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Hubert Neupers harter Weg aus der Krise

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Hubert Neuper

©Ricardo Herrgott
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Er war in seinem Sport, dem Skispringen, ganz weit oben. Nach Karriereende versuchte sich Hubert Neuper als Manager. Durchaus erfolgreich, und er stürzte dennoch ab. Hier erzählt er, wie er seine größte Krise bewältigte.

Nicht nur die Sportwelt kennt Hubert Neuper als Sunnyboy, dem die Erfolge - im Wortsinn - entgegengeflogen zu sein schienen. Als zweifacher Vierschanzentourneesieger holte er auch noch den damals, 1980, neu eingeführten Gesamtweltcup und als Draufgabe auch Olympia-Silber. Ähnlich glanzvoll ging es für ihn als Veranstalter des Skifliegens am Kulm nahe seinem Heimatort Bad Mitterndorf, als Sporthilfe-Chef und als Erfinder der World Sports Awards weiter. Doch tief drinnen in ihm sah es düster aus. Unbegründete Selbstzweifel und Versagensängste führten "zu Lebenssituationen, die kaum auszuhalten waren". Um "die Schlacke, die sich auf seiner Seele festgesetzt hat", wegzuräumen, schrieb er in dreieinhalb Jahren sein zweites Buch, "Ich darf alles". Viele Hintergründe und Erläuterungen, die nicht in seinem Buch stehen, verriet er in einem sehr offenen und intensiven Interview.

Herr Neuper, Sie haben ein zweites Buch mit dem Titel "Ich darf alles"* geschrieben. Was war der Auslöser dafür?
Ich bin in Dubai gesessen, genau zu jenem Zeitpunkt, als das Skifliegen am Kulm das erste Mal ohne mich stattgefunden hat, nach 25 Jahren. Das war 2020. Ich wollte eigentlich nichts davon wissen, habe aber dennoch einen Freund angerufen und gefragt, wie es denn so läuft. Er sagte, es sind zwar brutal wenig Leute da, aber es läuft gut, und das Wetter ist schön. Allein durch das Gespräch sind in meinem Kopf viele negative Gedanken entstanden. Nach wenigen Minuten war ich sehr frustriert. Mein Verstand hat gesagt: "Um Gottes willen, was hast du alles für die getan, und jetzt haben sie dich nicht einmal eingeladen." Hundert Sachen sind in meinem Kopf herumgeschwirrt. Und plötzlich habe ich erschrocken festgestellt, dass meine erdachte Realität nichts mit meinem tatsächlichen Leben zu tun hat. Mir ist in dem Moment klar geworden, dass ich herausfinden möchte, warum ich schöne Momente durch bloße Gedankenkonstrukte zerstören kann.

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Und das hat Sie komplett aus der Bahn geworfen?
Ich habe daraufhin angefangen, mich mit Prägungen aus meiner Kindheit und Jugend auseinanderzusetzen, und erkannt, dass ich immer wieder längst vergangene Ereignisse - wie zum Beispiel den Kulm -durch bloßes Denken zurück in meine Realität geholt habe. Mit dem Denken habe ich eine Fiktion erschaffen, und mir ist aufgefallen, dass Fiktionen nicht zu bewältigen sind, sondern nur echte Momente im Jetzt. Heilung durch Hinschauen, nicht durch Selbstmitleid. Der Verstand drängt zu Selbstmitleid, die Intuition und der Wille können es aber schaffen, diesen Kreislauf zu durchbrechen.

Wie kam es, dass ein Tausendsassa wie Sie, erfolgreicher Skispringer, Pilot und Veranstalter, den die Öffentlichkeit immer auch als Sunnyboy wahrgenommen hat, in einen psychischen Abwärtsstrudel kam, so, als wäre er vom Kulm abgestürzt?
Faktum ist, ich hab mich nicht psychisch aufgehängt, auch wenn es den Anschein haben mag. Es war vielmehr die Verselbstständigung meines Denkens, die negative Gedankenspirale, die dabei entstanden ist. Es hat natürlich immer wieder Auslöser gegeben, wie zum Beispiel, dass ich geglaubt habe, alles, was ich mache, hat keinen Wert. Es ist ein Kreislauf, negatives Denken, Erzeugung negativer Gefühle, Diskrepanz zwischen Realität und Erdachtem, Infragestellung von allem. Irgendwann habe ich das Erdachte so groß werden lassen, dass ich eben ausgeklinkt bin.

Sie haben doch damals ein herrliches Leben gehabt, warum haben Sie es sich schlechtgeredet oder eigentlich schlechtgedacht?
Genau diese Frage hat mich beschäftigt, und ich wollte herausfinden, warum alles herrlich und doch nicht herrlich war. Ich habe begonnen, zu recherchieren, zu analysieren, und mich an die Arbeit gemacht, mein Verhalten zu beobachten. Erst nach circa einem Jahr kam überhaupt die Idee, ein Buch aus den Erkenntnissen zu schreiben.

