Margit Haas spricht im Interview mit News.at über ihren Freund, den Mörder Jack Unterweger: "Ich weiß bis heute nicht, ob er es war".
Wie haben Sie Jack Unterweger kennengelernt?
Ich habe 1990 bei der Zeitschrift Wiener gearbeitet und im Sommer eine Prominenten-Umfrage gemacht: "In welche Lokale gehen Sie gerne?" Ich weiß nicht, was mich geritten hat, aber ich habe verfolgt, dass Jack Unterweger kurz zuvor entlassen wurde, und habe mir gedacht: "So jetzt rufe ich den Unterweger an, wohin er gerne ausgeht." Er hat mir gesagt, dass er gerne in den Florianihof geht, weil er gleich daneben wohnt. In die Reiss Bar ist er zum Aufreißen von Frauen gegangen und ins Cobenzl, wenn er eine schöne Frau ausführt. Es hat sich ein Gespräch von ungefähr einer Stunde entwickelt, das sehr humorvoll war. Weil wir kein Foto von ihm hatten, habe ich ihn gefragt, ob er eines schicken könnte. Er hat damals ein Foto vorbeigebracht. Ein oder zwei Monate später hat er für mich eine Einladung zur Premiere seines ersten Theaterstücks "Kerker oder Im Namen der Republik" hinterlegt, mit der Bitte an die Redaktionssekretärin, dass sie mich ihm vorstellen soll.
Welchen Eindruck hatten Sie vom ersten persönlichen Zusammentreffen mit ihm?
Ich habe ihn mir komplett anders vorgestellt, ich war positiv überrascht. Er hat das Premierenpublikum zur Premierenfeier in die Reiss Bar eingeladen. Dort habe ich beobachtet, wie ihm Frauen Zettelchen zugesteckt haben. Als das Lokal fast geleert war und nur mehr Robert von der Reiss Bar, die Redaktionssekretärin und ich da gewesen sind, kam er zu uns an den Tisch. Wir wurden uns vorgestellt und es erstaunt mich noch heute, dass meine erste Frage an ihn war: "Herr Unterweger, wie ist Ihre Sexualität nach 16 Jahren Haft". Er hat sich gleich einen Sessel genommen und ihn ganz nah zu mir gerückt und hat gesagt: "Es hat sich noch keine beschwert." Ich habe gesagt: "Naja, man sagt, dass nach spätestens fünf Jahren durchgehender Haft die Sexualität Irrwege geht. Welche Irrwege geht Ihre Sexualität?" Er ist ein bisschen verlegen geworden und hat gemeint: "In der Einsamkeit der Haft genügt man sich oft selbst." Wir sind sehr lange sitzen geblieben und dann noch gemeinsam mit seinem Ford Mustang ins "Motto" gefahren, weil wir weiter plaudern wollten.
Welchen Verlauf hat der Abend noch genommen?
Im "Motto" waren damals sehr fesche Kellner, die fast alle schwul waren. Ich war neugierig, wie die Atmosphäre auf ihn wirkt. Ich habe gleich gemerkt, dass er ein Typ Mann war, der auf Homosexuelle anziehend wirkt. Er war sehr verwirrt von dieser Atmosphäre, aber hat in seiner Verwirrtheit weiter mit mir geflirtet. Er hat zu mir gesagt: "Du spielst mit dem Feuer". Ich habe lachend geantwortet: "Mit dem Fegefeuer?" (Anspielung auf Unterwegers Autobiografie "Fegefeuer oder die Reise ins Zuchthaus"; Anmerkung d. Red.) Er wollte mich damals küssen. Bevor das zustande kommen konnte, hat der Kellner, dem es eine diebischen Freude war, das Ganze zu unterbrechen, den Teller zwischen uns geschoben. Draußen vor dem "Motto" hat er versucht, mich zu verführen. Ich habe es abgeblockt. Das war fast alles an ernsthaften Verführungsversuchen. Nach dem ersten halben Jahr ist unsere Bekanntschaft in eine rein platonische Freundschaft übergegangen, ohne Spannungen. Ich betone das, weil die Ermittler ihm vorgehalten haben, dass er nicht fähig wäre, mit einer Frau eine normale Freundschaft zu haben. Ich bin der lebendige Beweis, dass er dazu sehr wohl fähig war.
Was hat Sie an ihm so fasziniert?
