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Wie rechts sind Sie, Frau Wagenknecht?

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Sahra Wagenknecht
©Bild: Bernd von Jutrczenka / dpa / picturedesk.com
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Eine Politikerin, die polarisiert, während die anderen in der öffentlichen Meinung abgedankt haben: Sahra Wagenknecht hat die deutschen Linken verlassen und gründet eine Partei, die von den einen als populistisch verteufelt, von den anderen als letzter Damm gegen die rechte Flut begrüßt wird.

Für Linke der reinen Lehre ist sie der Gottseibeiuns: Das habe gerade noch gefehlt, dass das gesunde Volksempfinden jetzt auch noch von links daherkomme. Die anderen sehen in Sahra Wagenknecht, 54, die Befreiung der Linken aus der woken Blase und das einzige Instrument gegen die AfD. Ihre mit Alice Schwarzer erhobene Forderung, durch Aussetzen der Waffenlieferungen Friedensgespräche zu erzwingen, hat Zustimmung und Empörung ausgelöst. Ende Oktober hat sie ihren Austritt aus der Fraktion "Die Linke" und die Formierung des "Bündnis Sahra Wagenknecht -für Vernunft und Gerechtigkeit" bekannt gegeben. Im Interview lässt Oskar Lafontaines Ehefrau, die noch in der alten DDR sozialisiert wurde, keine Zweifel, wer im kommenden Wahlkampf der Hauptgegner sein wird: Die Grünen haben bei ihr keinerlei Kredit.

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Frau Wagenknecht, wie weit sind Sie auf dem Weg zur neuen Selbstständigkeit?
Wir werden im Januar mit der neuen Partei starten, Anfang Januar wird sie gegründet, und dann wird es einen Parteitag geben, wo wir die Parteigremien und die Europaliste wählen.

Wie stehen Sie denn in den Prognosen?
Wir sind in den Umfragen noch nicht wirklich drin, es gibt uns ja als Partei noch gar nicht. Es gibt aber tatsächlich ein paar, wo man unsere Werte mitabgefragt hat. Es gibt Potenzialumfragen, da liegt unser Wählerpotenzial bei 25 Prozent. Dann gibt es die sogenannte Sonntagsfrage, da standen wir zwischen 12 und 14 Prozent. Das ist alles sehr ermutigend, aber natürlich ein Vertrauensvorschuss, den wir erst noch einlösen müssen.

Viele Hoffnungen ruhen darauf, dass Sie der AfD schaden werden. Halten Sie das für realistisch?
Ich möchte vor allen Dingen die Politik in Deutschland verändern. Die AfD ist deshalb so stark, weil die Politik so schlecht ist. Weil sich so viele Menschen nicht mehr vertreten fühlen, weil sie das Gefühl haben, die Politiker, die jetzt in Berlin regieren, kennen ihre Probleme nicht, kümmern sich nicht um sie, sondern haben eine reine ideologiegetriebene Agenda, die am Ende dem Normalbürger das Leben eher schwer macht. Ich weiß, dass viele gar nichts mit rechten Gesinnungen zu tun haben, sondern aus Wut, aus Unzufriedenheit AfD wählen. Diesen Menschen wollen wir ein seriöseres Angebot machen.

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BLICK ÜBER DIE GRENZE: "Von außen betrachtet erscheinen mir die NS-Bezüge der FPÖ noch offener als die der AfD." © Bernd von Jutrczenka / dpa / picturedesk.com

Sind Sie nun eigentlich links oder rechts? Oder gibt es diese Kategorien nicht mehr?
Ich kann Ihnen erklären, was ich unter linker Politik verstehe: sich für die einzusetzen, die es schwer haben, die nicht aus einem privilegierten Elternhaus kommen, die kämpfen müssen, denen Bildungs- und Aufstiegschancen verwehrt bleiben. Diesen Menschen eine Stimme zu geben, ist für mich nach wie vor ein ganz wichtiges Anliegen. Aber ich habe nichts zu tun mit dieser Art Neu-Linken, die ich in meinem Buch auch Lifestyle-Linke genannt habe, die denken, die besseren Menschen zu sein, weil sie im Bioladen einkaufen und gendern und sich den Elektrowagen als Zweitwagen leisten können. Diese autoritäre Anmaßung, Menschen zu belehren, wie sie leben, wie sie reden, was sie essen sollen, das ist ganz sicher keine linke Politik, wird aber für viele Menschen heute mit links verbunden. Das ist einer der Gründe, warum die linken Parteien überall so viel schwächer geworden sind.

