Carmen Possnig wurde von der Europäischen Weltraumbehörde als Reserveastronautin ausgewählt. Die österreichische Medizinerin über ihre Kindheitsträume, das Auswahlverfahren und darüber, wie sie ihre Chancen einschätzt, tatsächlich ins Weltall zu fliegen.
Steckbrief Carmen Possnig
Name: Carmen Possnig
Geboren: 1988 in Klagenfurt am Wörthersee
Beruf: Medizinerin
Ausbildung: Medizin-Studium an der Medizinischen Universität Graz
Familienstand: unbekannt
Kinder: keine
Schon als Kind träumte Carmen Possnig davon, das Weltall zu erforschen. Mittlerweile kam die 34-Jährige diesem Traum ein großes Stück näher: Sie setzte sich gegen 22.500 Bewerberinnen und Bewerber durch und ist seit einigen Wochen Reserveastronautin der Europäischen Raumfahrtagentur ESA. Damit hat sie als erste Österreicherin die Chance, ins Weltall zu fliegen.
"Ich hatte diesen Traum immer im Hinterkopf", sagt die gebürtige Klagenfurterin. "Er hat mich auch motiviert zu studieren. Ich habe zwar nicht mein gesamtes Leben danach ausgerichtet, meine Chancen im Bewerbungsverfahren zu erhöhen, aber ich habe mich schon ab und zu gefragt, was mich geeigneter machen würde."
Possnig studierte Medizin. Und wie so oft spielten auch Zufälle eine Rolle. Sie fand in Graz einen Professor, der sich mit Weltraummedizin beschäftigte. Bei ihm schrieb sie ihre Diplomarbeit.
13 Monate in der Antarktis
Ein paar Monate vor Ende der Ausbildung zur Allgemeinmedizinerin fand sie schließlich eine Stellenausschreibung für ein Forschungsprojekt der ESA in der Antarktis. "Forschungs- und Entdeckungsreisen in extremen Umgebungen haben mich schon immer fasziniert. Daher habe ich mich beworben", erinnert sie sich zurück.
Sie wurde ausgewählt. 13 Monate - von November 2017 bis Dezember 2018 - verbrachte sie schließlich in der französisch-italienischen Forschungsstation Concordia in der Antarktis. Die Temperaturen fielen auf bis zu Minus 80 Grad und im Winter war es 24 Stunden täglich dunkel. "Diese Erfahrung hat mich sehr geprägt. Es war eine harte, aber gleichzeitig sehr schöne Zeit", so Possnig. "Auch jetzt erinnere ich mich noch oft an den eindrucksvollen Sternenhimmel während der monatelangen Dunkelheit zurück."
Lesen Sie hier: Carmen Possnig über ihre Zeit in der Antarktis
Mit einigen Menschen, mit denen sie in der Antarktis Monate auf engstem Raum verbrachte, hat sie nach wie vor Kontakt. Ab und zu trifft sie diese sogar: "Es sind sehr enge und gleichzeitig sehr eigene Freundschaften entstanden, weil man einfach alles voneinander weiß."
Sechs Stufen bis zur Zusage
Das sechsstufige Aufnahmeverfahren der Europäischen Raumfahrtagentur ist hart und dauert fast eineinhalb Jahre. Nach dem Aufruf der ESA, dass Astronauten gesucht werden, bewarb sich Possnig zunächst auf der Homepage. Anschließend folgten sechs Phasen mit jeweils einem speziellen Schwerpunkt. "Der erste Schritt waren kognitive Tests, bei denen logisches Denken geprüft wurde, sowie mathematische und physikalische Aufgaben zu lösen waren", so die Reserveastronautin.
Danach lag der Fokus auf Psychologie, um den Charakter der Bewerberinnen und Bewerber, ihre Teamfähigkeit und das Verhalten in Stresssituationen herauszufinden. "Wir mussten im Team Aufgaben lösen", erklärt Possnig, "dabei wurden wir beobachtet."
