Wer war Jack Unterweger und warum übte er auf viele Personen eine Faszination aus? Jack Unterweger hatte viele Gesichter. Im Jahr 1976 wird er wegen des Mordes an einer 18-Jährigen zum ersten Mal zu lebenslanger Haft verurteilt. Im Gefängnis beginnt er sich weiterzubilden und Romane zu schreiben – Österreichs kulturelle High-Society feiert ihn schließlich als „geläuterten Häfenpoeten“. 1990 kommt Unterweger nach nur 16 Jahren Haft frei. Und wird erneut als Mörder gejagt.
Steckbrief Jack Unterweger
Name: Johann "Jack" Unterweger
Geboren: Am 16. August 1950 in Judenburg, Steiermark
Aufgewachsen in: Pisweg, Kärnten bei seinem Großvater
Gestorben: Am 29. Juni 1994 in Graz
Eltern: Mutter Theresia Unterweger (Kellnerin), Vater war ein US-Soldat, der sich nie zu seinem Sohn bekannte
Jack Unterwegers Jugendzeit
Jack Unterweger wird am 16. August 1950 als uneheliches Kind einer Wiener Prostituierten und eines US-Soldaten in Judenburg in der Steiermark geboren. Seine Mutter muss ins Gefängnis, als er zwei Jahre alt ist. Er wächst bei seinem Großvater in Kärnten auf, in einem eher rauen Milieu. Immer wieder soll er mit seinem Opa auf Diebestour gegangen sein, um Vieh zu stehlen. 1966 wird Unterweger in St. Veit wegen Diebstahls zu einer bedingten Haftstrafe von drei Tagen verurteilt worden. Zusätzlich kommt er für ein Jahr in die Bundesanstalt für Erziehungsbedürftige in Kaiserebersdorf. Nach seiner Entlassung hält er sich mit Gelegenheitsjobs über Wasser. Er arbeitet unter anderem als Kellner und als Zuhälter und fällt wegen diverser Diebstähle und Gewaltdelikte gegen Frauen auf.
Die erste lebenslange Haftstrafe
1974 begeht er in der deutschen Stadt Herborn, er ist dort zu Besuch bei einer Freundin, den bestialischen Mord an der 18-Jährigen Magret Schäfer. Gemeinsam mit der Freundin raubt er die junge Frau, eine Nachbarin der Freundin, zunächst aus. Während seine Bekannte im Auto bleibt, geht Unterweger mit seinem Opfer allein in ein Waldstück und tötet sie dort. Am 31. Mai 1976 wird er dafür zu lebenslanger Haft verurteilt. Es gibt ein vermutetes zweites, ähnliches Tötungsdelikt, doch in diesem Fall kommt er ungeschoren davon. Fortan sitzt er in der Justizanstalt Stein in Niederösterreich ein.
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Vom Häftling zum freien Schriftsteller
Während seiner Haftzeit bleibt Unterweger nicht untätig: Er bildet sich weiter - er hat nicht einmal einen Hauptschulabschluss -, beginnt zu lesen und schließlich selbst zu schreiben. Im Gefängnis gründet er einen eigenen Verlag und gibt die Literaturzeitschrift "Wortbrücke" heraus. Am Ende mutiert er zum von der Gesellschaft angesehenen "Häfnpoeten". In seiner Zelle hängen teure Bilder, Perserteppiche schmücken den Boden und zahlreiche Frauen schicken ihm Liebesbriefe. Sein autobiografischer Roman "Fegefeuer oder Endstation Zuchthaus", der von seiner verpatzten Kindheit und dem Absturz in die Kriminalität handelt, verschafft ihm noch mehr Gehör und kann bedeutende Personen aus der Kultur-Szene für sich gewinnen. Sie unterzeichnen daraufhin Petitionen für seine Freilassung. Als Musterbeispiel einer erfolgreichen Resozialisierung wird Unterweger letztendlich im Mai 1990 auf Bewährung freigelassen - nach 15 Jahren und vier Monaten Haft.
