Das Impostor Phänomen, oft auch Hochstapler-Syndrom genannt, ist weit verbreitet. Umso überraschender, dass kaum jemand darüber Bescheid weiß. Was es damit auf sich hat, wer betroffen ist und was man dagegen tun kann, schildert Dr. Marlene Kollmayer von der Fakultät für Psychologie der Uni Wien.
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- Was ist das Impostor Phänomen?
- Handelt es sich dabei um eine Krankheit?
- Woran erkenne ich, dass ich betroffen bin?
- Wie fühlt es sich für Betroffene an?
- Können auch körperliche Leiden auftreten?
- Ist den Betroffenen bewusst, woran sie leiden?
- Wie entsteht das Hochstapler-Syndrom?
- Wodurch wird die Entstehung zusätzlich begünstigt?
- Wie viele sind vom Impostor Phänomen betroffen?
- Was kann ich gegen das Hochstapler-Syndrom tun?
Was ist das Impostor Phänomen?
Der Begriff des Impostor Phänomens - auch bekannt als Hochstapler-Syndrom - wurde Ende der 1970er Jahre von zwei Psychotherapeutinnen geprägt, die mit Studierenden und Akademikerinnen zusammenarbeiteten, die - trotz guter Erfolge - ihre Leistung permanent infrage stellten. Erfolge führten sie auf äußere Umstände wie Glück oder ein gutes soziales Netzwerk zurück, nicht aber auf ihre Fähigkeiten. Auffallend war auch die Angst, "bei der nächsten Herausforderung als Hochstaplerin entlarvt zu werden", umschreibt Kollmayer das Phänomen. "Viele der Frauen waren leicht oder sogar schwer depressiv und überlegten, aufgrund ihrer Ängste und Unzulänglichkeitsgefühle ihre Karriere zu beenden." Heute weiß man: Obwohl sie objektiv sehr gute Leistungen erbringen, denken Betroffene, "nicht so klug, gut oder fähig zu sein, wie sie von anderen gehalten werden". Die Angst, als vermeintlicher Hochstapler enttarnt zu werden, ist ihr ständiger Begleiter. Nach der Devise: Bald entdeckt mein Kollege, mein Chef, dass ich eigentlich gar nichts kann.
Handelt es sich dabei um eine Krankheit?
Das Impostor Phänomen ist keine Krankheit. "Es gibt keine psychologische Diagnose im eigentlichen Sinn", ergänzt die Expertin. Dementsprechend sei auch der Begriff Phänomen dem des Syndroms vorzuziehen - obgleich man immer wieder vom Hochstapler-Syndrom liest. "Ein Syndrom ist eine Kombination aus vielen Symptomen, die wiederum Kennzeichen einer Krankheit sind. Ein Syndrom hat folglich immer etwas Krankheitswertiges, weswegen wir den Begriff 'Phänomen' bevorzugen", erklärt Kollmayer. Untersuchungen zufolge erleben bis zu 70, 80 Prozent der Menschen im Laufe ihres Leben derartige Gefühle. "Das ist etwas ganz Normales. Zu einer Art Krankheit wird es erst dann, wenn es einen depressiv macht oder dazu führt, dass man schreckliche Ängste hat." Wobei es weniger durch das Phänomen an sich, als durch besagte Begleiterscheinungen zum Leidensdruck komme.
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Woran erkenne ich, dass ich betroffen bin?
"Nicht jeder Zweifel ist schlecht", schickt Kollmayer voraus. Natürlich gebe es auch so etwas wie gesunde Selbstzweifel. Sind mindestens drei der folgenden Verhaltens- bzw. Erlebensmuster gegeben, könne man aber davon ausgehen, dass man unter dem Impostor Phänomen leidet.
Das Gefühl, ein intellektueller Betrüger zu sein, und die Angst, enttarnt zu werden.
Der Glaube, dass die eigenen Leistungen nicht auf die eigenen Fähigkeiten, sondern auf äußere Umstände zurückzuführen seien. "Man denkt, man wäre dort, wo man ist, aufgrund von Glück, guten Beziehungen oder Irrtümern. Aber sicher nicht wegen dem, was man kann."
Die Angst vor Misserfolg, gepaart mit der Angst vor Erfolg. "Personen, die unter dem Impostor Phänomen leiden, können Erfolge gar nicht genießen, weil sich der Druck durch sie nur noch erhöht. Wenn ihnen etwas gut gelingt, denken sie nicht: 'Ich kann das ja doch, also bin ich vielleicht gar nicht so schlecht', sondern: 'Jetzt bin ich noch mal durchgerutscht. Aber beim nächsten Mal geht es mit Sicherheit schief. Weil wiederholen kann ich das nicht'."
