hätten ihn starke Schlafstörungen gequält. "Was passiert ist, ist mir immer wieder in den Kopf gekommen." Weitere zwei Jahre später entschloss sich Daniel Gunz zur Anzeige: 2019,14 Jahre nach dem Missbrauch, wurde der Täter zu acht Jahren Haft verurteilt. Daniel Gunz war einer von sieben Buben, an denen sich der Betreuer zwischen 2000 und 2008 vergangen hatte.

Kinderschutz Hilfestellen - Bitte wenden Sie sich bei Verdachtsfällen an folgende Stellen:

Vermutlich hohe Dunkelziffer

Der Fall Teichtmeister hat Daniel Gunz wieder an das Erlittene erinnert,. "Man durchlebt noch einmal, was einem selbst passiert ist - und was den Hunderten, Tausenden Kindern passieren musste, damit diese Bilder entstehen konnten."

Die werden industriell in enormer Zahl gefertigt und erzeugen immer neues Leid, zerstören immer weitere Seelen. Das Herstellen, Anbieten und Zugänglichmachen pornografischer Darstellungen Minderjähriger ist in Österreich ebenso verboten wie der Besitz solchen Materials. Auch der wissentliche Zugriff auf solche Darstellungen im Internet ist strafbar. Laut der jährlich erscheinenden polizeilichen Kriminalstatistik wurden hierzulande im Jahr 2022 2.061 Delikte im Bereich pornografischer Darstellungen Minderjähriger erfasst. Die Anzeigen haben sich seit dem Jahr 2013 fast vervierfacht: 2013 wurden nur 551 Straftaten angezeigt, 2021 waren es schon 1.921,2022 gab es einen weiteren Anstieg von 7,3 Prozent. Die Aufklärungsquote lag bei 91,7 Prozent. Doch dieser Bericht ist eine reine Anzeigenstatistik -seriöse Schätzungen zur Dunkelziffer gibt es keine.

Viele Täter selbst minderjährig

"Die Zahlen des Bundeskriminalamts sind sicher nur eine winzige Spitze des Eisberges", sagt Hedwig Wölfl. Sie ist Psychotherapeutin und leitet die Wiener Kinderschutzorganisation die möwe. "Allerdings muss man differenzieren. Sehr viele Anzeigen nach dem Paragrafen, der jetzt auch den Burgschauspieler Florian Teichtmeister betrifft, richten sich gegen Minderjährige", sagt die Psychotherapeutin. Das bestätigt auf Nachfrage auch das Bundeskriminalamt: Im Jahr 2022 waren 49 Prozent der Tatverdächtigen, die wegen pornografischer Darstellung Minderjähriger angezeigt wurden, unter 18 Jahre alt, 279 von ihnen sogar jünger als 14. "Die Jugendlichen und Kinder fallen in die Statistik, weil sie Nacktfotos ihrer Expartnerinnen und -partner an Dritte verschicken."

Nacktbilder in falschen Händen

Wenn in Österreich etwa eine 13-Jährige ihrem 15-Jährigen Freund ein Foto ihrer Genitalien schickt und er dieses nicht löscht, macht er sich wegen des Besitzes pornografischer Darstellung von unter 14-Jährigen strafbar. Bei mündigen Teenagern (über 14) ist der Besitz erst strafbar, wenn man das Bild ohne Erlaubnis an Dritte weiterschickt. "Mündige Minderjährige wissen oft nicht, dass sie sich auch mit der Weiterleitung von einvernehmlich angefertigten Nacktbildern an Dritte strafbar machen", sagt Hedwig Wölfl. Es brauche also dringend Sensibilisierung: Kampagnen, Aufklärung und viel Präventionsarbeit an Schulen. "Das Weiterschicken unter Minderjährigen ist schlimm und zu Recht nicht erlaubt. Trotzdem", kommt sie auf die quälenden Umstände des bevorstehenden Prozesses, "sind Erwachsene mit pädophilen Neigungen, die gezielt im Darknet nach Missbrauchsdarstellungen suchen, eine schwerwiegendere Kategorie." Zu jener zweiten Kategorie fordert Hedwig Wölfl eine scharfe Unterscheidung. Statt in legalen Beziehungen unter Minderjährigen entstandene Nacktbilder gehe es hier um Dateien, die sexuellen Missbrauch dokumentieren. Solches Material werde international als "Child sexual abuse material" klassifiziert, und das solle sich auch im Sprachgebrauch abbilden.

'Pornografie' ist zu verharmlosend. Das sind Missbrauchsbilder

"Der Begriff Kinderpornografie ist verharmlosend", sagt Hedwig Wölfl. "Pornografie per se ist ja etwas Legales. Wir sprechen hier aber von einer Darstellung verübten Kindesmissbrauchs. Es geht um Minderjährige, an denen Straftaten begangen worden sind." Konsum, Besitz und Verbreitung von Missbrauchsmaterial dürfe daher nicht verharmlost und bagatellisiert werden. "Ich halte wenig von der Argumentation, dass einzelne Täter 'nur' digital konsumiert hätten. Der Konsum von 'Child sexual abuse material' führt dazu, dass Kinder und Jugendliche auch real missbraucht werden. Diese Bilder und Videos bedeuten immer sexuellen Missbrauch auf zwei Ebenen -einer realen und einer digitalen, die sich ständig wiederholt."

