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Salzburger Festspiele: Wo Oper zum denkwürdigen Ereignis wird

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Seit Beginn von Markus Hinterhäusers Amtszeit als Intendant der Salzburger Festspiele hat sich diese Institution dem Diktum, "Epizentrum des Besonderen" zu sein, verschrieben. Auch die aktuelle Ausgabe löst dieses im Bereich Oper und Konzert ein. Intendant Markus Hinterhäuser kann einen weiteren, erfolgreichen Festspielsommer verbuchen.

Wo kann man das sonst erleben, dass komplett unterschiedliche Werke in konzertanten Aufführungen auf zwei aufeinanderfolgenden Tagen in höchster Qualität zu erleben sind? Die Rede ist von Luigi Nonos "Il Canto sospeso" in Kombination mit "Il prigioniero". Der französische Dirigent Maxime Pascal führt diese beiden Werke mit dem ORF Radiosymphonieorchester Wien (RSO) in der Felsenreitschule auf. Nono schuf die Musik zu den letzten Worten von Menschen vor ihrer Hinrichtung. Diese oft verzweifelten Worte des Trosts an jene, die zurückbleiben sollten, trägt Tobias Moretti beklemmend vor. Dirigent Pascal trägt diesem verstörenden, atemberaubenden, musikalischen Dokument aus der tiefsten Düsternis des 20. Jahrhunderts mit höchster Präzision Rechnung. Der österreichische Bariton Georg Nigl ist im zweiten Teil Dallapiccolas "Gefangener". John Daszak lässt als Gefängniswärter puren Sadismus spüren. Tanja Ariane Baumgartner ergänzt als intensiv bangende Mutter des Gefangenen ergänzt diese denkwürdige Aufführung. (Auf Arte concert ab 29. 8.) 

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Am Folgetag dann das Kontrastprogramm: Richard Strauss’ Oper komödiantisches "Capriccio" mit Christian Thielemann am Pult der Wiener Philharmoniker. Das ist Strauss-Klang, wie man sich ihn heute nicht besser wünschen kann. Atemberaubend die kammermusikalischen Passagen. Dass dieses Werk nicht szenisch auf die Bühne kam, lässt nichts vermissen. Denn Strauss schuf ein musikalisches Konversationsstück, das mit viel Humor einen Komponisten und einen Dichter über den Vorrang von Musik oder Text streiten lässt. Fulminant sticht die Sopranistin Elsa Dreisig als Gräfin aus dem gut besetzten Ensemble hervor. Mika Kares ist ein fast zu schön phrasierender Schauspieldirektor La Roche. Eve Maud-Hubeaux wirft sich mit Verve in die Partie der Schauspielerin Clairon. Bo Skovhus ist ein famoser Graf. Sebastian Kohlhepps Flamand und Konstantin Krimmels Olivier ergänzen ohne Makel. (Auf Ö1 bis 26.8.)

"Ich revoltiere, also sind wir"

Überschrieben ist diese Ausgabe der Salzburger Festspiele mit einem Satz aus Albert Camus’ Essay-Band "Der Mensch in der Revolte". Dessen zentraler Satz "Ich revoltiere, also sind wir", manifestierte sich im gesamten Opernprogramm. Von Mozarts "Don Giovanni" verstörend, aufwühlend dirigiert von Teodor Currentzis bis zur finalen Produktion, "Hoffmanns Erzählungen". Alle in diesem Jahr aufgeführten Werke eint die Sonderstellung ihrer zentralen Protagonisten. Außenseiter, Menschen, die sich mit gegeben Umständen nicht abfinden wollen.

Was Sie in der letzten Woche der Salzburger Festspiele noch live erleben können und danach per Stream:

Hoffmanns Erzählungen

"Hoffmanns Erzählungen" von Jacques Offenbach geriet zur am stärksten polarisierenden Produktion dieses Festspiel-Sommers. Das liegt nicht so sehr an Mariame Clements Regie wie am Dirigat von Marc Minkowski. Der Offenbach-Forscher hat seine eigenen Vorstellungen von diesem Werk, die aber konnte er den Wiener Philharmonikern nicht vermitteln. Dass Clement wie im Vorjahr Christoph Marthaler Verdis „Falstaff“ in ein Filmset verlegt, womit er nicht wirklich reüssierte, mag bereits einen gewissen Schatten über die Produktion werfen. Dennoch, auch, wenn die Regisseurin ihr Konzept plausibel präsentieren konnte, wartet man vergeblich auf die Magie dieses Werks. Von E. T. A. Hoffmanns schwarzer Romantik,  den Offenbach verehrte, bleibt da nicht viel. Viele im Publikum, die E. T. A. Hoffmann nicht so zugetan sind, schätzen diese Arbeit sogar. Clement zeigt Hoffmann als erfolglosen Regisseur, der seine vergeblichen Versuche, eine Geliebte zu finden, in Szene setzt.

