Was ist los in Wien? Die angeblich bestverwaltete Stadt macht Schlagzeilen, weil ihr Energieversorger finanzielle Probleme in Milliardenhöhe hat.
Wir befinden uns in herausfordernden Zeiten. Die Energiewirtschaft war noch nie so gefordert wie in den letzten Wochen. Ich habe schon im März begonnen, klarzustellen, dass es wichtig wäre, Hilfsleistungen für die Energiewirtschaft aufzulegen. Einen Schutzschirm aufzuspannen für Börsengeschäfte, die auf dem Energiemarkt zu tätigen sind. Die sind nichts Anrüchiges, der Markt funktioniert nun einmal so. Als Börsenteilnehmer hat man Sicherstellungen zu geben. Das ist kein verlorenes Geld. Nach Abarbeitung des Geschäfts wird es wieder zurückkommen.
Sicherstellungen können im Extremfall auch verloren gehen. Sonst bräuchte man sie nicht.
Wenn ein Unternehmen in absoluter Schieflage wäre, könnte das passieren. Daher ist es ja so wichtig, dass Liquidität zur Verfügung steht. Die hat in den letzten Jahren auch immer ausgereicht. Wir haben aber jetzt einen Markt, der extreme Verzerrungen aufweist. Das hat nichts mehr mit der üblichen Geschäftstätigkeit zu tun, es gibt an einzelnen Handelstagen exorbitante Ausschläge. Letzten Freitag hat es eine Erhöhung des Preises für eine Megawattstunde Strom von 700 auf 1.100 Euro gegeben, ein Wert der noch nie gesehen wurde. Das hat dazu geführt, dass auch die Sicherungsleistungen in die Höhe gefahren sind und am Montag 1,75 Milliarden Euro fällig waren. Da war uns klar, dass die Forderung nach einem Schutzschirm unbedingte Priorität hat, und wir sind an die Bundesregierung herangetreten, um zusätzliche Liquidität zu bekommen. Man hat sich nun geeinigt, dass ein Kredit von zwei Milliarden Euro zur Verfügung gestellt wird.
Ganz so einfach, wie Sie es erzählen, kann es nicht gewesen sein: Die Stadt Wien musste ja schon im Sommer zweimal 700 Millionen Euro für die Wien Energie zur Verfügung stellen.
Das ist richtig.
Auch interessant:
Es gibt massive Kritik, dass das ohne Information des Koalitionspartners und der Opposition in Wien passiert ist. Was ist das für ein politischer Stil, wenn der Bürgermeister solche Beträge - quasi in Gutsherrenart - freigibt?
Es gibt keine Gutsherrenart. Es gibt einen Schutzschirm, den wir in Wien gemacht haben. Wir haben für einen Markt, der damals noch nicht ganz so extrem war, eine Kreditlinie eingeräumt. Einmal Mitte Juli 700 Millionen und zuletzt vergangenen Montag noch einmal 700 Millionen. Das ist kein geschenktes Geld, sondern muss zurückgezahlt werden. Das wurde laut Stadtverfassung völlig korrekt über die Notkompetenz des Bürgermeisters abgearbeitet. Das wird, wie vorgeschrieben, in der nächsten Sitzung Mitte September thematisiert. Eine andere Möglichkeit gibt es nicht. Dann erfolgt auch die weitere Beschlussfassung im Gemeinderat.
Vizebürgermeister Christoph Wiederkehr von den Neos sieht das offenbar nicht so pragmatisch. Es scheint, dass Ihr Koalitionspartner ziemlich sauer ist.
Man sollte schon Verständnis haben, dass die Wien Energie dem Wettbewerb auf dem Markt ausgesetzt ist, dass hier eben sehr schnell zu handeln war und wir unsere Verantwortung gegenüber dem Unternehmen wahrgenommen haben. Aber natürlich kann man im Krisenmanagement Dinge immer auch besser machen.
Wie schief hängt der Haussegen in der Regierung?
Ich denke, dass wir eine sehr gute Kooperation haben, und gehe davon aus, dass sich die Wogen auch wieder glätten werden.
