Die alte Redewendung "Den Bock zum Gärtner machen" bedeutet, dass jemand eine Funktion erhält, für die er ungeeignet ist und in der er das Gegenteil dessen bewirkt, was er erreichen soll. Aktuelles Beispiel: Die FPÖ entsendet Peter Westenthaler in den Stiftungsrat des ORF. Das ist jener mittlerweile 56-Jährige, der bereits vor einem Vierteljahrhundert als Kurator des Unternehmens vor allem für seine parteilichen Interventionen in die Berichterstattung berüchtigt war. Mittlerweile verdingt er sich als politischer Kommentator im laut seinen Angaben zuseherstärksten Format des Boulevard-Kanals oe24.
Wer in einem Arbeitsverhältnis zu einem sonstigen Medienunternehmen steht, darf laut Gesetz nicht ORF-Stiftungsrat werden. Doch Westenthaler ist bei dem schrillen Sender nicht angestellt, in dem er prompt angekündigt hat, von Sitzungen des öffentlich-rechtlichen Gremiums zu berichten. Das aber widerspricht der Geschäftsordnung zur "Verschwiegenheit über Geschäfts- und Betriebsgeheimnisse sowie über sonstige vertrauliche Angaben und Mitteilungen". Zudem dürfen die Mitglieder "bei ihren Entscheidungen keine eigenen Interessen oder die ihnen nahestehender Personen oder nahestehender Unternehmen verfolgen, die im Widerspruch zu den Interessen" des ORF stehen.
Dessen politische Information hat Westenthaler aber in ersten Interviews für "Kurier" und "Standard" als "Propagandamaschinerie" eingestuft und "parteipolitische Agitation" beklagt. Der Redaktionsrat unter Dieter Bornemann weist die "haltlosen Unterstellungen entschieden zurück und erinnert" ihn, dass er als "Stiftungsrat gemäß ORF-Gesetz ausschließlich im Interesse des Unternehmens zu agieren hat" und nicht im "Auftrag der ihn entsendenden politischen Partei". Diese Gedächtnisstütze benötigt aber nicht nur der neu nominierte FPÖ-Vertreter. Der Vorrang des Medienhauses gegenüber dem parteilichen Absender ist auch bei Thomas Zach (ÖVP), Heinz Lederer (SPÖ), Lothar Lockl (Grüne) und Anita Zielina (Neos) nicht immer zweifelsfrei erkennbar, auch wenn sie weniger brachial auftreten.
Westenthaler hat aber noch vor seiner Bestellung gegen eine weitere Passage der Geschäftsordnung verstoßen: "Mitglieder des Stiftungsrats haben im Kontakt mit der Öffentlichkeit und den Medien darauf zu achten, dass Nachteile für das Ansehen des ORF und seine wirtschaftlichen Interessen vermieden werden." Diese Ansehensschädigung ist durch die öffentliche Attacke auf den aktuellen Dienst und insbesondere seine Galionsfigur Armin Wolf unbestreitbar geschehen.
Während Westenthaler damit rechnet, dass ihn der Ministerrat am Mittwoch (dem digitalen Erscheinungstermin dieser Kolumne) durchwinkt, hätte die türkisgrüne Koalition also durchaus Argumente, um ihn nicht zu bestellen. Rundfunkrechtler Hans Peter Lehofer betont, "dass die vorgeschlagene Person nicht schon mit dem Vorschlag Stiftungsratsmitglied ist, sondern erst nach dem Beschluss der Bundesregierung (die zuvor auch prüfen muss, ob Ausschlussgründe vorliegen)."
Direkte Verknüpfungen des Falls Westenthaler mit der vom Verfassungsgerichtshof beanstandeten Struktur des Stiftungsrats sind falsch: Die Bestellung auf Vorschlag der politischen Parteien ist nicht verfassungswidrig. Die Causa erinnert aber an Versäumnisse. Eine interne Unterlassung kann nur vermutet werden. In der Geschäftsordnung heißt es auch: "Geraten Mitglieder des Stiftungsrats in Interessenkonflikte, so haben sie diese unverzüglich dem Vorsitzenden des Stiftungsrats offenzulegen." Die Länge dieser Liste wäre spannend, Lockl hält sich aber an die Wahrung von Betriebsgeheimnissen. Ob folgende bekannte Passage aus dem ORF-Gesetz von allen eingehalten wird, möge hingegen das Publikum beurteilen: "Die Mitglieder des Stiftungsrats haben dieselbe Sorgfaltspflicht und Verantwortlichkeit wie Aufsichtsratsmitglieder einer Aktiengesellschaft."
Nun hat zwar die Praxis von Aufsichtsratsräten infolge von Signa und René Benko kaum an Ansehen gewonnen, doch das Erkenntnis des Verfassungsgerichtshofs zwingt zu einer Gesetzesnovelle für die ORF-Aufsichtsgremien bis April 2025. Spätestens die Nominierung von Westenthaler zeigt, wie sehr Medienministerin Susanne Raab irrt, wenn sie dabei keine Eile zeigt. Denn was diese Regierung nicht mehr schafft, könnte gegenüber der nächsten von der FPÖ leichter verhindert werden - falls sie ihr nicht ohnehin angehört. Wenn Raab die üble Nachrede von "Die Geiß zur Gärtnerin machen" noch verhindern will, muss sie rasch etwas tun - gegen Westenthaler und für eine Gesetzesreparatur.