Privates Material in kriminellen Foren

Neben der Anzeigenstatistik des Bundeskriminalamtes liefert der Jahresbericht der österreichischen Onlinemeldestelle Stopline, die gegen Missbrauchsdarstellungen Minderjähriger vorgeht, ergänzende Daten. Im Jahr 2022 wurden 4.021 solcher Fälle festgestellt.

Und viele von ihnen ziehen trotz scheinbar harmloser Umstände verheerende Folgen nach sich, weshalb jungen Menschen die Folgen ihres Tuns klar zu kommunizieren sind: Ursprünglich freiwillig angefertigte Nacktbilder und anderweitig sexualisierte Darstellungen schwappen immer häufiger in Kindesmissbrauchs-Foren über. "Mit dieser Selbstdarstellung machen sich Kinder und Jugendliche nicht nur selbst strafbar, sondern stellen dieses Material auch ungewollt Konsumenten von pädophilen Inhalten zur Verfügung", heißt es im Stopline-Jahresbericht 2022

Aufzeichnungen von einvernehmlichem Sex, die ungewollt öffentlich oder für Dritte zugänglich sind, werden zur schweren Belastung, warnt Hedwig Wölfl. Bei gravierendem Missbrauch seien die Folgen klarerweise umso drastischer - und erst recht, wenn die Betroffenen noch Kinder oder Jugendliche sind. "Oft versuchen sich betroffene Jugendliche dann äußerlich zu verändern -zum Beispiel, indem sie sich die Haare färben. Sie hinterfragen immer wieder die eigene Wiedererkennbarkeit. Es fallen Sätze wie 'Damals war ich erst acht Jahre alt, hoffentlich sehe ich jetzt anders genug aus'", schildert die Psychotherapeutin. "Es ist der pure Horror, wenn Missbrauchsbilder immer wieder verbreitet und nicht endgültig gelöscht werden können."

Betroffene erlitten durch die Existenz und Verfügbarkeit dieses Materials die Wiederholung ihres Missbrauchs, würden auf diese Weise retraumatisiert. "Das schädigt das Selbstbild und führt zu massiven psychischen Krisen, die in vielen Fällen zu selbstverletzendem Verhalten oder sogar Suizidversuchen führen."

Scham- und Schuldgefühle bei Opfern

Dazu kommt, dass Betroffene sexueller Gewalt oft die Schuld für das, was ihnen angetan wurde, bei sich selbst suchen. "Es ist eine sehr perfide Täterstrategie", sagt Hedwig Wölfl. "Täter machen den Opfern ihrer Übergriffe glaubhaft, sie wären selbst schuld oder zumindest mitbeteiligt gewesen." Deshalb sei es nicht immer einfach, Tätern schnell auf die Spur zu kommen -besonders für junge Kinder sei es sehr schwierig, Erlebnisse wie einen Übergriff in Worte zu fassen, sich jemandem anzuvertrauen oder das Geschehene genau zu schildern. "Durch Beschämung entsteht bei Betroffenen das Gefühl, dass mit ihnen selbst etwas nicht stimmt. Oft bleibt ein diffuses ,komisches' Schamgefühl, wodurch ein Aufbrechen des Schweigegebots, das meist von den Tätern etabliert wird, erschwert wird."

Die Angst, selbst zum Täter zu werden

"Gewalt wird nicht immer, aber manchmal verarbeitet, indem man sie weitergibt", sagt Hedwig Wölfl. "Auch das Risiko neuerlicher Gewalterfahrung ist für Betroffene höher." Es brauche eine intensive Aufarbeitung in geschütztem Rahmen, um diese Spirale zu durchbrechen. Ein endgültiges Entfernen von Missbrauchsdarstellungen sei im Sinne des Opferschutzes extrem bedeutend. "Wichtig ist, dass Menschen, die zum Opfer geworden sind, wieder die Macht über ihr eigenes Bild bekommen. Dann kann das Trauma verarbeitet werden."

Für Daniel Gunz war es schwierig, das Erlebte einzuordnen. "Ich habe mich nicht getraut, direkten Umgang zu meinen Nichten und Neffen zu haben", schilderte er sein Dilemma Er habe direkte Berührungen vermieden, um keinesfalls etwas falsch zu machen. Die Tabuisierung des Themas führe dazu, dass sich viele Menschen nicht trauen würden, zu sprechen oder für die Bestrafung des Themas einzustehen. "Man kann es überwinden", schloss Daniel Gunz das Interview mit dem Appell zur Zuversicht. "Es ist schlimm, was einem passiert ist. Aber es heißt nicht, dass es das ganze Leben auf Dauer bestimmen muss."

Dieser Beitrag ist ursprünglich in der News-Printausgabe Nr. 35/2023 erschienen.

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