Um Kunst geht es in den ständig aufkochenden Debatten am wenigsten. Was sich um die Kulturhauptstadt Bad Ischl aufgebaut hat, ist bezeichnend. Erfreulich hingegen das Scheitern der Amateurkabalen gegen Hinterhäuser
Oft fleht unsereiner noch in der Stunde vor Redaktionsschluss um das Thema, das ihn barmherzig über den Abgrund der weißen Seite trägt: Gähnt der Abgrund, gähnen nachher infolge Themenredundanz womöglich auch Sie. Meine dieswöchige Verlegenheit ist von konträrer Beschaffenheit: Die Geschichten stürzen derart auf mich ein, dass ich mich disziplinieren muss, Sie nicht mit einem Themenschwall zu überfallen. Lassen Sie es mich also halbwegs geordnet angehen.
Die meist willkürlich nobilitierten Kulturhauptstädte patriotisch korrekt willkommen zu heißen, war stets eine mühevolle Übung. In Bad Ischl vertrat man schon anlässlich der Nominierung die Überzeugung, sich mit der allsommerlichen Anwesenheit des Kaisers für die Position ausreichend qualifiziert zu haben. Nun bin ich infolge eines kraftvollen mütterlichen Einschlags mit dem Sturheits-Gen, das Söhnen und Töchtern des Salzkammerguts eignet, quasi überausgestattet. Keinen Augenblick lang war ich daher überrascht, als die 23 involvierten Gemeinden alsbald auf Mord und Brand zu rebellieren begannen. Als dann inmitten des Chaos die Kulturmanagerin Elisabeth Schweeger, eine Europaligistin intellektuellen Widerdenkens, übernommen hat, wusste ich, dass da nichts Alltägliches bevorstehe. Jetzt hat sie eröffnet, und wie!
Alles Gebotene - insbesondere die vor Ironie klirrende Kreation "Pudertanz" der anerkannten Choreografin Doris Uhlich - war aus der Region generiert und künstlerisch motiviert. Dass man das Paket via ORF einem unvorbereiteten Publikum um die Ohren geschlagen und damit das Dante'sche Inferno in zeitgenössischer Instrumentierung - als Qualrülpsen des Steuerzahlers - geöffnet hat? Darüber kann man streiten. Zumal sich jetzt jeder Sumper den nächsten Skandal erwartet. Schon erhitzt sich die Gmundner Regionalpublizistik darüber, ob die zutiefst humanen Kinderbilder des Weltkünstlers Gottfried Helnwein nicht auch ein Skandal sind (in Wien waren sie für die Albertina, den Stephansdom und den Ringturm geeignet). Der Ehrengmundner Thomas Bernhard frohlockt von drüben!
Ich nehme den "Pudertanz" als Aufstampfen des Trotzes über die Inferiorität hiesiger Debatten, die mit allem, nur nicht mit Kunst zu tun haben.
Dass sie mit Denunziationsgeschichten über Helnweins frühere Scientology-Mitgliedschaft auch das so genannte Qualitätsfeuilleton erreicht haben, ist weder überraschend noch bedrückend, sondern ermutigend: Kein vernünftiger Journalist hat die Kampagne aufgenommen, niemand sich vom Ausstellungsbesuch abhalten lassen. Helnwein steht auf der Höhe des Ruhms (und des Marktwerts).
Damit kann ich mich zum zweiten Thema schwingen: Die konfuse Strafanzeige eines Gschaftlhubervereins gegen die Salzburger Festspielführung war sogar der Korruptionsstaatsanwaltschaft zu offen denunziatorisch. Sie hat die Causa nach Salzburg weiterverwiesen, wo sie mangels Anfangsverdachts zurückgelegt wurde. Es ging - Sie erinnern sich - darum, dass die Festspiele im Corona-Sommer 2020 einen Zusatzchoristen nicht beschäftigen konnten. Warum? Weil Helga Rabl-Stadler, Markus Hinterhäuser und der kaufmännische Direktor Lukas Crepaz ein bewundertes Notprogramm gezaubert haben, während die Welt zugesperrt war. Dass der infolge höherer Gewalt unbenötigte Aushilfs-Caruso von den Festspielen deshalb nicht gefährlich bedroht, genötigt und schwer betrogen wurde, fand auch die Staatsanwaltschaft, und das erleichtert sehr: War das Ganze doch konzipiert, um die bis Sommer anstehende Vertragsverlängerung des Intendanten zu torpedieren. Es haben ja schon schwächere Anschuldigungen genügt, um Personen auf den Wegen (sozial)medialen Krawalls um die Existenz zu randalieren.
Einschlägige Spezialisten, die ihr Geschäft mangels Branchenakzeptanz in Sudelblogs verrichten, erleiden derzeit Niederlage um Niederlage: Der besonders bekämpfte Hinterhäuser wurde soeben mit zwei internationalen Auszeichnungen geehrt. Anna Netrebko könnte gefeierter und beschäftigter nicht sein. Der anhaltend belästigte Christian Thielemann steht in Berlin, Wien und Bayreuth, von wo man ihn schon erfolgreich verbellt hatte, auf der Höhe seiner Unersetzlichkeit.
Und Wiens Festwochenintendant Milo Rau kann für sein großartiges Projekt nicht genügend gewürdigt werden: Der wegen angeblicher Putin-Nähe von den Cancel-Kretins bedrängte Weltdirigent Teodor Currentzis wird vor seinem Salzburger "Don Giovanni" in Wien Brittens "War Requiem" dirigieren. Komplementär verantwortet die ukrainische Kollegin Oksana Lyniv ein Werk aus ihrer Heimat. Nun hat sie allerdings auf erwähntem Sudelblog ihre Mitwirkung in Frage gestellt, offenbar infolge Drangsalierung durch den Betreiber. Lässt sie sich vom Stalker tatsächlich einschüchtern, wird Rau sie hoffentlich nicht an der Abreise hindern. So wie die Intendanz der Arena von Verona 2022 nicht gezögert hat, die Sopranistin Angel Blue mit Worten des Bedauerns vom Vertrag zu entbinden: Sie sah sich außerstande, "La Traviata" zu singen, weil Anna Netrebko in Befolgung von Verdis Anweisung als Aida "Blackfacing" getrieben habe. Die Verzweiflungsschreie über Mrs. Blues Abwesenheit gellten der vielfach bedeutenderen Kollegin in der Gestalt von Ovationen um die Ohren.
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