Drahtloses Internet? Zukunftsmusik. Zumindest auf globaler Ebene: Der Großteil des globalen Datenverkehrs verläuft über ein gewaltiges Netz an Unterseekabeln. Was solche Kabel leisten, welchen Gefahren sie ausgesetzt sind und warum auch Elon Musk sie nicht obsolet machen wird
Alarm in der Ostsee
Der „Seelöwe“ ist 1.173 Kilometer lang, aber nur so dick wie ein Gartenschlauch. Er verbindet Helsinki und Hanko in Finnland mit dem deutschen Ostseebad Markgrafenheide bei Rostock. Innerhalb einer Sekunde kann er eineinhalb Millionen iPhone-Fotos von Finnland nach Deutschland schicken, in der für Computer verständlichen, aber für uns irrwitzigen Form von 144 Billionen Nullen und Einsen. Kurz: 144 Terabit pro Sekunde Bandbreite.
Der Seelöwe heißt eigentlich „C-Lion1“ und ist ein Untersee-Datenkabel, das am Meeresgrund verläuft. Verglichen mit seinen Artgenossen ist es nicht gerade ein Alpha-Männchen – weder besonders lang noch beeindruckend leistungsstark. Vergangenen Montag stand es trotzdem im Rampenlicht. Der Grund: Nichts ging mehr, nicht eine Null oder Eins ließ sich übertragen, von Fotos ganz zu schweigen. Alle 16 Stränge des Kabels waren gerissen.
Für Nutzerinnen und Nutzer hatte der Ausfall keine spürbaren Auswirkungen: Der Datenverkehr konnte ohne Verluste über andere Wege umgeleitet werden.
Anders würde es aussehen, wenn viele solcher Kabel auf einmal gekappt werden würden.
Unterseekabel: Kaum vorstellbare Dimensionen
Untersee-Datenkabel sind Wunder der Technik. Mehr als 500 solche Kabel von unterschiedlicher Länge ziehen sich durch die Weltmeere. Darin befinden sich Glasfaserstränge über die Daten in Form von Lichtwellen übertragen werden – enorm schnell und unempfindlich gegenüber elektrischen oder magnetischen Störungen. Ohne sie würde das Internet, wie wir es heute kennen, nicht funktionieren.
Untersee-Datenkabel nehmen teilweise gewaltige Dimensionen an: Das Projekt „2Africa“, an dem Unternehmen wie Meta (Facebook) und Vodafone beteiligt sind, steht kurz vor dem Abschluss. 45.000 Kilometer lang soll das Kabel am Ende werden, mit 46 Anlandestationen in 33 Ländern auf drei Kontinenten. Man könnte es einmal um die Erde wickeln und hätte dann noch genug Rest für einen riesigen Seemannsachter.
Mehr als 99 Prozent des interkontinentalen und mehr als 95 Prozent des globalen Internet-Datenverkehrs werden über Unterseekabel abgewickelt, sagt Winston Qiu, Betreiber des Informationsportals SubmarineNetworks.com, gegenüber News.
Jedes Mal, wenn etwa jemand in Österreich eine WhatsApp-Nachricht verschickt, muss diese per Unterseekabel den Atlantik durchqueren, um vom in den USA liegenden Server verarbeitet und an den Empfänger weitergeleitet werden zu können. Die Kabel sind also allgegenwärtig, auch wenn wir sie kaum zu Gesicht bekommen.
Ostsee: War es wirklich Sabotage?
Wer oder was den Schaden an C-Lion1 verursacht hat, war zu Redaktionsschluss noch unklar. Untersuchungen vor Ort durch finnische und schwedische Behörden laufen. Boris Pistorius hatte noch am selben Tag eine klare Meinung: „Niemand“ glaube an ein Versehen, es sei davon auszugehen, dass es sich um eine „hybride Aktion“ handle, also ein Element verdeckter Kriegsführung gegen Infrastruktur, sagte der deutsche Verteidigungsminister.
