Eine Menschenfresserin, Monsterschwäne und ein Paar, das wie aus einem Disney-Comic auftritt, verschafften der Schriftstellerin Barbi Markovic den Preis der Leipziger Buchmesse. News sprach mit der Wahlwienerin über Horror und Handke, Krieg und Disney.
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Das freut den Kritiker, etwas vorausgesehen zu haben und dann bestätigt zu werden. Die 1980 in Belgrad geborene und in Wien ansässige Schriftstellerin Barbi Markovic hat für ihren kühnen Roman "Minihorror" gegen elegante Konkurrenz den Preis der Leipziger Buchmesse lukriert. Das deutsche Großfeuilleton, "FAZ", "Süddeutsche", "Welt", nannte die Kür "überraschend". Wir haben mit Barbi Markovic unmittelbar vor der Abreise nach Leipzig gesprochen, die Chancen schienen uns mehr als intakt. Sie habe doch lediglich das Manuskript abgegeben, kommentierte die Autorin bescheiden ihre Nominierung für die Shortlist.
Micky Maus und Horror
Das Manuskript aber hat es in sich. Im Zentrum stehen Mini und Miki, die nach Walt Disneys Mäusen benannt sind. Die Schreibweise der Namen hat Markovic von der serbischen Übersetzung der Disney-Comics übernommen. Die Protagonisten leben aber nicht in Entenhausen, sondern in Wien und sind auch keine Mäuse. Mini stammt aus Serbien wie die Autorin, Miki aus einer österreichischen Kleinstadt. Wien offenbart sich den beiden als Ort des klassischen Horrors: Die blonde Menschenfresserin Jennifer verbreitet Entsetzen, Mikis Familie verarbeitet sich selbst zu Keksteig, Mini wird von ihrer Familie lebendig begraben, Schwäne verwandeln sich bei Vollmond in Monster, und eine Babykatze mutiert zum Tyrannen.
"Während und kurz nach Corona ist Angst das zentrale Thema in der Gesellschaft gewesen. Ich bin selbst ein bisschen eine ängstliche Person, und Horror ist für mich ein Mittel, mit Ängsten klarzukommen", erklärt Markovic das eigenwillige Genre. Eine Sammlung herkömmlicher Horrorgeschichten zu verfassen, sei ihr allerdings nicht genug gewesen. So habe sie zu experimentieren begonnen.
Das Ergebnis ist ein fulminant erzählter Roman, der dem Prinzip einer Comicgeschichte folgt. Heißt: Die Figuren können in einer Szene zerquetscht, in Stücke gerissen oder verformt werden und tauchen auf der Folgeseite komplett unversehrt wieder auf.
Die Wahl Mikis und Minis als Protagonisten sei logisch, "Micky Maus" immer ihr Favorit gewesen. "Walt Disney selbst nannte Micky einen jungen Kerl, der sich ständig bemüht, etwas Gutes zu tun oder sein Bestes zu geben. Das habe ich immer geschätzt. Ich war nie Fan von dieser cholerischen, amoralischen Gestalt Donald Duck. Für mich wäre es zu beunruhigend gewesen, so einem Charakter zu folgen", legt sie ihre Präferenzen offen.
Die Geschichten von Carl Barks habe sie geschätzt, später auch die deutschen Übersetzungen von Erika Fuchs. Deutsch habe sie aber nicht durch diese Comicbücher gelernt, sondern durch Goethe beim Germanistik-Studium in Belgrad.
Seit 2006 lebt Barbi Markovic in Wien. "Das heißt, ich erlebe die Welt auf Deutsch. Deswegen wurde es für mich immer komischer, meine literarischen Arbeiten nicht auf Deutsch zu schreiben. Es hat natürlich Jahre gedauert, bis diese Sprache gesessen ist. Inzwischen ist es für mich einfach, zwischen Sprachen zu wechseln. Ich denke heute gar nicht mehr darüber nach."
