Narzissten gelten als rücksichtslos, entwertend und ausbeuterisch. Nicht gerade die beste Voraussetzung für eine gute Zusammenarbeit. Dennoch tummeln sich gerade auf der Führungsetage besonders viele Narzissten. Was bedeutet das fürs Unternehmen? Was für die Mitarbeiter? Und wie geht man am besten mit einem Narzissten um? Die Psychotherapeutin und Narzissmus-Expertin Dr. Bärbel Wardetzki steht Rede und Antwort.
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Grob umrissen: Woran erkenne ich, ob bei jemandem eine narzisstische Persönlichkeitsstörung vorliegt?
Erkennen ist hier immer schwierig. Nach außen hin wirken Narzissten ja sehr charmant, anziehend und klug. Anfangs ist man von ihnen meist sehr beeindruckt. Erst später stellt sich heraus, dass sie große Probleme in Beziehungen haben. Sie können sich kaum in andere Leute einfühlen, stellen sich immer in den Vordergrund, haben ein überstarkes Bedürfnis nach Bewunderung und Anerkennung. Das ist vor allem im Berufsleben schwierig, weil sie keine Teamplayer sind. Wenn das Team etwas erarbeitet hat, sagt diese Person: "Das habe ich herausgefunden." Narzissten schmücken sich gerne mit fremden Federn. Im menschlichen Umgang sind sie ausgesprochen schwierig, zum Teil auch sehr unangenehm. Vor allem die, die einen bösartigen, einen malignen Narzissmus haben.
Wie kann man sich das vorstellen?
Das sind Menschen, die sehr entwertend sind, die mit Ellenbogen durch die Gegend gehen, die keine Rücksicht auf andere nehmen, die ihr Ding durchziehen unabhängig davon, ob das dem Gemeinwohl schadet. Jeder, der nicht seiner oder ihrer Meinung ist, wird sofort ausgesondert, kaltgestellt und vielleicht sogar fertig gemacht - weil es für narzisstische Personen eine regelrechte Katastrophe ist, wenn jemand eine andere Meinung hat.
Wobei es ja unterschiedliche Formen von Narzissmus gibt ...
Früher hat man sich eigentlich nur um den sogenannten männlich grandiosen oder offenen Narzissmus gekümmert. Die grandiosen Narzissten lassen gleich gar nicht zu, dass sie sich schlecht, minderwertig oder klein fühlen. Die verdeckten Narzissten - diese Form findet man häufiger bei Frauen, aber auch bei Männern - sind eher in ihren Minderwertigkeitsgefühlen und im Selbstzweifel verwurzelt. Bei Kritik werden sie nicht andere kritisieren, sondern sich selbst infrage stellen. Der grandiose Narzisst hingegen lässt gleich gar keinen Selbstzweifel zu. Bei beiden Formen geht es im Grunde aber um dieselbe Thematik: die Suche nach Anerkennung, Liebe und Beachtung.
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Wie kommt es denn überhaupt soweit?
Menschen mit einer narzisstischen Thematik haben ein geschwächtes oder deformiertes Selbstwertgefühl. Weil sie als Kind nicht wirklich anerkannt oder entwertet oder aber einem Superstar gleich überwertet wurden. Nach dem Motto "Ich bin besser als ihr" schützen sie sich als Erwachsener mit der grandiosen narzisstischen Fassade vor neuer Verletzung und neuem Schmerz. Häufig sind auch die Eltern selbst narzisstisch geprägt und beuten die Kinder für ihre eigenen Bedürfnisse aus, nach der Devise "Das Kind ist dafür zuständig, mein eigenes Selbstwertgefühl zu stärken".
Narzissmus an sich ist ja noch keine Erkrankung. Wo liegt die Grenze zwischen narzisstischen Eigenschaften und einer narzisstischen Persönlichkeitsstörung?
Das ist schwer zu sagen. Oftmals ist der Übergang fließend. Man kann aber zum Beispiel schauen, aus welcher Motivation heraus jemand etwas tut. Manch einer klettert die Karriereleiter hinauf, schlicht und einfach weil er Lust an der Arbeit und Freude am Erfolg hat. Wenn die Person diesen Erfolg aber braucht, um sich überhaupt erst wertvoll zu fühlen, könnte eine narzisstische Thematik dahinterstecken. Im Grunde liegt immer dann eine narzisstische Thematik vor, wenn es darum geht, den eigenen Selbstwert durch - ich nenne es - narzisstische Manöver zu erhöhen. Ohne sie fühlt sich diese Person wertlos, nichtig und schlecht.
Wie hoch ist der Anteil von Menschen mit einer narzisstischen Persönlichkeitsstörung?
