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Das Ende der "Powerfrau"

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Eine starke Frau posiert für die Kamera.

©iStockphoto.com/KrisCole
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Fleißig und genügsam auf der einen Seite, stutenbissig und karrieregeil auf der anderen: Das Phänomen der "Toxischen Weiblichkeit" wird oft als weibliches Pendant zu einem männlichen Problem bezeichnet, doch es steckt mehr dahinter. Warum auch Frauen nicht immun gegen Machogehabe und Misogynie sind – und warum der Mythos der "Powerfrau", die alles schafft und sich nie beklagt, abgeschafft werden muss.

Das Wort "toxisch" hat in den vergangenen Jahren so manchen gesellschaftspolitischen Diskurs geprägt: Oft verwendet man ihn für Menschen, die fragwürdiges Verhalten gegenüber anderen walten ließen, meist in Liebesbeziehungen oder Freundschaften. Aber auch manipulierende, kontrollierende Chefs, die für ihre Belegschaft ein negatives, vergiftetes Arbeitsumfeld schaffen, gelten als toxisch. Oder Männer, die stets dominieren wollen, besonders aggressiv auftreten und an antiquierten Rollenbildern festhalten.

Passend dazu: Was tun, wenn mein Chef ein Narzisst ist?

Seit geraumer Zeit rücken auch Frauen in den Diskurs über toxische Verhaltensweisen. Als toxisch weiblich werden jene bezeichnet, die eine besonders klischeehafte Vorstellung von Weiblichkeit propagieren und so nicht nur sich selbst schaden, sondern auch anderen Frauen.

Eine unter vielen

Psychologe Ritch Savin-Williams ist Professor an der Cornell University und definiert in "Psychology Today" toxische Weiblichkeit so, dass viele Frauen stereotype "weibliche" Eigenschaften wie Passivität, Empathie, Sinnlichkeit, Geduld, Zärtlichkeit und Empfänglichkeit auch dann zum Ausdruck bringen, wenn sie eigentlich gegenteilig empfinden, nur, um nicht zu missfallen. Dieses Verhalten, so der Psychologe weiter, diene allein dem Umfeld, schade aber der Person – und in der Folge anderen weiblichen Personen. Als Beispiel nennt er, dass viele Eltern ihren nur wenige Wochen oder Monate alten Töchtern bereits Ohrringe stechen lassen, damit Mädchen "hübsch" aussehen, oder wenn Frauen bei einem Date nur Salat bestellen, um nicht anspruchsvoll oder vermessen zu wirken.

Menschen, die toxisch weiblich bzw. männlich denken und handeln, haben oftmals eine Reihe an misogynen und sexistischen Glaubenssätzen verinnerlicht. Schon der Satz, "Nicht wie alle anderen Frauen" beinhaltet die misogyne Vorstellung, alle anderen Frauen wären anstrengender, weniger interessant oder talentiert.

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Auch Frauen können sich toxisch verhalten und so antiquierte Rollenbilder unbewusst weitertragen

 © iStockphoto.com/LanaStock

Es sind ebensolche Glaubenssätze, die heranwachsenden Frauen und Mädchen suggerieren: "Es kann nur eine geben!". Ganz wie in Heidi Klums Castingshow "Germanys Next Topmodel". "So ein Verhalten ist in patriarchalen Strukturen angelegt: Es geht darum, die schönste, klügste oder begehrenswerteste Frau im Raum sein zu müssen, um mächtigen Männern zu gefallen, und der Macht dadurch im besten Fall näher zu kommen", erklärt Autorin Sophia Fritz, die in ihrem Essay "Toxische Weiblichkeit" fünf misogyne Frauenbilder aufgreift und aufzeigt, wie stark die Sicht auf Weiblichkeit durch diese Bilder geprägt ist. Frauenfeindliche Glaubenssätze sind Ausdrücke "internalisierter Misogynie", die alle Geschlechter betreffen kann, und beschreiben eine innere frauenfeindliche Haltung, die aufgrund der weiten sozialen Verbreitung selten hinterfragt wird. In der Folge wird angenommen, dass Frauen sich qua Geschlecht besser um Kinder kümmern können, weniger belastbar sind oder emotionaler – obwohl wissenschaftlich längst belegt ist, dass weder das eine noch das andere zutrifft.

Weiblich, erfolgreich, toxisch

In der Arbeitswelt setzt man sich aktuell intensiv mit dem Thema toxische Weiblichkeit auseinander. Autorin und Journalistin Verena Bogner nimmt in ihrem Buch "Not Your Business, Babe!"* Phänomene wie die "Girlboss"-Kultur genau unter die Lupe. Ihre Conclusio: Es reicht heute nicht mehr, die einzige erfolgreiche Frau am Tisch zu sein.

Themen wie echte soziale Verantwortung und Solidarität werden immer wichtiger. "Der Girlboss-Feminismus hat nur wenig mit echtem feministischen Fortschritt zu tun, wird aber gerne so dargestellt. Hier geht es aber bei genauerem Hinsehen lediglich um den Ego-Erfolg einzelner Frauen, die sich an die Normen und Regeln der Männer anpassen, um ebendiesen Erfolg zu erreichen. Beim Konzept "Girlboss" reicht es schon, wenn ich als Frau in einer Führungsposition bin, um als Heldin gefeiert zu werden, während völlig außer Acht gelassen wird, wie man sich verhält."