Ein großer Mangel an Selbstbewusstsein, aufgrund dessen Betroffene dazu neigen, sich, wenn eine Herausforderung bevorsteht, extrem übervorzubereiten. "Wo andere vielleicht ein, zwei Stunden in die Vorbereitung investieren, stecken sie Tage über Tage hinein. Weil die Angst zu versagen so groß ist." Oder aber sie schieben die Beschäftigung auf. "Weil man damit auch die Angst kurz aufschieben kann." Die Psychologin spricht in dem Zusammenhang vom Self Handicapping: Man behindert sich selbst dabei, die Aufgaben zu erledigen.
Wie fühlt es sich für Betroffene an?
"Betroffene erleben das Impostor Phänomen als Situation der permanenten Überforderung." Zum einen glauben sie, den Aufgaben, die sie bewältigen müssen, nicht gewachsen zu sein. Zum anderen haben sie das Gefühl, den - vermeintlichen - Schein aufrechterhalten zu müssen. "Dadurch entsteht eine doppelte Belastung", erklärt die Psychologin. Einher mit dem Gefühl, immer nur so zu tun als ob, geht ein schlechtes Gewissen den Kollegen gegenüber, verbunden mit einem Gefühl der Scham. Wer will seine Kollegen schon unentwegt täuschen? Viele Betroffene berichten auch von dem Gefühl, in ihrem Beruf fehl am Platz zu sein. All das führt dazu, dass man sich nie entspannen kann. "Weil wenn man sich entspannt, lässt man ja auch ein bisschen die Schutzmechanismen runter. Und dann besteht die große Gefahr, dass das Kartenhaus, von dem man glaubt, dass man es aufgebaut hat, in sich zusammenbricht."
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Können auch körperliche Leiden auftreten?
"Studien zu körperlichen Auswirkungen sind mir keine bekannt", sagt die Expertin. Die Tatsache, dass das Impostor Phänomen in der Regel von Angst und Depression begleitet wird, ließe allerdings vermuten, dass es zu entsprechenden somatischen Beschwerden kommen könne. "Bei einer Depression ist man energielos, ebenso bei Ängsten. Es fällt einem schwer, morgens aufzustehen. Man ist müde und erinnert sich ausschließlich an negative Erlebnisse", schildert Kollmayer die Problematik. "Wenn man einer depressiven Person sagt: 'Denk doch mal dran, wie gut es dir letzten Sommer ging', dann wird sie das nicht können. Weil wir uns immer an das am besten erinnern, was wir erlebt haben, als wir in derselben Stimmung waren, wie wir jetzt sind. So funktioniert das Gedächtnis. Deshalb erinnern sich Personen, die an dem Impostor Phänomen leiden, auch nicht an ihre Erfolge."
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Ist den Betroffenen bewusst, woran sie leiden?
"Meistens nicht", sagt Kollmayer, "weil sie denken ja nicht: 'Oh, ich hab das Impostor Phänomen', sondern: 'Ich bin eine intellektuelle Betrügerin'. Aus Erfahrung weiß die Psychologin, dass Betroffene ein Gefühl der tiefen Dankbarkeit empfinden, wenn sie das, was sie tagein, tagaus erleben plötzlich benennen können. "Weil dann denkt man sich nicht mehr: 'Ich bin so eine Versagerin', sondern womöglich: 'Ach, okay ... ich bin also gar nicht allein damit. Vielen Leuten geht es so wie mir. Gerade auch solchen, die sehr erfolgreich sind'." Darunter nicht selten renommierte Professorinnen und Professoren. Dementsprechend wichtig sei es, das Phänomen zusehends bekannt zu machen. Weil die Betroffenen dadurch oft erstmals die Möglichkeit haben, ihre Situation aus einer anderen Perspektive zu betrachten. Weg von "Ich hab' solche Defizite", hin zu "Das hat offensichtlich ganz andere Ursachen hat als mein persönliches Versagen".
Wie entsteht das Hochstapler-Syndrom?
