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"Die Rechte auslaugen, ermüden, fertigmachen"

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Schriftsteller Peter Stephan Jungk

Klare Gedanken. Peter Stephan Jungk, 71 und Kenner der Grande Nation

©Lillian Birnbaum
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In seinem Buch "Marktgeflüster" blickt der österreichische Schriftsteller Peter Stephan Jungk in Frankreichs Seele. Der Sohn des Grünen-Gründers Robert Jungk pendelt seit 30 Jahren zwischen Paris und Wien. Mit News spricht er über das Revolutions-Gen der Franzosen, politisches Chaos, Macrons Neuwahlen und die Grünen in Österreich.

In wenigen Wochen, am 26. Juli, werden in Paris die Olympischen Spiele eröffnet und Frankreich versinkt im Chaos, Hunderttausende demonstrieren gegen rechts. Präsident Emmanuel Macron hatte am 10. Juni, dem Tag nach der EU-Wahl, die Nationalversammlung aufgelöst und Neuwahlen ausgerufen. Der Grund: seine Partei, die Renaissance (RE), hatte herbe acht Prozent der Stimmen verloren. Die rechte Rassemblement National kam mit 31 Prozent auf den ersten Platz.

Der österreichische Schriftsteller Peter Stephan Jungk pendelt seit 30 Jahren zwischen Paris und Wien. Sein jüngstes Buch widmete er einer "heilen Welt" innerhalb der Metropole an der Seine, dem Marché Aligre. News erreichte den vor 71 Jahren geborenen Sohn des Grünen-Gründervaters Robert Jungk in Paris zum Gespräch über die Lage in Frankreich, Macrons Gründe, nach dem Verlust seiner Partei Neuwahlen auszurufen, und den Antisemitismus der Linken.

© Lillian Birnbaum

Steckbrief

Peter Stephan Jungk

geboren
19.12.1952
Geburtsort
Santa Monica, Kalifornien
Aktuelle Position
Schriftsteller
Beschreibung

Peter Stephan Jungk wurde am 19. Dezember 1952 in Santa Monica, Kalifornien, in den USA geboren. Sein Vater war der Journalist und Mitbegründer der Grünen, Robert Jungk. Seine Kindheit verbrachte er in Berlin und Salzburg. In den 1970er-Jahren studierte er am American Film Institut in Los Angeles. 1977 arbeitete er mit Peter Handke an dessen Film „Die linkshändige Frau“. 1980 besuchte er als gebürtiger Jude eine Toraschule in Jerusalem. Peter Stephan Jungk lebt mit der Fotografin und Filmregisseurin Lillian Birnbaum in Wien und Paris. Das Paar hat eine Tochter.

In Ihrem Buch "Marktgeflüster" beschreiben Sie den Marché Aligre als eine Art heile Welt in Paris. Fragen Sie sich jetzt nach dem Sieg der Rechten bei der EU-Wahl, auch wenn Sie dort einkaufen, wer diese gewählt hat?

Auf dem Markt seltsamerweise nicht. Man muss aber auch sagen, dass viele Händler aus dem nordafrikanischen Raum kommen, die meisten haben keinen französischen Pass. Sie interessieren sich auch nicht sehr für Politik. Wenn ich Menschen auf der Straße begegne, frage ich mich das schon. Aber das tat ich auch schon vor dieser Wahl. Sie müssen sich vorstellen, dass die Franzosen immer unzufrieden sind. Ganz gleich, wer an der Macht ist. Es wird demonstriert. Es gibt unerhörte Streiks. Das ist das französische Revolutions-Gen.

Ich würde sagen, 1789 steckt dem echten Franzosen wirklich in den Genen. Es ist entweder die extreme Linke oder die extreme Rechte, die mir auf der Straße sowieso ununterbrochen begegnet. Insofern ist die Situation jetzt nicht so anders als vor der Wahl. Ein französischer Freund sagt mir oft: „Sieh dir das Symbol Frankreichs an: der Hahn. Kein Wunder, einer der dauernd krakeelt und beide Füße stecken im Mist.“ Aber wir dürfen nicht vergessen, dass die Wahlbeteiligung bei der Europawahl nur 50 Prozent betragen hat. Da muss man zunächst einmal überlegen, wer am 30. Juni und am 7. Juli zur Wahl gehen wird?