Für mich ist jede Begegnung mit einem Menschen faszinierend. Wir haben uns einfach gut verstanden. Wir hatten einen ähnlichen Humor und unglaublich gute Gespräche. Wir haben eine Art Vertrauensverhältnis gehabt. Ich habe mich von den meisten seiner anderen Bekannten dadurch unterschieden, dass mir Männer, die bereits in Haft waren, nicht fremd waren, weil ich journalistisch bedingt mit dem Rotlichtmilieu in Kontakt gekommen bin und bis heute gute Freundschaften mit Unterweltgrößen pflege. Der böse Bube in ihm hat viele Frauen fasziniert. Das war bei mir anders.
Was war er für ein Mensch?
Er hat viele Ängste, die er vielleicht gehabt hat, überspielt, weil er ein sehr stolzer Mensch war. Leider hat er nicht nur eine humorvolle Seite gehabt, sondern manchmal auch sehr verbitterte Züge. Ich habe gemerkt, dass die Zeit im Gefängnis versucht hat, ihn zu brechen. Er hat sich die Freiheit ein bisschen anders vorgestellt. Die kulturelle und gesellschaftliche Schickeria hat ihm sehr viele Hoffnungen gemacht, ihn zu resozialisieren. Am Anfang haben sie ihn sehr hofiert und sich mit ihm geschmückt. Als er versucht hat, sich beruflich zu verwirklichen, war er sehr enttäuscht - darüber, dass bei seinen Lesungen die Säle leer geblieben sind, dass die Förderungen nicht im erhofften Umfang geflossen sind, Verlage ihn nicht anstellten und dass die Menschen ihn nach der ersten schillernden Zeit fallen gelassen haben.
Warum hatte er ein so gutes Händchen mit Frauen?
Er hat nicht nur ein gutes Händchen für Frauen gehabt. Jack hat einen Menschen innerhalb von einer Minute durchleuchtet. Er war ein guter Menschenkenner und wenn jemand ein guter Menschenkenner ist, versteht er natürlich auch Frauen. Man hat ihm nachgesagt, ein Manipulator zu sein. Das mag sein. Ich bin mir nicht manipuliert vorgekommen, aber ich schließe es nicht völlig aus. Ich glaube, er wusste, wer ihn durchschaut und wer nicht.
Man hat ihm außerdem vorgeworfen, dass er Frauen nur zu seinem Vorteil benutzt hat. Das war bei mir nicht so. Er hat mich nie um irgendetwas gebeten. Erst als er in Graz in U-Haft gesessen ist und ich ihn besucht habe, wollte er, dass ich ihn zweimal die Woche besuchen komme. Er wollte mich einteilen, für ihn zu recherchieren, um ihn zu entlasten, und alles Mögliche zu regeln. Ich habe gesagt, dass das nicht geht. Ich habe einen stressigen Job in Wien und eine Beziehung gehabt. Ich hätte mein eigenes Leben für ihn aufgeben müssen.
Im Fall der ermordeten Prostituierten gerät Jack Unterweger bald ins Visier der österreichischen Ermittler. Wie haben Sie die Zeit vor seiner Flucht nach Miami und der Verhaftung erlebt?
Ich habe ihm bei einem Fotoshooting-Termin erzählt, dass gegen ihn als Prostituiertenmörder ermittelt wird. Er wollte genau wissen, was ich gehört habe. Heute weiß ich, dass er von den Ermittlungen gewusst haben muss, bevor ich ihm davon erzählt habe. Er ist bereits bei Einvernahmen gewesen und vermutlich in Panik geraten, dass das schon solche Wellen geschlagen hat. Er hat mich an diesem Tag innerhalb einer Stunde mehrfach angerufen und mir erzählt, dass er beim Innenministerium, im Sicherheitsbüro, bei der Kronen Zeitung und so weiter angerufen hat. Man hat gemerkt, wie nervös er war. Ich habe ihm geraten, sich ruhig zu verhalten und keinen Staub aufzuwirbeln. Ich habe gesagt: "Es muss dir doch klar sein, dass wenn etwas Ähnliches passiert, du im Fadenkreuz der Ermittlungen stehst." Am nächsten Tag rief er mich wieder an, er hat lange mit mir telefoniert und am Schluss gesagt: "Du wirst jetzt eine Zeit lang nichts mehr von mir hören, aber ich melde mich bei dir. Und danke Margit, danke für alles." Dann hat er aufgelegt. Es folgte noch ein Gespräch am nächsten Tag. Am Tag darauf in der Früh hat mich ein Freund angerufen und gesagt: "Dein Freund Unterweger ist auf der Flucht." Der Medienrummel war groß. Ich habe mir Vorwürfe gemacht, weil ich ihm von den Ermittlungen erzählt habe. Auf der Flucht nach Miami hat er mich noch zweimal angerufen.
