Genetisch veränderte Turbobäume sind für Tara Shirvani (unter anderem) der Weg aus der Klimakrise. Die Expertin für Nachhaltigkeit und Klimapolitik beschreibt Synthetische Biologie als radikale Revolution aller Lebensbereiche. Unsere Zukunft wird besser, wenn wir es wollen, sagt sie.
Steckbrief Tara Shirvani
Name: Tara Shirvani
Geboren: 1986 in Wien
Wohnort: lebt abwechselnd in Wien und London
Ausbildung: studierte in Cambridge und Oxford
Beruf: als Expertin für Nachhaltigkeit, Innovation und Klimapolitik berät sie Unternehmen, Regierungen und institutionelle Anleger; Mitbegründerin der Climate Crisis Advisory Group
Familienstand: verheiratet, Mutter einer Tochter
Es begann mit Käferkot. Im November vor rund 30 Jahren war Tara Shirvani eine gelangweilte Sechsjährige, die sich ins Arbeitszimmer ihres Vaters stahl. Sie entdeckte einen Bereich voll mit Mikroskopen, Geräten, Pflanzen und winzigen Käfern. Und den noch winzigeren Kot der Käfer, gesammelt auf weißen Papierblättern. Ein scheinbar absurdes kleines Szenario für das Mädchen. Für ihren Vater bedeutete es die Welt. Das wurde Shirvani rasch klar, nachdem ihr Eindringen ins Zimmer entdeckt und sie rausgescheucht worden war. Ihr Vater war Doktorand, arbeitete an der Universität für Bodenkultur in Wien und erforschte die Käferkäkalien für seine Doktorarbeit zum Thema Photoperiodismus.
Auch wenn das sechsjährige Mädchen es damals nicht verstand, war das ein Moment, der sie auf einen Weg Richtung Cambridge und Oxford führen sollte. Es war ein Moment, der die Basis für die Leidenschaft schuf, mit der Tara Shirvani heute im komplexen Feld der Synthetischen Biologie arbeitet. Und ein Moment, der ihr Buch zum Thema "Plastikfresser und Turbobäume" auf den Weg gebracht hat. "Meine Eltern haben mich immer ermutigt, schon ganz früh viele kritische Fragen zu stellen. Mein Vater hat mir seine Doktorarbeit kindgerecht erklärt, und auch wenn ich nur drei Prozent verstanden habe, hat das sicher geholfen, eine neugierige Geisteshaltung zu entwickeln", sagt die 36-Jährige.
Das Buch von Autorin Tara Shirvani
In "Plastikfresser und Turbobäume" erklärt Dr. Tara Shirvani, die u. a. an der Universität Oxford zum Thema Synthetische Biologie und Klimawandel publiziert, leicht verständlich, wie Synthetische Biologie zur Weltrettung beitragen kann. Bäume, die zehn Mal mehr CO2 binden als die bisher bekannten, oder Bakterien, die im Meer treibendes Plastik auffressen, werden für Laien nachvollziehbar im Detail erklärt.
Unsere Zukunft neu erschaffen
Nach zwei Jahren an der Wiener Wirtschaftsuniversität studierte Shirvani in Cambridge und Oxford nachhaltige Entwicklung, erneuerbare Energie und Management. Sie arbeitete bei der Weltbank und bei der Europäischen Bank für Wiederaufbau und Entwicklung, gehört zu den "Forbes 30 unter 30" und ist Mitbegründerin der Climate Crisis Advisory Group. Als Expertin für Nachhaltigkeit, Innovation und Klimapolitik berät sie heute Unternehmen, Regierungen und institutionelle Anleger und publiziert an der Universität Oxford zum Thema Klimawandel und Synthetische Biologie.
An letztere hat sie - das wird im Gespräch klar - ihr Herz verloren. Nicht nur, weil sie daran glaubt, dass diese Wissenschaft die Welt in Zukunft für ihre zweijährige Tochter zu "einem besseren Ort, einem viel besseren noch, als er für meine Generation war", machen kann, wie sie sagt. Synthetische Biologie fasziniert Tara Shirvani aufgrund der unbegrenzten Möglichkeiten, die sie eröffnet.
"Wenn man verstanden hat, was mit Synthetischer Biologie alles möglich ist, öffnet es neue Türen. Wir fragen uns dann nicht mehr: Wie lösen wir die großen Probleme? Sondern wir fragen:,Was wollen wir erschaffen? Wie soll unsere Welt aussehen? Wir haben nun die Werkzeuge für grenzenlos kreatives Erschaffen unserer Welt. Alles, das aus Atomen besteht, ist plötzlich machbar'", erklärt Tara Shirvani via Zoom-Call aus ihrem Zuhause in London. Sie bezeichnet unsere Zeit als Zeitenwende und unser Jahrhundert als jenes der Synthetischen Biologie. Ihr Leitsatz ist positiv: "Die Zukunft sieht rosig aus, wenn wir das wollen."