Die Folgen sieht man ja. Warum misslingt denn die deutsche Halblinkskoalition dermaßen dramatisch?
Weil sie kurzsichtig, planlos, in Teilen schlicht inkompetent agiert. Sie belastet die Menschen, denen es ohnehin nicht gut geht. Nächstes Jahr wird der CO2-Preis steigen, die Mehrwertsteuern auf Gas, Fernwärme, Gastronomie werden erhöht. Das sind alles Belastungen für den Normalbürger, vor allem auch bei den Energiekosten. Diejenigen, die ohnehin nicht viel Geld haben, werden dadurch nochmals geschädigt. Das ist eine ziemlich gleichgültige Politik gegenüber den Nöten dieser Menschen. Auch die klimapolitischen Vorhaben sind undurchdacht, ein Öko-Aktivismus, man hat das Gefühl, da haben einige grüne Staatssekretäre ihre Hobby-Spielwiesen, und alle anderen müssen das jetzt bezahlen. Das macht die Menschen ärgerlich und wütend.

Was Sie eben sagten, könnte aber ebensogut ein FPÖ- oder AfD-Politiker sagen. Sind Sie Populistin, wie man Ihnen vorwirft? Ist das überhaupt noch ein Schimpfwort? Ein alter Linker fragt da an.
Ich hoffe, dass wir mit unserer Politik populär sein werden. Das sollte der Anspruch sein: Dass Politiker das machen, was die Menschen möchten, und wenn die Menschen das Gefühl haben, es wird umgesetzt, was für sie wichtig ist, dann sind diese Politiker populär. Das ist für mich kein Schimpfwort. Populismus wird eher damit verbunden, dass man unseriöse Politik macht, Politik, die keine Lösungen hat, sondern nur vereinfachte Slogans. Ich gaukle den Leuten nicht etwas vor, was nicht funktioniert. Ich habe seriöse Konzepte.

Mit wem können Sie koalieren? Wen schließen Sie aus?
Wir werden nicht mit Rechtsextremisten koalieren, das ist völlig klar. Sonst auch nicht mit einer Politik, die auf ein "weiter so" setzt. Wir werden uns nicht in die Politik der Ampel einfügen, nicht auf Landesebene und auf Bundesebene erst recht nicht.

Nun steht die Regierung in Österreich schon hart am Abgrund, während die deutsche Koalition den Schritt vorwärts schon vollzogen hat, nicht?
Nein, im Abgrund liegt sie leider noch nicht, auch wenn das für unser Land wünschenswert wäre. Aber noch klammert sie an der Macht.

Was uns bekannt vorkommt.
Dass das Land die Ampel wohl bis zum Ende der Wahlperiode ertragen muss, ist ein akutes Problem, weil wir Gefahr laufen, unsere wirtschaftlichen Stärken zu verlieren, unsere Industrie zu vertreiben oder zu ruinieren. Dazu kommen die langfristigen Probleme, die sich seit Jahren aufgetürmt haben. Wir haben heute ein schlechtes Bildungssystem, früher wurden wir darum beneidet. Wir haben eine vergammelte Infrastruktur, weil wir seit Jahren nicht ordentlich investieren. Da ist die Schuldenbremse tatsächlich ein Problem, weil auch Investitionen unter die Schuldenbremse fallen und öffentliche Investitionen in Brücken, Straßen, Glasfasernetze teilweise privatisiert wurden. Man merkt, es ist nur teurer geworden, aber es funktioniert nicht.

Wir müssen in ein gutes bundesdeutsches Bildungssystem investieren, denn da liegt der Kern des Fachkräftemangels. Es ist ja nicht so, dass wir zu wenige junge Leute haben, sondern dass wir ganz viele Jugendliche ohne elementare Bildung ins Leben entlassen. Und wenn die Energiepreise so bleiben, wie sie jetzt sind, werden Unternehmen abwandern, weil sie nicht mehr wettbewerbsfähig produzieren können. In dem Zusammenhang würde ich mir schon wünschen, dass man sich eingesteht, dass die Sanktionspolitik gegen Russland gescheitert ist. Wir importieren nach wie vor russisches Öl und Gas. Wir importieren es nur über Umwege, über Indien, Belgien, Bulgarien , und das kostet viel Geld, was die Energiepreise nach oben treibt, die Familienbudgets schmälert und Unternehmen Wettbewerbsfähigkeit nimmt. Wir brauchen mehr Zukunftstechnologien, mehr Innovation, mehr Forschung. Dafür sollte öffentliches Geld eingesetzt werden, mehr als jetzt. Aber wir brauchen nicht eine wahnsinnige Rüstungsbeschaffung, wie wir sie jetzt haben. Im nächsten Jahr hat die Regierung 90 Milliarden für Rüstung und Waffen eingeplant, die in sehr intransparenten, unwirtschaftlichen Verfahren vergeben werden. Da sind enorme Einsparpotenziale, auch wenn man das Ziel teilt, dass wir eine Bundeswehr brauchen, die das Land verteidigen kann.

