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Weihnachtslektüre: Lesen Sie sich die miese Zeit aus der Seele!

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Andreas Salcher
©Bild: Lukas Ilgner/Trend
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Bücher sind nie gefehlt, solange intelligente Menschen beschenkt werden wollen. Die Kulturredaktion empfiehlt Gelungenes aus der aktuellen Produktion: Feinsinniges, Blutiges und Informatives zur Weihnachtszeit. Zwei österreichische Nobelpreisträger gewähren Einblick in Persönlichstes

Auf dem Leben der Nobelpreisträgerin lastet die Geschichte des 20. Jahrhunderts: der in der Nervenklinik verstorbene jüdische Vater, die traumatisch katholische Mutter mit dem gefälschten Ariernachweis, das Bersten der trügenden Gerechtigkeitsvision im Kommunismus. Und all das wird über eine Steuerrazzia aufgerollt, mit der die österreichische Weltschriftstellerin von der bayerischen Behörde schikaniert wurde! Kühn verrätselte autobiografische Prosa. Rowohlt, € 24,70

Wie Peter Handke ist auch Ransmayr ein lebenslanger Abenteuerreisender. Seine Gedichte und Balladen sind deshalb auch immer Abenteuergeschichten aus dem Geist Brechts und Kiplings. Der befreundete Malerfürst Anselm Kiefer hat ihm dazu unaufgefordert eine Mappe illustrierender Aquarelle ins Haus geschickt. Das Resultat ist ein wahrer Prachtband. Eleganter kann man zum Fest nicht schenken. S. Fischer, € 59,70

24. April bis 26. August 1978: Für andere wäre das eine winzige, kaum dokumentierbare Lebensspanne. Peter Handke aber entwirft stets das Größte im Kleinsten, und seine unzählbaren Notizbücher sind Bausteine eines sich täglich erweiternden Kosmos. Eines von ihnen hat der Suhrkamp-Verlag zum 80. Geburtstag transkribiert. Und was das für Monate waren! Handke besuchte die Filmfestspiele von Cannes, wo Wim Wenders' "Linkshändige Frau" gezeigt wurde, und begann dann seine erste, folgenreiche Reise in die jugoslawischen Herkunftsländer. Suhrkamp, € 23,70

Ein glühender Europäer, dessen Überzeugung keine Anwandlung zum Verglühen zeigt: Robert Menasse lässt sich durch die Zeitläufe nicht beirren. Der zweite Band seiner Europa-Trilogie (nach "Die Hauptstadt") führt ins scheinbar Entlegenste: Der virtuose, seriös recherchierte und fulminant fabulierte Roman nimmt für den EU-Beitritt Albaniens Partei und argumentiert das Ansinnen über das Problemmitgliedsland Polen. Suhrkamp, € 32,90

Den Ich-Erzähler Elias, Sohn eines Hoteliers, verbindet mit seiner Halbschwester Ines eine obsessive Affinität. Dann legt das Virus die Welt still, und Elias' homosexueller Partner Carl dringt in die Parallelwelt aus Inzest und frühkindlicher Verformung vor. Gstrein schrieb da einen gründlich verstörenden Thriller über menschliche Abgründe. Gstrein führt den Leser dabei auf Irrwege, die zu begehen gefährlich werden kann. S. Fischer, € 23,70

Einen dem Ungarn Peter Nadas vergleichbaren Sprachvirtuosen wird man heute schon suchen müssen. Und welche Fratzen das realsozialistische Dorf der Sechzigerjahre besiedeln! Unter den obszönen Kreaturen, die diese Welt der Geilheit und der Hässlichkeit bevölkern, leuchtet eine große Liebende hervor. Betörend ist das. Rowohlt, € 20,60

Um jede Neuerscheinung der Österreicherin Sophie Reyer zu besprechen, müsste man ein Literaturmagazin gründen. Dabei ist sie nie unter ihr beeindruckendes Niveau gegangen. Der vorliegende Roman porträtiert zum Fürchten und Staunen eine junge Frau in der Hölle ihrer psychischen Selbstzerstörung. Czernin, € 25,-

Melanie Raabe wird für ihre atmosphärisch bedrängenden, souverän erzählten Kriminalromane bewundert. Diesfalls hat sie das Genre verlassen, doch der kühne Rätselschwung der Ereignisse hält den Leser in Atem. Eine Hollywood-Schauspielerin und eine unbekannte Fotografin begegnen einander in dunklen biografischen Abgründen. Btb, € 22,70

Isabel Allende: Violeta Noch ein 80. Geburtstag als Anlass einer Reise in die eigene Vergangenheit: Isabel Allende kehrt mit einem Briefroman ins Kindheitsland Chile zurück, das sie nach dem Militärputsch 1973 verlassen hat. Ihre hundertjährige Protagonistin Violeta, geboren 1920 in eine Grippepandemie, macht sich weise und gelassen zum Sterben in der Corona-Pandemie bereit. Suhrkamp, € 26,80