Diese Logik, so Bogner, habe etwas zutiefst Unsolidarisches in sich und mache Frauen zu Steigbügelhalterinnen des Patriarchats: "Also der Strukturen, unter denen sie selbst leiden und die sie eigentlich bekämpfen sollten." Fakt ist, dass gerade Österreich in Sachen Gleichstellung von Frauen enorm hinterherhinkt. Einer Analyse der Unternehmensberatung PwC zufolge liegt Österreich auf Platz 26 von 33 Ländern, wenn es um die Gleichberechtigung von Frauen am Arbeitsmarkt geht. Damit zählt die Republik zu den Schlusslichtern der internationalen Analyse.

Der enorme Gender-Pay-Gap (in Österreich verdienen Frauen im Schnitt 18,4 Prozent weniger) sowie mangelnde Repräsentation von Frauen in Führungspositionen (26,8 Prozent der Aufsichtsratsmandate in den umsatzstärksten 200 Unternehmen in Österreich werden von Frauen bekleidet, in den Geschäftsführungen sind Frauen zu 12,2 Prozent vertreten) sind Tatsachen. Gerade Frauen in sichtbaren Positionen sollten deshalb anfangen, sich aktiv ihren eigenen blinden Flecken in puncto toxischer Weiblichkeit zu widmen.

"Der machistische Mann verortet sich relativ klar über seinem Gegenüber, als 'Alpha'. Frauen nutzen häufiger die unterlegene Rolle des guten Mädchens oder der aufopferungsvollen Mutter, um in einem patriarchalen System bestmöglich zu bestehen", analysiert Autorin Sophia Fritz. Viele erfolgreiche Frauen versuchen daher, patriarchale Strukturen für sich zu nutzen oder zu umschiffen, indem sie nach außen hin so tun, als wäre die Vereinbarkeit von Karriere und Familie rein eine Frage der Organisation oder gläserne Decken kein Problem, solange man nur hart genug arbeitet. Bogner: "Es ist wichtig zu betonen, dass toxische Männlichkeit und Weiblichkeit keine Pendants im eigentlichen Sinne sind. Bei Ersterem geht es im Grunde um eigennütziges Machtverhalten. Und bei Zweitem darum, sich ans System, an Stereotype und Normen anzubiedern.

Schwache versus starke Frauen

Frauen, die es beruflich weit gebracht haben, werden in Medienberichten häufig als Ausnahmeerscheinungen, als "Powerfrau", gefeiert. Dass weit nicht alle Frauen dieselben Aufstiegs- oder Bildungschancen erhalten und die Vereinbarkeit von Karriere und Familie nicht nur eine Frage des Wollens, sondern vor allem der Ressourcen ist, wird dabei außer Acht gelassen.

Es geht lediglich um den Ego-Erfolg einzelner Frauen, die sich an die Normen und Regeln der Männer anpassen, um ebendiesen Erfolg zu erreichen

Verena Bogner, Autorin und Feministin

Die Realität ist, dass viele Frauen sich heute mehr denn je zwischen Familie und Beruf entscheiden müssen. Zu diesem Resultat kommt die Vermächtnisstudie des Wirtschaftszentrums Berlin für Sozialforschung, der Zeit und des Instituts für angewandte Sozialwissenschaft. In der Studie wird deutlich, dass vor allem junge Frauen die Vereinbarkeit von Familie und Beruf zunehmend anzweifeln. Mental Load innerhalb der Partnerschaft und sinkende Karrierechancen nach der Geburt eines Kindes lassen viele nicht mehr an das Märchen von der "Powerfrau" glauben, geschweige denn, dass man selbst eine sein möchte.

Sophia Fritz widmet der Powerfrau in ihrem Buch sogar ein ganzes Kapitel: "Wie gerne würde ich mich von diesem überholten Begriff distanzieren, der ein paar wenige Frauen mit dem Attribut 'stark' auszeichnet, und sie dadurch in diesem kargen Landstrich zwischen allen Männern und den schwachen Frauen aussetzt", schreibt die junge Autorin. Damit zeichnet sie ein treffendes und vor allem eindeutiges Bild: Schließlich wird nur selten ein CEO, der Familie und Job unter einen Hut bekommt, als "echter Powermann" bezeichnet.

Ein heikler Begriff

Die Terminologie ist, wie so oft bei feministischen Themen, eine heikle Angelegenheit. Denn obgleich man mit "Powerfrau" besonders karriereaffine, wirtschaftlich erfolgreiche Frauen mit dem Attribut "stark" auszeichnen möchte, so beinhaltet die Bezeichnung doch auch eine abwertende Komponente. Auch der Begriff "toxische Weiblichkeit" ist
im Kern ein ambivalenter: "Als ich den Begriff zum ersten Mal hörte, war da Wut. Auf keinen Fall wollte ich mir unter dem Deckmantel des Feminismus noch mehr misogyne Konzepte unterjubeln lassen. An Selbstkritik mangelt es uns Frauen ja nun wirklich nicht", so Fritz. "Dann spürte ich so etwas wie Unbehagen. Weil ich nicht sicher sagen konnte, ob ich nicht vielleicht manchmal selbst toxisch weiblich handle."

Verena Bogners Empfehlung: "Wir müssen mehr darüber reden, wie wir diese Denkmuster verlernen, mit denen wir uns gegenseitig schaden und feministische Solidarität verhindern." Denn erst gelebte Solidarität führt dazu, dass alte Strukturen nachhaltig zum Positiven verändert werden: nicht nur für einige wenige, sondern für alle.

Dieser Beitrag erschien ursprünglich in der News-Printausgabe Nr. 12/2024.

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