Was haben eine politische und eine Liebesbeziehung eigentlich gemein? So einiges. Der Verhaltenstherapeut Dr. Alois Kogler erklärt, wer in der türkis-grünen Partnerschaft die Hosen anhat, was passieren müsste, damit sich Bundeskanzler Sebastian Kurz und Vizekanzler Werner Kogler voneinander trennen, und wie die Coronakrise die politische Partnerschaft beeinflusst.
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Herr Dr. Kogler, was haben eine politische und eine Liebesbeziehung eigentlich gemein?
Bei beiden will man etwas gemeinsam aufbauen. Das ist in einer Beziehung so, und das ist auch in der Koalition so. Beide wollen, bildlich gesprochen, das gemeinsame Haus bauen oder es verschönern. Jede Beziehung ist auf Zukunft orientiert. Und in jeder Beziehung gibt es gemeinsame Interessen. Aber eben nicht nur. Es gibt auch widersprüchliche Interessen. Die Qualität der Beziehung – der politischen wie der privaten - hängt davon ab, was die einzelnen Partner einbringen. Soll heißen: gutes Benehmen, Offenheit, Wertschätzung. In einer politischen Beziehung gibt es weder Zärtlichkeit noch Liebe. Es kann – und muss – allerdings Wertschätzung und Respekt geben. Zwischen den Parteien, aber auch innerhalb der eigenen Partei. Man muss die Parteifreunde, die oft die besten Feinde sind, respektieren. Lieben muss man sie nicht.
Es heißt, Gegensätze ziehen sich an. Wie viel Gegensatz darf es in einer politischen Ehe geben, sodass sie noch funktionieren kann?
Jeder Gegensatz ist erlaubt, solange er festgeschrieben ist. Und das sind sie. Nicht als Gegensätze, sondern als unterschiedliche Zielsetzungen. Beispiel Transparenz. Die Grünen waren immer für Transparenz, das liegt ihnen quasi in den Genen. Die ÖVP wird zur Transparenz gezwungen, weil die Öffentlichkeit immer mehr danach verlangt. Das ist ein Thema, das Widersprüche erzeugen kann. Dennoch denke ich nicht, dass die Koalition daran zerbrechen wird. Weil die Öffentlichkeit beide zu einer Weiterentwicklung zwingt. Wenn die Grünen, bildlich gesprochen, nur auf Blumen setzen und die Türkisen nur auf Beton, dann wird der Widerspruch unüberbrückbar. Aber das wird nicht passieren.
Warum nicht?
Weil die Grünen klug genug sind, um nicht nur die Blumen blühen lassen zu wollen. Auch die Wirtschaft ist ein zentrales Thema für sie. Natürlich sind Bruchlinien gegeben. Aber ich glaube, wenn beide vernünftig sind und genügend Zeit haben, sinnvolle Entscheidungen zu treffen, dann ist dieser Brückenschlag möglich. Wenn er gelingt, werden zwar trotzdem immer wieder Konflikte auftauchen, aber die Chancen stehen dann sehr gut, dass diese politische Verbindung die gesamte Legislaturperiode hält. Nehmen wir nur die Coronakrise: Die Minister beider Parteien arbeiten derzeit sehr kooperativ, wertschätzend und respektvoll miteinander. Beide Seiten versuchen mit aller Kraft, die Gesellschaft zusammenzuhalten.
Stichwort Coronakrise: Für die Regierung ist die aktuelle Situation eine enorme Belastungsprobe. Was können wir hier gerade beobachten?
Die Kunst der Krisenkommunikation ist es, den anderen zu fordern und gleichzeitig seine Grenzen zu kennen. Das machen Kurz und Kogler gerade. Und zwar ziemlich gut. Sie tragen Konflikte aus. Nicht nur intern, sondern auch extern - was in der Politik ja sehr wichtig ist. Wenn der Kogler sagt, die Reichen sollen einen Beitrag leisten, um die wirtschaftlichen Folgen der Krise abzufedern, dann ist der Konflikt natürlich vorprogrammiert. Dann muss der Kurz sagen: Neue Steuern? Sicher nicht! Die beiden testen ihre Konfliktfähigkeit ab. Wie viel kann, darf und muss ich dem anderen zumuten, um den Wünschen meiner Wähler zu entsprechen, ohne den Partner dabei zu überfordern? Solange dies nicht als persönlicher Konflikt, sondern auf wertschätzende Art und Weise ausgetragen wird, solange kann es die Beziehung langfristig nur stärken.