KRIMIS UND THRILLER

John Grisham: Die Heimkehr *

Cody war 15 und Vollwaise, als er in den Todestrakt verbracht wurde. Kein Anwalt konnte seine Unschuld nachweisen. 14 Jahre wartet er in Einzelhaft auf die Vollstreckung. Sein einziger Trost sind Taschenbücher und die Briefe einer betagten Dame. Cody steht im Zentrum von Grishams "Erdbeermond" aus der eben in einem Band erschienenen Romantrilogie. Ein gewohnt fulminantes Plädoyer gegen die Todesstrafe, die in den USA jährlich Schuldlose zu Tode bringt. Mit seinem "Innocent Project" tritt der studierte Jurist Grisham auch real gegen die Todesstrafe auf. Mit Erfolg, wie er zuletzt im News-Interview zu verstehen gab: Im Bundesstaat Virginia wurde die Todesstrafe kürzlich abgeschafft. Grishams Ruf als Meister der Gerichtsprosa manifestiert sich auch in den anderen beiden Romanen im Band "Heimkehr". Heyne, € 22,70

43 von den 73 Jahren seines Lebens hat Bert Hansson im Gefängnis verbracht. Jetzt ist er frei und gönnt sich einen neuen Namen, Adelbert Hanzon. Doch in Gestalt einer in die Jahre gekommenen Jugendliebe drängt ihn vergangen Geglaubtes. Mit der Ruhe ist es vorbei. Jetzt will er Klarheit über sein Leben. Verstörend, famos erzählt. Btb, € 22,70

In Wanne 4, Mitten unter dem Sperrmüll, wird ein Knie gefunden. Brenner ermittelt, aber nicht in Polizeiuniform, sondern im kleidsamen Orange der Wiener Müllabfuhr. Seinen Dienst bei der Exekutive hat er längst quittiert, doch seine ehemaligen Kollegen kommen nicht ohne ihn aus. Genuine Haas'sche Sprachkunst mit hohem Unterhaltungswert. Hoffmann &Campe, € 20,60

Lucille, eine betagte Schauspielerin in Los Angeles, bangt um ihr Leben. Schutz verspricht sie sich von einem stillen, großgewachsenen Zuwanderer, der Freunden skandinavischer Blutigkeiten als Harry Hole vertraut ist. Er will der armen Lucille gern behilflich sein. Da ruft man aus Oslo nach ihm, denn dort scheint ein Teufel losgelassen. Ullstein, € 26,80

1919: In Kiew tobt der Bürgerkrieg, und der junge Polizist Samson muss um sein Leben ermitteln: Erst wurde sein Vater erschlagen, dann wurde er selbst verstümmelt. Andrej Kurkow gibt in seinem Kriminalroman einen authentischen historischen Einblick ins heutige Kriegsgebiet Ukraine. Diogenes, € 24,70

Das Gefühl der Stunde treibt die einen in die Verzweiflung und die anderen in die Lethargie. Die über Jahrzehnte verwöhnte Gesellschaft kann mit Krisen nicht umgehen und steht nun erschöpft vor einer nicht endenden Folge von Katastrophen. Kaum ist Corona im Griff, ohne dass die gigantischen Leistungen der Medizin gewürdigt würden, da erklärt ein Wahnsinniger dem Westen den Krieg und bringt das Wirtschaftsgefüge ins Wanken. In dieser Situation ist Andreas Salchers erhellendes Buch pure Lebenhilfe: Inspiriert vom verewigten Sinnsucher Viktor Frankl, dem Glücksforscher Mihaly Csíkszentmihályi und dem Benediktiner David Steindl-Rast gibt er Anleitungen für ein sinn-und selbstbestimmtes Leben. Edition a, € 25,-

Von 2015 bis zur ihrem Tod schrieb Lotte Tobisch die Kolumne "Frau von Welt" in diesem Blatt. Inspirierender Klarblick kennzeichnete ihr gesamtes Leben, das Harald Klaus liebevoll, aber keineswegs beschönigend aufgezeichnet hat. Residenz, € 28,-

"Bambi" hat ihn traumatisiert, aber mit "Dirty Harry" konnte er schon als Achtjähriger etwas anfangen: Wie Quentin Tarantino zum Giganten der Blutoper wuchs, erzählt er erhellend und sehr amüsant in seinen Erinnerungen. Kiepenheuer & Witsch, € 26,80

Gattin der Größten, Genieverschlingerin und Muse in Personalunion. Der Regisseur Paulus Manker sicherte Alma Mahler-Werfel ein spektakuläres Nachleben auf der Bühne. Die Resultate von 25 Jahren Forschungsarbeit mit teils neu entdeckten Fotos dokumentiert er nun auf 376 Seiten. Amalthea, € 37,50

Die Zuerekennung des Literaturnobelpreises 2016 an Bob Dylan spaltete die literarische Welt. Dass er ansprechende Prosa schreiben kann, demonstriert er als Interpret von Songs zu Legenden gewordener Kollegen wie Elivs Presley und Frank Sinatra. C. H. Beck, € 36,-

Man kennt ihn als gefeierten Schispringer und danach als Organisator großer Events. Doch in seiner Seele sah es wegen quälender Selbstzweifel stockfinster aus. Jetzt hat er dreieinhalb Jahre lang ein Buch über die erfolgreiche Wegfindung aus dem seelischen Schlamassel verfasst. Neuper und Team, € 24,90

Opulent wie das Leben des Dokumentierten sind die Rechercheergebnisse des britischen Historikers über Louis XIV. Er zeigt den Sonnenkönig als Förderer der Künste und als brutalen Machtmenschen, der mit seinen Kriegen und dem Bau von Versailles die Grande Nation in den Ruin trieb. Propyläen, € 60,70

Dieser Beitrag ist ursprünglich in der News-Printausgabe Nr. 49/2022 erschienen.

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