Branchen mit starken Gewerkschaften im Rücken verzeichnen traditionell stärkere Lohnzuwächse. Gewerkschaftsmitglieder profitieren aber auch abseits des Gehaltszettels.
Was ist eine Gewerkschaft?
Eine Gewerkschaft ist die überparteiliche Interessensvertretung der Arbeitnehmer:innen bzw. Lohnabhängigen. Sie verhandelt in Lohn- und Kollektivvertragsverhandlungen auf Seiten der Lohnabhängigen und vertritt deren Interessen nach innen und nach außen.
Im Grundsatzprogramm des Österreichischen Gewerkschaftsbundes (ÖGB) heißt es:
Wir arbeiten mit aller Kraft dafür, dass alle Menschen auf soziale Sicherheit vertrauen können, dass der vorhandene Wohlstand gerecht verteilt wird und dass alle Menschen – alt oder jung, Männer oder Frauen, beschäftigt oder arbeitslos, krank oder gesund, in Österreich geboren oder nicht – die gleichen Chancen haben. Wir wenden uns kompromisslos gegen jede Art von Diskriminierung, Rassismus, Faschismus und Diktatur.
Wozu dient eine Gewerkschaft?
Öffentlich in Erscheinung treten Gewerkschaften vor allem bei sogenannten Kollektivvertragsverhandlungen. In diesen verhandeln die Vertreter:innen der Arbeitgeber:innenseite einer Branche und die der Arbeitnehmer:innen (meistens) jährlich über Löhne und Arbeitsbedingungen (Urlaubstage, Arbeitszeiten, Sicherheit am Arbeitsplatz etc.). Die Ergebnisse der Verhandlungen werden im Kollektivvertrag festgehalten und gelten für alle Arbeitnehmer:innen dieser Branche (auch für Nichtmitglieder). Jährlich verhandeln Gewerkschaften etwa 450 Kollektivverträge. Insgesamt gibt es in Österreich rund 800 Kollektivverträge, die 98 Prozent aller Arbeitnehmer:innen abdecken (so viele wie in keinem anderen OECD-Land).
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Verlaufen die Verhandlungen aus ihrer Sicht unbefriedigend, können Gewerkschaften den Druck erhöhen, indem sie beispielsweise zu Streiks aufrufen. Meist fungiert die Gewerkschaft als Organisator eines Streiks und übernimmt den Lohnentfall der Streikenden. Bezahlt wird dieser aus der sogenannten Streikkassa. Je mehr Mitglieder eine Gewerkschaft hat, desto größer ist tendenziell die Wirkung und das Drohpotential einer solchen Maßnahme.
Eine Gewerkschaft ist außerdem die Anlaufstelle für Lohnabhängige bei Rechtsstreitigkeiten mit der oder dem Arbeitgeber:in, zum Beispiel im Fall einer (ungerechtfertigten) Kündigung. Gewerkschaftsmitglieder haben dabei kostenlosen Anspruch auf Rechtsschutz und Rechtsberatung in arbeits-, dienst- und sozialrechtlichen Fragen. Zudem stellen Gewerkschaften Infomaterial für ihre Mitglieder bereit (z.B. zur Kurzarbeit oder Karenz) und bieten Workshops und Fortbildungen an.
Mittels eigener Zeitschriften, Onlinemagazine, Social-Media-Auftritten und Medienkampagnen versuchen Gewerkschaften die Interessen der Lohnabhängigen öffentlichkeitswirksam zu vertreten. Mit selbst durchgeführten oder in Auftrag gegebenen Studien und Untersuchungen liefern sie Faktenwissen und Empfehlungen für politisches Handeln.
Im Zuge der Sozialpartnerschaft sind Gewerkschaften auch regelmäßig in die Ausarbeitung von Gesetzen eingebunden.
Welche Gewerkschaften gibt es in Österreich?
Der Österreichische Gewerkschaftsbund (ÖGB) zählt derzeit rund 1,2 Millionen Mitglieder und ist als Dachverband wiederum in sieben Teilgewerkschaften gegliedert:
Spätestens hier wird es kompliziert, denn anders als in anderen Ländern sind die Teilgewerkschaften keine Fachgewerkschaften. Das heißt, eine Teilgewerkschaft entspricht nicht zwingend einem Wirtschaftszweig. So werden Pfleger:innen und Krankenhauspersonal beispielsweise je nach Arbeitgeber:in von der GPA, younion oder der Gewerkschaft vida vertreten. Die mitgliederstärkste Teilgewerkschaft ist mit knapp 280.000 Mitgliedern die GPA.
