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"Es braucht einen Wandel, wie wir unterrichten"

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Christian Bertsch, Wissenschaftsvermittler am ISTA
©Bild: News/Matt Observe
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Österreichische Schulkinder werden mit Fakten vollgestopft, lernen aber nicht, selbstständig Probleme zu lösen. Christian Bertsch, Wissenschaftsvermittler am ISTA, erklärt, warum das ein Problem ist.

Eine College-Anlage, wie sie im (amerikanischen Filmdreh-)Buch steht: mehrere durch Brücken miteinander verbundene Gebäude rund um einen Park mit Teich, überall trockenes Laub an diesem sonnigen Spätherbstnachmittag. Wenige Menschen zu sehen, es ist kalt. Hier im Institute of Science and Technology Austria (ISTA) im Klosterneuburger Ortsteil Maria Gugging betreiben Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftler aus über 80 Nationen bahnbrechende Grundlagenforschung in den Bereichen Physik, Mathematik, Informatik und Life Sciences. Ein Ort der Exzellenz -aber zugleich ein Ort, der sich selbst nicht genug sein will. Sichtbares Zeichen dafür: Mitten im Campus klafft dieser Tage ein großes Loch im Boden, umgeben von einem Bauzaun. Hier entsteht bis 2025 ein Science Experience Center, das Raum für Begegnungen zwischen den ISTA-Forschern und der interessierten Öffentlichkeit und für Ausstellungen, Workshops, Vorträge und Diskussionsveranstaltungen bieten wird.

Kommunikation mit der Außenwelt findet auch jetzt schon statt. Christian Bertsch, Leiter des ISTA-Wissenschaftsvermittlungsprogramms VISTA, zeigt wie. Auf dem Dach des Parkhauses fetzt er mit einem Tuk-Tuk herum. Cremefarben, auf der Seitenwand des Laderaums prangt das VISTA-Logo. Mit diesem Gefährt will er Wissenschaft und Forschung unters Volk bringen. Ganz buchstäblich: Forscherinnen und Forscher fahren damit in Parks oder zu Feuerwehrfesten und versuchen dort, Verständnis für wissenschaftliches Arbeit zu schaffen.

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Problemlösungskompetenz

Denn das sei dringend notwendig, erklärt Bertsch später im Interview bei Kaffee und Schokolade. "Im naturwissenschaftlichen und mathematischen Unterricht in Österreich geht es sehr stark darum, dass die Schülerinnen und Schüler lernen, Faktenwissen wiederzugeben. Aber sie lernen zu wenig, auf Basis von Daten selbst Probleme zu lösen. Genau das ist es aber, was sie in Zukunft brauchen werden, das sind die sogenannten 21st Century oder Future Skills. Es braucht einen Wandel, wie wir unterrichten. Wir dürfen nicht immer nur Ergebnisse vermitteln, sondern müssen die Problemlösungskompetenz in den Mittelpunkt stellen."

Auch internationale Schulvergleichsstudien wie der PISA-Test belegen regelmäßig, dass österreichische Kinder zwar viel wissen, das Verständnis für dahinter liegende Prozesse aber zu wenig ausgeprägt ist. Ein Befund, der auch deswegen problematisch ist, meint Christian Bertsch, weil dadurch das Vertrauen in die Wissenschaft geschwächt wird. "Die Menschen verstehen zu wenig, wie Wissenschaft zu ihren Ergebnissen kommt. In der Schule weiß die Lehrerin oder der Lehrer am Ende immer genau, was die richtige Antwort ist. Aber das ist in der Wissenschaft nicht so. Was zum Beispiel hier am Institut passiert, ist so an der Forefront von Wissenschaft, dass man es einfach nicht genau wissen kann. Wissenschaft ist ein Versuch, sich der Wahrheit auf Basis von verfügbaren Daten anzunähern, aber es ist nicht ein Abbild der Wirklichkeit. Wir wollen auch vermitteln, dass es Grenzen von Wissenschaft gibt. Ein informiertes Vertrauen in die Wissenschaft ist wichtig."