Es gibt verschiedene Erklärungsansätze für die Entstehung des Impostor Phänomens. Einer davon sieht die Ursachen in der Familie, etwa dann, wenn man dem Kind vermittelt, dass sich der Wert seiner Person an deren Leistung bemisst, oder aber dass, wer wirklich klug ist, sich nicht anzustrengen braucht. "Diese Kinder leiden später oft sehr stark unter dem Impostor Phänomen. Weil wenn sie merken: 'Ich muss mich aber anstrengen', folgern sie daraus, dass sie wohl nicht gescheit genug sind." Ebenso ein fruchtbarer Boden für besagtes Phänomen sind Geschwisterrollenzuschreibungen, sprich wenn ein Kind zum Beispiel "das Brave" und das andere "das Gescheite" ist.
Ein anderer Erklärungsansatz fokussiert auf gesellschaftliche Rollenbilder. Studien zeigen, dass Frauen vom Impostor Phänomen häufiger betroffen sind als Männer. Ebenso Personen mit Migrationshintergrund und solche, die in ihrer Familie, die akademische Laufbahn betreffend, eine Vorreiterrolle einnehmen. Daraus lässt sich schließen, dass die Entstehung des Phänomens mit fehlenden Rollenvorbildern sowie stereotypen Vorstellungen von Erfolg zusammenhängt. "Wir leben in einer Gesellschaft, die beruflichen Erfolg immer noch stark männlich, weiß und alt eingesessen konnotiert. Das trägt natürlich dazu bei, dass sich jene, die diesem Bild nicht entsprechen, fehl am Platz fühlen."
Darüber hinaus hat eine kürzlich durchgeführte Untersuchung ergeben, dass das fälschlicherweise als Hochstapler-Syndrom bezeichnete Impostor Phänomen besonders stark bei Frauen mit Minoritätenstatus ausgeprägt ist, die in Bereichen tätig sind, bei denen man davon ausgeht, dass eine Art genuines Talent vonnöten ist, um sich zu profilieren. Dies ist zum Beispiel in der theoretischen Physik der Fall, einem Feld, bei dem sich automatisch das Bild des "verrückten Wissenschafters" aufdrängt, "der für sich alleine im Elfenbeinturm forscht und nicht mal mehr in der Lage ist, ein U-Bahn-Ticket zu lösen. Ein Bild, das eben genau nicht zu jungen Frauen passt."
Problematisch sei auch der Mangel an Netzwerken. "Während Männer seit Jahrtausenden ihre Netzwerke pflegen und sich gegenseitig pushen, hat man das oftmals nicht, wenn man eine Frau ist, Migrationshintergrund hat oder aus einer anderen Bildungsschicht kommt", erläutert Kollmayer. Ganz zu schweigen von der Tatsache, dass Mädchen nach wie vor stark darauf sozialisiert werden, lieb, freundlich, nett und fürsorglich zu sein - "allesamt Eigenschaften, die man einer beruflich erfolgreichen Person eher nicht zuschreibt". Ebenso im Verdacht, die Entstehung des Impostor Phänomens zu begünstigen, stehen bestimmte Arbeitskontexte. Allen voran solche, in denen einerseits starke Konkurrenz herrscht und anderseits kaum Feedback gegeben und der Austausch über Schwierigkeiten unter Kollegen und Kolleginnen wenig gefördert wird.
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Wodurch wird die Entstehung zusätzlich begünstigt?
Eine Person mit stark ausgeprägtem Impostor Phänomen hat in der Regel einen geringen Selbstwert. "Diese zwei Variablen sind eng miteinander verknüpft", erklärt Kollmayer. Die Frage nach Ursache und Wirkung ließe sich allerdings nicht beantworten. Dass eine Person mit hohem Selbstwert am Impostor Phänomen leidet, ist unwahrscheinlich. Allerdings kann jemand, der am Impostor Phänomen leidet, auch gar keinen hohen Selbstwert haben. Ebenso mit besagtem Phänomen Hand in Hand gehen kann Perfektionismus. "Wenn ich immer das Gefühl habe, dass meine Produkte nicht gut genug sind, hänge ich mich natürlich umso mehr hinein", führt die Psychologin aus. Stichwort: Übervorbereitung. Auch Introversion kann mit dem Impostor Phänomen korrelieren. Kein Wunder, ist man doch ständig von der Angst geplagt, dass die anderen herausfinden, dass man eigentlich gar nichts kann. Also zieht man sich in sein Schneckenhaus zurück und hofft, nicht demaskiert zu werden.
Wie viele sind vom Impostor Phänomen betroffen?