Der finnische Premier Petteri Orpo warnte jedoch vor derartigen Schnellschüssen. Man könne noch nicht sagen, ob es sich um Sabotage handle. Auch die finnische Transport- und Kommunikationsbehörde Traficom beschwichtigte zunächst: Auch Beschädigungen durch Witterung seien möglich, und Schiffe könnten die Kabel auch unabsichtlich durchtrennen.
Schifffahrt als größte Gefahr für Datenkabel
Fakt ist: Zum Zeitpunkt des Ausfalls von C-Lion1 war der Frachter „Yi Peng 3“ unter chinesischer Flagge auf dem Weg vom russischen Ostseehafen Ust-Luga nach Ägypten. Die Schadensstelle am Kabel lag auf der Route des Frachters, und genau dort hat das Schiff seine Geschwindigkeit gedrosselt. Das belegen frei verfügbare Daten zu den Bewegungen des Schiffs. Ebenfalls auf der Route des Schiffs liegt das Datenkabel „BCS East-West Interlink“ zwischen der schwedischen Insel Gotland und Litauen – es wurde am Montag ebenfalls beschädigt.
Das offizielle China beharrt darauf, nichts mit dem Vorfall zu tun zu haben. Der Fall erinnert an vergangenen Oktober, als die Gaspipeline Balticconnector und ein Unterseekabel zwischen Estland und Schweden zerstört wurde. Ermittler verdächtigen auch hier einen chinesischen Frachter. Dieser soll seinen Anker auf der Fahrt von Kaliningrad nach St. Petersburg über den Meeresgrund gezogen haben und so Pipeline und Kabel durchtrennt haben. Finnische Ermittler fanden einen passenden Anker direkt neben der Pipeline.
Wer für derartige Schäden verantwortlich ist, lässt sich meist herausfinden. Schwieriger ist, eine Absicht nachzuweisen, denn auch unabsichtliche Beschädigungen kommen vor. Die kommerzielle Schifffahrt ist laut der Europäischen Unterseekabel-Vereinigung (ECSA) die größte Gefahrenquelle. Anker und Fischereiausrüstung sind natür-liche Feinde der meist frei liegenden oder von nur wenigen Zentimetern Sediment bedeckten Kabel, auch wenn sie auf internationalen Seekarten eingezeichnet sind. Fehler passieren.
Die zweitgrößte Gefahr geht laut ECSA von Naturereignissen wie unterirdischen Sedimentlawinen, Stürmen, Strömungen oder Vulkanausbrüchen aus. Und auch Tiere können Schäden verursachen: Haie sind dafür bekannt, auf den dünnen Kabeln herumzubeißen. In Regionen, wo das öfter vorkommt, verstärkt man die Kabelmäntel mittlerweile mit Kevlar.
Starlink ist kein Ersatz
Reparaturarbeiten an Unterseekabeln sind aufwendig. Norbert Hanik, Professor für leitungsgebundene Übertragungstechnik an der TU München, erklärte das gegenüber der „Süddeutschen Zeitung“ so: Zuerst muss die Schadensstelle gefunden werden. Dafür wird ein Impuls durch das Kabel geschickt. Mittels der Dauer, bis das Signal als Echo wieder am Ausgangspunkt eintrifft, lässt sich die Bruchstelle bestimmen.
Dann muss ein Schiff an diese Stelle fahren. Die beiden Kabelenden werden von Tauchrobotern an Bord gehoben und wieder zusammengefügt. Je nach Schadensstelle kann dieser Prozess einige Zeit dauern, im Fall von C-Lion1 rechnet man mit etwa zwei Wochen.
Unterseekabel sind also schon durch die Art, wie sie verlegt werden, verletzlich. Wieso sind heute noch derartige Kabel notwendig, wenn Kommunikation mittlerweile hauptsächlich drahtlos zu funktionieren scheint – sei es per Mobiltelefonie, über WLAN oder Bluetooth?
