Gehören Sie zur Gruppe jener, die Aufgaben aufschieben, bis der Druck schier unerträglich wird? Prokrastination ist ein weit verbreitetes Phänomen. Wie es zum Prokrastinieren kommt, wer besonders anfällig dafür ist und was man gegen diese leidige Verhaltensweise tun kann, erklärt Dr. Marlene Kollmayer von der Fakultät für Psychologie der Uni Wien.
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- Was bedeutet Prokrastination?
- Welche Formen der Prokrastination gibt es?
- Wie fühlt man sich als Betroffene:r?
- Welche Folgen hat passive Prokrastination?
- Was ist die Ursache von Prokrastination?
- Wer ist besonders gefährdet?
- Was kann man dagegen tun?
- Ab wann ist professionelle Hilfe notwendig?
- Wie kann ich dem Aufschieben vorbeugen?
Was bedeutet Prokrastination?
Unter Prokrastination versteht man Kollmayer zufolge das extreme, in der Regel unnötige Aufschieben von Aufgaben. "Es liegt nicht daran, dass es sich nicht ausgeht, die Sache in Angriff zu nehmen", betont die Psychologin. Man tut es nur einfach nicht. Aufgeschoben werden dabei meist Tätigkeiten, die auf irgendeine Art und Weise unangenehm sind. Das kann ein Arbeitsauftrag sein ebenso wie das Vereinbaren eines Arzttermins oder das Erstellen der Steuererklärung. "Dinge, die man eben erledigen muss, auf die man aber nicht besonders viel Lust hat."
Dabei handelt es sich nicht etwa um eine psychische Störung, sondern um eine spezielle Verhaltensweise. Nichtsdestotrotz kann Prokrastination krankhafte Ausmaße annehmen. "Wenn man ein bisschen aufschiebt, ist das ja meist kein Problem", erläutert Kollmayer. In manchen Fällen sei das Aufschieben sogar konstruktiv. Nämlich dann, wenn der/die Betroffene einen gewissen Druck braucht, um in die Gänge zu kommen, sich dessen bewusst ist und dies auch aktiv steuern kann. "Betreibt man das Aufschieben allerdings pathologisch, geht es oft mit enormem Stress und einem großen Leidensdruck einher", weiß die Expertin.
Welche Formen der Prokrastination gibt es?
Lange Zeit galt Prokrastination als durchwegs negativ. "In einem über zweieinhalbtausend Jahre alten hinduistischen Text beschreibt Krishna einen prokrastinierenden Mann als undiszipliniert und faul. Dieses Bild hat sich in gewisser Weise bis dato gehalten, wobei man heute unter anderem auch von einer Impulskontrollstörung und der fehlenden Fähigkeit zur Selbstregulation spricht. "Betroffene werden fast als Opfer ihrer Disposition gesehen", schildert die Psychologin. Nach dem Motto: Sie können einfach nicht anders.
In den frühen 2000ern wurde erstmals die positive Seite des Phänomens beleuchtet. Seither unterscheidet man zwischen der passiven und aktiven Prokrastination. "Aktiv Prokrastinierende wissen, dass sie unter Zeitdruck besser, effektiver und effizienter arbeiten. Daher entscheiden sie sich willentlich dazu, die Aufgabe aufzuschieben", erklärt Kollmayer. Sie seien sich ihrer Fähigkeiten und darüber, wie sie sie am besten einsetzen, bewusst, was ein Zeichen von hoher Selbstregulationsfähigkeit sei.
Passiv Prokrastinierende hingegen "finden sich eher unbeabsichtigt in dieser Situation", so die Expertin. Ohne ein konkretes Ziel zu verfolgen, schieben Sie die Aufgabe vor sich her. Die Zeit vergeht, der Druck wächst und die Zuversicht, die Aufgabe zufriedenstellend bewältigen zu können, schwindet. "Sie stellen sich vor, wie alles schiefgeht, und glauben nicht mehr daran, dass sie es noch schaffen können." Schuldgefühle machen sich breit, mitunter kommt es auch zu depressiven Verstimmungen.
Während Prokrastination das extreme Aufschieben von Tätigkeiten bedeutet, versteht man unter Präkrastination den Drang, sämtliche Aufgaben sofort zu erledigen.
Wie fühlt man sich als Betroffene:r?
Während aktiv Prokrastinierende das Arbeiten unter Zeitdruck als Herausforderung erleben, geht der Prozess für passiv Prokrastinierende oft mit einem hohen Leidensdruck einher. "Anfangs denkt man sich: 'Das ist eigentlich ganz interessant! Aber ich hab' ja noch so viel Zeit.'" Der erste Aufschub verschafft kurzfristige Erleichterung. Stets im Hinterkopf, wirkt die unerledigte Tätigkeit aber nach und nach größer, um nicht zu sagen bedrohlich. Gleichzeitig wachsen der Stress - mitunter begleitet von Stresssymptomen wie Verdauungsproblemen und Schlafstörungen - und die Angst zu scheitern. Kurzum: Es kommt zu einer deutlichen Beeinträchtigung der Lebensqualität.