Sprechen Sie jetzt von der Stichwahl am 7. Juli?

Das französische Wahlsystem sieht zwei Durchgänge vor. Nur jene Parteien, die eine bestimmte Prozentzahl erreicht haben, dürfen im zweiten Wahlgang antreten. Das ändert einiges und es bleibt alles noch offen. So war es ja auch bei der Präsidentschaftswahl 2022. Zunächst bekam Marine Le Pen sehr viele Stimmen. Die Wahl war eine Zitterpartie, bis Macron zur Räson gerufen hat. Er gewann dann doch mit ziemlicher Klarheit. Aber erst im zweiten Durchgang.

Wenn Macron das jetzt wieder gelingt, würde ihn das enorm stärken. Spekuliert er darauf?

Das ist die große Frage. Alle, die ich kenne, sind absolut überrascht, dass er jetzt zu Neuwahlen aufgerufen hat. Meinen Freund, den 102-jährigen Filmemacher und Schriftsteller Georg Stefan Troller, erinnert Macron an de Gaulle. Auch der liebte Überraschungen und hat 1968 kurzfristig das Parlament aufgelöst und trat ein Jahr später zurück. Meiner Ansicht nach ist das eine sehr menschliche Entscheidung. Aber ich gehöre zu denen, die ihn schätzen. Im Gegensatz zu sehr vielen in der Bevölkerung und auch in meinem Bekanntenkreis. Aber um Ihre Frage zu beantworten. Auf Jiddisch würde man sagen, er is a mentsch. Er sagt, ich habe jetzt wirklich groß verloren. Meine Ideen wurden abgelehnt. Ich kann nicht so tun, als wäre nichts geschehen. Ich stelle mich der Situation. Ich finde das sehr mutig. Macron ist kein Autokrat. Ich sehe ihn nicht als jemanden, der, wie es bei Nietzsche heißt, den Willen zur Macht hat. Er hat einen Willen zur Weisheit.

Macron kann doch gar nicht mehr für eine dritte Legislaturperiode gewählt werden. Warum setzt er mit diesen Neuwahlen die letzten drei Jahre seiner zweite Amtsperiode aufs Spiel?

Vielleicht denkt Macron, dass seine Partei damit in Zukunft eine bessere Chance haben wird. Als seinen möglichen Nachfolger könnte er sehr wahrscheinlich Bruno Le Maire vorschlagen.

Den Wirtschaftsminister?

Der ist einfach ein kluger Pragmatiker, der wird wahrscheinlich Präsidentschaftskandidat. Er ist gebildet, belesen und sogar Handke-Fan. Er liest dessen Bücher sogar auf Deutsch. Aber gehen wir jetzt von diesem Schreckgespenst aus, dass das Rassemblement National, also die Rechten, genug Mehrheit hat, um den Premierminister zu stellen, dann sind alle Minister aus dieser rechtsradikalen Partei. Die müssen mit Macron zusammen regieren. So eine Cohabitation gab es unter Mitterrand und auch unter Chirac. Das ging gut, weil sie sich mit dem Präsidenten relativ gut verständigen konnten. Das wäre jetzt nicht der Fall. Und wenn die Ultrarechten tatsächlich die Regierung stellen, werden sie sich in diesen drei Jahren ununterbrochenen Protesten, unendlichen Streiksituationen der Gewerkschaften gegenübersehen. Sie werden dann mit harter Hand durchgreifen und das wird ihre Sympathie immer weiter schrumpfen lassen. Sie werden ermüden und ihre Kraft verlieren. Das wird sich Macron überlegt haben.

Das klingt nach einer ausgeklügelten Strategie.

Ja, das könnte sein. Die Rechte auslaugen, ermüden, fertigmachen und ihnen zeigen, wie das ist, wenn man regiert. Macron ist ein unglaublich gebildeter, kluger Mann. Je mehr man über ihn weiß, desto mehr staunt man, wie unbeliebt er ist. Es ist kaum zu fassen.

Umso riskanter, dass er sich Neuwahlen stellt. Aber warum so schnell, noch vor den Olympischen Spielen im Juli?

Weil bei den Spielen so viel passieren kann. Es ist eine zu unsichere Zeit.

