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Allenfalls Viertel-Volkskanzler

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Johannes Huber

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Herbert Kickl täuscht darüber hinweg, dass er eine Mehrheit gegen sich hat. Damit riskiert er viel. Unter anderem, Karl Nehammer zu stärken, der bereits Hoffnung schöpft

FPÖ-Chef Herbert Kickl hat es weit gebracht: Bei der Europawahl ist seine Partei gerade zum ersten Mal bei einem bundesweiten Urnengang auf Platz eins gekommen. Umfragen zufolge könnte ihr das auch bei einer Nationalratswahl gelingen. Sie liegt jedenfalls vorne.

Das ist bemerkenswert: Unter Kickls Vorgängern Jörg Haider und Heinz-Christian Stache wäre das eher schon wieder zu viel des Guten gewesen. Protestwähler wollten, dass sie stark sind, aber nicht so sehr, dass sie ins Kanzleramt kommen könnten. Bei Kickl ist das anders. Er hat frühzeitig begonnen, dafür zu sorgen, dass sie sich auch mit dieser Vorstellung anfreunden. Und zwar, indem er sich als „Volkskanzler“ inszeniert, der vorgibt, allen Österreichern uneingeschränkt zu entsprechen.

Diese Strategie ist einerseits wirkungsvoll. Siehe Europawahl und bisherige Umfrageergebnisse. Andererseits riskiert er damit jedoch, früher oder später groß zu scheitern.

Spätestens nach der Nationalratswahl wird es kritisch für den 55-Jährigen, wenn er im Falle eines Wahlsiegs einen Regierungsbildungsauftrag erhalten sollte. Dann wird es schwer bis unmöglich für ihn, den Erwartungen gerecht zu werden, die er mit dem Begriff „Volkskanzler“ schürt: Er wird zumindest einen Koalitionspartner brauchen und dafür weitreichende Zugeständnisse machen müssen. Vor allem, wenn er gezwungen sein sollte, sich für eine Mehrheit auf parlamentarischer Ebene nicht nur um die Unterstützung von Türkisen, sondern etwa auch von Sozialdemokraten, Grünen oder Neos zu bemühen. Es wäre ein Albtraum für ihn. Zumal er sie alle als "Volksverräter" darstellt.

Zuerst aber muss er mit der FPÖ bei der Nationalratswahl triumphieren. Im Hinblick darauf ist das mit dem „Volkskanzler“ erst recht zweischneidig: Kickls Problem ist, dass er extrem polarisiert. Er ist weit davon entfernt, 100 Prozent des Volkes hinter sich zu haben. Es handelt sich allenfalls um ein Viertel. Mehr Menschen vertrauen ihm persönlich nicht, mehr würden ihn bei einer Kanzlerwahl kaum unterstützen: Über 70 Prozent misstrauen ihm, viele würden ihm ihre Stimme verweigern.

Das ist die Hoffnung von Kickls Mitbewerbern. Allen voran jene von Amtsinhaber Karl Nehammer (ÖVP), der nach der Europawahl in einer besseren Position ist als Andreas Babler (SPÖ). Nehammer mag weniger Unterstützer haben als der FPÖ-Chef, er hat aber nicht so viele Gegner, die ihn unter keinen Umständen im Kanzleramt haben möchten und sich daher allein zur Kickl-Verhinderung vorstellen könnten, Türkis zu wählen. Darauf könnte es letzten Endes ankommen. Daher bemüht sich die ÖVP auch schon um eine "Kickl oder Nehammer"-Zuspitzung.

Babler läuft die Zeit davon

Andreas Babler ist als SPÖ-Chef angetreten, Wähler anzusprechen, denen die Teuerung zu schaffen macht und die das Gefühl haben, von Regierenden hängengelassen zu werden. Seine unmittelbare Konkurrentin dabei ist die FPÖ von Herbert Kickl. Weit gekommen ist er damit jedoch nicht: Messbaren Erfolg hat er bisher keinen erzielt, bei der Europawahl fiel seine Partei sogar auf Platz drei zurück, wurde von den Freiheitlichen überholt und blieb hinter der ÖVP.

