Nicht nur bei Immobilien geht der Trend zur Miete. Vom Smartphone über das E-Bike bis zur Baumaschine: Mieten soll günstiger und bequemer sein als Kaufen. Doch diese Entwicklung wirft Fragen auf.
Grüne Welle voraus: Plötzlich wollen alle mit dem Rad fahren, und es sollte schon ein ordentliches Modell sein. Da kommt das Angebot von Lease a Bike gerade recht. Das nennt sich Dienstradleasing und beschreibt das Mieten eines Fahrrads für Mitarbeiter von Unternehmen. Diese können dadurch steuerliche Vorteile einfahren, Arbeitnehmer freuen sich über eine günstige Möglichkeit, ein modernes Sportgerät nutzen zu können. "Das Rad wird vor allem als Incentive genutzt", sagt Donna Galle, Chefin von Lease a Bike Österreich. Tatsächlich wird das Dienstrad vorwiegend privat genutzt; daher dominieren geländegängige E-Bikes in der Preiskategorie ab 4.000 Euro aufwärts. Die Nachfrage ist groß, das Potenzial größer, berichtet Galle. "Am Ende der Laufzeit kann das Rad gekauft oder zurückgegeben werden."
Finanzielle Belastung
Mieten statt kaufen: Der Trend zieht sich längst quer durch alle Bereiche der Wirtschaft und des täglichen Lebens. Sportausrüstung wird heute ebenso gemietet wie Baumaschinen, Unterhaltungselektronik, Mode, Taschen und vieles mehr. Überall sprießen entsprechende Angebote, die niedrige Monatszahlungen den hohen Anschaffungskosten gegenüberstellen. Auch unzählige Startups werden inzwischen von dem Geschäftsmodell angelockt. Angesichts der finanziellen Belastung vieler Privathaushalte - Stichworte Inflation und Energiepreise - ist es momentan ausgesprochen verlockend, gewünschte Waren nicht selbst zu kaufen, sondern für deren Nutzung zu zahlen. Und später müht man sich nicht mit Verkauf oder Verschrottung, sondern gibt das Benutzte einfach zurück. Die steigenden Zinsen und zunehmende Zurückhaltung der Banken bei der Vergabe von Krediten tragen das Übrige dazu bei, dass dieses Mieten im Trend liegt.
ABOMODELL
SITZHEIZUNG. Wer im Auto kuschelig und warm sitzen möchte, könnte einfach die idealerweise eingebaute Sitzheizung aufdrehen. Außer, es handelt sich um ein Auto der Marke BMW - dann wird man in Zukunft dafür ein Abo abschließen müssen. Dieser deutsche Hersteller will die Heizung für die Frontsitze nämlich nur noch dann einschalten, wenn dafür ein entsprechendes Abo abgeschlossen wird. Ob Käufern angesichts dieses Geschäftsmodells warm ums Herz wird, ist fraglich. Sicher ist hingegen, dass solche Upgrade-Möglichkeiten eine Chance sind, laufend Einnahmen zu lukrieren. Wobei Hacker bereits angekündigt haben, gegen vergleichsweise geringe Entgelte den freien Zugang zur Sitzheizung bei Bedarf gerne inoffiziell freizulegen.
NUTZEN STATT KAUFEN
UPDATE-ZWANG. Fehlende Reparaturmöglichkeiten und kurze Produktlebensdauer sind zwei Gründe, weshalb die Masse an Elektroschrott weltweit enorm wächst. Kommt beispielsweise ein neues Smartphone der begehrten Marke auf den Markt, landet das alte Handy im Müll oder liegt ungenutzt im Schrank. Abo-Angebote könnten die Nutzungsintensivität steigern, was wiederum positive Effekte auf die Umwelt hätte.
Inzwischen ziehen sich Miet-und Abo-Angebote quer durch alle Wirtschaftsbereiche:
• In Österreich wird jedes zweite neue Auto mit Leasing finanziert. Es bleibt dadurch im Besitz des Leasinggebers und wird nur genutzt. Und Leasen bzw. Mieten wird wachsen. So hat Autohändler Lietz mit der Marke Checkdrive eine Mobilitätsplattform gegründet, über die nicht nur Autos, sondern auch Motorräder und E-Bikes gemietet werden können -eine Idee, die beispielhaft ist.
