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Ist das noch unser Land?

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©Alex Halada/AFP/Picturedesk.com
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Die Wahl gewonnen und in den Meinungsumfragen weiter voran: Die FPÖ und ihr Parteichef Herbert Kickl wollen ins Kanzleramt. Die Verhandlungen mit der ÖVP stockten bei Redaktionsschluss. Doch geleakte Protokolle verraten die Stoßrichtung bei Europa, Migration, Gesellschaftspolitik und Medienfreiheit. News fragte Elfriede Jelinek, Heide Schmidt, Wanda, Robert Menasse und andere Österreicher mit Durchblick, was das Land unter blauen Vorzeichen erwartet – jetzt oder künftig

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 © Michael Mazohl

Irmgard Griss, Bundespräsidentschaftskandidatin

„Keine Politik, die Ängste schürt“

Die Antwort, die mir spontan einfällt, ist: Ja und nein. Ja, denn Österreich wird auch mit einer schwarz-blauen Koalition und mit einem blauen Bundeskanzler ein schönes Land sein, ein Land mit vielen engagierten Menschen, die sich auf verschiedenen Ebenen für ein gutes, gemeinsames Leben einsetzen. Wir haben ja das Glück, in einem Land mit einer hohen Lebensqualität zu leben, mit einem sozialen Netz, das noch immer dicht geknüpft ist. Wir sind eingebunden in die Europäische Union, in der verwirklicht ist, was ich mir als junger Mensch immer gewünscht hatte: ganz selbstverständlich auch außerhalb der engen nationalen Grenzen leben und studieren zu können und so seinen Horizont zu erweitern.

Nein, denn die Identifikation mit unserem Heimatland ist natürlich auch davon bestimmt, dass es ein liberales, weltoffenes Land ist, mit unabhängigen Medien, mit starken rechtsstaatlichen Institutionen. Ein Land, in dem das Recht die Politik bestimmt, weil auch die Politik die Gesetze respektiert. Ein Land, in dem die Politik auf Fakten beruht und nicht Ängste schürt und versucht, den Menschen einzureden, wir müssten in eine angeblich viel bessere Vergangenheit zurück. Oder gar behauptet, Österreich sei ruiniert und müsse wieder aufgebaut werden.

Doch wir sind dem ja nicht hilflos ausgeliefert. Als starke Zivilgesellschaft können wir dagegenhalten. Daher ist es, wie immer die künftige Regierung ausschaut, noch immer mein Land.

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 © Maximilian König

Wanda, Musiker

„Das Geburtsrecht, einander zu lieben“

In den kommenden Monaten und Jahren werden rechtsextreme Kräfte hierzulande und andernorts versuchen, uns allen gefährliche Narrative zu verkaufen. Damit wir alle nicht darauf reinfallen, halten wir fest:

Anders als unlängst in einem Gespräch zwischen Alice Weidel und Elon Musk behauptet, war Hitler kein Linker.

Es gibt keinen großen Austausch, es gibt eine komplexe Flüchtlingskrise.

Traditionelle Medien sind ein wichtiges Kontrollorgan, nicht perfekt, aber kein Feindbild.

Lesben, Schwule und Transpersonen wollen euch nicht eure Rechte nehmen.

Frauen sind auch keine willenlosen Brutkästen.

Viktor Orbán ist kein Vorbild, er ist ein totalitär handelnder Politiker.

Wir besitzen das Geburtsrecht, einander zu lieben.

Amore

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 © Martin Vukovits

Elfriede Jelinek, Nobelpreisträgerin

„Mehr erwarte ich nicht“

Ja, klar ist das mein Land, so kenn ich es, mehr erwarte ich nicht von ihm.

Neu ist meine Verachtung für Mrs. 9 %, die ohne Not als Erste vom Verhandlungstisch aufgestanden und gegangen ist. Diese Frau weiß nicht einmal, was Politik überhaupt ist. Aber schon redet sie wieder seitenweise Papier (bei euch!), das auch ein besseres Schicksal verdient hätte. Sie redet und redet. Die neuen Machthaber schweigen, die Macht muß nicht sprechen, sie wird von viel Mächtigeren gestützt, von ganz woanders, wo alles, auch mit unseren Spielfiguren, die von fremden Mächten gezogen werden, entschieden wird.