Worüber haben Sie mit ihm gesprochen?
Ich habe ihn gefragt, ob er seinem Anwalt, Dr. Zanger, vertraut und er will, dass er ihn wieder vertritt. Er hat mit "Ja" geantwortet. Er hat mir im Telefonat gesagt, dass er mir ein Manuskript schicken will, dass ich kopieren und an mehrere Leute verschicken soll. Ich habe Gott sei Dank keine Entscheidung treffen müssen, weil er seine Verteidigungsrede dann an die Sekretärin vom Magazin "Erfolg" geschickt hat, mit der er eine Affäre gehabt hat.
In Miami ist Unterweger am 27. Februar 1992 verhaftet worden. Haben Sie ihn für schuldig gehalten?
Ich war lange Zeit von seiner Unschuld überzeugt. Ich weiß bis heute nicht, ob er es war oder nicht. Das wissen nur er und die Opfer. Es ist eigentlich logisch, warum er vermehrt die Gesellschaft von Frauen gesucht hat. Er war im Gefängnis 16 Jahre lang nur von Männern umgeben. Ich habe immer das Gefühl gehabt, dass er ein Problem mit Männern hatte. Er hat sich von fremden Männern beobachtet und verfolgt gefühlt. Kann sein, dass das ein Schaden aus seiner langen Haftzeit in Stein war. Ich habe damals immer gesagt, dass ich mir nicht vorstellen kann, dass er der Prostituierten-Mörder ist, weil er doch ein Problem mit Männern hatte und die Nähe von Frauen gesucht hat. Eine österreichische Prostituierte hat daraufhin zu mir gesagt: "Es ist doch immer so, dass der Mann, der Probleme mit Frauen hat, ein Frauenhasser, die Nähe von Frauen sucht." Mir ist damals sehr lange im Kopf herumgeschwirrt, ob sie nicht Recht hat.
Warum zweifeln Sie heute an seiner Unschuld?
Ich habe mich an zwei Dinge erinnert, die eigenartig waren. Einmal sind wir am Ostersonntag am Cobenzl spazieren gegangen und wollten dann in der Innenstadt essen gehen. Vom Cobenzl sind wir einen Umweg über die Höhenstraße mit dem Auto in die Stadt gefahren. Auf der Höhe vom Schottenhof ist er sehr langsam geworden und hat dauernd in den Wald hineingeschaut. Ich habe gefragt, warum er so schaut und er hat gesagt: "Lass mich doch, ich muss halt was schaun'." Es war dieselbe Stelle, wo die letzte Prostituierte abgelegt worden ist. Die Frau ist knapp nach dem Ostersonntag ermordet worden. Viele Serienkiller suchen sich vorher bewusst die Stelle aus, wo sie jemanden umbringen oder jemanden ablegen.
Ich erinnere mich noch an einen anderen Vorfall. Er war bei einer Lesung in Vorarlberg und wir haben lange telefoniert. Er war irrsinnig nervös, sehr gereizt und verbittert, weil die Lesung nicht gut besucht war. Ein paar Stunden später hat er mich mitten in der Nacht wieder angerufen. In diesem Zeitraum ist eine Prostituierte umgebracht worden. Der zweite Anruf war ganz anders. Er war losgelöst, er war fröhlich, es war, als wäre ein Druck von ihm genommen worden.
Jack Unterweger ist letztendlich wegen neunfachen Mordes zu lebenslanger Haft verurteilt worden. Inwieweit hat er Ihrer Meinung nach mit einem Schuldspruch gerechnet?
Ich glaube, dass er mit einem Schuldspruch oder einer Verurteilung gerechnet hat. Ich will betonen, dass das Urteil nicht rechtskräftig ist. Es wäre heute aber gar nicht mehr möglich, den Prozess neu aufzurollen, weil viele Unterlagen aus dem Gerichtsakt fehlen. Das ist skandalös und eine Frechheit den Angehörigen der Mordopfer gegenüber. Wenn er es nicht war, bedeutet das, dass der Mörder vielleicht noch frei herumläuft.