Am Beispiel der Coronapandemie, sagt Bertsch, ließen sich diese Mechanismen gut beobachten. Bei vielen Menschen sei - unter tatkräftiger Mithilfe der Politik - der Eindruck entstanden, dass das Problem mit der Impfung gelöst sei. Wissenschaftler hätten aber genau gewusst, dass das Virus sich anpassen und weitere Forschung notwendig sein werde. "Die Impfung hat ein großes Problem gelöst, aber die Wissenschaft hat nie behauptet, dass die Pandemie dadurch sofort beendet ist. Das heißt, man kann auch ein zu positives Bild von Wissenschaft haben, eine vielleicht naive Wissenschaftsgläubigkeit. Das wollen wir auch nicht. Wir wollen ein informiertes Verständnis dafür erzeugen, wie Wissenschaft funktioniert und wo die Unsicherheiten liegen, damit man mit diesen Unsicherheiten umgehen kann. Und auf Basis dieses informierten Verständnisses wollen wir das Vertrauen in die Wissenschaft fördern."

Echtes Verständnis für Wissenschaft

Das Wissenschaftsvermittlungsprogramm VISTA richtet sich an Kinder und Erwachsene und bietet Workhops am Campus in Klosterneuburg, mobile Wissenschaftsvermittlung mit dem VISTA-Tuk-Tuk sowie Online-Content an. Am 21. Dezember wird zum Beispiel eine "Christmas Science Show" in die Klassenzimmer gestreamt. Dabei gehe es auch immer darum, echtes Verständnis für Wissenschaft zu wecken, sagt Bertsch, und es den Kindern nicht zu leicht zu machen. "Es gibt Science-Center, wo man auf irgendwelche Knöpfe drückt, dann passiert etwas und man geht weiter zum nächsten Exponat. Das ist sehr stark Hands-on und kann natürlich Spaß machen. Aber wenn Hands-on nicht auch mit Minds-on verbunden wird, wenn das, was ich mache, nicht auch Denkprozesse auslöst, habe ich eine Riesenchance vertan. Erst wenn sich auch im Kopf etwas tut, findet Lernen statt."

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VISTA-TUK-TUK. Mit dem Tuk-Tuk fahren Forscherinnen und Forscher in den Park oder zum Feuerwehrfest, um niedrigschwellig und volksnah Wissenschaftsverständnis zu vermitteln © News/Matt Observe

Schon Volksschüler seien in der Lage, gewisse Grundsätze wissenschaftlichen Arbeitens zu verstehen. "Unser erstes Ziel ist es, stereotype Bilder von Wissenschaft zu hinterfragen. Wenn man Kindern sagt, zeichne einen Wissenschaftler, dann ist es oft dieser verrückte Professor mit Chemikalien im Labor. Tatsächlich ist Wissenschaft aber ein sehr kreatives Feld, in dem viele junge Menschen arbeiten, Frauen und Männer. Auch dass Wissenschaft nicht in Ja oder Nein, Schwarz oder Weiß denkt, können Kinder bereits verstehen. Und dass man nicht einfach irgendwie herumexperimentiert, sondern dass Wissenschaft mit klaren Methoden arbeitet."

Um Wissenschaft zu vermitteln, gebe es verschiedene Hebel, sagt Christian Bertsch, "und der größte ist natürlich die Aus-und Weiterbildung der Lehrer:innen. Wir können hier vielleicht hundert oder tausend Kindern Workshops anbieten. Aber wenn ich hundert oder tausend Lehrerinnen und Lehrer mit Materialien unterstütze, die sie in ihrem Unterricht verwenden können, erreiche ich plötzlich 100.000 Schülerinnen und Schüler." Dass Schule der wichtigste Ort ist, um Wissenschaftsverständnis zu fördern und junge Menschen in MINT-Berufe zu bringen, sei übrigens auch durch eine Umfrage belegt, die im ISTA durchgeführt wurde: "Wir haben unsere Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftler befragt, was sie in die Wissenschaft gebracht hat. Die Antwort, die am häufigsten gekommen ist: Es hat eine bestimmte Lehrperson gegeben, die mich unterstützt und an mich geglaubt hat. Es sind also nicht die Eltern oder irgendwelche außerschulischen Erlebnisse, es sind oft die Lehrpersonen, die Menschen in die Wissenschaft bringen. Wenn so viele Forscher hier am Campus das sagen -und das sind wirklich die besten der Welt -, dann weiß ich, wo die Hebel sind."

Dieser Beitrag ist ursprünglich in der News-Printausgabe Nr. 50/2023 erschienen.

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