Ein Bundeskanzler geht, ein andrer, der auf den Vizekanzler spechtelt, kommt, doch die Augen sind nicht auf ihn gerichtet. Er wird noch viel Dreck fressen müssen, den ein Herrchenreiter fallenläßt. Der Pferde sind genug gewechselt, die Taten werden wir bald sehen.

Die Tragödie der Sozialdemokratie geht mir sehr nahe, da bin ich dafür ganz still.

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 © Ricardo Herrgott

Paul Pizzera, Musiker

„Solang ich den Pass nicht abgeben muss, ist es noch mein Land, ja“

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 © Ricardo Herrgott

Otto Jaus, Musiker

„Es ist meine Heimat, und dieses Gefühl ist stärker als jeder Politiker oder Politikerin dieses Landes“

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 © Matt Observe

Doron Rabinovici, Schriftsteller

„Die Kulisse für Niedertracht“

Wenn da einer die Regierung führen wird, dem es um sogenannte Remigration, mithin um Vertreibung geht, und zwar auch um jene von bereits Eingebürgerten, die ihm allzu andersartig und missliebig sind, dann werden Meinesgleichen unversehens zum Außenseiter gemacht. Wenn so ein völkischer Kanzler nur noch jene Kultur zulassen will, die niemanden befremden darf, sondern allenfalls Kulisse abgeben soll für seine Tracht und Niedertracht, dann wird niemand mehr hier in Freiheit und in Würde leben. Eigenständige Kunst wird verdächtig sein. Wenn Lehrkräfte, die kritisch über heimische Vergangenheit erzählen, einer Meldestelle genannt werden, wird die Erinnerung an die Verbrechen der Massenmörder keinen Platz mehr haben in dieser Republik, denn wo die Täter geehrt werden, kann die Trauer um die Opfer nicht ehrlich sein. Wenn die freie Presse ausgehungert, der öffentlich-rechtliche Rundfunk an die Leine gelegt wird, wenn die Justiz nur noch Werkzeug der Macht und Willkür sein soll, das Parlament durch Plebiszit ausgeschaltet wird, wenn die Friedensordnung dieses Kontinents und die universalen Menschenrechte ausverkauft werden an den Tyrannen in Moskau, dann wird Österreich dem Erdteil Europa nicht mehr inmitten liegen und so mancher wird wieder erfahren, wo er daheim ist – und wo nicht.

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 © Isabelle Ouvrard / SEPA.Media / picturedesk.com

Heide Schmidt, Gründerin des Liberalen Forums

„Ein Wortbruch der ÖVP“

Vor ziemlich genau 32 Jahren zeigte sich die Republik erschüttert und etwa 300.000 Menschen gingen gemeinsam auf die Straße. Das „Lichtermeer“ war die bislang größte Demonstration Österreichs. Anlass war das von der FPÖ initiierte Anti-Ausländer-Volksbegehren. Als Bundesparteiobmann-Stellvertreterin, die ich damals war, hatte ich vergeblich versucht, es zu verhindern. Ich verließ die FPÖ und gründete mit wenigen Gleichgesinnten am 4. Februar 1993 das Liberale Forum, die erste liberale Partei Österreichs. Es gab mehrere Gründe für diesen Schritt, aber ich empfand ich es als verantwortungslos und unerträglichen Tiefpunkt jeden Anstands, eine „Bürger“initiative, ein „Volks“begehren“ zur Mobilisierung gegen Menschen einzusetzen. Heute – Verantwortung hin, Anstand her – wären die zwölf Punkte der Initiative bis auf einen in einer FPÖ-ÖVP-Regierung wohl mehrheitsfähig. Gegen den einen hätte vielleicht die Industriellenvereinigung Bedenken.

„Österreich ist kein Einwanderungsland“ sollte zur Verfassungsbestimmung werden. Dagegen würde man heute vielleicht den Arbeitskräftemangel einwenden ... Ich will gar nicht im Abrede stellen, dass man über den einen oder anderen Punkt damals wie heute diskutieren kann (wer hat spontan etwas gegen die Ausweisung und ein Aufenthaltsverbot ausländischer Straftäter?), aber das WIE sowohl der Regelung als auch der Kommunikation darüber entscheidet, ob wir noch ein Rechtsstaat und eine Demokratie oder ein autoritäres, menschenverachtendes System sind. Im Februar 1993 sind die Menschen auf die Straße gegangen, weil sie der Menschenverachtung etwas entgegensetzen wollten. Im Februar 2000 wurde unter Wortbruch der ÖVP eine Koalition mit dem Initiator dieser Menschenverachtungsaktion gebildet, im Februar 2025 könnte uns wieder ein Wortbruch der ÖVP ein Stück Demokratie kosten.

