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Ein Nicht-Wahlkampf-Abend mit Sebastian Kurz

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Sebastian Kurz bei seiner "Gesprächs-Tour" in Wilhelmsburg NÖ
©Bild: News.at
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Sebastian Kurz ist nicht mehr Kanzler? "Egal", finden Sympathisanten bei einer Veranstaltung in Niederösterreich, die ganz bestimmt kein Wahlkampf des türkisen Parteiobmanns ist.

Es hat gefühlte 35 Grad im Schatten im niederösterreichischen Wilhelmsburg. Viel ist nicht los hier am Land, 15 Kilometer südlich von St. Pölten, an diesem Donnerstag Frühabend. Nur im Gasthaus Voitiech liegt Spannung in der Luft, im idyllischen Gastgarten sind weiße Stehtische verteilt, Glühbirnen-Ketten hängen in den Bäumen. Das Ambiente erinnert an eine Hochzeitsfeier. Gäste trudeln nach und nach ein bis der Gastgarten gut gefüllt ist. Man unterhält sich über das Bier, den Wein, die beschwerliche Anreise und natürlich über jenen Mann, wegen dem man sich heute hier versammelt hat: Jung-Altkanzler Sebastian Kurz legt hier in wenigen Minuten einen Stopp auf seiner Gesprächs-Tour ein. Seine Abwahl vor fast drei Wochen war ein „hausgemachter Blödsinn“, aber er wird wieder durchstarten, ist man sich an diesem Abend in Wilhelmsburg recht einig.

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Gespanntes Warten auf Kurz in Wilhelmsburg an diesem schönen Sommerabend © News.at

Als der mit Spannung Erwartete kurz nach halb sieben mit nur wenig Verspätung eintrifft, sind nicht nur die Vertreter der lokalen Volkspartei aus dem Häuschen. Kein Wunder, befinden sich im Publikum abgesehen von den hier ansässigen Parteifreunden inklusive einem Dutzend Jung-ÖVPler auch sonst wohl fast ausschließlich Kurz-Sympathisanten mit einem Altersdurchschnitt von 50 Plus; also genau jene Generation, bei der Kurz bei der EU-Wahl die absolute Mehrheit geholt hätte.

Kein WahlKAMPF

Das könnte auch erklären, warum es sich vielleicht tatsächlich hier nicht um eine Wahlkampfveranstaltung handelt, wie die ÖVP nicht müde wird zu betonen: Um Stimmen kämpfenmuss Kurz hier bestimmt nicht, der vielzitierte Messias-Vergleich ist an diesem Abend in Wilhelmsburg nicht so ganz von der Hand zu weisen.

Das "Gespräch"

Zuerst darf die Parteijugend ihr als Fragen getarntes Lob anbringen („Lieber Sebastian, schön, dass du da bist, sag uns, wie können wir dich unterstützen?“ „Ach, das tut ihr doch schon indem ihr hier seid“ gibt er sich seinen Jüngern gegenüber dankbar), dann geht das Mikro an das gemeine Volk.

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Die perfekte Inszenierung: Kurz-Jünger versammeln sich im idyllischen Gastgarten. Ein Kameramann fängt jede Sekunde davon ein. © News.at

Jene Vertreter dieser „anständigen und fleißigen Bürger Niederösterreichs“ (Kurz), die das Wort ergreifen, sind jedoch unter anderem zwei Kurz entfernt bekannte Jungfunktionäre, der Alt-VP-Bürgermeister des Dorfes, der Kurz in einer Lobeshymne sogar auf eine Stufe mit Erwin Pröll (hier in Niederösterreich!) stellt, sowie ein albanischer Parlamentsvertreter, der statt einer Frage überhaupt nur sagen will, dass Kurz sein „Lieblingskanzler“ sei, weil er für Südosteuropa so viel gemacht habe, wie sonst keiner.