Meinen Sie damit Terroranschläge?

Gott behüte. Ich spreche von politischen Umwälzungen, Demonstrationen auf der Straße. Streiks könnten die Spiele stören. Auch das Metro-Netz könnte zusammenbrechen. In Bussen, in der Metro, überall, wo man mit mehreren Menschen zusammenkommt, spürt man schon jetzt eine gewisse Elektrizität, eine Nervosität. Das kommt auch daher, dass sich Paris so stark verändert. Allerdings auch zum Guten: Es gibt viel mehr Bäume, mehr Radwege, Sitzbänke, selbst in meiner kleinen Straße. Einige Stationen der Hauptlinie 1 der Metro werden schon ab Mitte Juni geschlossen. Denn einiges von diesen Spielen findet im Zentrum von Paris statt. Das ist absurd. Ich verstehe nicht, warum sich die Pariser das antun.

Ist für den Ablauf der Olympischen Spiele nicht Anne Hidalgo, die Bürgermeisterin von Paris, verantwortlich? Oder werden die Franzosen die Rechten zur Rechenschaft ziehen, wenn etwas nicht funktioniert?

Meiner Ansicht nach ja. Sie dürfen eines nicht vergessen: In Frankreich ändert sich die Volksstimmung manchmal innerhalb von zwei Wochen. Zwei oder drei Parteien haben sich bereits gespalten. Auch eine der ultrarechten Parteien zerbröckelt. Marion Maréchal, die Nichte von Marine Le Pen, löste ihr Bündnis mit Eric Zemmour, das heißt, sie kann sich jetzt natürlich der lieben Tante anschließen. Die Partei, die mit der ÖVP zu vergleichen wäre, Les Républicains, haben ihren Chef Ciotti abgesetzt, weil der dem Rassemblement National, also der Le-Pen-Partei, ein Angebot zur Zusammenarbeit gemacht hat, ohne die eigene Partei vorher zu fragen. Macron könnte natürlich auch vorhergesehen haben, dass die Parteien sich jetzt gegenseitig zerreißen.

Was ist denn mit dem Sozialisten François Hollande? Wäre das jetzt nicht seine Chance?

Er hat vor wenigen Tagen den Zusammenschluss der Linken begrüßt. Wer weiß, wenn die Linke gewinnt, könnte er theoretisch Premierminister werden. Eine sonderbare Vorstellung: Macron Präsident, sein Vorgänger Premier!

Was denken Sie über den rechten Jordan Bardella?

Ein hübsches Jüngchen. Er gefällt sicher den jungen Mädchen, die schon wählen dürfen. Das ist nicht ungefährlich. Würde er Premierminister, wäre er mit seinen 28 Jahren noch um einiges jünger als Herr Kurz während seiner Amtszeit.

Er stammt aus den verrufenen Banlieues und hat trotzdem Karriere gemacht. Verschafft ihm das nicht auch Sympathien?

Er ist im Vorort Drancy aufgewachsen, im Département Saint-Denis, wo es oft zu großen Konflikten kommt. Ausgerechnet Drancy, dem Ort, von dem während der deutschen Okkupation die Züge nach Auschwitz rollten. Er ist Einzelkind, Sohn einer italienischen Mutter, auch sein Vater stammt von Immigranten ab. Das kann ihm natürlich zugutekommen. Es kann durchaus sein, dass man sagt, schau, der kommt von dort. Man staunt, wie weit er es gebracht hat. Ich bin sehr gespannt auf diese Wahl und auch ziemlich beunruhigt. Aber gleichzeitig muss ich auch über diese Ironie der Geschichte lachen. Denn Ende der 1980er-Jahre sah ich Paris immer als gute Alternative zu Wien – wegen Waldheim. Jetzt holt mich das alles hier ein.

Die Grünen in Österreich sind ein Jammertal

Sie sind ja viel in Österreich, behalten sogar in Wien ihren Wohnsitz. Hier könnte sich das Szenario ähnlich wiederholen. Wie sehen Sie die Grünen heute? Ihr Vater Robert Jungk ist einer der Gründer. Was ist von seinem Vermächtnis geblieben?