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BEGINN IM JÄNNER. Sahra Wagenknecht im Kreis ihrer Spitzenfunktionäre. Die Migrationslinie ist eindeutig: Dänemark ist das Vorbild, keine Massenabschiebung, aber kein Zugang zu Sozialleistungen © JOHN MACDOUGALL / AFP / picturedesk.com

Sie schildern fast eins zu eins die Zustände in Österreich. Auch hier wollen sich die Koalitionspartner nicht von der Macht verabschieden, weil sie sonst erledigt wären.
Ich weiß nicht, ob es bei Ihnen auch so ist, aber hier sind die Grünen eine Partei, die sich in einer erschreckenden Weise entwickelt hat. Die deutschen Grünen, die aus der Friedensbewegung hervorgegangen sind, waren für viele Menschen die Partei, die für friedliche Konfliktlösung stand, und auch für die Bewahrung unserer Umwelt. Was die heute machen, ist in jeder Hinsicht das Gegenteil. Sie sind die schlimmsten Waffennarren, die bei den Konflikten dieser Welt fast nur noch auf die militärische Karte setzen. Wir haben eine Außenministerin, die mit erhobenem Zeigefinger durch die Welt reist und von den meisten Ländern nur noch müde belächelt wird. Auch ökologisch ist das, was die Grünen vorzuweisen haben, ein Desaster. Sie stellen Flüssiggasterminals in die Ostsee, ins Wattenmeer, die massenhaft Chlor ins Wasser leiten und damit die Flora vergiften. Ökologisch ist das alles nicht. Wir haben die Braunkohlekraftwerke wieder hochgefahren. Da ist nichts vom ursprünglichen Anspruch geblieben.

Man will ein guter Mensch sein, aber das über eine aufgeblasene, unehrliche Moral, wie Frau Baerbock zeigt

Rebellieren da die Kinder der Friedensmarschierer gegen die Elterngeneration?
Ja, das ist erschreckend. Ich erkläre es teilweise mit dem rein moralisierenden Zugang zur Politik. Politik macht man, weil man real etwas verbessern will, da schaut man nicht in erster Linie auf die Intention einer Handlung, sondern auf das, was dabei herauskommt. Aber hier hat sich teilweise eine Generation politisiert, die sich vor allem gut fühlen will. Man will ein guter Mensch sein, aber das über eine aufgeblasene Moral, die noch dazu unehrlich ist, wie wir exemplarisch bei Frau Baerbock sehen. Auf der einen Seite beschimpft sie die chinesische Führung, auf der anderen fährt ihr Parteikollege Habeck nach Katar und macht einen tiefen Bückling. Das ist Doppelmoral und Heuchelei.

Lassen Sie uns die österreichische Politik streifen. Kann man die AfD mit der FPÖ vergleichen, ist da jemand noch schlimmer als der andere, und welche Folgerungen wären zu ziehen?
Um das zu entscheiden, verfolge ich die österreichische Politik zu wenig, ich möchte da kein Urteil fällen. Von außen erscheinen mir die NS-Bezüge in der FPÖ noch offener, aber wenn Sie sich in der AfD Herrn Höcke ansehen, ist der Unterschied nicht so groß.

Zu glauben, dass man die rechten Parteien mit undemokratischen Mitteln kleinkriegt, ist ein Irrtum

Weitgehend unbestritten ist, dass die FPÖ im Herbst mit etwa 30 Prozent die Wahl gewinnen wird. Der Bundespräsident will Kickl den Regierungsauftrag nicht erteilen. Ist das demokratisch legitimierbar?
Ich würde mir wünschen, dass die anderen Parteien auf das Erstarken der Rechten reagieren, indem sie ihre Politik ändern und endlich auf das hören, was die Menschen möchten. Aber zu glauben, dass man die rechten Parteien mit undemokratischen Mitteln kleinkriegt, ist ein Irrtum. Man stärkt sie damit doch nur! Wir haben die gleiche Debatte in Deutschland. Die AfD bekommt bestimmte Positionen im Bundestag nicht, die jede andere Fraktion hat, zum Beispiel Vizepräsidenten. Damit kann sich die AfD immer wieder als Opfer inszenieren. Inzwischen hatten wir sogar eine Debatte über ein AfD-Verbot ...