Das ist schwer zu sagen. Letztlich kann man ja nur die diagnostizieren, die in Therapie oder irgendeiner Form von Beratung sind. Man geht aber von ein bis fünf Prozent der Bevölkerung aus.
In einem im "Manager Magazin" erschienenen Artikel heißt es: "Narzissmus ist in Führungsetagen weit verbreitet. Viel weiter als in der Gesamtbevölkerung." Gemeint ist dabei selbstredend der grandiose Narzissmus. Warum ist dem so?
Weil in diesen Positionen die narzisstische Struktur doch sehr gefragt ist. Diese Menschen sind visionär. Sie sind mutig, packen an und gehen voraus. Wenn man in einem Unternehmen etwas vorwärts bringen will, kann man so jemanden gut brauchen. Zum Teil sind da aber auch sehr viele Blender drunter, die ihr Können bloß vorgaukeln. Das kann natürlich schiefgehen. Vor allem dann, wenn sie übers Ziel hinausschießen. So können sie die ganze Institution gefährden oder sogar ruinieren. Und natürlich leidet auch das Arbeitsklima unter einem stark grandios narzisstischen Chef. Wobei man nicht vergessen darf, dass es auch Leute mit einem sehr positiven Narzissmus gibt, die eine ganz andere Führungsqualität haben. Ich denke, ein gewisser Grad an Narzissmus ist für eine Führungsposition notwendig, weil jemand, der depressiv strukturiert ist oder soziale Ängste hat, andere ja auch gar nicht so führen kann.
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Das heißt, man kann dem Ganzen auch etwas Positives abgewinnen?
Es gibt Führungskräfte, die ein, sagen wir einmal, sehr gutes Selbstwertgefühl ausgebildet haben und trotzdem sehr menschlich sind. Das sind die, die sich nicht größer machen müssen. Die auch kritikfähig sind. Anders als der grandiose Narzisst. Der wird immer lauter Ja-Sager um sich versammeln, damit keiner sagt: "Hey, was machst du denn da?". Was nicht ungefährlich ist, denn dann werden keine Korrekturen gesetzt. Dann ist keine Entwicklung möglich. Diese Vorgesetzten sind wirklich eine Schwierigkeit. Aber es gibt, wie gesagt, auch Leute mit einem positiven Narzissmus, die sehr, sehr führungsstark und auch selbstreflexiv sind.
Können Sie das näher erläutern?
Das sind Menschen, die um ihre Stärken wie um ihre Schwächen wissen, die gute Beziehungen eingehen können und ihr Selbstwertgefühl in schwierigen Situationen, auch in Versagenssituationen, selbst wieder ins Gleichgewicht bringen können. Das kann ein Mensch mit einem defizitären Narzissmus nicht. Der ist auf die Bestätigung von außen angewiesen. Deshalb braucht er immer Leute, die applaudieren und ihn bestätigen. Menschen mit einem positiven Narzissmus brauchen das nicht. Zumindest nicht in dem Ausmaß. Die haben nicht das Gefühl allen zeigen zu müssen, dass sie toller und besser sind als die anderen.
Was passiert, wenn man einem solchen Narzissten nicht die Bühne gibt, die er braucht? Wenn man ihm nicht applaudiert?
Dann ist er schwer gekränkt und wird die betreffende Person das auch spüren lassen, indem er sie degradiert, beschimpft, mobbt oder gar rausschmeißt. So etwas kann er nicht akzeptieren. Nicht zuletzt deshalb, weil er Angst hat, dass die Fassade bröckelt und das ganze System zusammenbricht. Daher müssen alle, die ihm eventuell gefährlich werden können, weg.
Demnach empfiehlt es sich vermutlich auch nicht, einen grandiosen Narzissten vor anderen zu kritisieren.
Das ist für jeden Menschen eine Katastrophe, weil das natürlich unglaublich beschämend ist. Deshalb sollte man es möglichst vermeiden. In der Regel werden grandiose Narzissten aber ohnehin nicht öffentlich kritisiert. Vielmehr sind sie diejenigen, die öffentlich kritisieren. Wobei sie keinerlei Rücksicht darauf nehmen, wie sich der andere dabei fühlt. Das ist ihnen wurscht. Wenn sie sich erst mal bedroht fühlen, schlagen sie wie wild um sich. Im Grunde ist da ganz viel Unsicherheit dahinter, was man diesen Menschen eigentlich nicht ansieht, weil sie ja so selbstbewusst wirken. Aber da ist eine unbewusste Angst, dass jemand bemerken könnte, dass irgendetwas an ihnen doch nicht so gut ist. Weil dann wären sie am Ende der oder die Dumme. Deshalb machen sie lieber die anderen zu den Dummen.