Noch am Tag der Urteilsverkündung hat er sich in seiner Zelle erhängt. Wie denken Sie über den Suizid?
Ich habe mit seinem Selbstmord eigentlich erst gerechnet, wenn er keine Hoffnung mehr hat. In erster Instanz verurteilt zu werden, heißt nicht, dass das letzte Wort gesprochen worden ist. Ich glaube nicht, dass er wirklich die Absicht gehabt hat, aus dem Leben zu scheiden. Ich halte es für möglich, dass Jack mit dem Gedanken gespielt hat, durch einen Suizidversuch Aufmerksamkeit zu erregen. Entweder ist der Beamte nicht, wie er hätte sollen, seine Runden gegangen und hat nicht nachgeschaut, ob alles in Ordnung ist. Oder er hat ihn hängen gesehen und sich gedacht, er soll ruhig hängen. Variante zwei ist, dass jemand nachgeholfen hat, das halte ich für eher unwahrscheinlich.
Und heute? Wie sehen Sie den Fall Jack Unterweger heute?
Für mich war das Thema Jack Unterweger schon zum Zeitpunkt der Gerichtsverhandlung abgeschlossen. Er war ein Freund von mir. Er ist aus dem Leben geschieden. Vieles habe ich schon vergessen, es sind mir nur die wichtigsten Erlebnisse in Erinnerung geblieben. Durch den Medienhype - er war ja mediengeil - hat er sich selbst am meisten geschadet. Die Vorverurteilung in den Medien hat es ihm nicht mehr möglich gemacht, eine faire Verhandlung zu bekommen. Die Behörden sind unter Zugzwang gestanden und haben nur noch nach Belastendem und nicht nach Entlastendem gesucht. Es war ein reiner Indizienprozess. Mir tut es sehr leid, dass sein Fall am Ende die Situation der Resozialisierung von Strafgefangenen um Jahre zurückgeworfen hat. Dabei war es Jack so wichtig, über die Haft, ihre Sinnhaftigkeit und Resozialisierung zu diskutieren.
Zur Person Margit Haas:
Margit Hass lebt in Wien, sie ist Medieninhaberin der Website Wiener Lokalführer (www.lokalfuehrer.at) und Gesellschafterin mehrerer erfolgreicher Unternehmen in der Transport- und Immobilienbranche. Die 51-Jährige arbeitete zunächst lange Zeit als Journalistin und später als Verlegerin in Wien, unter anderen war sie Herausgeberin der Printmedien Wiener Lokalführer, Bierführer, Erotikführer und galt mit ihrem Magazin Single als Erfinderin der seriösen Singlebörse. Sie hat dem Autor und Politikwissenschaftler John Leake Informationen für sein Buch "Der Mann aus dem Fegefeuer - Das Doppelleben des Jack Unterweger" gegeben, das die Person und den Fall Jack Unterweger ganz genau beleuchtet. Auch für den Unterweger-Film "Jack" der Regisseurin Elisabeth Scharang hat sie wichtige Informationen aus dem Leben von Unterweger beigesteuert.
Zur Person Jack Unterweger:
Im Jahr 1976 wird Jack Unterweger wegen des Mordes an einer 18-Jährigen zum ersten Mal zu lebenslanger Haft verurteilt. Im Gefängnis beginnt er sich weiterzubilden und Romane zu schreiben – Österreichs kulturelle High-Society feiert ihn schließlich als "geläuterten Häfenpoeten". 1990 kommt Unterweger nach nur 16 Jahren Haft frei. Und wird erneut als Mörder gejagt, als die österreichische Polizei eine Serie an Prostituiertenmorden aufzuklären versucht. Am 13. Februar 1992 erlässt das Landesgericht Graz einen Haftbefehl. Es folgt eine spektakuläre Flucht nach Miami mit seiner damaligen Freundin. Schließlich wird er in Miami verhaftet. Es kommt zu einem Prozess. Am 29. Juni 1994 wird Unterweger am Grazer Landesgericht wegen neunfachen Mordes schuldig gesprochen. Nur einige Stunden nach der Verurteilung begeht er in seiner Zelle Suizid. Das Urteil ist nie rechtskräftig geworden.