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 © SF/Monika Rittershaus

So könnte man das Geschehen auf der Bühne zusammenfassen. Dass die Puppe Olympia eine Figur in einem Science-Fiction-Film spielt, ist nur eine der Regie-Ideen. Der Antonia-Akt verliert seine Dramatik. Denn diese junge Frau, die singt, auch wenn das für sie den Tod bedeutet, ist eine Figur in einem Horror-Film. Warum sich die beiden Frauenfiguren mit der Kurtisane zu einer verschmelzen, ist kaum nachvollziehbar. Das Argument, sich diese Produktion anzusehen liefert der Tenor der Titelrolle Benjamin Bernheim. Er singt diese fordernde Partie mit Noblesse. Da fehlt nichts, das in vielen Facetten schimmernde Timbre, die Kraft, die ein Tenor dafür braucht, den Glanz in der Stimme, die Kunst zu phrasieren. Kate Lindsay überzeugt als Muse/Nicklausse. Kathryn Lewek bewältigt alle drei Frauenrollen mit Bravour. Christian Van Horn alle drei Bösewichter. (Vorstellungen am 24., 27., 30. August, auf orf.at bis 23.8., auf Stage+ am 24., und 25. 8.)

Der Spieler

In seinem Roman "Der Spieler" lässt Dostojewski seine eigene Spielsucht zur Literatur werden. Sergej Prokofjew erkannte das Potential des Stoffes und Regisseur Peter Sellars die Parallelen zu heute, einer sich in ständiger Panik befindlichen Panik. Mit leuchtenden Spieltischen, die sich je nach Bedarf wie Luster hochziehen lassen, verwandelt Sellars die Felsenreitschule in das fiktive Kasino von Dostojewskis Roulettenburg. Atemberaubende Massenszenen, verstörende Einzelschicksale bilden eine Gesellschaft von Verlorenen ab.

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 © SF/Ruth Walz

Im Zentrum steht der junge Hauslehrer Alexej, intensiv verkörpert von Tenor Sean Panikkar. Er ringt um Geld und die Gunst der Generalstochter Polina. Asmik Grigorian zeigt diese mit weiten grauen Jeans und Sweater, betört mit ihrem Sopran. Ins Zentrum singt sich Violeta Urmana als Babulenka, die der Gier ihrer vermeintlichen Erben zum Trotz ihr Geld verspielt. Timur Zangiev lässt mit den Wiener Philharmonikern das Überwältigende von Prokofjews Musik spüren. (Vorstellungen am 25. und 28.8., auf 3sat am 24.8. dann in der 3sat-Mediathek).

Der Idiot

Zum Triumph geriet "Der Idiot" von Mieczysław Weinberg. Der zuerst von den Nazis, dann von Stalin verfolgte Komponist setzte Dostojewski Geschichte über einen arglosen, jungen Menschen, der in eine Gesellschaft gerät, die von Gier und Hass getrieben ist. Fürst Myschkin ist sein Name. Seine jüngsten Jahre verbrachte er in seinem Sanatorium in der Schweiz, da er an epileptischen Anfällen leidet. Regisseur Krzysztof Warlikowski, ein Meister im Ausleuchten menschlicher Abgründe, übertrifft sich bei dieser Produktion selbst. Er verwandelt die Bühne im Großen Festspielhaus simultan in ein Zugabteil, einen Salon, ein Kabinett und lässt auch noch Raum für wissenschaftliche Abhandlungen und Symbole. Die Handlung des Romans ist da schlüssig zu verfolgen. Auf seiner Rückkehr nach St. Petersburg lernt er einen jungen Mann namens Rogoschin kennen. Der ist einer Dame von unzweifelhafter Verrufenheit zugetan. Myschkin sieht in ihr eine Art Opfer der Gesellschaft, will sie aus Mitleid ehelichen. Das führt zur Katastrophe.

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 © SF/Bernd Uhlig

Der junge, in der Ukraine geborene Tenor, Bogdan Volkov verkörpert Myschkin mit darstellerischer und vokaler Genialität. Virtuos die epileptischen Anfälle, atemberaubend, wenn er sich im Pianissimo über die Ereignisse eines seltsamen Tages wundert. Auch die übrige Besetzung lässt keinen Wunsch offen. Ausrine Stundyte setzt auf Expressivität. Vladislav Sulimsky ergänzt exzellent als Rogoschin. Mirga Gražinytė-Tyla, eine Weinberg-Spezialistin, führt die Wiener Philharmoniker mit sicherer Hand durch diese selten gespielte Partitur.

Die Musik changiert zwischen einer Art Spätromantik und Expressionismus, zwischen wundersam lyrischen Passagen und absoluter Brutalität. Gražinytė-Tyla wird in der kommenden Spielzeit ein Abonnement-Konzert der Wiener Philharmoniker leiten. (Letzte Aufführung bei den Salzburger Festspielen am 23. 8. Im Stream auf Stage+, am 23. 8. um 20 Uhr, Wh am 24. 8. Um 13 Uhr). Diese Produktion lässt nur einen Wunsch offen: dass sie wieder aufgenommen wird. Damit ist sie exemplarisch für diesen Festspielsommer. 

Konzertprogramm

Denkwürdiges auch im Konzertprogramm, das Arnold Schönberg den Schwerpunkt "Zeit mit Schönberg" widmete.

Hörtipps:

  • "Entrückung" mit: Georg Nigl, Bariton; Markus Hinterhäuser, Klavier; Anna Prohaska, Sopran; Minguet Quartett; Christoph Luser, Lesung auf: sound.orf.at

  • Bruckners 8. Symphonie in c-Moll, Riccardo Muti dirigiert die Wiener Philharmoniker.

  • Das Young Conductors Preisträgerkonzert (YCA). Hankyeol Yoon dirigiert das RSO, María Dueñas (Geige) mit Werken des Dirigenten, Max Bruch und Tschaikowski (Ö1 bis 20.9.)

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