Sie erwähnten bereits, dass ein grandioser Narzisst das Arbeitsklima nicht gerade verbessert. Was genau bedeutet das nun für den einzelnen Mitarbeiter? Was macht es mit einem Menschen, wenn er unter einer derartigen Persönlichkeit arbeiten muss?
Die Mitarbeiter haben oft das Gefühl, für ihre Arbeit nicht gewürdigt zu werden. Sie selber beschreiben das dann als "Ich werde gar nicht gelobt". Dieser Mangel an Lob und Zuwendung ist natürlich sehr schmerzhaft. Abgesehen davon geht es dem grandiosen Narzissten viel um Konkurrenz, um Entwertung und vielleicht sogar um die Produktion von Angst. Die Mitarbeiter kommen in die Arbeit mit dem Gedanken: "Oh Gott, hoffentlich passiert heute nicht irgendwas Schlimmes". Sie werden sich also nicht wohlfühlen in dem Sinne, dass da jemand ist, der für sie sorgt, was im Grunde ja auch zum Jobs eines Vorgesetzten gehört: sich auf eine gute Art und Weise um die Mitarbeiter zu kümmern. Wenn ich dann noch jemand bin, der Zuwendung, Belohnung und einen guten Ton braucht, werde ich große Probleme bekommen. Weil genau das kriegt man von einem grandiosen Narzissten eben nicht.
Wobei es selbst guten Führungskräften passieren kann, dass sie aufs Loben vergessen. Schlicht und einfach deshalb, weil sie selbst so viel um die Ohren haben.
Es geht ja nicht darum, die Mitarbeiter jeden Tag zu loben. Viel mehr ist das eine Frage der menschlichen Haltung. Ist es eine Haltung der Wertschätzung und der Zugewandtheit? Oder geht es mir nur darum, mich selbst im besten Licht zu zeigen?
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Wie verhalte ich mich als Mitarbeiter am besten, wenn ich einen grandiosen Narzissten als Chef habe?
Das kommt ganz auf die Beziehung zwischen Vorgesetztem und Mitarbeiter an. Es ist sicherlich klug, ihn mit ins Boot zu holen - nach dem Motto: "Wir brauchen Sie". Wenn man Kritik übt, sagt man: "Das haben Sie wahrscheinlich auch schon bemerkt ...". Damit unterstellt man ihm, schon Bescheid gewusst zu haben. Man sollte versuchen, dieser Person so weit entgegenzukommen, dass man einen relativ störungsfreien Kontakt hat. Den eigenen Wunsch nach Bestätigung und freundlichem Kontakt muss man dabei hintanstellen. Wobei grandiose Narzissten nicht nur sehr entwertend, sondern auch sehr idealisierend sein können. Es kann also durchaus passieren, dass man vom Chef in den Himmel gelobt wird. Nach dem Motto: "Sie sind die beste Mitarbeiterin, die ich je hatte!" Die Frage ist aber: Bleibt es dabei? Trägt das durch? Oder lässt er einen im nächsten Moment fallen?
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Es schadet also nicht, sich eine dicke Haut zuzulegen ...
Narzisstische Menschen sind eine Herausforderung an unser aller Selbstwertgefühl. Je besser es ist, umso besser kann ich mit solchen Personen umgehen. Weil ich dann nicht drauf angewiesen bin, von ihnen die Beachtung zu kriegen, die ich mir eigentlich wünsche. Dabei lernt man viel über sich selbst, darüber, was man entwickeln muss, um sich so einem Menschen gegenüber klar positionieren zu können. Damit man sich nicht einlullen lässt von der Entwertung oder aber von der Aufwertung. Man ist gefordert, eine autonome, unabhängige Person zu bleiben. Das ist nicht immer einfach, aber letztlich kann man davon profitieren. Wenn man unter dieser Person allerdings so sehr leidet, dass es überhaupt nicht mehr geht, ist es besser zu kündigen und sich eine andere Stelle zu suchen. Man muss nicht aushalten. Man kann auch die Konsequenz ziehen und sagen: "Wenn ich mich von dieser Person nicht abgrenzen kann, dann geht das für mich nicht."
Steckbrief
Bärbel Wardetzki
Dr. Bärbel Wardetzki ist in München als Psychotherapeutin, Supervisorin und Coach tätig. Sie ist Bestsellerautorin und gefragte Referentin im In- und Ausland. Ihr thematischer Schwerpunkt liegt auf Narzissmus, Beziehungsproblemen und Kränkungserlebnissen im beruflichen wie auch im privaten Kontext, auf Krisensituationen und Essstörungen. Hier geht es zu ihrer Homepage.
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