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Die Welt wird zum Lego-Baukasten
Die Frage, was Synthetische Biologie überhaupt bedeutet, erklärt sie in ihrem für Laien leicht verständlichen Buch mit einem Vergleich. Demnach kann man die Natur aus Sicht der Synthetische Biologie wie einen Lego-Baukasten betrachten: Wissenschaftler können erstmals die Natur in ihren kleinsten Bauteilen auseinandernehmen und neu zusammensetzen, um Neues zu schaffen. "Wissenschaftler betrachten mit der Synthetischen Biologie die Natur wie ein Computerprogramm, das gelesen, geschrieben und bearbeitet werden kann -zu unser aller Nutzen", beschreibt sie in "Plastikfresser und Turbobäume". Und weiter: "Wir können etwas bauen für den Einsatz gegen die Klimakrise, zum Beispiel Plastikfresser, Ledertaschen aus Pilzen, Treibstoff aus Algen und sogar Mammuts, die unsere Arktis retten."
Dabei ist Shirvani keine Wissenschaftlerin, der es um die Forschung als Selbstzweck geht. Sie kommt aus dem Bereich des Klimaschutzes und beginnt ihr Buch mit der provokant formulierten These, dass es uns nicht retten wird, CO2 zu sparen, sondern dass die Zucht von Bakterien helfen wird, unsere Umwelt zu retten - und das ohne Verzicht auf gewohnten Komfort.
"Was machen wir Hilfreiches mit all dem überschüssigen CO2? Um den Klimakampf zu bewältigen, ist die Synthetische Biologie enorm wichtig. Das wird leider in Europa noch kaum besprochen", erklärt sie ihre Motivation, ein Buch zu schreiben, das das komplexe, sperrige Thema Laien näherbringt. Es trägt den hoffnungspendenden Untertitel "Wie wir das Klima retten, den Müll aus dem Meer holen und den ganzen Rest auch noch glänzend hinbekommen".
Mit Turbobäumen gegen zu viel CO2
Als plakativstes Beispiel im Umgang mit dem Überangebot an CO2 in der Erdatmosphäre beschreibt Tara Shirvani sogenannte Turbobäume. Diese genetisch veränderten Bäume wachsen viel schneller als herkömmliche, werden um fünfzig Prozent höher und größer und können bis zu dreißig Prozent mehr Kohlenstoff aus der Atmosphäre binden. Zudem besitzen sie eine Metallspeichereigenschaft, die es ermöglicht, giftige Metalle und Abfälle in ihren Wurzeln anzusammeln und so vergiftete Böden zu reinigen. Sie wachsen auf Böden mit hoher Nickel-und Kupferkonzentration, etwa auf sanierten und verlassenen Minenstandorten, die für herkömmliche Bäume zu giftig wären.
Turbobäume sind, so Shirvani, in den USA bereits weit verbreitet. Es gibt Unternehmen, die binnen des nächsten Jahres fünf Millionen Hybridpappeln pflanzen wollen. Das schnelle und höherer Wachstum dieser Bäume hilft natürlich nicht nur der Umwelt, sondern erhöht auch die Rentabilität.
Ein weiteres Beispiel sind sogenannte Plastikfresser. Vereinfacht dargestellt, ist dabei die Rede von einem Superenzym, das von Bakterien stammt, die von Natur aus die Fähigkeit entwickelt haben, Plastik zu fressen. "Das Superenzym beziehungsweise die Bakterien wurden im Labor durch die Verknüpfung zweier separater Enzyme entwickelt, die beide in einem plastikfressenden Bakterium enthalten waren, das 2016 auf einer japanischen Mülldeponie entdeckt wurde. Jüngster wissenschaftlicher Fortschritt ist die Kreation eines "neuen Bakteriums, das Plastik in weniger als einem Tag auffrisst beziehungsweise neunzig Prozent einer PET-Flasche in zehn Stunden zersetzt". Shirvani erzählt von Unternehmen in Frankreich, die "mehrere Industrieanlagen errichtet haben, die zwei Milliarden Flaschen oder 300 Millionen T-Shirts mit Bakterien verarbeiten können".
Eine radikale Revolution
Die Beispiele, die sie beschreibt, verdeutlichen, warum sie von einer radikalen Revolution durch die Synthetische Biologie spricht, die alle Lebensbereiche erfasst. Das Spiel mit den Genen ermöglicht Beton, der Risse in Häuserwänden selbstständig kittet und die Baubranche verändert. Oder Leder aus Pilzen, das Weideland, Aufzucht, CO2-Ausstoß und Leiden von Kühen unnötig macht. Oder die Zucht von Eiweiß aus dünner Luft, was die Lebensmittelindustrie auf den Kopf stellen kann. Diese Beispiele sind keine Zukunftsmusik, sondern längst Realität.
