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Leitartikel: Machtspiele statt Demokratie

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Die politische Bühne ist voll mit Männern, die ihre Macht inszenieren und autoritäres Gehabe zur Schau stellen. Die Demokratie bleibt dabei zunehmend auf der Strecke. Aber auch einst geschätzte Fähigkeiten wie Respekt, Zuhören oder Kompromissbereitschaft

Es ist, wie es ist. Und genau deswegen haben wir ein Problem. Es gerät etwas ins Rutschen. Denn wer den Blick auf die politischen Bühnen dieser Welt richtet, sieht vor allem eines: Männer. Viele Männer. Zu viele, auf die die gängige und durchaus auch überstrapazierte Zuschreibung „alt“ und „weiß“ passt. Viele von ihnen sind sehr alt. Weiß, aber wenig weise. Andere sind nicht alt, aber nicht minder protzend in ihrem Auftritt. Es sind Staatenlenker, die die Fäden unserer Gegenwart und Zukunft in den Händen halten. Im Großen und im Kleinen. Auf der Weltbühne. Auf Nebenschauplätzen. Heute und gestern. Und wohl auch übermorgen. Dieses Bild wird zu selten verstellt von jenen, die anders sind. Ja, auch weiblich. Aber nicht nur.

Es ist eine lange Reihe egomanischer Männer, die sich selbst und ihre Macht inszenieren, garniert mit einem schier unerschöpflichen Narzissmus und einer Reihe von „Fähigkeiten“: etwa die Massen mit markigen Sprüchen zu bannen. Oder die unbändige Lust am Spektakel, die Freude an der Übertreibung: Trump (78), Putin (72), Xi Jinping (71), Netanjahu (75), Erdoğan (70). Es gab einen Boris Johnson (60), der ein zerrüttetes und gespaltenes Land hinterlassen hat, weil er sich mehrheitlich für sich selbst interessiert hat. „Ich könnte jemanden mitten auf der 5th Avenue in New York erschießen und die Leute würden mich trotzdem wählen“: Auch Trumps Eigenbefund von 2016 hat gerade erst seine neuerliche Gültigkeit bewiesen.

Egoistisches Schaulaufen

„Strongmen“ nennt man diese Männer, die in den zentralen Positionen der Weltpolitik sitzen. Ihr selbstgerecht aufpoliertes Machtverständnis, das weder Widerspruch noch Korrektur zulässt, sollte ein Alarmsignal sein. Denn was sie abliefern, geht auf Kosten der Demokratie. Sie wird geschwächt und ausgehöhlt. Bewusst und kalkuliert. Aber auch, weil aus Einzelfällen zwar keine Mehrheit, aber eine irritierende Häufigkeit geworden ist. Ein Zufall ist diese „Ego-Politik“ nicht. Schließlich vermittelten alte und gängige Rollenbilder, dass der „Führer“ stark, dominant und letztlich „ein Mann“ sein muss. Erst recht in Krisenzeiten, und von denen haben wir derzeit genug. Dass damit weniger Empathie und ein schwächelnder Moralkompass einhergeht? Geschenkt. Ausnahmen bestätigen die Regel.

Dieses Lachen! Diese Schuhe!

Frauen spielen dabei eher eine untergeordnete Rolle. Nehmen sie sich ihre Rolle, dann bleiben am Ende in der Erzählung viel zu oft nur Nebensächlichkeiten übrig: Diese Schuhe! Das Dekolleté! (von Merkel) Das Lachen! (von Kamala Harris). Die Kosten für den Visagisten! (Baerbock). Und überhaupt: „Zu emotional!“ Sanna Marin, die ehemalige finnische Premierministerin, sah sich Kritik ausgesetzt, weil sie sich privat vergnügte oder weil sie eine Lederjacke trug. „Unprofessionell“, hieß es damals. In der jüngsten Erzählung ist mir nur eine Frau erinnerlich, die in beeindruckender Klarheit einem anderen Mächtigen die Stirn geboten hat: Kaja Kallas. Putin schrieb sie zur Fahndung aus.

Apropos: Emmanuel Macron, außenpolitisch auf Tauchstation, zeigte sich unlängst auf einem Foto mit geballten Fäusten und angespanntem Bizeps. Schwarz-Weiß und sehr theatralisch. „Wie könnte seine Fitnessroutine aussehen?“, fragte prompt ein Magazin und nennt ihn „Emmanuel Schwarzenegger“. Die Message des Fotos: Stärke, Disziplin, Durchhaltevermögen.

Am Ende geraten tatsächliche Probleme in den Hintergrund. „Olaf ist ein Narr“, schreibt dieser Tage der andere Narr, Elon Musk, über den noch amtierenden deutschen Bundeskanzler. Der Blick auf Deutschland zeigt: So ernst kann die Lage in der drittgrößten Volkswirtschaft gar nicht sein, dass nicht Zeit für Machtspielchen bleibt. Jüngster Höhepunkt in einem Land, das in einer tiefen Wirtschaftskrise steckt: der Termin für die vorgezogene Neuwahl. Mittlerweile steht fest: Es wird wohl früher gewählt. Ein paar Tage früher. Aber irgendwer muss ja am Ende recht behalten. Es ist der nächste Kanzler, Friedrich Merz (69). „Die Ego-Parade mackert durch Berlin“, schreibt „Die Zeit“.

Männliche Verhaltensmuster sind der Maßstab. Respekt und Zuhören gelten als Zeichen von Schwäche

Mahnung statt Selbstverständlichkeit

Männliche Verhaltensmuster sind der Maßstab. Respekt, Zuhören, Problemlösungskompetenz und Kompromissbereitschaft gelten in dieser Machtdynamik als Zeichen von Schwäche. Dabei würde es gerade jetzt dieses Gegengewicht brauchen. Nicht weil Frauen oder Jüngere besser sind, sondern weil sie eine andere Perspektive einbringen. Politik als Ort des Dialogs, der Kooperation und der Langfristigkeit ist jedenfalls gesellschaftspolitisch nicht das Schlechteste, was uns passieren kann.

„Haltet die Freiheit und die Demokratie hoch!“, war das Motto der Feierlichkeiten zum 35. Jahrestag des Mauerfalls in Berlin. Bisher eine Selbstverständlichkeit. Heute klingt es wie eine Selbstvergewisserung. Eine Mahnung. Man überschätzt leicht die Wirkung von Politikern, heißt es von jenen, die beschwichtigen wollen. Schließlich seien der Demokratie und dem Rechtsstaat mehrheitlich enge Grenzen gesetzt. Was aber, wenn eben diese Demokratie und der Rechtsstaat Risse bekommen? Längst Risse haben?

Was meinen Sie? Schreiben Sie mir bitte: gulnerits.kathrin@news.at

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