Noch letzte Woche haben alle Energieversorger Österreichs bei einem brancheninternen Rundruf gesagt, es gebe keinen unmittelbaren Bedarf für einen Schutzschirm. Tage später muss die Stadt Wien ins Bundeskanzleramt pilgern und sagen: "Wir brauchen leider bis zu sechs Milliarden Euro." Da fragt man sich, ob Ihr Unternehmen sein Risikomanagement im Griff hat.
Wir haben gewusst, dass wir in einem steigenden Markt sind, und haben angenommen, dass wir mit unseren eigenen Kreditlinien das Auslangen finden. Die Entwicklung letzten Freitag war eine Einmaligkeit. Die erfreuliche Nachricht ist, dass wir an den letzten zwei Handelstagen Gutschriften von 800 und 500 Millionen Euro bekommen haben.
Aber Sie können nicht ausschließen, dass die Preise in ein paar Tagen wieder explodieren.
Das kann ich nicht ausschließen. Daher ja auch der Appell an die Bundesregierung, einen österreichweiten Schutzschirm zu spannen. Deutschland, die Schweiz, Frankreich und andere europäische Länder machen uns das vor. Das Thema ist ernst. Für den 9. September hat EU-Kommissionspräsidentin Ursula von der Leyen einen Sondergipfel einberufen, wo die Themen Merit-Order, das Trennen von Strom-und Gaspreis, aber auch der Energiepreisdeckel auf der Tagesordnung stehen müssen. Mir ist es wichtig, dass mit so einem Thema nicht politisches Kleingeld gewechselt wird. Es geht um Versorgungssicherheit für unsere Kunden, die gibt es nur, wenn wir weiter an der Börse teilnehmen können und gesicherte Liquidität haben.
Warum macht ein Unternehmen, das für Daseinsvorsorge zuständig ist, überhaupt Geschäfte an der Börse und agiert nicht konservativer?
Das muss ich leider korrigieren. Geschäfte an der Börse sind absolute Normalität. So passiert Energiehandel österreichweit und europaweit. Das ist in allen anderen Ländern auch so. Nachdem es in Wien, im Gegensatz zu Westösterreich, keine Wasserkraftwerke gibt, sind wir darauf angewiesen, Strom einzukaufen. Die einzige Möglichkeit dazu ist über die Börsen.
Nicht über einen direkten Handelspartner?
Das ist nur in einem minimalen Bereich möglich. Rund 90 Prozent werden über Futures an den Börsen abgewickelt. Das Sicherungsgeld, das dabei hinterlegt werden muss, gewährleistet für Käufer und Verkäufer ein sicheres Geschäft. Das ist seit vielen Jahren einfach die Normalität in der Energiewirtschaft.
Es steht im Raum, dass die Wien Energie über Termingeschäfte dreimal so viel Strom verkauft hat, wie sie überhaupt produziert.
Das ist unrichtig. Die kolportierten 18 Terawattstunden sind falsch. Aktuell sind 4,67 Terawattstunden bis Ende 2024 verkauft. Das entspricht für die nächsten zwei Jahre nicht einmal einer Jahresproduktion.
Wie dramatisch war die Situation für das Unternehmen nun am Wochenende? Wenn man freiwillig zum größten politischen Konkurrenten, dem ÖVP-Finanzministerium, geht und um Milliarden bittet, muss man ziemlich mit dem Rücken zur Wand stehen.
Bis Montag konnten wir die Zahlungen selber stemmen, aber die Frage war: Was passiert noch im Laufe der Woche? Das war nicht absehbar, dass es eine Gegenbewegung am Markt gibt und wir wieder Geld vom Markt bekommen. Deshalb haben wir diesen Schritt gemacht. Man sieht aber leider, dass wir hier nicht nur in der Sache unterstützt werden, sondern politisch einmal mehr gegen Wien Stimmung gemacht wird. Das halte ich für sehr bedenklich in dieser Situation.
Wäre es klüger gewesen, an den Gesprächen mit der Bundesregierung am Sonntag selbst teilzunehmen? Immerhin wollten Sie etwas ...
Das war ein Expertengespräch von über 40 Teilnehmern, wo es darum gegangen ist, die allgemeine Situation zu besprechen. Wenn es dann bilaterale Abstimmungen gibt, ist es klar, dass sich die politisch Handelnden gegenübersitzen. Da war ich auch dabei. Dabei haben wir auch die Einigung über eine Kreditlinie von zwei Milliarden Euro erzielt.
