Der Nahostkonflikt stellt die Schulen vor große Herausforderungen. Was hören Sie, wie läuft die Auseinandersetzung mit diesem schwierigen Thema in den Schulklassen ab?
Es gibt großen Gesprächsbedarf seitens der Schülerinnen und Schüler, die einfach auch verstehen wollen, was gerade passiert. Es geistern sehr viele Informationen durchs Netz, auch Fehlinformationen. Kinder werden zum Teil mit wirklich grauenhaften, verstörenden Videos konfrontiert. Auf diesen Gesprächsbedarf haben wir sehr rasch reagiert und entsprechende Materialien online zur Verfügung gestellt, mit denen die Lehrerinnen und Lehrer arbeiten können. Wir werden dieses Angebot laufend ergänzen und sind auch im Gespräch mit den Bildungsdirektionen.
Hören Sie von Eskalationen, von Beschimpfungen oder Gewalt, die darüber hinausgehen?
Es kommt zum Teil zu provokanten Aussagen von einzelnen Schülerinnen und Schülern. Aber wir wollen hier eher Fahrt aus dem System nehmen und die Botschaft vermitteln, dass Schulen kein Nährboden für Gewalt sind. Natürlich haben wir ein Auge darauf, wir sind auch gerade dabei, ein entsprechendes Informationsschreiben an die Lehrerinnen und Lehrern zu schicken, um in Erinnerung zu rufen, dass sie sich an die Direktion wenden können, wenn sie entsprechenden Bedarf sehen, dass psychologisches Personal zur Verfügung steht und dass man allenfalls auch über die Sicherheitsbehörden tätig werden kann.
Auch interessant:
Wenn sich jüdische Jugendliche von muslimischen Mitschülern bedroht fühlen und das Gefühl haben, sie werden von Lehrpersonen und Direktionen nicht schnell genug und ausreichend unterstützt, passiert da genug?
Ich erwarte mir in einem solchen Fall schon, dass die Lehrerin oder der Lehrer darauf hinweist, dass es in den Schulen - wie generell in unserer Gesellschaft - Grundwerte gibt, nämlich Toleranz, Respekt, respektvollen Umgang mit anderen Menschen, Meinungsfreiheit und natürlich auch Religionsfreiheit. Das Verunglimpfen einer Religion und das Bedrohen einer Person wegen ihrer Religion ist ein absolutes No-Go ist in unserem Land. Das muss klar kommuniziert werden. Für antisemitische Äußerungen gibt es null Verständnis.
Wie hätten sich Lehrer in so einem Fall richtig verhalten?
Nachdem ich den Fall nicht konkret kenne, bitte ich um Verständnis, dass ich keine Ratschläge aus dem Off erteilen will. Aber wir werden das auf jeden Fall zum Anlass nehmen, um die Lehrerinnen und Lehrer noch einmal dafür zu sensibilisieren, dass es wichtig ist, diesen Wertekanon zu vermitteln und dass Drohungen und Verächtlichmachen einer Religion bei uns keinen Platz haben. Mir ist bewusst, dass das keine leichte Aufgabe ist. Aber für mich ist ganz klar, Antisemitismus ist ein No-Go, egal wo, und da muss die Gesellschaft entsprechend auftreten. Es darf nicht sein, dass man sich in Österreich fürchten muss, weil man eine israelische Fahne zeigt oder dem jüdischen Glauben angehört.
Die Situation ist gerade für Lehrpersonen in Klassen mit hohem Migrationsanteil herausfordernd. Reicht es, ihnen Unterrichtsmaterialien zur Verfügung zu stellen?
