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Die Normaldenker und unsere Leut'

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Medien & Menschen - Die Normaldenker und unsere Leut
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Nach der FP setzt auch die VP auf Polarisierung und Journalisten-Schelte. Doch in Goethes "Zauberlehrling" heißt es: "Die ich rief, die Geister werd ich nun nicht los." Wer die Kontrolle der Demokratie erschüttert, kann unter die Räder ihrer Feinde kommen

Als die Mehrheit noch absolut war, zog Bernhard Ebner ein demokratiepolitisch beruhigendes Fazit: "Im Miteinander ist für Niederösterreich in den letzten fünf Jahren mehr weitergegangen." Sechs Monate später beendet Johanna Mikl-Leitner diese Bemühung um Gemeinsamkeit und wirbt um "die große Mehrheit der Normaldenkenden". Doch Landeshauptfrau und Parteigeschäftsführer bleiben sich einig. Also erklärt Ebner postwendend, dass der "Falter" und sein Chefredakteur Florian Klenk "nicht mehr mit Qualitätsjournalismus in Verbindung gebracht werden" könnten. Deutlicher lässt sich die Kehrtwendung der Strategien vom "nicht einmal ignorieren" zum "harte Kante zeigen" kaum vollziehen. Dass ein mehrfacher "Journalist des Jahres" das erste Ziel einer solchen Attacke wird, ist auch kein Zufall. Diese Polarisierung hat System. Niederösterreich ist eine kleine ÖVP-Welt, in der die größere ihre Probe hält. Die Koalition dort mit der FPÖ fungiert als Testlauf zur Nationalratswahl 2024 - wie jene in Oberösterreich und Salzburg. 43 Prozent der Wahlberechtigten leben schon in schwarz-blau regierten Ländern. Sie bilden die Startrampe zum Run auf "die große Mehrheit der Normaldenkenden".

Dabei stellt sich immer mehr die Frage, wie viel Überschneidungsmenge diese Majorität mit "unseren Leuten" hat, die Andreas Babler anspricht, obwohl - oder weil? - die FPÖ seit Jahrzehnten eine solche Vereinnahmung plakatiert. Auch der neue Vorsitzende der Sozialdemokratie setzt auf Abgrenzung als Erfolgsrezept, statt die weitgehende Integration einer wahren Volkspartei zu betreiben. Der Kreisky-Kurs von "ein Stück des Weges gemeinsam gehen" bleibt als Relikt in der Mottenkiste. Zumindest bis zu allfälligen Koalitionsverhandlungen, für die er dann als Ausrede dienen könnte. Doch vorerst stehen alle Zeichen auf Konfrontation, sogar innerhalb der Regierung. Wer die Kommunikation einer Spitzenexponentin der Partnerpartei als "präfaschistoid" bezeichnet, wie Vizekanzler Werner Kogler über Mikl-Leitner urteilte, hat vielleicht nicht mehr viel zu verlieren, spielt aber mit bei der großen Polarisierung, der einzig die NEOS sich noch verweigern. Aber vielleicht gerade deshalb stagnieren.

Denn das Konzept ist gleichermaßen bewährt wie verheerend. Das zeigt ein Blick in die USA, dem Mutterland moderner Wahlkampagnen. Innerhalb von 20 Jahren wurde die Überschneidungsmenge von demokratischen und republikanischen Wählern halbiert. Während einst die Mehrheit Respekt vor den Andersdenkenden hatte, gilt die jeweils gegnerische Partei nun einem Großteil als Bedrohung des nationalen Wohlergehens. Die wichtigsten Instrumente für diese Strategie der Polarisierung sind Zeitung, Radio und Fernsehen - und seit 15 Jahren ihre Stiefgeschwister Social Media.

Als 2016 Donald Trump gewählt wurde, war das Vertrauen der Amerikaner in Massenmedien auf dem Tiefpunkt - von 1976 noch drei Viertel auf 2016 nur noch ein Drittel. Doch es hatte sich auch geteilt wie nie zuvor. Bei den Anhängern der Demokraten liegt es seitdem stabil über 70 Prozent, bei jenen der Republikaner vertraut nur noch jeder Siebte den herkömmlichen Massenmedien. Doch auch ihre führenden Titel profitieren von Polarisierung. "New York Times" (NYT) und "Washington Post" (WP) verzeichnen (Digital)Abo-Rekorde. CNN geht es so glänzend wie auf der Gegenseite Fox News.

Um Missverständnissen vorzubeugen: NYT und WP stehen für Qualitätsjournalismus, sind aber genau deshalb Feindbilder für viele Republikaner, die sich mit ihren Ansichten dort nicht vertreten fühlen. Vorausgegangen ist eine jahrelange rechtspopulistische Kampagne kontra das Medien-Establishment, die durchaus vergleichbar mit der Vernaderung als Lügenpresse und Staatsfunk hierzulande ist. Deshalb muss Ebners Angriff auf Klenk, eine Attacke der ÖVP auf den "Falter", unter dem Aspekt "Wehret den Anfängen!" entgegnet werden. Bisher wagte nur die FPÖ solche Grenzüberschreitungen gegenüber der gesellschaftlichen Funktion von Journalisten. Für sie muss diese Affäre aber auch ein Signal sein, den Sprung zum Aktivismus als größte Absturzgefahr zu begreifen. Persönlich wie für die Branche.

Für die ÖVP kann sich ihre Polarisierung kurzfristig lohnen. Das war auch bei den Republikanern so. Immerhin wurde Trump Präsident. Doch für den Zustand der "Grand Old Party" war die Methode so verheerend wie für die Demokratie in den USA. Nun hat Österreich zwar kein Zwei-Parteien-System, aber zwei große Parteien auf Normaldenker-Kurs sind ebenso eine zu viel wie zwei große Parteien "für unsere Leut'". Das ist zwar noch nicht präfaschistoid, bedeutet jedoch einen Abschied vom staatstragenden Selbstverständnis. Derart im Stich gelassen zu werden, hält der Staat, wie wir ihn kennen, nicht aus. Wer die FPÖ schlagen will, muss glaubhaft anders agieren und sein als sie.

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