Diese Frage seriös zu beantworten sei schwierig, weil es an repräsentativen Studien mangle, gibt Kollmayer zu bedenken. Untersuchungen aus unterschiedlichen Bereichen lassen sich aber zu einem groben Bild zusammenfügen. So zeigt etwa eine an der Uni Wien durchgeführte Studie, dass 40 Prozent jener Studentinnen und Studenten, die mit einem Notenschnitt von unter zwei maturierten, häufig Impostor-Gefühle haben. Ebenso ergeht es 35 Prozent der Doktorandinnen und Doktoranden. Eine Untersuchung mit Unternehmerinnen und Unternehmern wiederum kam zu dem Ergebnis, dass im Profit-Bereich 37 Prozent und im Non-Profit-Bereich 27 Prozent am Impostor Phänomen leiden. "Je nach Branche und Karrierestufe variiert der Anteil der Betroffenen. Die Zahlen zeigen aber, dass das Impostor Phänomen durchaus relevant ist."
Was kann ich gegen das Hochstapler-Syndrom tun?
"In einem frühen Stadium, wenn die Belastung noch nicht allzu groß ist, kann man allein schon über den Kontext sehr viel bewerkstelligen", erklärt Kollmayer. Zum Beispiel indem man konkrete Rückmeldungen einholt - was allerdings jenen, die bereits stärker am Impostor Phänomen leiden, schwerfallen wird. Denn wer an seiner Leistung zweifelt, wird Feedback meiden. Grundsätzlich aber sei ein Arbeitsumfeld von Vorteil, in dem Feedback gang und gäbe ist, der kommunikative Austausch gefördert wird und Fehler nicht verboten sind, sondern als Lernchance gesehen werden. "Zu wissen, dass es dazugehört Fehler zu machen, kann wirklich helfen!" Genauso wie das Bewusstsein darüber, dass auch jene, die die oberen Sprossen der Erfolgsleiter erklommen haben, nicht fehlerfrei sind.
Ein Erfolgstagebuch hilft dem Betroffenen, sich daran zu erinnern, was ihm gut gelungen ist. Auf diese Weise lässt sich auch die gedankliche Negativschleife unterbrechen. Ebenso hilfreich ist Self Compassion, ein Konzept, das auf drei Komponenten basiert: der selbstbezogenen Freundlichkeit, der verbindenden Humanität und Achtsamkeit. "Mit uns selbst sind wir oft so viel strenger als mit anderen", weiß Kollmayer und rät, mit sich selbst genauso umzugehen wie mit einem guten Freund oder einer guten Freundin. Man sollte "erst mal das Beste von sich denken, nett zu sich sein und sich etwas gönnen", führt die Psychologin aus. Sodann sollte man sich vor Augen führen, dass jeder einmal scheitert und nicht nur man selbst - Stichwort verbindende Humanität. Nicht zuletzt ist man dazu angehalten, im Moment zu bleiben anstatt sich in realitätsfernen Gedankengebilden zu verlieren. Mit zunehmender Self Compassion nimmt das Impostor Phänomen ab, wobei man hier schon mit kurzzeitigen Therapien gute Erfolge erzielen kann.
Dein Erfolg ist kein Zufall: Vom Gefühl, nie gut genug zu sein - Das Hochstapler-Syndrom erkennen und überwinden
Soziale Vergleiche wiederum verstärken das Impostor Phänomen. Folglich rät die Expertin, diese möglichst zu vermeiden. "Aus der Entfernung schauen alle super selbstsicher aus. Wer aber auf die Leute zugeht und offen über seine Ängste spricht, wird bald merken, dass es den anderen oft nicht anders geht." Dass auch sie Ängste und Zweifel haben. "Reden, reden reden, sich über Schwierigkeiten austauschen und wissen, dass es das Impostor Phänomen gibt" sei grundlegend, um ihm entgegenzusteuern. Treten Depressionen und starke Ängste auf, sollte man professionelle Hilfe in Anspruch nehmen. In schwereren Fällen ist eine Therapie angeraten, ansonsten lässt sich auch schon mit einem Coaching, in dem man dazu angeleitet wird, die eigenen Verhaltens- und Erlebensmuster zu reflektieren, viel bewerkstelligen.
Steckbrief
Marlene Kollmayer
Marlene Kollmayer ist seit März 2018 als Universitätsassistentin (Post Doc) am Institut für Psychologie der Entwicklung und Bildung tätig.
Studium der Sozialwissenschaften an der Universität Wien
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