... befürworten Sie das?
Auf keinen Fall! Ich finde nicht, dass in einem Rechtsstaat dafür eine Handhabe besteht. In Deutschland arbeiten legal noch viel rechtsradikalere Parteien, sie spielen nur politisch kaum eine Rolle. Aber wir können doch nicht dahin kommen, dass eine Partei, weil sie zu stark wird, einfach so verboten werden kann! Da geben wir wegen der AfD liberale Grundsätze auf. Ich halte es für einen gefährlichen Weg, diese Diskussion zu führen.

Nur, dass in Deutschland die regierenden Parteien noch zwei Jahre haben, um sich zu besinnen. Dass das Dreivierteljahr bei uns reichen könnte, lässt mich zweifeln.
Dann ist die regierende Koalition und auch die schwache Opposition dafür verantwortlich, dass die FPÖ derartige Werte hat. Wobei ja ein Dreivierteljahr auch nicht zu kurz für eine Umkehr ist.

Ihr Wort in Gottes Ohr. Wir müssen uns nur die Migration ansehen. Der importierte Antisemitismus wird zum glühenden Zeichen an der Wand, weil er offen aggressiv geworden ist. Was tun?
Ich habe schon vor Jahren angesprochen, dass ich es falsch finde, die Verbreitung eines radikalen Islamismus in Deutschland als Multikulti schönzureden. Es ist doch ein echtes Problem, dass in Deutschland und wohl auch in Österreich im Umfeld bestimmter Moscheen eine Religion gepredigt wird, die den Hass gegen unsere Kultur schürt, die antisemitisch ist und auf jeden Fall nicht in unsere Gesellschaft gehört. Hier wird ja auch Integration verhindert! Wenn schon Kinder in sogenannten Koranschulen und islamischen Sommercamps vermittelt bekommen, dass der Westen eine verkommene Kultur ist und dass Frauen, die sich nicht verschleiern, Schlampen sind, dann kann man sich doch nicht wundern, dass Integration scheitert!

Was also dagegen tun?
Es ist eine Tatsache, dass ein Großteil der Imame direkt von der türkischen Regierung bezahlt wird. Wer bezahlt, bestimmt den Inhalt, und das muss man natürlich beenden. Imame müssen hier ausgebildet werden, es muss, wie bei der Kirchensteuer, auch bei Moslems eine Abgabe eingehoben werden, und es muss hingesehen werden, was da gepredigt wird. Es fällt nicht unter die Religionsfreiheit, die Scharia zu predigen. Es gibt ja auch viele gut integrierte Moslems, die mit dem radikalen Islam nichts zu tun haben wollen.

Soll man Demonstrationen, in denen Gewalt befürwortet wird, untersagen?
Man weiß ja im Vorhinein oft nicht, was auf einer Demonstration gesagt wird, und der Trend, Demonstrationen prophylaktisch zu verbieten, gefällt mir nicht. Menschen müssen das Recht haben, ihre Solidarität mit den Palästinensern kundzutun. Das hat nichts damit zu tun, dass man die Hamas feiert und den Hass auf Israel predigt. Gegen Hassdemonstrationen und Gewaltakte muss vorgegangen werden. Aber Solidarität muss erlaubt sein. Wir müssen ein bisschen aufpassen, dass wir nicht in eine Richtung kommen, die autoritär alles verbietet, was gerade nicht regierungskonform ist.

Danielle Spera, die frühere Direktorin des Jüdischen Museums in Wien, fordert die Ausweisung von Personen, die auf Demonstrationen Hass propagieren. Wie sehen Sie das?
Vielfach sind das aber Menschen mit festen Aufenthaltstiteln und teilweise sogar deutscher oder österreichischer Staatsbürgerschaft. So einfach ist das leider nicht. Aber wenn jemand hier gerade angekommen ist und sich als radikaler Islamist zu erkennen gibt, finde ich auch, dass man ihm deutlich sagen muss: Sie gehören hier nicht her.