Welche Belastungsproben könnten noch auf die beiden zukommen?
Alle möglichen. Nur eines halte ich für unwahrscheinlich: Dass sie politische Dummheiten begehen, wie es die Blauen während ihrer Regierungsbeteiligung gemacht haben. Dazu schätze ich das Personal beider Parteien zu hoch ein.
Kompromisse und Zugeständnisse sind Voraussetzung dafür, dass eine Partnerschaft funktioniert. Jedoch sollten beide Seiten gleichermaßen dazu bereit sein. Sehen Sie in der Partnerschaft Türkis-Grün ein Gleichgewicht?
Hier ist sehr wohl ein Gleichgewicht gegeben. Ein Gleichgewicht entsprechend der politischen Gewichtung, bedenkt man, dass die ÖVP mit 37 Prozent und die Grünen mit 14 Prozent der Stimmen aus der Wahl hervorgegangen sind. Der Coronakrise geschuldet scheint derzeit sogar ein tatsächliches Gleichgewicht zwischen Nehammer und Anschober zu herrschen, wenn nicht sogar ein Übergewicht der Grünen. Es werden aber auch wieder andere Zeiten kommen. Spätestens dann, wenn der Fokus verstärkt auf die Frage der Migration gerichtet wird, wird sich das wieder verschieben.
Wer hat in dieser Partnerschaft Ihrer Meinung die Hosen an?
Der Kurz hat die Hosen an und der Kogler das Hemd. Mit aufgekrempelten Ärmeln. Während die Türkisen eher die Rolle der Bewahrer einnehmen, haben die Grünen mehr das Anpacken und Verändern in sich. Gleichzeitig müssen sie schauen, dass auch sie in gewisser Weise auf Bewahren und Sicherheit setzen. Ansonsten hätten sie ja keine Zukunftschance. Das Ziel beider ist ja, die Wählerbasis zu erweitern. Und das versucht jeder auf seine Weise. Es scheint, als gebe es hier eine unausgesprochene Übereinkunft: Ich bin okay, du bist okay. Wir sind nur anders. Und so hat jeder auf seine Weise die Hosen an.
Türkis-Grün war mehr eine Zwangs- als eine Liebesheirat. Was braucht es, damit diese gut funktionieren kann?
Die Liebesheirat ist eine sehr persönliche Sache zwischen zwei Menschen. Eine Heirat zwischen zwei Parteien dagegen kann und darf nie eine Liebesheirat sein. Sie muss eine geplante, gezielte Interessensvereinigung sein. So, wie es die Ehe vor gar nicht allzu langer Zeit war: pragmatisch, interessens- und überlebensgeleitet. Häufig ging das auf Kosten der Töchter des Hauses Habsburg, die verheiratet wurden, um Koalitionen zu schließen und das Überleben des Adelshauses zu sichern. Dieser Grundgedanke ist die optimale Basis für eine Koalition: Wir wollen überleben, wir wollen Zukunft gestalten, wir wollen so arbeiten, dass jeder von uns ein gewisses Maß seiner Ziele umsetzen kann.
Vor nicht allzu langer Zeit sprach sich Kogler offen dafür aus, den Geflüchteten an der türkisch-griechischen Grenze zu helfen, ruderte dann aber wieder zurück. Wie sehr kann oder soll man sich in einer Partnerschaft verbiegen?
Ich denke, dem Vizekanzler ist klar, dass er sich auf Glatteis begeben würde, wenn er hier allzu stark die menschenrechtliche Keule schwingen würde. Wie sehr er sich dabei verbiegt, kann ich nicht beurteilen. Klar ist aber, dass alle grünen Führungskräfte - auch die in den Ländern - in die gleiche Richtung ziehen. Was sie nicht als Verbiegen, sondern, im Sinne des Pragmatismus, als Notwendigkeit empfinden. Beim Migrationsthema muss ein Kompromiss gefunden werden. Wenn die Grünen allerdings beim Asylthema von ihrer Grundhaltung abrücken würden, würde es schwierig für sie werden.