Jack Unterweger: Der Gejagte
Nach seiner Entlassung hofiert die High Society Jack Unterweger, er veranstaltet Leseabende in Österreich und im Ausland. Auf Schickeria-Partys ist er ein gern gesehener Gast, die Frauen umschwärmen ihn. Er bekommt Jobangebote als Journalist, schreibt Theaterstücke und Romane und verdient gut daran.
Mehrere Wochen später beschäftigt die österreichische Polizei eine Serie an Prostituiertenmorden. In Graz, Vorarlberg und Wien verschwinden Sexarbeiterinnen - Unterweger ist zum Tatzeitpunkt immer in der Nähe - und werden oft Monate danach ermordet aufgefunden. Der Täter geht dabei stets gleich vor: Er lockt seine Opfer in eine einsame Gegend, fesselt sie im Zuge von Sexspielen und stranguliert sie letztendlich mit ihrer Unterwäsche - auffällig ist der Henkersknoten, der in die Mordwerkzeuge - BHs, Strumpfhosen - geknüpft war. Bald gerät Unterweger in Verdacht, die Morde begangen zu haben. Er wird zum Gejagten.
Bis ein Haftbefehl ausgestellt werden kann, vergeht allerdings noch Zeit. Es fehlen die nötigen Beweise. Die Abstände zwischen den Morden werden indes kürzer. Als Reporter berichtet Unterweger selbst über die Frauenmorde und interviewt den damaligen Chef der Wiener Kripo. Er reist für einen Radiobeitrag über die Prostituierten-Szene sogar nach Los Angeles und soll dort drei weitere Prostituierte umgebracht haben.
John Leake, ein Politikwissenschaftler aus Texas, der 2000 zu Studienzwecken nach Wien übersiedelte, durchleuchtet in seinem Roman "Der Mann aus dem Fegefeuer" die Person und den Fall Jack Unterweger ganz genau. Viereinhalb Jahre lang hat der Autor alle zu dem Fall vorliegenden Polizei- und Gerichtsakten gelesen, mit den Ermittlern und Psychologen, die ihn betreuten, gesprochen und sich mit zahlreichen Zeugen, Bekannten und Frauen, die mit Unterweger in engen Beziehungen standen, unterhalten. Leake schreibt in seinem Buch, dass es Unterweger Spaß machte "mit der Polizei Katz und Maus zu spielen, er fühlte sich ihr überlegen, er genoss es, vor ihren Augen zu killen." Er habe gedacht, sie würden ihn nie bekommen.
Am 13. Februar 1992 erlässt das Landesgericht Graz einen Haftbefehl. Es folgt eine spektakuläre Flucht nach Miami mit seiner damaligen 18-jährigen Freundin Bianca. In Miami wird Unterweger dann verhaftet; in einem Postamt, als er dort Geld abholt, das ihm eine andere Geliebte aus Wien geschickt hat. Insgesamt elf Morde an Prostituierten werden Jack Unterweger zur Last gelegt: vier in Wien, zwei in Graz, eine in Lustenau, eine in Prag und drei in Los Angeles. Nie gibt es Augenzeugen für die Morde, immer benutzt der Täter ein Kondom. Die Leichen werden so gut versteckt, dass sie erst nach längerer Zeit gefunden werden.
Die Beweise gegen Jack Unterweger sind also rar, aber etwas wird ihm zum Verhängnis: Ein Haar des Opfers aus Prag wird in einem seiner Autos entdeckt. An einem anderem Opfer finden die Ermittler Fasern eines roten Schals, die mit dem Material von Unterwegers Schal übereinstimmen. Unterweger streitet alles ab.