Wir bieten bereits seit Frühjahr letzten Jahres verstärkt Workshops zum Thema Toleranz, Gewalt-und Extremismusprävention an den Schulen an. Wir haben die Schulpsychologie um 20 Prozent aufgestockt. Im Zuge der Bund-Länder-Vereinbarung wurde das psychosoziale Unterstützungspersonal an den Schulen verdoppelt. Wir sind gerade dabei, ein Gewaltschutzkonzept zu erstellen. Wenn sich zeigt, dass der Bedarf besteht, die Situation mit weiteren Maßnahmen zu verbessern, dann werden wir diese Maßnahmen ergreifen. Dies ergänzt unser bestehendes bereits sehr umfangreiches Angebot zur Prävention von Antisemitismus und Rassismus. Im Rahmen von erinnern.at werden Seminare und Lernmaterialien in der Prävention und der schulischen Bearbeitung zur Verfügung gestellt.
Es gibt Untersuchungen, die belegen, dass das Wissen über den Holocaust in Österreich erschütternd schlecht ausgeprägt ist. Müsste man an den Lehrplänen schrauben und mehr Zeitgeschichte unterrichten?
Die Lehrpläne nehmen durchaus Bezug auf dieses Thema. Im Gegenteil, wir leisten jetzt sogar mehr für die Erinnerungsarbeit als je zuvor. Für Schulklassen, die eine KZ-Gedenkstätte besuchen wollen, haben wir seit Herbst ergänzend zu den pädagogischen Materialien auch eigene Förderungen für Fahrtkosten. Wir haben erinnern:at, einen eigenen Verein, der sich mit dieser Gedächtnisarbeit beschäftigt, zur langfristigen Absicherung ins Ministerium geholt. Wir haben eine digitale Erinnerungslandkarte geschaffen, die ermöglicht, dass man sich pro Bundesland über Gedenkstätten und Widerstand informieren kann.
Damit junge Menschen die heutige Situation von Israel verstehen können, müssen sie wissen, was vor 80 Jahren in Österreich passiert ist. Ist das in ausreichendem Umfang der Fall?
Lassen Sie es mich anders formulieren. Wir müssen uns dieser Thematik immer wieder neu stellen und uns unserer historischen Verantwortung bewusst sein. Und es ist wichtig, dass die jungen Menschen davon erfahren und dass diese Dinge nicht in Vergessenheit geraten. Dafür brauchen wir auch immer wieder neue Wege, um die Jungen zu erreichen. Leider gibt es immer weniger Zeitzeuginnen und Zeitzeugen. Aus diesem Grund haben wir vor etwa zwei Wochen in Los Angeles ein Memorandum of Understanding mit der Shoah Foundation unterzeichnet, die Zeitzeugeninterviews digitalisiert und so gestaltet hat, dass es möglich ist, diesen Personen sozusagen Fragen zu stellen. Wir sind auch in regelmäßigem Kontakt mit der Israelitischen Kultusgemeinde, um gemeinsam zu überlegen, was wir tun können, um Holocaust-Erziehung möglichst gut in den Schulen zu verankern. Das muss immer wieder neu gedacht werden. Das ist mir, da ich selber aufgrund meiner wissenschaftlichen Tätigkeiten aus diesem Bereich komme, persönlich ein wirkliches Anliegen.
Sie haben als Rechtshistoriker zum Thema Entnazifizierung publiziert. Aus wissenschaftlicher Perspektive: Haben wir nur ein Problem mit dem sogenannten importierten islamischen Antisemitismus oder hat auch die Aufarbeitung der Geschichte in Österreich nicht gut genug funktioniert?
Natürlich gibt es auch Antisemitismus in Österreich, leider. Der hat sich über die Zeit nach dem Zweiten Weltkrieg gehalten. Wir wissen, dass es auch immer wieder zu antisemitischen Vorfällen durch Österreicherinnen und Österreicher kommt. Der -unter Anführungszeichen -importierte Antisemitismus ist sichtbarer, weil Menschen, die aus der muslimischen Welt kommen, viel weniger Probleme damit haben, ihn offen zu kommunizieren. In Österreich ist aufgrund der aktiven Auseinandersetzung mit dem Thema den allermeisten Menschen klar, dass antisemitische Äußerungen strafrechtlich verfolgt werden und dass Antisemitismus kein gesellschaftlicher Konsens ist. Leider kommt es trotzdem immer wieder vor. Die Rechtsextremismus-Berichte, die regelmäßig veröffentlicht werden, sprechen hier auch eine deutliche Sprache.