Sie tun gerade etwas, das die Wiener SPÖ gerne tut: sich über ein "Wien-Bashing" beschweren. Ist das gerechtfertigt, wenn man sich selbst in diese Situation gebracht hat?
Wir haben uns nicht in diese Situation gebracht, der verrückte Markt hat uns dorthin geführt. Eigentlich sollten die Energieversorgung und die Versorgungssicherheit ein gemeinsames Interesse aller in Österreich sein. Ich darf darauf hinweisen, dass Wien mit dem größten kalorischen Kraftwerk im Land viel für die Netzsicherheit in Österreich tut. Sich über solche Themen politisch profilieren zu wollen, ist mir unverständlich. Müssen wir zur Kenntnis nehmen. Ich halte es für wirklich problematisch, wie der zuständige Minister hier agiert.
Sie meinen, der Finanzminister hat Sie politisch ausrutschen lassen?
Er hat die Situation für andere politische Ziele genutzt, die er möglicherweise verfolgt.
Burgenlands Landeshauptmann Hans Peter Doskozil hat in einem Interview mit News gesagt, ein Energieversorger komme nicht in diese Notlage, wenn er selbst genug Strom produziere. Wurden da - vor Jahren - die Weichen falsch gestellt?
Alternativenergien, um die es hier geht, haben sich erst in den letzten Jahren sprunghaft entwickelt. Daher sollte man die Kirche im Dorf lassen. Das Burgenland hat das gut gemanagt, hat Windparks gebaut. Das ist ein Flächenthema. Wir haben in Wien den geringsten CO2-Fußabdruck aller Bundesländer und versuchen, mit Milliarden in die Erneuerbaren laufend einzuzahlen. Das gelingt uns auch. Aber historisch hat Wien eine hohe Gaskomponente und die Kraftwerke sowie die Fernwärme hängen am Gas. Später weiß man immer vieles besser. Wien und die Netzstabilität hier haben sich sehr gut entwickelt in den letzten Jahren.
Was wissen Sie besser nach diesen turbulenten letzten Wochen? Was kann und muss Wien besser machen?
Ich glaube, man kann im Krisenmanagement nachbessern. Das nehmen wir sehr ernst. Aber ich muss auch sagen, die letzten Wochen werden auch mittelfristig Auswirkungen auf das Zusammenleben zwischen Bund und Wien haben, denn Vertrauen ist nur dann gegeben, wenn sich alle an die Spielregeln halten. Politisch ist das, was hier geschehen ist, kein gutes Zeichen.
Obwohl der Bund gerade einen Kredit von zwei Milliarden für Wien lockergemacht hat, beklagen Sie sich über einen Vertrauensverlust?
Sollten wir das Geld brauchen, zahlen wir es auch zu 100 Prozent zurück. Wir haben in diesen Vertrag hineinreklamiert - das ist mir wichtig -, dass wir alle Geschäfte rückwirkend bis zum 1. Jänner 2020 offenlegen, um genau das klarzumachen: Es gibt bei der Wien Energie keine Leerverkäufe, keine Spekulationen, hier wird sauber gewirtschaftet. Und was wollte der Finanzminister? Einen Aufsichtsposten in der Wien Energie.
Man hätte gedacht, das Vertrauensverhältnis zwischen Bund und Wien war schon vor dieser Krise auf dem Nullpunkt.
Nein. Ich bin eigentlich bekannt dafür, dass ich gerne als Verbindungsmann zur Verfügung stehe. Aber die Ereignisse der letzten Tage finde ich doch mehr als verwunderlich.
Wie sehr werden die Turbulenzen im roten Wien der Bundes-SPÖ und ihren Umfragewerten schaden?
Ich glaube nicht, dass es schadet, weil ja die Energiewirtschaft nicht nur in Wien gefordert ist, sondern europaweit. Und gerade unsere Parteivorsitzende hat ja immer wieder Schutzmaßnahmen eingefordert, von denen bis heute noch nichts umgesetzt ist.
Dieser Beitrag ist ursprünglich in der News-Printausgabe Nr. 35/2022 erschienen.