Alles Gurgelt!" war in den letzten Tagen in aller Munde. Nicht nur in Österreich, vor allem in Wien, wo ein Gutteil der Bewohner das Angebot der von der öffentlichen Hand finanzierten PCR-Tests zur raschen Bestimmung des Corona-Status nutzen. Auch in Deutschland machte das innovative Modell, das von der Firma Lead Horizon entwickelt wurde, zuletzt positive Schlagzeilen. "300.000 Tests pro Tag. Kann das Wiener PCR-Wunder auch in Deutschland gelingen?", fragte das Nachrichtenmagazin Der Spiegel und notierte nahezu neidvoll: "Hierzulande gehen die PCR-Tests aus, die österreichische Hauptstadt schafft täglich Hunderttausende. Nun will das zuständige Unternehmen auch den deutschen Markt erobern -seine Wiener Labore sind noch nicht ausgelastet."
Im Bericht selbst heißt es, die Zahlen seien eindeutig: "Alle deutschen Labore, die sich zum Interessenverband Akkreditierte Labore in der Medizin vereint haben, hatten zusammen in der dritten Januarwoche laut dem Robert-Koch-Institut eine Kapazität, um 429.898 PCR-Testungen pro Tag zu bearbeiten. Bei einer Bevölkerung von 83 Millionen Einwohnern. Die Wiener Labore von Lead Horizons Partner Lifebrain hingegen können laut Stadtverwaltung fast die doppelte Menge schaffen: 800.000 Tests -bei nur 1,9 Millionen Bürgerinnen und Bürgern. Und: Mit einem speziellen Analyseverfahren werden die die positiven Befunde auch noch auf Virusvarianten gecheckt." Bis zu 500.000 weitere PCR-Proben pro Tag könne man noch analysieren, heißt es laut dem Sprecher des Wiener Gesundheitsstadtrats in dem Artikel. Und so verwundert es nicht, dass die Leiterin der Geschäftsentwicklung bei "Alles Gurgelt"-Erfinder Lead Horizon im "Spiegel" zitiert wird mit den Worten: "Jetzt wollen wir nach Deutschland, unbedingt."
Auch angesichts derart wohlwollender Berichterstattung im größten deutschen Nachrichtenmagazin wäre man versucht zu vermuten, bei Alles Gurgelt sei alles eitel Wonne. Doch das Gegenteil scheint der Fall. Laut News-Recherchen ist unter den Gesellschaftern des Alles Gurgelt-Erfinders Lead Horizon im letzten Sommer ein veritabler Streit entbrannt, der mit viel Härte und vielen Anwälten geführt wird.
Rückblick
Im Mai 2020 steigt der Virologe Christoph Steininger, 48, bei einer Firma des Innovationsmanagers Michael Putz, 45, ein, die ab diesem Zeitpunkt unter Lead Horizon firmiert. Ab September 2020 ist Steininger auch Geschäftsführer. Während Putz im Hintergrund die Fäden zieht, übernimmt Steininger den Part als Gesicht des Unternehmens. Bis heute gilt der eloquente Professor in der Öffentlichkeit als Mastermind der von Lead Horizon entwickelten Innovationen, die -in Zusammenarbeit mit Laborpartner Lifebrain - nun auch in Deutschland ausgerollt werden sollen. Tatsächlich aber wurde Steininger bereits mit August 2021 aus der Unternehmensführung gedrängt. Und das kam so:
Bis Sommer 2021 fungieren Steininger und sein Partner Putz gemeinsam als Geschäftsführer der Lead Horizon GmbH, die das Massengurgeln organisiert. Noch am 25. Juli 2021 gibt Steininger ein Interview in der Tageszeitung "Der Standard". Tenor: "Ohne Lead Horizon gäbe es die Aktion Alles Gurgelt nicht. Gründer Christoph Steininger erzählt von digitalen Hürden, Vorteilen der Privatwirtschaft und wie alles begann." Der Titel lautet: "Wie das Start-up Lead Horizon den Weg zu 300.000 Gurgeltests pro Woche ebnete."
Nur drei Tage später, am 28. Juli, beruft Steininger-Partner Putz eine außerordentliche Generalversammlung von Lead Horizon ein. Einziger Tagesordnungspunkt: Die sofortige Abberufung von Professor Steininger als Geschäftsführer des gemeinsamen Unternehmens. Der Mann, der gerade eben noch als Gesicht der Kampagne wertvolle Dienste geleistet hatte, sollte unverzüglich abgelöst werden.