Wenn eine Lehrerin oder ein Lehrer sich in der Klasse zum Thema Nahostkonflikt äußert, was soll sie oder er dann sagen? Welche inhaltliche Linie erwarten Sie sich?
Das ist in jeder Situation, in jeder Klasse spezifisch. Ich kann als Bildungsminister nicht 120.000 Lehrerinnen und Lehrern sagen, wie sie ihren Job machen sollen. Klar muss aber immer sein: Für Antisemitismus gibt es in den Schulen keinen Platz.
Darf ein Lehrer sich auf die Seite einer der beiden Konfliktparteien schlagen oder erwarten Sie sich Äquidistanz?
Ich glaube, es ist in Österreich ganz klar, beim dem, was die Hamas gemacht hat, gibt es keine Äquidistanz. Wenn eine Terrorgruppe in ein anderes Land eindringt und dort Zivilisten umbringt, foltert, vergewaltigt und entführt, dann hört sich für mich die Frage der Äquidistanz auf. So sollten wir in einem zivilisierten Land nicht argumentieren, zu sagen, es ist Selbstverteidigung, wenn man unschuldige Zivilisten abschlachtet. Dafür habe ich kein Verständnis. Es ist etwas anderes, zu erklären, wie es zu dieser Situation gekommen ist. Es ist wichtig, auf Augenhöhe mit den Schülerinnen und Schülern zu diskutieren. Es ist wichtig, dass man ihnen auch zuhört. Ich glaube, wir müssen aber ganz klar die Grenzen abstecken. Toleranz ist ein absoluter Wert, ein Ausgangswert unserer Gesellschaft.
Von dem Sie erwarten, dass er in den Klassenzimmern vermittelt wird?
Mir ist klar, dass das nicht leicht ist. Es redet sich wahnsinnig leicht über Zivilcourage, wenn man in einem gesicherten Umfeld an einem Besprechungstisch sitzt.
Die Lehrerin Susanne Wiesinger sagt in einem "Profil"-Bericht, es sei fahrlässig, von Lehrern zu verlangen, offensiv über Israel zu sprechen. Viele Lehrer hätten Angst vor den Reaktionen der Schüler.
Ich glaube, ab einem bestimmten Zeitpunkt muss jede Lehrerin und jeder Lehrer für sich selbst entscheiden, was sage ich und wie führe ich die Diskussion. Antisemitismus ist ein absolutes No-Go. Aber auf welche Art und Weise man das wie zum Ausdruck bringt, das muss aus der Gesamtsituation heraus entschieden werden. Das darf aber auch nicht zur Ausrede werden. Ich möchte nicht den Eindruck erwecken, dass ich die Augen davor verschließe. Es ist mir wichtig. Trotzdem steht es mir nicht zu, Menschen Handlungsanweisungen zu geben.
Baden die Schulen jetzt ein generelles Integrationsversagen in der Gesellschaft aus?
Die Schulen sind Bestandteil unserer Gesellschaft, und wir leben in einer Gesellschaft, die vor zahlreichen Herausforderungen steht. Integration ist ohne Zweifel eine sehr große Herausforderung. Das geht nicht nur uns so, wenn man in andere Länder, nach Frankreich oder Deutschland, blickt. Man sieht, dass sich unsere Gesellschaft teilweise in eine Richtung entwickelt, die nicht gerade immer eine gute ist. Aber es geht jetzt nicht darum, irgendwelche Schuldzuweisungen zu machen. Wir müssen alles daransetzen, dass es besser wird. Ich sehe es als meine Verantwortung und meine Aufgabe, alles dafür zu tun, dass die Kinder und Jugendlichen in der Schule ein sicheres Umfeld haben.
Sie haben bei einer Pressekonferenz gesagt, dass in den letzten Monaten eine zunehmende Radikalisierung an den Schulen festzustellen sei. Lässt man die Lehrer damit allein?