"Wenn wir diese Entwicklung mit anderen industriellen Revolutionen vergleichen, reden wir von einer Revolution, die so groß wird wie die Erfindung des PCs", beschreibt Tara Shirvani und nennt beispielhaft grundlegende Auswirkungen auf Lebensmittel-und Agrarproduktion, Lieferketten, Fortbewegung oder Bauwesen. "In Amerika und in China hat man das verstanden. Die Regierung Biden hat durch verschiedene Pakete 280 Milliarden Dollar über die nächsten 20 Jahre für das Wachstum der Bioökonomie - so umschreibt man die gesamte Branche - versprochen", sagt sie.
China plant eine Förderung der Bioökonomie mit 1,2 bis 1,6 Billionen Dollar bis 2025. Europa komme dagegen kaum vor, bedauert sie. Deshalb wünscht sie sich einen viel größeren Diskurs, der zeigen würde, dass es bei der Synthetischen Biologie nicht nur um die Gentechnik geht. "Gentechnik ist in Europa eine polarisierte Debatte, die alle anderen Möglichkeiten der Synthetischen Biologie übersieht. Da gibt es viel aufzuarbeiten."
"Auf Universitäts- und Forschungsebene passiert in der EU zwar viel, betreffend Investitionen aber wenig", stellt sie fest. "Die EU hat gemeint, dass bis 2030 rund 100 Milliarden Euro in die Bioökonomie investiert werden sollen. Das ist aber mehr eine festgestellte Richtlinie als tatsächliche Investitionen."
Die Frage ethischer Bedenken
Die kritischen Stimmen, die ethische Bedenken zum Thema äußern, sind Tara Shirvani bewusst. Muss es nicht aus ethischen Gründen ebenso radikale Grenzen betreffend die Synthetische Biologie geben? "Natürlich muss man sich darüber im Klaren sein, dass jede Veränderung mit Risiken kommt und diese Risiken in einem Sicherheits- und Vorsichtspaket erarbeiten", sagt sie. "Wenn es um Eingriffe in der freien Natur geht, muss die biologische Eindämmung in Sicherheitsmaßnahmen integriert sein. Man kann zum Beispiel synthetische Bakterien so entwickeln, dass sie außerhalb des Labors nicht überleben können."
Es gebe viele Regulierungsmaßnahmen, betont sie, auch dass Sicherheitsmaßnahmen Teil der Skalierung der neuen Technologien sein müssten. "Andererseits soll wissenschaftlicher Fortschritt nicht durch Angst behindert werden."
Tara Shirvani sieht sich als Botschafterin der Synthetischen Biologie und will mit ihrem Buch helfen, in der breiten Masse das Verständnis für die komplexen Auswirkungen zu schaffen. Viele Jobangebote großer Unternehmen hat sie deshalb abgelehnt. "Es ist mir wichtig, etwas zur Debatte beizutragen, zu einer Veränderung zum Positiven zu verhelfen und Teil des gesellschaftspolitischen Diskurses zu sein. Ich möchte weiter publizieren. In all dem möchte ich meine Freiheit bewahren. Ist man Teil eines Unternehmens, kommt das immer mit Limits."
In drei Welten zuhause
Das komplexe Denken wurde Tara Shirvani vom Schicksal in die Wiege gelegt. Ihre Mutter ist Schriftstellerin, ihr Vater Forstwirt, erzählt Tara Shirvani. Beide kamen nach der Islamischen Revolution im Iran 1979 nach Österreich, wo der Vater versuchte, mit einer Doktorarbeit ein neues Kapitel zu beginnen, und später ein eigenes Unternehmen für nachhaltige Forstwirtschaft gründete. "Mein Vater hat mich immer auf seine Dienstreisen mitgenommen, auch zum Bäume Inventieren. Naturwissenschaft hat immer eine große Rolle in unseren Tischgesprächen gespielt", erinnert sich die Austroiranerin.
Viele Ferien verbrachte sie im Iran und nahm 2008 auch ein Forschungsstipendium der National Iranian Oil Company an. Heute lebt sie mit ihrer kleinen Tochter und ihrem Mann abwechselnd in Wien und London. Sie spricht fließend Deutsch, Englisch, Französisch und Farsi und beschreibt Erfolg als einen Marathon. "Was ich von meinen Eltern mitbekommen habe, von ihrem harten Werdegang, war der Leitsatz: Don't take no for an answer. Solange ich der Überzeugung bin, auf dem für mich richtigen Weg zu sein, habe ich eine Art trotzige Ignoranz gegenüber einem Nein von außen. Bis ich selbst beschließe, meinen Kurs zu ändern", sagt Tara Shirvani über ihren Erfolg.
Gefragt nach einem Scheitern auf dem Weg nennt sie als wichtige Erkenntnis aus drei ihrer vier letzten Arbeitsstationen, dass man akzeptieren muss, wenn man nicht zusammenpasst. "Vermutlich, weil ich so eine Freidenkerin bin. Dann ist es wichtig, bei seiner Überzeugung zu bleiben. Dann sind das Erfahrungen, die zwar passieren, aber nicht dich als Person ausmachen."
Dieser Beitrag ist ursprünglich in der News-Printausgabe Nr. 16/2023 erschienen.