Nur einen Tag später reagiert Steininger seinerseits mit dem Antrag auf sofortige Abberufung von Putz als Lead-Horizon-Geschäftsführer. Partner Putz wiederum sieht sich veranlasst, an diesem Tag auch Anträge über die "Änderung des Geschäftsjahres" sowie eine "Beschlussfassung über die Einzahlung des offenen Stammkapitals und Einforderung der offenen Stammeinlagen" zu stellen.
Showdown
Am 5. August kommt es zum ersten Showdown. Bei einem Notar taucht eine regelrechte Armada an Anwälten zur außerordentlichen Generalversammlung auf. Professor Steininger hat zwei Anwälte an seiner Seite. Putz, der seine Beteiligung an Lead Horizon über eine Gesellschaft namens Number & Trees hält, hat einen Rechtsvertreter nominiert, Lead Horizon wird von zwei Anwälten repräsentiert.
Die Generalversammlung dauert nur 20 Minuten. Ergebnis: Professor Steininger wird als Geschäftsführer abberufen, obwohl er sich dagegen wehrt. Für die Abberufung reicht die einfache Mehrheit, die von der Putz-Seite ausgespielt wird. Deshalb scheitert auch Steiningers Antrag auf Abberufung von Putz als Lead-Horizon-Geschäftsführer. Einzig die von der Putz-Abordnung gewünschte Änderung des Geschäftsjahres (auf 1. September bis 31. August) kann von Steininger abgewendet werden. Dafür bräuchte es eine Dreiviertel-Mehrheit, über die Putz (und seine Beteiligungsgesellschaft, über die er seine Anteile an Lead Horizon hält) ganz knapp nicht verfügen.
Im Oktober kreuzen beide Seiten erneut die Klingen. Wieder kommt es zu einer außerordentlichen Generalversammlung, wieder tauchen mehrere Anwälte auf.
Die Putz-Seite möchte eine neue Geschäftsführerin bestellen, Steiningers Anwälte stellen Fragen zu deren fachlicher Qualifikation und den gewerberechtlichen Befähigungsnachweis und stimmen laut Protokoll dagegen. Ebenso wie gegen den Abschluss eines Geschäftsführervertrages mit der neuen Frontfrau. Die Gegenseite, also Putz und seine Beteiligungsgesellschaft, setzt sich durch.
"Andere Auffassungen"
Professor Steininger erklärt auf News-Anfrage zum Gesellschafter-Streit bei Lead Horizon: "Wir haben beide grundsätzlich andere Auffassungen über die Führung und die Zukunft des Unternehmens. Das ist der Grund für diese Differenzen." Die neue Geschäftsführerin schätze er eigentlich, habe aber seine Anwälte wegen der erwähnten Differenzen gegen sie stimmen lassen. Steininger: "Weitere Details über derartige Firmeninterna diskutiere ich nicht über die Medien, sondern in den dafür vorgesehen Gremien."
Lead Horizon erklärte: "Fragen zu Interna des Unternehmens beantworten wir nicht, da sie keinerlei Relevanz für die Öffentlichkeit haben." Auch auf Fragen zu Umsätzen, Kostenaufschlüsselungen beim Alles Gurgelt-Projekt sowie zum Jahresabschluss 2020, der im Firmenbuch noch nicht öffentlich ist, wollte eine Sprecherin nicht eingehen. Nur so viel: "Lead Horizon ist nicht gleich Alles Gurgelt." Bei Alles Gurgelt sei Lead Horizon Subunternehmer des Generalunternehmers Lifebrain, da verfüge man über keinerlei Kostenaufschlüsselungen. "Lead Horizon ist eine Gesellschaft mit beschränkter Haftung, die unter anderem auch für das Alles-Gurgelt-Projekt der Stadt Wien arbeitet." Das sei nicht gleichbedeutend mit "finanziert aus Steuergeldern", da man neben der Stadt auch viele andere Kunden habe.
Ein kleiner Hinweis darauf, mit welchen Umsätzen Lead Horizon spekulieren dürfte, findet sich im Vertrag der neuen Geschäftsführerin, der aufgrund der Streitigkeiten ebenfalls Eingang ins öffentliche Firmenbuch fand. Unter Punkt "8. Prämie" heißt es: "Die Geschäftsführerin erhält eine Prämie in Höhe 11.428,57 (Monatsbruttogehalt) für jedes Quartal, in welchem ein Umsatz in Höhe von EUR 30 Millionen übertroffen wird."
Der Beitrag erschien ursprünglich im News 05/2022.