Der Weg ist absehbar: durch das Handlungsprogramm der FPÖ und die damit zum Ausdruck kommenden Haltungen, durch ihr Staatsverständnis, durch ihr Personal mit ihrer Sprache, durch ihre Verbündeten, die in ihren Heimatländern als rechtsex­trem erkannt werden, und jeder aufmerksame, demokratische Mensch kann die Liste fortsetzen. Als im September 2015 unüberschaubare Menschenmengen an unsere Grenzen drängten, wurden sie, um Schlimmeres zu verhindern, geöffnet. Manche meinten, damit hätten wir den Rechtsstaat aufgegeben. Welche Art von Rechtsstaat wäre das? Die Antwort Merkels empfand ich damals wie heute als stark und richtig: „… wenn wir uns entschuldigen müssen dafür, dass wir in Notsituationen ein freundliches Gesicht zeigen, dann ist das nicht mein Land.“ Dieser Satz bezeichnet die Wasserscheide des Denkens. Er bezeichnet die Wasserscheide der Systeme. Die ÖVP hat es in der Hand, welches System vor uns liegt.

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 © Foto: Wolfgang Paterno / picturedesk.com

Robert Menasse, Schriftsteller

„Der Zyniker lehnt sich zurück“

Herr Menasse, ist das noch Ihr Land?

Ich habe es lange Zeit nicht mehr so deutlich gesehen: Ja, das ist mein Land, unser Österreich, kein herziges kleines Land, sondern eine große Bühne, auf der acht Millionen Statisten ihren Regisseur suchen.

Wobei Thomas Bernhard im „Heldenplatz“ von acht Millionen Debilen und Tobsüchtigen spricht. Schließen Sie sich ihm an?

Das ginge mir doch zu weit. Aber eine Gegenfrage habe ich: Welche Rolle soll ich jetzt in diesem Interview spielen? Wollen Sie einen Zyniker? Einen Frustrierten? Einen Trotz-allem-Optimisten? Ich kann alle Rollen spielen.

Suchen Sie sich eine aus.

Ich nehme alle drei. Als Zyniker könnte ich sagen: Wenn Kickl Kanzler wird, dann können wir zuschauen, wie mittel- und langfristig diejenigen den größten Schaden nehmen, die ihn gewählt haben. Der jetzt so herrische Chor der Zwerge. Es ist ja kein Zufall, dass das Wirtschaftsprogramm der FPÖ mehr oder weniger das von der Industriellenvereinigung ist. Und die Wirtschaftspartei ÖVP, die jetzt als Steigbügelhalter fungiert, vertritt ja auch nicht gerade den „kleinen Mann“, nicht einmal die Interessen der kleinen und mittleren Unternehmen, sondern nur die großen, genauso wie der ÖVP-Bauernbund die Agrarindustrie und nicht den kleinen Bauern vertritt. Also lehne ich mich als Zyniker zurück und beobachte, wie die, die ihn gewählt haben, viel mehr darunter leiden werden als ich. Als frus­trierter Statist würde ich sagen: In einem Land, in dem das verbreitete Missverständnis herrscht, dass ein bisschen Alltagsfaschismus, Rassismus und Sehnsucht nach autoritären Politdarstellern ganz in Ordnung ist, ist es vollkommen sinnlos geworden, in die öffentliche Debatte einzugreifen. Wenn die Reste von Öffentlichkeit in Gestalt der freien Presse und des öffentlich-rechtlichen Rundfunks in Zerstörung begriffen sind, kann man sich nur in die Theaterkantine zurückziehen.

Nun sitzen wir aber hier und machen ein Interview.