• In Deutschland sorgt das Start-up Ownr für Unruhe am Immobilienmarkt: Es kauft Häuser und verleast diese an Kunden. Das sei ein interessantes Modell als Alternative zur typischen Fremdkapitalfinanzierung durch die Banken, meint Immobilienexpertin Sandra Bauernfeind. "Allerdings wird dieses Unternehmen sicher nur jene Immobilien kaufen, die im Falle eines Zahlungsausfalls des Nutzers auch anderweitig gut vermarktbar sind." In Zukunft werde es mehr innovative Systeme der Objektfinanzierung wie dieses brauchen.
• Auch Baumaschinen und -geräte wie Bohrer oder Presslufthammer können heute von Firmen und Privatpersonen gemietet werden.
• Ebenso sind Photovoltaikanlagen inzwischen über Mietvarianten verfügbar; Anbieter sind in den meisten Fällen Energieversorger, die damit Kunden langfristig an sich binden.
• Auch Kleidung und Accessoires wie Handtaschen können gemietet werden: Nach wenigen Wochen wird das Getragene einfach retourniert, um ein neues Stück zu erhalten. Speziell in dieser Sparte sind in den vergangenen Wochen unzählige neue Anbieter aufgetreten, etwa das Hamburger Start-up Unown oder WeDress Collective aus Wien.
Noch wenig bekannt sind Abo-Modelle für Möbel - eine Variante, die in den USA gerade an Popularität gewinnt. In Europa wird diese Variante bisher vorwiegend für Events oder zur Ausstattung von Firmenräumen genutzt, könnte aber auch für Privathaushalte interessant werden.
Sport im Abo
Ein großer Bereich für Miet- und Aboangebote ist der Sport. Im Winter ist das längst selbstverständlich: In Skigebieten sind heute mehr Sportler mit gemieteter Ausrüstung unterwegs als mit gekaufter. 60 Prozent der in Österreich verkauften Ski gehen in den Verleih, berichtet Michael Nendwich, Obmann der Sportartikelhandelbranche in der Wirtschaftskammer.
"Dieser Trend wird nun auch bei Fahrrädern und speziell bei E-Bikes ebenfalls stärker." Kein Wunder: Gerade Räder mit elektrischem Antrieb sind teuer, und viele Radler wollen zunächst ein Gefühl für das Fahren mit Akku bekommen. Die Sportartikelhändler verleihen die Räder entweder selbst oder verkaufen sie unter anderem an Hotels, die diese dann ihren Gästen zur Verfügung stellen. Damit macht der Handel auch mit der Wartung der Ausrüstung noch über einen längeren Zeitraum ein Geschäft - das ist typisch für das Mietgeschäft.
Die vergangenen Monate waren für die Sportartikelhändler insgesamt nicht rosig, sagt Nendwich. Inflation und steigende Energiekosten dämpfen Kaufwillen und Kaufabschlüsse weiter. Vor diesem Hintergrund könnte sich der Trend zum Mieten statt zum Kaufen verstärken, meint er. Für das Mieten von Rädern gibt es neben der erwähnten Lease a Bike, die auf Diensträder spezialisiert ist, weitere Anbieter wie Bike Gorillaz und Eddi Bike - und es werden ständig mehr.
Kreislaufwirtschaft wächst
Was bedeutet diese Loslösung vom Eigentum für die Wirtschaft? Dieser Trend habe tiefgreifende Auswirkungen, meint Christian Reiner, Professor für Ökonomie und Statistik der Lauder Business School in Wien.
"In der linearen Ökonomie gibt es einen Fokus auf billige Produktion, dieser wird verloren gehen." Es werde mehr in Richtung der Erhaltung hochwertiger Assets getan, es komme zu einer Verschiebung von Produktionstätigkeiten zu Reparatur- und Erhaltungstätigkeiten. "Die klassische Fabrik wird an Bedeutung verlieren, es geht um Aspekte wie Wiederverwertung."
Zudem sieht er eine Relokalisierung, weil Produkte zum Reparieren ja kaum nach Asien geschickt werden. Das alles sei positiv für die Entwicklung einer Kreislaufwirtschaft und aus ökologischer Sicht durchaus zu begrüßen, weil die Nutzung erhöht werde. "Wenn ich mir eine Bohrmaschine kaufe und dann einmal fünf Löcher bohre, das Ding dann aber nur im Schrank liegt, wäre Mieten besser", sagt Reiner.
Die Sache hat nur einen Haken: Höhere Ressourceneffizienz bewirkt auch, dass die Ressource billiger wird und der ökologische Effekt verloren gehen könnte. Wenn jemand ein Produkt nur mietet, statt es zu kaufen, und mit dem Ersparten in die Karibik fliegt, ist das für das Klima schlecht. "Die Wirtschaft feiert einen Effizienzsieg nach dem anderen, doch weil mehr produziert wird, steigt die Umweltbelastung."