"Irgendwann fragt man sich: 'Warum mach' ich eigentlich nichts?'", schildert die Psychologin. Bis man an den Punkt gelangt, an dem man denkt: "Jetzt ist es auch schon wurscht." Entweder hat man die Deadline bereits verpasst oder aber es ist noch ein bisschen Zeit. Gerade genug, um die Arbeit in Angriff zu nehmen, zu wenig allerdings, um sie den eigenen Ansprüchen entsprechend zu erledigen. Begleitet von dem Gedanken "Hätte ich doch früher begonnen ..." rafft man sich schließlich auf. "Sich Vorwürfe zu machen anstatt sich der Aufgabe zu widmen, ist Teil des Problems", so die Expertin.
Einer an der Uni Wien durchgeführten wissenschaftlichen Arbeit zufolge beträgt der Anteil nicht prokrastinierender Personen etwas über 40 Prozent. Gut 30 Prozent fallen in die Gruppe der aktiv Prokrastinierenden. Die restlichen knapp 30 Prozent gehören der Kategorie der passiv Prokrastinierenden an.
Welche Folgen hat passive Prokrastination?
Dass die Leistung unter einer derartigen Herangehensweise leidet, ist klar. Zu wissen, dass man grundsätzlich ein besseres Ergebnis erzielen hätte können, ärgerlich. Zusätzlich erschwert wird die Situation, wenn man nicht auf sich alleine gestellt, sondern im Team arbeitet. "Sind andere Personen von den eigenen Arbeitsergebnissen abhängig, kann es auch auf sozialer Ebene unangenehm werden", gibt die Psychologin zu bedenken. Ist man nämlich erst einmal als die Person bekannt, die ihre Arbeit nie termingerecht fertigstellt, kann es durchaus passieren, dass niemand mehr mit einem arbeiten will. Ganz zu schweigen von der Tatsache, dass nicht oder unzureichend erledigte Arbeitsaufträge sowie das wiederholte Verpassen von Deadlines dem Betreffenden im Berufsleben früher oder später zum Verhängnis werden können.
Was ist die Ursache von Prokrastination?
Nicht selten geht Prokrastination mit der Angst zu versagen, einem geringen Selbstbewusstsein und einem niedrigen Maß an Selbstwirksamkeit einher. So prokrastinieren Menschen, die der Meinung sind, dass sie ihr Leben nicht selbstbestimmt lenken können, eher als solche, die davon überzeugt sind, schwierige Situation aus eigener Kraft meistern zu können.
Darüber hinaus dürfte auch der Hang zum Perfektionismus eine Rolle spielen. "Wenn das Ergebnis perfekt sein muss, fange ich vielleicht lieber gleich gar nicht an, solange die Bedingungen nicht hundertprozentig passen", veranschaulicht Kollmayer das Phänomen des Self Handicapping: Man behindert sich selbst dabei, die Aufgabe zu erledigen, und hat, sollte man scheitern, auch gleich einen vermeintlich passablen Grund dafür parat. In dem eben genannten Beispiel wären das die unzulänglichen Voraussetzungen.
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Dagegen ist Gewissenhaftigkeit ein Faktor, der die Wahrscheinlichkeit zum Prokrastinieren verringert. "Je gewissenhafter ich bin, desto weniger werde ich dazu tendieren, Aufgaben aufzuschieben", führt die Psychologin aus.
Wer ist besonders gefährdet?
Wobei man - eine nicht irrelevante Voraussetzung - schon auch die Möglichkeit zum Aufschieben haben muss. "In den späten 1990ern wurde der Begriff Studenten-Syndrom als Synonym fürs Prokrastinieren geprägt", erklärt Kollmayer. Tatsächlich ist der Anteil an prokrastinierenden Personen unter Studierenden deutlich höher als in der Allgemeinbevölkerung. Während der Expertin zufolge rund ein Fünftel der Erwachsenen insgesamt vom Aufschieben berichtet, gibt mindestens die Hälfte der Studierenden an, dass Prokrastinieren für sie ein ernsthaftes Problem darstellt.
Ausschlaggebend hierfür ist der fehlende Druck von außen. Dementsprechend hoch ist das Risiko in Berufen, in denen man selbstbestimmt arbeiten kann. "Wenn der Chef sagt: 'So, jetzt reicht's! Jetzt will ich Ergebnisse sehen!', dann liefert man. Weil wenn man muss, dann geht es ja eh", schildert die Psychologin die Problematik. Zusätzlich erschwert wird die Situation, wenn die Aufgabe als besonders groß oder unangenehm wahrgenommen wird oder nicht klar ist, wie das Ziel erreicht werden soll.
Alles in allem tendieren Jüngere mehr zum Prokrastinieren als Ältere und Männer mehr als Frauen. Wenngleich der geschlechtsspezifische Unterschied auch nicht allzu stark ausgeprägt ist.
Was kann man dagegen tun?