Also kommen wir zur dritten möglichen Rolle. Den Trotz-allem-Optimismus kann man zunächst einmal von einer gewissen Geschichtslogik ableiten: Denn so wie das Pendel im Moment radikal nach rechts ausschlägt, muss es ja irgendwann genauso heftig zurückschwingen. Allerdings würde das voraussetzen, dass bei den demokratischen Parteien Menschen in Verantwortung kommen, die diesen Moment dann auch überzeugend zu repräsentieren und vernünftig zu gestalten wissen. Hegels Geschichtsphilosophie lehrt: Wenn etwas besonders dringend benötigt wird, tritt es in einer vernünftigen Gestalt auch auf.

Aber Kickl gibt sich ja selber als Hege­lianer.

Das ist es, was ihn so gefährlich macht. Er hat Hegel gelesen, kann dialektisch denken und ist daher heute den anderen Politdarstellern weitgehend überlegen. Denn leider sind die, von denen wir uns eine Brandmauer gegen Rechtsextreme erwarten …

… nicht die Hellsten im Kopf.

Das möchte ich so nicht sagen. Aber was immer sie im Kopf haben, zukunftstaugliche Ideen sind es nicht. Und ja, manches ist schon auf niederschmetternde und niederträchtige Weise dumm: etwa wenn die ÖVP gebetmühlenartig die Sozial­demokraten als „retro“ punziert, die faschistoide Ideologie der FPÖ für sie aber offenbar ein Weg in die Zukunft ist. Ich weiß nicht, was die österreichischen Bürgertum-Darsteller gelesen haben, außer Bilanzen und „Hayek for Dummies“, aber Marx haben sie nicht gelesen, und das ist schade. Denn deshalb wissen sie nicht, wie begeistert Marx seinerzeit den Beginn der Globalisierung beschrieben hat, wie er ihre historische Notwendigkeit ableitete und welchen Fortschritt er sich von dieser Entwicklung, über Reichs- und Nationsgrenzen hinweg, versprach. Wenn ich Ihnen diese Stellen vorlesen würde, werden sie womöglich alle Marxisten. Aber stattdessen haben wir heute bei den Christdemokraten Politiker am Werk, die Grenzen schließen wollen. Sie haben recht, das sind nicht die hellsten.

Hat Sie auch erstaunt, dass sich unter den Begehrlichkeiten der FPÖ neben den Medien plötzlich auch die Kultur gefunden hat?

Autoritäre Charaktere wissen sehr gut, dass man auch in der Kultur eine autoritäre Hegemonie herstellen muss, wenn man ein Land wirklich beherrschen will. Das hat schon Wolfgang Schüssel gezeigt, der mit der rechten Hand den Zeigefinger auf die Lippen gelegt hat („Goschn halten“), und in der linken eine Handpuppe hielt, die Kulturstaatssekretär Franz Morak hieß, und mit diesem Wurstel einen Rachefeldzug gegen Künstler geführt hat, weil die Kritik der Künstler ihn so gezwickt hat. Kickl ist nicht so lächerlich, seine kulturpolitischen Vorstellungen sind ganz konsequent die Agenda eines rechtspopulistischen bis rechtsextremen Politikers, der sich anschickt, eine antidemokratische politische Hegemonie herzustellen. Ob er von der ÖVP auch die Kultur kriegen wird, das wird sich zeigen. Ich glaube, Ja, weil die ÖVP in Pfründen denkt, und da ist ihr Kultur als Ressort völlig unwichtig. Als Zyniker kann man sagen: Das ist ein interessantes Schauspiel, wie die ÖVP glaubt, dass ihre Unterwerfung dazu führen wird, als Partei aus ihr gestärkt hervorzugehen.

Aber sie war doch lang die zweite Kraft hinter der SPÖ und hat sich ebenfalls unterworfen.

Sie hat sich nie unterworfen. Genau das ist das Missverständnis. Sie hat in der Zweiten Republik eine viel längere Erfahrung damit, die Vizekanzlerpartei und nicht die Kanzlerpartei zu sein. Und da war ihr immer ziemlich egal, welcher Sozialdemokrat unter ihr Kanzler war. Aber Vizekanzler unter der FPÖ ist etwas anderes, denn die Sozialdemokraten haben die ÖVP als Juniorpartner nie so gedemütigt, wie das die FPÖ jetzt macht.

Und im Fall von Neuwahlen, jetzt oder erst nach ein paar Jahren?