Mein Vater war auch in Deutschland für Petra Kelly und ihren Mann Gert Bastian eine Galionsfigur der Grünen. In Österreich sowieso, immerhin Präsidentschaftskandidat. Robert Habeck hat das Vorwort zur Neuauflage seines Buches „Heller als tausend Sonnen“, über die Geschichte der Atombombe, das bei Rowohlt erschienen ist, geschrieben. Er schätzt meinen Vater durchaus, aber das wirkt sich überhaupt nicht auf seine Partei aus. Mir kommt vor: In Österreich wissen die jungen Grünen zum Teil überhaupt nicht mehr, wer Robert Jungk war. Aber diese Partei ist heute wirklich ein Jammertal.

Wegen der Affäre um die EU-Kandidatin Lena Schilling?

Als Sohn von Robert Jungk würde ich diese Partei heute nicht wählen. Natürlich wurde das aufgebauscht, aber was ich gehört habe, reicht mir. Aber vielleicht ist sie nur zu jung für die Politik.

Bei Bardella und bei Kurz wäre niemand auf die Idee gekommen, dass diese zu jung seien.

Weil sie Männer sind, aber das meine ich natürlich im Scherz.

Als nach dem Anschlag der Hamas auf Israel eine Welle des Antisemitismus hochkam, protestierte ausgerechnet Marine Le Pen in den vordersten Reihen. Macron war jedoch nicht zu sehen. Woran liegt das?

Ganz merkwürdig, das ist mir ein völliges Rätsel. Diese Tatsache spricht allerdings nicht sehr für ihn, das muss ich leider einräumen.

Können Sie sich vorstellen, wie man mit dem Thema "Antisemitismus" in Frankreich nach der Wahl verfahren wird?

Gute Frage. Wahrscheinlich, ich hoffe es zumindest, wird das kein Hauptthema sein. Es gibt eine zuletzt offen antisemitische Partei, La France Insoumise, geleitet von Jean-Luc Mélenchon, die jetzt allerdings ein Teil des neuen Zusammenschlusses aller linken Parteien geworden ist, des am 14. Juni gegründeten Nouveau Front Populaire.

Hat dieses Bündnis überhaupt eine Chance?

Eine Chance? Ja, durchaus. Und es dürfte jetzt schon entschieden sein, dass das Bündnis nicht zulassen würde, dass ihr "Partner" Mélenchon Premierminister wird, falls die Wahl von der vereinigten Linken gewonnen wird. Dann könnte sogar, rein theoretisch, eine Phantasievorstellung von mir, François Hollande Premierminister werden.

Was ist mit dem Antisemitismus der Linken, die wären dann doch auch in der Regierung?

Dass jetzt die Ultralinke um vieles antisemitischer ist als die Ultrarechte, kann man kaum glauben. Ich komme noch einmal auf meinen Freund Troller zurück. Für ihn ist alles, was auf der Welt passiert, eine Wiederholung der 20er- und 30er-Jahre des vergangenen Jahrhunderts. Ich würde eher sagen, die Geschichte wiederholt sich nicht, aber sie reimt sich.

Lassen Sie uns noch einen Blick auf Ihr Buch "Marktgeflüster" werfen. Sie erzählen von Menschen aus arabischen Ländern, die in einem Atemzug Arabisch und Hebräisch grüßen. Wäre das nicht ein Vorbild für die Welt?

Der Marché d’Aligre ist für mich so eine Art Shangri-La. Ich nenne es auch mein Zimmer in der Welt. Und da scheint die Welt in Ordnung. Es ist kaum zu glauben. Verschiedenste Menschen, verschiedenste Herkünfte, verschiedenste Glaubensbekenntnisse sowieso, die alle miteinander gut auskommen. Also wer sozusagen die Welt sehen will, wie sie sein könnte, der soll mal mit mir über diesen Markt gehen …

Der Beitrag erschien ursprünglich im News 25+26/2024.

Das Buch

Händler aus Nordafrika, aus der franzöischen Provinz und Araber, die auf Hebräisch grüßen. "Marktgeflüster" von Peter Stephan Jungk – ein beseelter Blick auf Paris S. Fischer, € 25,50

Marktgeflüster: Eine verborgene Heimat in Paris

Marktgeflüster: Eine verborgene Heimat in Paris

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