Wie soll man nun mit der Migration verfahren? Soll man sie einschränken?
Ich fand es schon in den letzten Jahren einen Fehler, dieses Thema der AfD und ähnlichen Parteien zu überlassen. Die Zahlen sind viel zu hoch und kommen auch nur zustande, weil das Asylrecht missbraucht wird. Diejenigen, die wirklich Schutz brauchen, weil sie politisch verfolgt werden, müssen Schutz bekommen. Aber die übergroße Mehrheit, über 90 Prozent, hat ja am Ende gar keinen Bleibestatus durch das Asylrecht. Die Verfahren werden vielfach abgelehnt, aber das dauert eine sehr lange Zeit, und dann bleiben die meisten trotzdem hier.

Was also tun?
Dänemark hat es vorgemacht. Dort hat nur jemand eine Bleibeperspektive, der tatsächlich Aussicht auf einen Asylstatus hat. Alle anderen können nicht bleiben und bekommen auch nahezu keine Sozialleistungen mehr. Und die Zahlen sind rapide runtergegangen. Die jetzige sozialdemokratische Regierungschefin hat das mit Erfolg erreicht.

Härte kann da nicht als unmenschlich empfunden werden?
Es ist menschlich verständlich, in einem Land leben zu wollen, wo man es besser hat. Das steht ja bei den meisten, die jetzt nach Europa kommen, dahinter. Aber unsere Länder überfordert das. Und es ist auch keine Solidarität mit den Ärmsten dieser Welt, denn es kommen nicht die Ärmsten, sondern eher die Mittelschicht, weil die Schlepper bezahlt werden müssen. Vor Ort vergrößert das die Armut. Und es verändert unsere Gesellschaft in einer Weise, die die Menschen hier nicht akzeptieren. Deshalb muss man das stoppen.

Und wie?
Indem man deutlich macht, dass niemand bleiben kann, der keinen Anspruch auf Asyl hat. Dazu muss es schnelle Verfahren geben wie in Dänemark. Dort gibt es keine Massenabschiebungen, aber man hat keinen Zugang zu Sozialleistungen und zum Arbeitsmarkt. Die meisten gehen dann freiwillig. Es kommen aber auch weniger: Die Flucht ist ja gefährlich, die Flucht ist teuer, man macht das nur, wenn man eine begründete Hoffnung hat, im Zielland dann auch bleiben zu können. Deutschland und Österreich sind ja deshalb so attraktiv für Zuwanderung, weil man fast immer eine Bleibeperspektive hat, wenn man einmal hier ist. Das ist ein enormer Sogfaktor.

Antisemitismus kommt übrigens keineswegs nur von migrantischer oder rechtsradikaler, sondern auch von linker Seite. Gefällt Ihnen, was sich da Antiisraelismus nennt? Und haben speziell wir in Deutschland und Österreich unser Recht auf Kritik an Israel nicht für die nächsten paar Jahrhunderte verwirkt?
Wir haben eine historische Verantwortung, uns ohne Abstriche für das Existenzrecht Israels einzusetzen. Trotzdem bin ich nicht der Meinung, dass das die Verpflichtung einschließt, die Politik der Regierung Netanjahu zu unterstützen. Viele Juden in Israel und international kritisieren diese Regierung massiv und mit gutem Grund, denn was Netanjahu macht, wird das Problem nicht lösen. Die Hamas lässt sich nicht mit Bomben besiegen. Man kann die militärischen Strukturen für eine gewisse Zeit schwächen, aber wir haben aus den sogenannten Antiterrorkriegen des Westens, in Afghanistan und anderswo doch gelernt: Am Ende waren die Islamisten stärker und nicht schwächer. Diesen Weg zu kritisieren, ist legitim, und auch die brutalen Bombardements, die eben nicht nur die Hamas-Kämpfer, sondern vor allem Frauen und Kinder im Gazastreifen töten, kann und muss man kritisieren.

Eine Zweistaatenlösung also?
Wäre der einzige Weg, die Region zu befrieden.

Wie gefällt Ihnen denn der Sturz Greta Thunbergs von hysterischer Ikonisierung zur Ächtung?
Ich finde das auch merkwürdig, wie sie von der Superheldin plötzlich zur Unperson wurde. Ich habe von Anfang an vieles von dem, wofür Fridays for Future eingetreten ist, in seiner Überzogenheit nicht geteilt. Der Klimawandel ist eine ernste Herausforderung, aber die löst man nicht dadurch, dass man das Leben immer teurer macht. Leider geht in den heutigen Medien offenbar immer nur eins von beiden, entweder Superheldin oder geächtet. Ich finde das nicht nachvollziehbar.