Die Ausgangslage für die Nationalratswahl ist damit denkbar schlecht: Eine "Graswurzelbewegung" zugunsten der SPÖ, die Babler angekündigt hat, ist bisher nicht entstanden und wird sich bis zum Urnengang Ende September auch nur noch schwer auslösen lassen. Erstens: Nicht Babler steht nun als derjenige da, der am ehesten einen Kanzler Kickl verhindern kann, sondern Amtsinhaber Karl Nehammer (ÖVP). Zweitens: Es ist nicht mehr viel Zeit. Bald beginnt der Hochsommer und damit auch eine Phase, in der kaum jemand empfänglich ist für Politik. Danach sind es nur noch wenige Wochen bis zur großen Entscheidung.

Schlimmer für Babler: Zu viele Menschen müssen nach wie vor jeden Cent zweimal umdrehen. Von finanziellen Schwierigkeiten berichten aber bei Weitem nicht mehr so viele wie vor einem Jahr. "Zuwanderung" und "Sicherheit und Krieg" werden stattdessen zunehmend (wieder) als größere Probleme wahrgenommen. Und zu Zuwanderung im weitesten Sinne bleibt die SPÖ auch unter Führung des 51-Jährigen nach innen zerstritten und nach außen ohne erkennbare Linie. Bezeichnend: Kurz vor der Europawahl zeigte sich Klubobmann Philip Kucher offen für Abschiebungen nach Afghanistan. Das wurde umgehend jedoch von Babler und anderen Genossinnen und Genossen relativiert. Womit eine verwirrte Wählerschaft zurückblieb.

Österreicher stehen auf der Seite der Ukraine

Bald zwei Jahre nach Beginn des russischen Angriffskriegs rückt eine Mehrheit der Österreicherinnen und Österreicher nicht von der Seite der Ukraine ab. Im Gegenteil, wie Ergebnisse der jüngsten Eurobarometer-Erhebung zeigen: Die Unterstützung hat zuletzt zugenommen.

Mehr als 1.000 Menschen vom Boden- bis zum Neusiedlersee werden regelmäßig gefragt, wie sie zu EU-Maßnahmen in Bezug auf den Krieg stehen. Im vergangenen Frühling gaben 55 Prozent an, den Sanktionen gegen Russland zuzustimmen. Heute tun das mit 67 Prozent ganze zwei Drittel. Auch der Anteil der Männer und Frauen, die für die Finanzierung von Waffenlieferungen an die Ukraine sind, ist gestiegen: von 40 auf 49 Prozent. Umgekehrt sind nicht mehr 56, sondern 48 Prozent dagegen. Ungebrochen ist die Hilfsbereitschaft gegenüber der ukrainischen Bevölkerung: 75 Prozent sprechen sich für die Aufnahme von Flüchtlingen aus. Vor einem Jahr waren es 73 Prozent.

Auffallend ist, dass sehr viele Österreicherinnen und Österreicher den russischen Angriffskrieg als Bedrohung für die Sicherheit wahrnehmen: 73 Prozent sehen eine solche für die EU, 67 Prozent für das eigene Land. Auch diese Anteile sind im Jahresvergleich stark gestiegen.

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Die Ergebnisse der Eurobarometer-Erhebung mögen überraschen: Bei der Europawahl zählte "Sicherheit und Krieg" laut Wahltagsbefragung des ORF zu den entscheidenden Themen. Vor allem aber ist mit der FPÖ eine Partei auf Platz eins gekommen, die ausdrücklich gegen die Sanktionen sowie gegen Waffenlieferungen auftritt, ja darin eine "Kriegstreiberei" ortet. Ihr Erfolg ist jedoch kein Widerspruch zur allgemeinen Stimmungslage: Sie mag damit alles in allem eher Positionen einer Minderheit vertreten, tut dies aber mehr oder weniger allein.

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