Der Weg zur Schriftstellerin verlief linear: Sobald sie als Kind schreiben konnte, brachte sie ihre Geschichten zu Papier. "Schreiben ist meine Art, mit der Welt klarzukommen. Schreiben ist mir wirklich ein inneres Bedürfnis."
Das Buch
Minis Familie begräbt sie lebendig, Mikis Verwandte verarbeiten sich zu Keksen – das Grauen wird bei "Minihorror" von Barbi Markovic* zum literarischen Vergnügen.
Residenz, € 24,95
Minihorror | AUSGEZEICHNET MIT DEM PREIS DER LEIPZIGER BUCHMESSE 2024
Proust, Handke und Krieg
Als Tochter kulturaffiner Eltern wuchs sie in Belgrad auf. Mit dem Vater ging sie ins Theater, die Mutter hatte viele Bücher, blickt Barbi Markovic auf eine kultivierte Kindheit zurück.
Prägend wurde etwa die Schriftstellerin Biljana Jovanovic, serbische Vertreterin der subversiven Jeans-Prosa, die sich auch der Umgangssprache bediente. Während der Bombardierung von Belgrad durch die Nato im Jugoslawienkrieg 1999 las Barbi Markovic Prousts gigantischen Roman "Auf der Suche nach der verlorenen Zeit"*. "Ich liebe Proust’sche Sätze, ich bin selber auch ein bisschen besessen von seinen detaillierten Analysen von Menschen und Ereignissen. Prousts Welt war ein Kontrast zu meiner damals."
Die Jugend war vom Krieg überschattet, gespürt habe sie davon aber nur wirtschaftliche Konsequenzen. Wie hält sie es da mit dem Nobelpreisträger Peter Handke, der für seine proserbische Haltung noch heute kritisiert wird?
"Ich schätze einiges von Handke, er hat Cooles erfunden, aber bei Serbien ist er völlig falsch abgebogen", holt Barbi Markovic aus. "Ich habe mich damals gefragt: Warum unterstützt dieser coole Schriftsteller die Regierung, gegen die ich protestiere? Ich verstehe nicht, warum er sich mit der offiziellen nationalistischen Belgrader Politik zusammengetan hat. Ich kann verstehen, dass er gegen die Medienberichte dieser Zeit protestierte, die angeblich einseitig waren und die Situation nicht komplex genug dargestellt haben. Aber ich kann nicht verstehen, dass er sich auf Milosevics Seite gestellt und alle anderen Stimmen aus dem Land ignoriert hat. Stimmen, die gegen den Krieg waren, kritische Stimmen gegen die Nationalisten, die Stimmen der Anderen. Im Krieg sind die lautesten Stimmen immer die offiziellen der Regierungen. Wenn man ein bisschen Erfahrung hat in der Welt, kann man schon darüber nachdenken, mit wem man sich auf ein Packerl haut, wie man in Wien zu sagen pflegt."
Daraus zog sie auch literarische Konsequenzen. "Für mich waren Handkes Serbien-Bücher nicht schön zu lesen. Ich habe mich gefragt: Warum stellt er Serbien darin als fremdes, mysteriöses Land vor? Das ist auch jetzt nicht so die Attitüde, die man gern liest, wenn man weiß, dass dort ganz normale Leute leben."
Die bestimmen auch ihren Roman mit, und große Unterschiede zwischen Menschen in Serbien und Österreich kann sie nicht feststellen. Bestimmte kulturelle Unterschiede gebe es in jeder Gesellschaft, räumt sie ein. Sie fühle sich jedoch darin bestätigt, dass sich Menschen vor allem durch verschiedene Gewohnheiten unterscheiden. Unter gleichen Bedingungen aber würden Menschen in Österreich vielleicht nicht anders handeln als jene in Montenegro und umgekehrt. "Das sind Gedanken, die ich gerne in meinen Büchern verbreite."
Dieser Beitrag erschien ursprünglich in der News-Printausgabe Nr. 13/2024.
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