Nicht zu reden von der Letzten Generation oder Just Stop Oil, die jetzt Kunstwerke attackieren.
Ja, die sind irre! Die glauben, dass man die Menschen für das Anliegen, den Klimawandel zu stoppen, gewinnt, indem man Normalbürger daran hindert, auf ihre Arbeit oder zum Arzt zu kommen und ihre Kinder von der Schule abzuholen, weil sich gerade wieder zwei gelangweilte junge Leute auf der Straße angeklebt haben! Das ist völlig daneben und nur kontraproduktiv.

Zur Neutralität Österreichs hätte ich Sie gern noch gefragt. Ist die ein schützenswertes Gut oder sollen wir uns, wie mancherorts angeregt, gar der Nato annähern?
Ich würde sagen, jeder, der nicht Teil eines Militärblocks ist, soll froh sein. Und wenn man eine vermittelnde Rolle spielen kann, umso besser. Österreich ist eines der Länder, die sicher nicht zu ihrem Schaden nach wie vor russische Energie importieren. Ich meine direkt und nicht über teure Umwege wie Deutschland. Das ist schon eine sinnvolle Politik! Ich würde mir von Deutschland wünschen, dass wir uns stärker zwischen den Blöcken positionieren und auch stärker begreifen, dass die Vereinigten Staaten ihre eigenen Interessen haben, die sich von unseren durchaus unterscheiden. Und dass wir bei allen politischen Entscheidungen vor allem unser eigenes Interesse sehen müssen.

Hat sich nun der Friedenskurs, den Sie und Frau Schwarzer eingeschlagen haben, bestätigt?
Ich will ja nicht immer recht gehabt haben, aber wir haben gesagt: Die Ukraine kann diesen Krieg nicht gewinnen. Die anderen haben uns erzählt, das geht schon, wenn wir nur ganz viele Panzer liefern. Jetzt erleben wir, dass nicht einmal die ukrainischen Generäle noch an einen Sieg glauben. Deshalb muss es endlich einen Druck auf beide Seiten geben, dass sie sich Verhandlungen nicht mehr verschließen. Ich wäre dafür, der russischen Seite das Angebot zu machen, wir stoppen sofort alle Waffenlieferungen, wenn Russland einer Feuerpause, einem Waffenstillstand zustimmt. Dann kann über die vielen strittigen Fragen verhandelt werden.

Haben Sie überhaupt noch Zutrauen zur EU, die es mittlerweile zwischen zum Teil dubiosen Systemen zerreißt? Könnten Sie sich den Ausstieg vorstellen?
Die EU ist in schlechter Verfassung. In Brüssel geben sich die Lobbyisten die Klinke in die Hand. Frau von der Leyen fühlt sich den Anweisungen aus Übersee offenkundig mehr verpflichtet als den Interessen Europas und veruntreut Milliarden. Wir brauchen dringend eine Rückverlagerung wichtiger Entscheidungen auf die nationale Ebene.

Man darf nicht einmal mehr für Frauenrechte eintreten, sonst ist man plötzlich transphob

Und zum Finale: Sind Sie Feministin? Ihnen und Frau Schwarzer wurde von dieser Seite ja nicht nur das Linkssein, sondern auch der Feminismus, um nicht zu sagen: das Frausein entzogen, nicht?
Das ist auch eine dieser schrägen Debatten. Neuerdings darf man nicht einmal mehr für Frauenrechte eintreten, sonst ist man plötzlich transphob! Ich finde es wichtig, für die Gleichberechtigung der Frau einzutreten. Da ist in den westlichen Gesellschaften immer noch viel zu tun, das fängt bei der Entlohnung an und geht über die Frage der ganztägigen Kinderbetreuung bis zur Einrichtung von Schutzräumen. Es soll eben nicht möglich sein, dass Männer zu Frauensaunen und Frauenumkleiden Zutritt bekommen! Dagegen richtet sich jetzt die absurde Debatte über das Selbstbestimmungsgesetz, wo ein Mann sich mal eben zur Frau erklären kann und dann überall Zugang hat. Ich sehe das als riesigen Rückschritt. Frauenrechte, die mühsam erkämpft wurden, werden so wieder infrage gestellt.

Dieser Beitrag ist ursprünglich in der News-Printausgabe Nr. 49/2023 erschienen.

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