Südlich vom Ende der Welt: Wo die Nacht vier Monate dauert und ein warmer Tag minus 50 Grad hat – Mein Jahr in der Antarktis Die (Reserve-)Astronautin der ESA erzählt
Wer diese Hürde nahm, musste sich anschließend einem einwöchigen medizinischen Check unterziehen. "Ein Weltraumflug ist für den Körper extrem belastend", weiß die Medizinerin, die sich in ihrer Dissertation an der Universität Innsbruck mit genau dieser Problematik beschäftigt: "Ein Astronaut im Weltall altert aufgrund der Schwerelosigkeit zehnmal so schnell wie auf der Erde. Daher müssen Astronauten im All täglich mindestens zwei Stunden trainieren. Im Zuge meiner Dissertation untersuche ich, wie sich das Herz-Kreislauf-System und der Blutstrom im Gehirn und in den Augen in simulierter Schwerelosigkeit verhalten." Dazu führt sie sogenannte Bettstudien durch: "Die Probanden liegen wochenlang. Das hat einen ähnlichen Effekt auf den Körper wie Schwerelosigkeit."
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Krafttraining, Laufen und Yoga
Den Blinddarm für eine Weltall-Mission vorsorglich entfernen lassen, müsse man sich jedoch nicht, so Possnig: "Das wäre eine Operation am gesunden Menschen und muss daher genau abgewogen werden. Außerdem sind Blinddarmentzündungen oft mit Antibiotika behandelbar."
Die Fitness der Teilnehmer ist ebenfalls ausschlaggebend. Leistungssportler müsse man jedoch nicht sein, weiß Possnig. Sie selbst geht in den Arbeitspausen mit ihren Kolleginnen und Kollegen gerne ins Fitnesscenter, läuft gerne und praktiziert regelmäßig Yoga.
Den Abschluss des Aufnahmeverfahrens bildeten Interviews mit ESA-Mitarbeitern und ESA-Generaldirektor Josef Aschbacher.
Neben Possnig wurden schließlich zehn weitere Reserve-, sowie fünf Karriereastronauten ausgewählt. Letztere erhielten sofort einen Vertrag mit der Europäischen Raumfahrtbehörde und beginnen mit dem intensiven Training. Die Reserveastronauten bleiben vorerst jedoch in ihren Jobs und erhalten geblockte Intensivtrainings. Bei Bedarf rücken sie nach.
Ihre Chancen, tatsächlich ins All zu fliegen, schätzt Possnig als "möglich" ein: "Es tut sich aktuell sehr viel auf diesem Gebiet."
Artemis-Mission und ISS
Die durchgeführten Projekte hängen immer vom Budget, das sich aus den Beiträgen der 22 Mitgliedstaaten der 1975 gegründeten Raumfahrtagentur ergibt, ab. Einer der größten Erfolge der Vergangenheit war die "Rosetta"-Mission im Jahr 2014, deren Ziel die Erforschung des Kometen Tschurjumow-Gerassimenko war. Die letzten Jahre wurde es aber eher ruhig rund um die europäischen Weltall-Ambitionen.
1 Österreicher, nämlich Franz Viehböck, war bisher im Weltall. 1991 verbrachte er sieben Tage und 22 Stunden im All und führte Experimente in der Raumstation Mir durch
22 Mitgliedstaaten umfasst die Europäische Weltraumagentur. Seit 2021 wird sie von Josef Aschbacher und damit zum ersten Mal von einem Österreicher geleitet
Mit der Artemis-Mission der NASA soll nun wieder Schwung in die Weltraumforschung kommen. Die ESA hat sich auf den bemannten Flügen zum Mond drei Plätze für Astronauten gesichert. Das Ziel der Mission: eine Station in der Mondumlaufbahn, den "Lunar Gateway" aufzubauen und wieder Menschen auf den Mond zu bringen. Schließlich liegt die letzte bemannte Mondlandung bereits 50 Jahre zurück. Generaldirektor Aschbacher will auf alle Fälle, dass "noch dieses Jahrzehnt ein europäischer Astronaut den Mond betritt".
Eine weitere Möglich wäre ein Flug zur ISS. Die ESA würde die internationale Raumstation gemeinsam mit der NASA bis zum Jahr 2030 gerne weiterbetreiben.
Startklar ist hingegen bereits ein neuer Mini-Satellit aus Österreich. Er soll im Frühjahr ins Weltraum gebracht werden. Der Satellit "Pretty", der von Forschern der TU Graz entwickelt wurde, wird Teil der weltweiten Wetterbeobachtung und soll helfen, den Klimawandel zu erforschen.
Der Beitrag erschien ursprünglich im News 5/2023.
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