Selfie-Time

Und bevor noch jemand auf die – in der Theorie natürlich existente – Idee kommen könnte, diese wohlwollende Atmosphäre mit einer andersartigen Wortmeldung vielleicht irgendwie zu mildern, wird die Fragerunde auch schon wieder geschlossen. Außerdem ist der Moment gekommen, auf den ohnehin die große Mehrheit der aus nah und fern (=Wien) angereisten Anhänger gewartet hat: It's Selfie-Time. Gefühlt genauso lange wie für die „Gespräche", die Kurz auf seiner Tour "nicht wie sonst zwischen Tür und Angel, sondern in aller Ruhe" führen will, nimmt er sich nun Zeit für die Foto-Wünsche. Wer sich diese Bilder mehr wünscht, ist ungewiss.

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Herr und Frau Österreicher lauschen den - gar nicht so neuen - Worten des Altkanzlers © News.at

Das Gesagte und das Nicht-Gesagte

Kurz scheint diese große körperliche Nähe mit den sich nun in der Hitze um ihn drängenden Menschen zwar nicht wirklich zu genießen, doch was in diesem nach wie vor so umschwärmten Politiker tatsächlich vorgeht, bleibt auch an diesem Abend ein Mysterium. Menschliche Regungen sind überaus rar gesät (ein Schritt aus der heißen Sonne wirkt dabei schon wie eine Offenbarung); weder Kurz' Gestik noch Mimik schlagen jemals merklich in irgendeine Richtung aus.
Das tatsächlich Gesagte wiederum ist eine bloße Aneinanderreihung all jener Phrasen, die auch in sämtlichen Medienauftritten der letzten Wochen gebetsmühlenartig wiederholt wurden; Von der Beschreibung der Ereignisse ab Straches Anruf mit Hinweis auf das Ibiza-Video bis zum Ausrufen der Neuwahlen - unausweichlich vor allem auch durch das Verhalten von Kurz' neuem Lieblingsgegner Herbert Kickl - über die Absage an sämtliche Verschwörungstheorien zur Entstehung ebendieses Videos („für die wir uns ein dickes Fell zulegen müssen“), um im selben Atemzug erneut den Namen Tal Silberstein fallen zu lassen bis zur Warnung vor dem nun bevorstehenden „bestimmt schmutzigen“ Wahlkampf sowie dem rot-blauen Gespenst. Einen Blick in die Zukunft jedoch, wie zum Beispiel, wie jener Weg, der laut türkiser Plakatserie "erst begonnen" hat, inhaltlich konkret fortgesetzt werden soll, spart sich Kurz wohl für den Wahlkampf auf.

Dreifach-Jackpot

So sitzt also das so viel einfachere, auch weil zigfach geübte, Selfie-Lächeln perfekt, als Männer Frauen, Frauen Männer sowie Eltern ihre (handvoll mitgebrachten) Kinder heranzerren für das Selfie mit dem "Herrn Bundeskanzler" ("Kanzler bin ich nicht." "Das ist egal.") Ein einfacher Gewinn für die Kurz-Anhänger, weil dieser Wunsch erfüllt wird und ein doppelter für den in der Realität aber immer noch Altkanzler. Erstens: Jeder einzelne Selfie-Partner wird sein Foto auf die eine oder andere Weise in sozialen Netzwerken teilen, ergeben also Dutzende Gratis-Werbungen für den Noch-Gar-Nicht-Wahlwerbenden. Zweitens: Durch die Menschentraube, die Kurz auf Schritt und Tritt verfolgt, lässt sich jedes Gespräch, das länger als ein paar Momente dauert oder gar Kritik beinhalten könnte, im (Hand)Umdrehen abwürgen. Stattdessen lieber: Bitte lächeln, das verkauft sich einfach besser.

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Selfie-Andrang für Sebastian - ein Gewinn für beide Seiten © News.at

Der Stress der Nicht-Wahlkampfzeit

Trotz der nicht kleiner werdenden Traube um sich schafft es der Star des Abends dann doch irgendwie, die für ihn rettende Treppe zum Ausgang zu erreichen, auf der er noch entschuldigend zurückwinkt: Es tue ihm zwar sehr leid, aber er müsse leider weiter. Klar, verstehen doch alle; So eine Nicht-Wahlkampfzeit für die man bewusst auf sein Nationalratsmandat verzichtet hat, um lieber das ausführliche Gespräch mit der Bevölkerung zu suchen, ist eben ungemein anstrengend und stressig.

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So gerne wäre er noch geblieben, aber er muss leider weiter, winkt Kurz zum Abschied noch einmal zurück © News.at
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