Der Privatsender ATV sendet seit Jahren Sexismus zur Primetime. Jetzt regt sich plötzlich Widerstand – und die Politik springt auf. Eine Debatte über Trash-TV und Frauenfeindlichkeit wird zum Spiegel der Gesellschaft. Was dabei zählt: nicht nur was gesagt wird. Sondern wer es sagt.
Der 24. März 2021 war ein guter Tag für den kleinen Privatsender ATV. Über eine halbe Million Zuseherinnen und Zuseher hatten sich vor dem Fernseher versammelt, um eine TV-Sendung zu schauen, die seit diesem Wochenende – im März 2025 – plötzlich in aller Munde ist: „Das Geschäft mit der Liebe“. Mit der Ausstrahlung einer Folge vor vier Jahren sicherte sich der Sender an einem Mittwoch den Primetime-Sieg im österreichischen TV. Überhaupt war die Sendung die drittstärkste Folge seit Formatbestehen. Quote durch Trash-TV – das war 2021 allemal eine Pressemeldung wert. Soweit normal. Soweit üblich. Soweit nicht weiter der Rede wert.
Aufregung damals? Nicht überliefert. Weitergehen, weil hier gibt es vor allem viel Normalität zu sehen. Und überhaupt: Reality-TV-Formate wie diese müsse man „mit einem Augenzwinkern sehen“, so Thomas Gruber, seit einem Jahr CEO von ProSiebenSat.1 Puls 4 in einem APA-Interview vor einem Jahr. Die Erklärung damals: „Wir machen Antihelden und Underdogs zu den Helden unserer Formate.“ Antihelden und Underdogs also. Das ganz normale Leben eben. Ein Zerrbild? Vielleicht. Stereotype und Sexismus inklusive. Männerfantasien sowieso. Sex sells – bevorzugt zur besten Sendezeit. Unterhaltsam aufbereitet und immer auf Kosten von irgendjemand. Egal, ob das Gezeigte der Realität entspricht oder einem geschickt inszenierten Drehbuch folgt. Hauptsache Quote. Hauptsache Drama. So redet man(n) sich die Welt schön. Und das Fernsehen gleich mit.
Plötzlich politisch
Doch seit dem vergangenen -Wochenende ist alles anders. Die Sendung sei „frauen-verachtender Müll“, „Vergewaltigungs-TV“ und „rassistisch“ kritisierte Falter-Chefredakteur Florian Klenk lautstark – und wirksam – auf Social Media. Binnen weniger Stunden wurde aus der Kritik ein digitaler Höhenflug. Eine Awareness-Kampagne, wie sie selten ist.
Der Protest schwappte über. Es dauerte nicht lange, da meldete sich auch der Medienminister zu Wort. Gleichzeitig Vizekanzler – also mächtig. Er sprang auf den Empörungszug auf. „Diese Form von Fernsehen will ich persönlich und als Medienminister nicht einfach zur Kenntnis nehmen.“ Wenig später äußerten sich die Frauenvorsitzenden der Parlamentsparteien SPÖ, ÖVP, NEOS, Grüne. Unisono. Die ATV-Serie sei „sexistisch, rassistisch und frauenverachtend“. Frauen würden darin gedemütigt und wie Ware behandelt.
Die Serie, so der Vorwurf, normalisiere Gewalt. Sie verharmlose Misogynie. Dabei läuft die Serie nicht erst seit gestern. Vielmehr flimmert sie seit 2010 durchs Privatfernsehen. Unbeirrt. Ungefiltert. Und nun, auf einmal: Aufschrei und in Folge eine „nochmalige“ Qualitätskontrolle durch die Sendungsverantwortlichen. Als ob es in einem Format, das auf billig, schrill und Quote getrimmt ist, noch etwas zu prüfen gäbe. Als ob sich aus einem Fundament aus Sexismus plötzlich ein Qualitätsanspruch formen ließe. Hier – und nicht nur in diesem einen TV-Format – werden Frauen zur Schau gestellt. Punkt.
Empörung und Wirkung
Die Aufregung sagt viel aus. Über unsere Gesellschaft. Über Moral – und Doppelmoral. Über fehlende Grenzen. Über Medien. Über Mechanismen ohne zwingende Logik. Über die enge Verzahnung von Medien und Politik. Über die Macht sozialer Netzwerke – und ihrer Einzelakteure. Beeindruckend ist das. Aber auch ein Stück weit beunruhigend.
Klar ist: Es kann nicht genug Kritik an Sexismus, Frauenfeindlichkeit oder auch struktureller Ungleichheit geben. Aber muss ein Minister wirklich auf einen einzelnen Social-Media-Post reagieren? Noch dazu auf einen, der ihn gar nicht direkt adressiert? Wo führt das hin – im besten wie im schlechtesten Fall? Es ist eine Gratwanderung. Der Standort bestimmt den Standpunkt in der Bewertung.
Es zählt noch immer, wer spricht. Wird ein Mann laut, bekommt das Thema Bedeutung. Sichtbarkeit. Resonanz
Wenn Männer sprechen
Diese Debatte ist ein Spiegel. Nicht nur, aber auch. Sie zeigt, wo wir gesellschaftlich stehen – und wie viele (Kilo-)Meter wir noch vor uns haben. Beim Umgang mit Themen, die vor allem Frauen betreffen. Beim Erkennen – und beim Aussprechen – von Problemen. Sie macht deutlich: Es zählt noch immer, wer spricht. Wenn ein Mann laut wird – breitbeinig, vehement, öffentlichkeitswirksam – bekommt das Thema plötzlich Bedeutung. Sichtbarkeit. Resonanz. Es scheint, als brauche es erst seine Stimme, damit ein (Frauen-)Thema ernst genommen wird. Und umgekehrt? Wenn eine Frau ein Problem benennt – bleibt es dann leichter überhörbar? Weniger legitim? Weniger dringlich? Weniger politisch? Weniger wahr?
Diese Schieflage ist beunruhigend. Aber sie birgt auch Potenzial. Vielleicht entsteht ein neues Bewusstsein. Für andere (zähe) Themen. Vielleicht. So oder so stellt sich die Frage: Was bleibt übrig, wenn auch dieser Sturm der Empörung vorüberzieht? Likes und Hashtags verschwinden. Wenn aus Erregung wieder Alltag wird? Denn ob etwas Wirkung zeigt, entscheidet sich nicht im Shitstorm. Sondern danach: Entsteht daraus Substanz und echte Veränderung – oder verpufft alles wie fast immer?
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Dieser Beitrag ist ursprünglich in der News-Printausgabe Nr. 13/2025 erschienen.