Der Grund: Bandbreite. Drahtlose Wege der Kommunikation und Datenübertragung sind modernen Glasfaserkabeln vor allem in Sachen Kapazität weit überlegen. Wenn es darum geht, Inseln mit dem Festland oder gar ganze Kontinente miteinander zu verbinden, sind Kabel aktuell noch alternativlos – und daran wird auch Elon Musk wohl nichts mehr ändern.
Satellitengestütztes Internet ist eine Alternative für besonders entlegene Orte oder Kriegsgebiete mit zerstörter konventioneller Infrastruktur – etwa in der Ukraine. Das bekannteste derartige System ist „Starlink“, ein Netzwerk von mehr als 7.000 Satelliten in der Erdumlaufbahn. Es wird von Elon Musks Weltraumunternehmen „SpaceX“ betrieben. Diese Satelliten können via Laser untereinander und mit Stationen auf der Erde Daten austauschen. Dass ein solches System in Zukunft den gesamten globalen Datenverkehr verwalten könnte, sei nicht absehbar, sagt Experte Qiu gegenüber News:
„Die Übertragungsrate eines Starlink-Satelliten der neuesten Generation liegt bei maximal 60 Gigabit pro Sekunde, das Vierfache des Vorgängers. Das Untersee-Kabelsystem IONIAN, das Italien mit Griechenland verbindet, hat eine Kapazität von 360 Terabit pro Sekunde, das 6.000-Fache eines Starlink V2-Satelliten.“ Satelliten-Internet sei ein zusätzliches Element der Internet-Infrastruktur, könne aber Unterseekabel nicht ersetzen.
Während Starlink also die Landstraße ist, die entlegene Orte an die Zivilisation anbindet und in Zukunft vielleicht hier und da zweispurig ausgebaut werden wird, sind Unterseekabel mit einem globalen Daten-Autobahnnetz vergleichbar. Unterschiedliche Technologien für unterschiedliche Anforderungen also.
Die Zukunft gehört also noch für einige Zeit den Kabeln. Und: Selbst wenn Satelliten einmal Glasfaser ganz ersetzen könnten, sind sie kaum weniger vulnerabel. Nur, dass ihnen nicht Schiffe oder Haie gefährlich werden können, sondern Weltraumschrott und Anti-Satelliten-Waffen.
Viel Redundanz im System
Die Ereignisse des vergangenen Montags, als zwei solcher Kabel zerstört wurden, haben gezeigt, dass der Ausfall eines einzelnen Kabels üblicherweise noch zu keinen größeren Beeinträchtigungen führt. Gerade in Europa ist die Redundanz im System sehr groß. Anders als bei Gaspipelines, wo eine zerstörte Leitung schnell zu Versorgungsengpässen führen kann, führen beim Datenverkehr viele Wege nach Rom – oder, um beim Beispiel zu bleiben: Kommt es auf einem Autobahnabschnitt zu einem Unfall, kann der Verkehr rasch über eine der vielen Alternativrouten umgeleitet werden.
Allerdings ist das Netz nicht überall gleich redundant. Gerade Inseln werden leicht abgeschnitten. Anfang 2022 etwa die Pazifikinsel Tonga. Ein Vulkanausbruch zerstörte das einzige Unterseekabel und schnitt gut 100.000 Menschen für Wochen von der Außenwelt ab.
Und es gibt Nadelöhre. Etwa das Rote Meer, ein geopolitischer Brennpunkt. Als im März der britische Frachter „Rubymar“ von jemenitischen Huthi-Rebellen attackiert und die Besatzung evakuiert wurde, zerriss das umhertreibende Schiff mit seinem Anker gleich drei Datenkabel. Gut, dass es nicht alle 14 Kabel erwischt hat, die dort auf engem Raum Europa und Asien verbinden.
Dieser Beitrag ist erstmals am 28.11.2024 in der News-Printausgabe Nr. 48/2024 erschienen.