Der ÖGB ist wiederum in verschiedene Fraktionen gegliedert. Die stärkste Fraktion ist traditionell die Fraktion Sozialdemokratischer Gewerkschafter (FSG), welche der SPÖ nahesteht. Zweitstärkste Fraktion ist die Fraktion Christlicher Gewerkschafter (FCG), die der ÖVP nahesteht. Seit Juni 2018 steht Wolfgang Katzian (FSG) als Präsident an der Spitze des ÖGB.
Seit wann gibt es Gewerkschaften?
Die Anfänge der österreichischen Gewerkschaften gehen auf das Ende des 19. Jahrhunderts zurück. Bei einem im Dezember 1893 abgehaltenen Gewerkschaftskongress kam es zur Gründung einer Gewerkschaftskommission. Die zu diesem Zeitpunkt 194 selbständigen Gewerkschaften sollten ihr Handeln besser koordinieren können. Während des Nationalsozialismus kam es zur Eingliederung der Gewerkschaftsmitglieder in die "Deutsche Arbeitsfront" (DAF), einer gemeinsamen Organisation von Arbeitnehmern sowie Arbeitnehmerinnen und Arbeitgebern sowie Arbeitgeberinnen.
Kurz vor Kriegsende, am 15. April 1945, gründete sich in Wien der Österreichische Gewerkschaftsbund, damals noch mit 16 Teilgewerkschaften. Am 31. August 1945 zählte der ÖGB bereits 128.770 Mitglieder, Ende 1946 knapp eine Million. Zu Hochzeiten, bis in die 1980er-Jahre hinein, waren rund 60 Prozent der Lohnabhängigen in Österreich gewerkschaftlich organisiert. Im Jahr 1981 verzeichnete der ÖGB mit 1.677.265 einen Mitgliederrekord. Seither sinkt die Mitgliederzahl kontinuierlich.
Stand heute sind noch knapp 1,2 Millionen Menschen Mitglied einer österreichischen Gewerkschaft. Ein ähnlicher Abwärtstrend ist auch in vielen anderen Ländern Europas zu verzeichnen.
Warum sollte man einer Gewerkschaft beitreten?
Die Mitgliedschaft in einer Gewerkschaft ist freiwillig. Einer Gewerkschaft beitreten kann jede:r Arbeitnehmer:in, der oder die willens ist, ein entsprechendes Formular auszufüllen. Der Mitgliedsbeitrag beträgt im Regelfall ein Prozent des Bruttolohns. Eine Mitgliedschaft steht auch Menschen offen, die in keinem klassischen Arbeitnehmer:innenverhältnis stehen, zum Beispiel Erwerbsarbeitslosen, Studierenden, Pensionisten und Pensionistinnen oder Neuen Selbständigen.
Eine Mitgliedschaft in einer Gewerkschaft kann unmittelbar persönliche Vorteile bringen, indem Beratungsangebote oder Hilfe bei Arbeitsrechtsprozessen in Anspruch genommen werden können. Grundsätzlich basieren Gewerkschaften aber auf dem Prinzip der Solidarität. Je mehr (zahlende) Mitglieder, desto mehr Gewicht hat eine Gewerkschaft, beispielsweise bei Kollektivvertragsverhandlungen, insbesondere bei Streiks. Branchen mit starken Gewerkschaften im Rücken, beispielsweise in der Metallindustrie, erzielen traditionell starke Kollektivvertragsabschlüsse. Ihre Lohnzuwächse liegen meist über denen anderer Branchen.
Wie kann man eine Gewerkschaft gründen?
Eine Gewerkschaft zu gründen, steht prinzipiell jeder und jedem Lohnabhängigen offen. Da gewerkschaftliche Strukturen und Organisationen in Österreich allerdings bereits über Jahrzehnte gewachsen sind, kommt eine Neugründung de facto nicht vor. Häufiger gründen Lohnabhängige einen Betriebsrat. Dieser vertritt die Rechte und Interessen der Lohnabhängigen innerhalb eines Betriebs oder eines Unternehmens. In vielen Fällen kooperieren Betriebsräte und Gewerkschaften eng miteinander. Im vergangenen Jahr kam es in Österreich zu insgesamt 207 Betriebsratsgründungen.