Ich halte die Prognose, dass aus Neuwahlen die FPÖ deutlich gestärkt hervorgehen würde, für einen Irrtum. Wer zum Beispiel bei der letzten Wahl ÖVP gewählt hat, der hat eine Partei gewählt, die versprochen hat, keine Koalition mit Kickl zu machen. Warum soll der- oder diejenige dann bei Neuwahlen Kickl wählen? Eher wird diese Person nicht mehr wählen. Niemand, der eine Partei gewählt hat, die eine Koalition mit Kickl ausgeschlossen hat, wird dann Kickl wählen. Das hätte er ja gleich machen können. Es ist doch logisch, dass aus Enttäuschung und Verdrossenheit der Anteil der Nichtwähler wächst. Dann wächst die FPÖ prozentuell, aber nicht stark an Stimmen, und die absolute Mehrheit wird Kickl nie gewinnen. Und dann kann er irgendwann als Oppositionspolitiker in Pension gehen. Vorausgesetzt, die anderen finden heraus, wie man vernünftige Kompromisse unter demokratischen Parteien schließen und entsprechende Regierungspolitik machen kann.

„Kickl hat Hegel gelesen, kann dialektisch denken und ist daher heute den anderen Politdarstellern weitgehend überlegen“

Das hat aber bisher nur überschaubar funktioniert, nicht?

Ja, und es war eine Weltklasseleistung der Message Control, der SPÖ die Schuld am Scheitern der möglichen Dreierkoalition zu geben, obwohl die NEOS und dann die ÖVP die Verhandlungen abgebrochen haben. Es ist eine Meisterleistung gewisser Leitartikler, schlüssig zu erklären, dass eine Bankenabgabe mit dem „Marxisten“ Babler natürlich nicht geht, aber mit dem Faschisten Kickl natürlich geht. Wenn es möglich ist, ein so schiefes Bild der Realität zu zeichnen, kann man sich vorstellen, was erst möglich wird, wenn die FPÖ den nächsten Frontalangriff auf die öffentlich-rechtlichen Medien und die unabhängige Presse startet.

Man könnte doch von den Entwicklungen unter Trump lernen, nicht?

Es gibt da einen eigentümlichen Widerspruch in der Berichterstattung österreichischer Zeitungen. Trump wird als Spinner dargestellt, als Gefahr für die Demokratie. Aber Kickl als legitimer demokratischer Ausdruck der Bedürfnisse des Volkes und der vernünftigen Interessen der nationalen Wirtschaft. Trump verbreitet Fake News über Medien, die er oder seine Unterstützer in der Hand haben, Kickl war so geschickt, ein eigenes Mediennetzwerk aufzubauen, weshalb er die klassischen, also seriösen Medien nicht mehr benötigt. Trump droht die Demokratie autoritär auszuhebeln und den Staat umzubauen, Kickl verspricht, den Staat endlich umzubauen und in den versteinerten oder versulzten Verhältnissen endlich durchzugreifen. Trump wird von österreichischen Leitartiklern als Pro­blem für die demokratische Welt dargestellt, Kickl soll als tunlichst demokratischer Normalfall unserer kleinen Welt erscheinen. Trump droht der EU, das wird als Bedrohung gesehen, Kickl droht der EU, das gilt als Verteidigung Österreichs, obwohl er in der EU viel größeren Schaden anrichten kann. Das zeigt: Die USA wollen wir immer noch als rationale demokratische Schutzmacht haben, aber daheim wollen wir einen kleinen autoritären Typen haben, der zur sogenannten Entfesselung der Wirtschaft die Demokratie im Säurebad der Ressentiments auflösen soll. Das ist überhaupt das Pro­blem in Österreich, dass Ressentiment als Meinung gilt. Man kann sogar ungestraft die Menschenrechte infrage stellen, weil sie in einer Zeit von Kriegen und Migra­tionsbewegungen daheim nicht mehr „zeitgemäß“ sind. Selbst ein Wöginger sagte das. Und der ist nicht von der FPÖ.

Wie gefällt Ihnen denn die SPÖ? Steigen ihre Chancen, wenn Babler geht?