Mein Ziel ist es, die Lehrerinnen und Lehrer bestmöglich dabei zu unterstützen, ihre Arbeit zu machen. Derzeit findet diese Arbeit in einem gesellschaftlichen Umfeld statt, in dem es leider vermehrt zu antisemitischen Äußerungen kommt. Daher sollten wir alle gemeinsam darüber nachdenken, was wir tun können, um hier klar Flagge zu zeigen -in allen Bereichen der Gesellschaft. Wir verfolgen die Situation in den Schulen weiter sehr aufmerksam. Wir nehmen sie sehr ernst. Ich will nichts schönreden, aber ich möchte auch nicht für unnötige Unruhe sorgen.
Herr Minister, zum Abschluss noch zwei kurze Fragen zum Bildungsbudget. Es steigt heuer um 2,3 Prozent. Ein großer Teil ist für Lehrergehälter vorgesehen. Sind trotzdem inhaltliche Schwerpunktsetzungen möglich?
Die effektive Budgetsteigerung ist weit höher. Im Vergleich zum Budget 2023 gibt es ein Plus von 742 Millionen Euro. Im letzten Jahr waren noch zahlreiche Unterstützungsmaßnahmen, etwa für Covid, im Budget inkludiert. Rechnet man diese Unterstützungsmaßnahmen weg, ist das Plus heuer größer. Mit diesem Budget können wir etwa die Digitalisierungsoffensive mit rund 52 Millionen Euro weiter fortsetzen. Es wird wieder viel Budget für digitale Endgeräte für das Unterrichtsfach Digitale Grundbildung geben. Wir werden die Schülerbeihilfe massiv erhöhen. Da fließt weiteres Geld hinein. Es fließt auch Geld in Projekte, mit denen die Durchlässigkeit des Bildungssystems erhöht werden soll, wie Lehre mit Matura oder Basisbildung. Alleine hier haben wir eine Steigerung des Budgets um 30 Prozent. Wir haben auch, weil wir sehen, dass es Bedarf gibt, das Budget für die Plattform weiterlernen.at aufgestockt, wo man sich individuelle Lernhilfe holen kann. Gerade wenn es um Chancengleichheit geht, passiert wieder einiges. Ganz wichtig sind auch die Investitionen in die Elementarpädagogik. Was man auch nicht vergessen darf, das geht aus dem Bildungsbudget ja nicht so direkt hervor, wir investieren auch wieder massiv in den Schulbau. Insgesamt stehen dafür in den nächsten Jahren 2,4 Milliarden Euro zur Verfügung.
Die Universitäten bekommen 16 Milliarden für die nächsten drei Jahre. Im Vorfeld haben Vertreter der Unis gewarnt, mit 16 Milliarden könnten sie den Status quo weiterführen, für die selbst gesteckten Ziele der Bundesregierung, wie z. B. bessere Platzierungen heimischer Unis im globalen "Times"-Ranking, wäre zusätzlich rund eine Milliarde pro Jahr erforderlich. Heißt das, diese Ziele sind jetzt Makulatur? Oder müssen die Unis trotzdem liefern?
Ich hätte die Aussagen der Universitäten sehr wohl so verstanden, dass sie mit diesen 16 Milliarden auch weiter in Exzellenz investieren können. Österreichs Universitäten sind gut, wenn man sich etwa anschaut, wie Österreich bei den EIC-Grants, den europäischen Forschungsgeldern, abschneidet. Österreich gehört hier, bezogen auf die Größe des Landes und die Zahl der Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftler, zu den top drei. Oder wenn wir schauen, wie viel Horizon-Europe-Programme nach Österreich gehen. Da braucht Österreich sich überhaupt nicht zu verstecken. Im Bereich der Exzellenzförderung passiert viel. Es wird auch in den in den nächsten Jahren wieder sehr viel Geld in die Grundlagenforschung und in die anwendungsnahe Forschung fließen.
Dieser Beitrag ist ursprünglich in der News-Printausgabe Nr. 44/2023 erschienen.