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Hochzeit mit eigener Strafverteidigerin
Dieses Kribbeln hat auch Astrid Wagner verspürt, als sie Unterweger 1992 in der Untersuchungshaft in Graz, nachdem er wegen des Verdachts des mehrfachen Prostituiertenmordes festgenommen wurde, besuchte. Die heute erfolgreiche Strafverteidigerin wollte dem Inhaftierten nach einem Selbstmordversuch Mut machen. „Es hat mich gestört, dass er offensichtlich überhaupt keine Chance hat, dass man gar nichts prüft, dass er für die Medien schon schuldig gesprochen ist. Deshalb hab ich ihm auch diesen Brief geschrieben“, sagte die Juristin im Interview.
Wagner wohnte damals in Graz und ging auf Unterwegers Vorschlag ein, ihn in U-Haft zu besuchen. „Das war dann schon ein Kontrastprogramm. Ich kannte ja die schillernde Figur aus den Medien, die Fotos vom Frauenschwarm, und eigentlich hab ich sofort Mitleid gehabt.“ Der einstige Liebling der High Society saß blass und im zerrissenen T-Shirt vor der angehenden Juristin. „In erster Linie hat er mir leidgetan.“ Nach einem Monat fühlte sich Wagner zu dem des mehrfachen Mordes Beschuldigten emotional so gebunden, dass sie sich auch von ihrem damaligen Freund trennte. „Er war ein Filou, er war ein Frauentyp, und es hat schon beim ersten Besuch ein feines Flirten gegeben.“
Zwei Jahre lang besuchte Wagner den einst gefeierten Literaten im Gefängnis, Berührungen gab es nur durch ein Fliegengitter unterhalb der Sichtscheibe. "Diese - na sagen wir mal - unterkühlte Erotik, die war von Anbeginn da", erzählte die Anwältin. "Es war eine Beziehung, die ich so nicht mehr erleben werde." Wie bei "einem Kochtopf", bei dem es brodelt, der aber nie übergeht, meinte Wagner. Klar ausgesprochen wurden die Gefühle allerdings erst am Schluss, als die beiden wussten, dass der Prozess "nicht gut" ausgehen werde. Sogar Hochzeit stand im Raum, um einen "guten Eindruck auf die Geschworenen" zu machen, doch Unterweger lehnte ab.
Die Verurteilung von Jack Unterweger
Am 20. April 1994 findet am Grazer Landesgericht der Prozess gegen Jack Unterweger statt. Der Andrang ist groß. Viele halten ihn für unschuldig, für ein Opfer der Justiz, andere sehen in ihm den grausamen Frauenmörder. Der Auftritt des Angeklagten gerät fast schon zur Show. In einem dunkelgrauen Anzug erscheint er vor Gericht, sehr seriös. Er lächelt den Fotografen, Kameraleuten und Anwesenden zu. Acht Geschworene entscheiden über einen der aufsehenerregendsten Fälle der österreichischen Kriminalgeschichte.
"Meine Damen und Herren Geschworenen", erklärt er in seinem ersten Verteidigungsplädoyer, "wir sind jetzt für die nächsten zwei Monate zusammen, und ich möchte kein steriler Schauspieler sein. Ich möchte es mit Ihnen so haben wie im Kaffeehaus. Falls Sie Fragen haben, stellen Sie sie bitte, und ich werde Ihnen auf alles, wirklich alles, Antwort geben. Sehen Sie, ich habe den großen Vorteil, dass ich nichts zu verbergen habe, da ich nicht der Mörder bin. Wenn Sie mich bei einer Lüge erwischen, dann verurteilen Sie mich …"
Am 29. Juni 1994 wird er schuldig gesprochen. Nur einige Stunden nach der Verurteilung begeht Unterweger in seiner Zelle Suizid. Der Knoten, an dem er sich erhängt, ist auf dieselbe Weise geknüpft wie die Schlingen, die um die Hälse der Prostituierten gelegt worden waren. Das Urteil gegen Unterweger ist aufgrund seines Todes nie rechtskräftig geworden.