Um das Aufschieben überwinden zu können, muss man erst einmal wissen, was man fürs Arbeiten braucht. Das Arbeitsumfeld spielt dabei eine wichtige Rolle. "Viele können besser arbeiten, wenn sie nicht im Chaos sitzen", weiß die Psychologin. Nicht umsonst gilt Putzen als ein Paradebeispiel für Tätigkeiten, die man der eigentlichen Aufgabe vorzieht. "Solange man nicht wie eine Verrückte die ganze Wohnung putzt, sondern sich damit begnügt, ein Umfeld zu schaffen, in dem man sich gut konzentrieren kann, ist das durchaus sinnvoll." Gerade im Homeoffice müsse man sich zugestehen, vor Beginn der Arbeit - im wahrsten Sinne des Wortes - reinen Tisch zu machen.
Alsdann empfiehlt es sich, Etappenziele zu setzen, sprich die Aufgabe in überschaubare Teilaufgaben zu splitten. "Länger als eine Dreiviertelstunde am Stück kann sich sowieso kaum jemand konzentrieren", merkt Kollmayer an und betont die Bedeutung von Pausen. Diese dürfen fünf bis zehn Minuten dauern und sollten den individuellen Bedürfnissen entsprechend gestaltet sein: einen Kaffee trinken, ein bisschen herumräumen, sich die Füße vertreten ... Letzteres ist übrigens nicht nur für die Rückengesundheit, sondern auch für die Konzentration ausgesprochen förderlich.
Ab wann ist professionelle Hilfe notwendig?
Wenn die Ängste immer größer werden, der Stress zunimmt, man sich wie gelähmt fühlt und nicht mehr handlungsfähig ist, sollte man professionelle Hilfe in Anspruch zu nehmen. Der größte Effekt lässt sich Kollmayer zufolge mit einer kognitiven Verhaltenstherapie erzielen. Mit einer guten Intervention ließe sich die Tendenz zum Prokrastinieren recht rasch nachhaltig reduzieren. Schlicht und einfach deshalb, weil man, hat man erst einmal die entsprechende Verhaltensweise abgelegt, sehr schnell erste Erfolge sieht, die einen darin bestärken, die neu erlernte Herangehensweise beizubehalten.
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Wie kann ich dem Aufschieben vorbeugen?
Um es gleich gar nicht erst so weit kommen zu lassen, empfiehlt sich selbstreguliertes Lernen bzw. Arbeiten. "Man widmet sich nicht nur der Aufgabe an sich, sondern auch der Frage: Wie funktioniert Lernen? Wie funktioniert Arbeiten? Und wie funktioniere ich beim Lernen bzw. Arbeiten?", erklärt die Expertin. Zwar bringe diese Methode einen anfänglichen Mehraufwand mit sich, dieser mache sich jedoch bald bezahlt. Die Bearbeitung einer Aufgabe wird dabei in drei Phasen gegliedert: die präaktionale, die aktionale und die postaktionale Phase, sprich Planen, Handeln und Reflektieren.
1. Die präaktionale Phase umfasst "all das, was passiert, bevor man tatsächlich zu arbeiten beginnt", so die Psychologin. Hier gilt es, ein konkretes Ziel zu formulieren, dieses idealerweise auch gleich in Teilziele zu gliedern und die Frage "Wie komme ich an mein Ziel?" zu klären, sich also eine Strategie zurechtzulegen. Sobald man zudem ein passendes Arbeitsumfeld geschaffen hat, kann es in die zweite Phase gehen.
2. Die aktionale Phase ist die der eigentlichen Handlung. In dieser werden die zuvor entwickelten Strategien umgesetzt, überwacht und gegebenenfalls reguliert. Komme ich gut voran? Läuft alles nach Plan? Wenn nicht, muss der Zeitplan adaptiert und eruiert werden, was zu ändern ist, um ans Ziel zu gelangen. Vielleicht braucht es mehr Pausen? Oder eine zusätzliche Arbeitsmotivation?
3. Die postaktionale Phase beschreibt die rückblickende Bewertung des Arbeitsprozesses. Habe ich mein Ziel erreicht? Was hat gut funktioniert? Was weniger gut? Und was bräuchte es, damit es noch besser klappt? "Nur wenn ich den Arbeitsprozess reflektiere, kann ich ihn fürs nächste Mal optimieren", unterstreicht Kollmayer die Bedeutung der postaktionalen Phase.
Je öfter man diesen Prozess durchläuft, desto besser lernt man seine Arbeitsweise kennen. Desto besser kann man einschätzen, wie lange man eine Aufgabe aufschieben kann und wann man loslegen muss. "So werde ich von einer passiv prokrastinierenden Person, die Opfer ihrer eigenen Faulheit ist, zu einer aktiv prokrastinierenden Person." Für die Umsetzung des selbstregulierten Arbeitens brauche es keinen Therapeuten, sondern "einfach nur ein bisschen Zeit zum Reflektieren", so Kollmayer, wodurch man sich letztlich eine Menge Ärger, Frust und Schuldgefühle sparen kann.
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Steckbrief
Marlene Kollmayer
Marlene Kollmayer ist seit März 2018 als Universitätsassistentin (Post Doc) am Institut für Psychologie der Entwicklung und Bildung tätig.
Studium der Sozialwissenschaften an der Universität Wien
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