Dennoch: Wenn Unternehmer nicht einfach ein Produkt erzeugen und verkaufen, sondern ein Service über den gesamte Lebenszyklus anbieten, steigt der Anreiz, Produkte herzustellen, die langlebig und robust und leicht zu warten sind. Ein Beispiel dafür sind Smartphones und andere Elektronikprodukte, die oftmals nicht mehr genutzt werden, weil ein neues Modell auf den Markt kommt. Abo-Varianten könnten den Rhythmus aus Kaufen, Nutzen und Verschrotten durchbrechen. So hat Händler McShark im Vorjahr ein solches Abo für Apple-Produkte eingeführt: Laptops, Smartphones und Smartwatches können gemietet werden, nach der Laufzeit werden die Geräte generalüberholt und erneut verwendet.
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Grover wächst in Österreich
Und das ist erst der Anfang: In Deutschland sorgt das Start-up Grover gerade für Aufsehen am Elektronikmarkt und ist nach jüngsten Schätzungen schon mehr als eine Milliarde Dollar wert. Die Geschäftsidee von Gründer und CEO Michael Cassau: "Kunden können die neueste Technik leasen statt kaufen." Konkret werden Smartphones, Laptops, Fernseher, aber auch E-Scooter, Staubsauger und sogar Musikinstrumente wie Keyboards vermietet. Und das Interesse ist ausgesprochen groß - auch jenes der Investoren: Bei Risikokapitalgebern zählt Grover heute zu den begehrtesten Unternehmen in Europa.
Tatsächlich wird von diesem Unternehmen Mieten auf breiter Basis angeboten und auch vergleichsweise unkompliziert abgewickelt. Durch das Mieten bleibe zunächst mehr Kaufkraft auf Kundenseite erhalten, und die Kunden bleiben außerdem flexibel, Geräte nach kurzer Zeit wieder zu wechseln. "Und wer möchte, kann sein Gerät jederzeit zu einem günstigen Preis kaufen." Das helfe, durch Mehrfachverwendung Ressourcen zu sparen, aber auch auf Dauer mehr Geld mit einem Gerät zu verdienen. Das Unternehmen ist unter anderem in Deutschland, den Niederlanden und in Österreich tätig.
Hierzulande erkennt Cassau ein "überdurchschnittliches Interesse an unseren Angeboten" und erwartet starkes Wachstum. Das Potenzial sei generell groß, denn die Idee der Sharing Economy betreffe inzwischen nicht nur Wohnen -Stichwort Airbnb -oder Autofahren, sondern auch auf technische Geräte. Dabei sind es keineswegs nur junge Menschen, die das nutzen. "In unserer Kundschaft sehen wir eine ziemliche Gleichverteilung über alle Altersgruppen hinweg, da Mieten statt Kaufen inzwischen kein Neuland mehr ist, sondern in der breiten Mitte der Gesellschaft angekommen ist", erklärt Cassau.
Sharing und Mieten
Zwar verschwimmen die Unterschiede zwischen der erwähnten Sharing Economy, geprägt von Netflix, Spotify oder den in Österreich populärer werdenden Carsharingangeboten, und den neuen Mietvarianten. Neu ist das Übergreifen von Miet- und Abomodellen auf alle Bereiche des Lebens, nicht nur im Urlaub oder für gelegentliche Fahrten. Es geht immer mehr um das Nutzen physischer Produkte, nicht nur von Dienstleistungen und digitaler Waren. Doch wenn der Einzelne immer weniger selbst besitzt, sondern von anderen - Herstellern, Händlern und anderen Unternehmen - mietet, könnte eine Masse an Besitzlosen entstehen, die über dringend nötige oder gewünschte Waren nicht frei verfügen kann. Was wiederum Fragen nach der Abhängigkeiten aufwirft.
Andererseits ist eine solche Abhängigkeit auch gegeben, wenn Massen an Produkten gekauft und möglicherweise sogar über Kredit finanziert werden. Die Gefahr einer besitzlosen Masse wegen der neuen Geschäftsmodelle sieht Christian Reiner nicht. "Wir verwandeln uns ohnehin in eine Gesellschaft, in der wenige viel besitzen." Und Lease-a-Bike-Chefin Donna Galle sieht die Vorteile, wenn man Produkte wie ihre Räder nicht im Eigentum hat: "Dadurch kann der Einzelne etwas nutzen, das ihm sonst zu teuer wäre."