Wenn die Differenzen unüberbrückbar sind, trennt man sich. Was muss Ihrer Meinung nach passieren, dass sich Kurz und Kogler koalitionstechnisch voneinander trennen?
Das kann man nicht an einer einzigen Sache festmachen. Bei einer Trennung spielen meist zig Faktoren eine Rolle. Wenn ein Paar in die Therapie kommt, um die Trennung hintan zu halten, dann lassen sich binnen einer Stunde so viele Differenzen finden, dass man meinen könnte, die beiden wären überhaupt nie zusammen gewesen. Natürlich kann man ein paar besonders bedeutende Gründe nennen. In Wirklichkeit sind es aber viel mehr. Und jeder hat seine eigenen.
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Kurz hat ja mittlerweile Erfahrungen mit Trennungen – zuerst die SPÖ, dann die FPÖ. Haben diese Erfahrungen Ihrer Meinung nach Einfluss auf sein Handeln in der jetzigen Koalition?
Die Trennungsgeschichte von den Blauen war für Kurz bestimmt nicht angenehm. Es gab viele Momente, die ihn getroffen haben müssen. Nicht erst bei der Trennung, sondern auch schon während der gemeinsamen Regierungszeit. Kurz weiß aber, genauso wie Kogler, dass politische Ehen immer Ehen auf Zeit sind. Wenn ein Politiker anders denkt, ist er fehl am Platz. Insofern braucht Kurz keine Lehren aus der Trennung von den Blauen zu ziehen, außer die, dass man sich einen klugen, verantwortungsbewussten Partner suchen sollte.
Was können die Regierungspartner aus der Coronakrise Ihrer Meinung nach lernen?
Sie lernen viel schneller, wie der andere tickt. Denn in Krisen kommen Charaktereigenschaften deutlicher zum Vorschein. Sie müssen schnell Entscheidungen treffen. Entscheidungen, bei denen es um Millionen geht und die von beiden Seiten getragen werden müssen. Wenn Kurz die Schließung der Geschäfte fordert, bekräftigt Anschober: Ja, das ist jetzt notwendig. Da kann der türkise Teil der Regierung sagen: Wir verlassen uns auf die Expertise des Gesundheitsministers. Mit anderen Worten: Die Koalitionspartner geben einander Rückendeckung. Das stärkt die gemeinsame Basis. Sie sehen, dass weder der andere noch man selbst fehlerfrei ist. Das Wissen um die gemeinsamen Fehler wiederum schafft ein gemeinsames Verantwortungsgefühl. Das ist etwas, was für die Beziehung absolut positiv ist.
Was würden Sie den beiden empfehlen, damit die Partnerschaft möglichst lange hält?
Erstens sich immer wieder zusammenzusetzen und die Ziele zu modifizieren. Weil Politik ist extrem schnelllebig. Und in fünf Jahren wird sich viel tun. Zweitens so oft wie möglich Experten heranzuziehen – und vielleicht nicht immer dieselben –, um über die Politikerblase hinauszugehen. Ein Pool an Experten wäre ein sehr hilfreiches Instrument. Wir haben jetzt zwar die Zeit der Persönlichkeiten an der Spitze, aber Persönlichkeiten nutzen sich ab. Manchmal sogar sehr schnell. Wenn die Persönlichkeiten nun unterstützt werden von - nennen wir sie - Experten, dann würde das dazu beitragen, die Parteien wieder etwas zu öffnen. Das ist ein wichtiger Aspekt zukunftsorientierter Politik.
Steckbrief
Dr. Alois Kogler
Dr. Alois Kogler ist klinischer Psychologe, Gesundheitspsychologe und Psychotherapeut. Er lehrt an der Universität Graz Verhaltenstherapie und als Arbeits- und Organisationspsychologe "Team und Führung". Am Institut für Psychosomatik und Verhaltenstherapie ist er als Verhaltenstherapeut tätig.