Das weiß ich nicht. Sozialdemokratische Grundsätze wie soziale Gerechtigkeit, Chancengleichheit, Gleichberechtigung von Frauen und Männern, ein funktionierender Sozialstaat und so weiter, sind immer noch aktuell und müssten eigentlich mehrheitsfähig sein. Aber man darf das nicht als altbackene Prinzipien präsentieren, sondern muss ihre aktuelle Notwendigkeit im Geist von Gerechtigkeit und Freiheit zeigen. Ich gebe Ihnen ein Beispiel: Als Babler eine 32-Stundenwoche bei vollem Lohnausgleich forderte, sagten alle, sogar die eigene Basis, das sei unmöglich. Hätte er gesagt: die letzte Arbeitszeitverkürzung gab es vor 40 Jahren, seither gab es stetiges Wirtschaftswachstum und steigende Produktivität – wäre es da nicht gerecht, etwas davon in Form einer Arbeitszeitverkürzung weiterzu­geben, dann hätte man das diskutieren und schließlich verhandeln können. Es gibt viele solche Beispiele. Aber ich bin nicht der Arzt am Krankenbett der Sozial­demokratie. Da sehe ich mich wieder eher in der Rolle des Frustrierten. Weil schon die grundsätzlichen Diskussionen völlig schieflaufen.

Woran denken Sie?

Was zum Beispiel heute unter Demokratie verstanden wird. Kickl hat bei der Wahl 27 % der Stimmen bekommen, und diese 27 % von 60 % Wahlbeteiligung gelten auf einmal als „demokratische Legitimation“ dafür, dass er Kanzler wird? Es wurde das Parlament gewählt, und demokratisch legitimiert ist zunächst nur die Anzahl der Abgeordneten im Parlament. Aber auf einmal ist jeden Tag von „Usance“ die Rede. Es sei Usance, dass der Kandidat der größten Fraktion zum Präsidenten des Parlaments der demokratischen Republik gewählt wird, auch wenn er ein Gegner der liberalen Demokratie ist. Und es sei Usance, dem Führer der relativ stärksten Partei den Auftrag zur Regierungsbildung zu geben, auch wenn man weiß, welche Angriffe er gegen demokratische Prinzipien führen wird, und auch wenn ganz andere, deutliche demokratische Mehrheiten im Parlament möglich wären. Usance heißt Gewohnheitsrecht, und Gewohnheit darf nicht über der Verfassung stehen. In der Verfassung steht nicht: Österreich ist eine demokratische Republik, alle Macht geht von der Gewohnheit aus.

Halten Sie die FPÖ für eine faschistische Partei?

Es gibt gute Gründe, sie als austrofaschistisch einzuschätzen. Auf jeden Fall vertritt sie die Vorstellung einer illiberalen Demokratie, den Orbánismus. Es gibt da faschistische Elemente im Hinblick auf die Aufhebung der Gewaltenteilung oder die Gleichschaltung der Medien, aber wer das sagt, kriegt sofort die Antwort, er sei ein Antidemokrat. Kickl sei ja gewählt, also demokratisch legitimiert! Muss man wirklich daran erinnern, wer aller in der Geschichte der Demokratien gewählt wurde und das nur zur Durchsetzung seiner antidemokratischen Vorstellungen benutzt hat?

Könnte Van der Bellen unter diesen Voraussetzungen eine Angelobung von Kickl jetzt oder auch in Zukunft verweigern? Soll er es?

Die Verfassung ermöglicht es, und er sollte es tun. Die Voraussetzung wäre natürlich, dass alle anderen Parteien wieder hinter der Tapetentür mit ihm reden und einer Übergangsregierung, einer Expertenregierung, einer Konzentrationsregierung oder einer Minderheitsregierung, die von den anderen toleriert wird, zustimmen. Das wäre die Lösung des gordischen Knotens. Ich fürchte nur, dass eine Partei dem nicht zustimmen wird, und das ist die ÖVP, die davon selbst den größten Schaden nehmen wird.

Danke, wunderbares Gespräch. Nur eine Frage bleibt jetzt noch offen: Welche Ihrer drei Identitäten bleibt denn jetzt am Schreibtisch zurück? Der Zyniker? Der Frustrierte? Der Trotz-allem-Optimist?

Der vierte. Der Träumer.

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Das Buch

Klarsichtig, erhellend, eloquent: Robert Menasses Essay „Die Welt von morgen. Ein souveränes demokratisches Europa – und seine Feinde“, erhältlich bei

Suhrkamp, € 24,90

 © Suhrkamp

Dieser Beitrag ist ursprünglich in der News-Printausgabe Nr.07/2025 erschienen.

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