Hat Sie ein gewisser Zwang, immer der Beste sein zu müssen, überfordert? Wann haben Sie zum ersten Mal das Sich-alles-Schlechtdenken zum ersten Mal verspürt? War das schon vor Ihrer Springerkarriere?
Überfordert nicht, eher motiviert. Das war mein Antrieb. Wir haben alle Prägungen und Glaubenssätze, die in frühester Jugend entstanden sind. Bei mir war das mit zehn Jahren, als ich ins Internat gekommen bin. Als Zehnjähriger habe ich die Wahrnehmung gehabt, dass ich die Liebe meiner Eltern total verloren hätte. Ich durfte nicht heimfahren, bin von einem Tag auf den anderen von wildfremden Menschen bestimmt worden. Und was mir geistig das Genick gebrochen hat: Genau zu dieser Zeit ist meine Schwester zur Welt gekommen. Also hat der Zehnjährige geglaubt, er hat ausgedient.

Ich hatte immer Angst, nach einem Erfolg nicht gleich noch einen verzeichnen zu können

Sie haben sich plötzlich als überflüssig empfunden?
Genau. Ich habe mit meiner Mutter lange darüber reden müssen. Mit zwölf durfte ich im Heim als erfolgreicher Jungspringer ein Interview geben, und danach sind alle Kinder zu mir gekommen und haben mir das Gefühl gegeben, endlich wieder anerkannt worden zu sein. Endlich wurde dieses Grundbedürfnis der Bindung wieder befriedigt. Und von da an war für mich ganz klar, wenn ich etwas gelten will, wenn ich irgendwie geliebt werden will, dann muss ich der Beste sein. Das Traurige für mich daran ist, dass ich der Beste in vielen Dingen war. Aber wenn überhaupt, habe ich nur kurze Zeit Freude darüber empfunden. Weil dann ist diese Angst wieder aufgekommen: Um Gottes willen, was muss ich jetzt wieder machen, damit dieses Gefühl bleibt? Das war ein Kreislauf, dem ich nicht entrinnen konnte.

Sie mussten also dauernd Leistung erbringen ...
Ja, genau, also für mich musste ich das. Großartig wirst du, wenn du den Moment, der gerade vor dir liegt, mit deinen Sinnen, mit all dem, was dich ausmacht, beseelst und ihn gestaltest, dann wirst du großartig. Das habe ich gemacht, aber ich habe es nicht genießen können. Denn sobald ich's erreicht hatte, war maximal nur eine kurze Freude fühlbar. Ich bin Nummer eins der Welt im Skisprung gewesen, hab eine Olympia-Medaille geholt, habe Muhammad Ali und Pelé in die Staatsoper als Gastgeber eingeladen und vier Skiflugweltmeisterschaften und elf Weltcup-Skispringen ausgerichtet, und durch Recherche bin ich draufgekommen, es bedeutet mir nichts, weil mich die Angst vor dem Versagen immer wie ein Schatten begleitet hat.

Haben Ihnen denn all Ihre außergewöhnlichen Erfolge nichts bedeutet?
Es war eine kurzfristige Dankbarkeit. Es war für einen Moment großartig, keine Frage. Wer sitzt schon bei Muhammad Ali auf seiner Ranch, zum Beispiel? Der Hupo aus Bad Mitterndorf (lacht) - aber schnell ist ein Erfolgsgefühl durch Angst ersetzt worden. Was kann ich jetzt machen? Aber nicht so bewusst, wie ich es jetzt sage, sondern im Unterbewusstsein ist Angst entstanden. Das heißt: Was ist, wenn du das alles nicht mehr erreichst? Dann verlierst du alles wieder. Und diese Verhaltensweisen, die ich mir mit zehn anerzogen habe, haben mein ganzes Leben geprägt.

Wie ist das Gefühl, wenn man beim Skifliegen mehr als 200 Meter weit segelt? Hat man am Bakken Angst?
Der Mensch strebt ja immer danach, zu fliegen. Und Skispringen ist die einzige Art und Weise, mit der du ohne technische Hilfsmittel, nur mit dem Körper und Ski, um Geschwindigkeit zu bekommen, die Steinwurflinie verlässt. Der wird der Schwerkraft folgen, und der Skispringer fliegt raus und gleitet dann runter. Und dieses Gefühl ist ... ich kann's nur mit gigantisch beschreiben, weil ich keine anderen Worte finde. Aber dieses Gefühl, wenn du die Schanze runterfährst und von der Luft weggehoben wirst, ist so. Du bist auf einem Polster, du nützt die Aerodynamik mit deinem gebogenen Körper, und du hast ein total getäuschtes Zeitgefühl. Du glaubst, dein Flug dauert 30, 40 Sekunden, dabei bist du nur acht Sekunden in der Luft.

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In Lake Placid holte Hupo 1980 Olympia-Silber auf der Großschanze - hinter dem unbekannten Finnen Jouko Törmänen

 © imago/Sven Simon

Sie haben nach der Sportkarriere die Jobs gewechselt wie andere sprichwörtlich die Hemden. Oder Sie die Sprungski. War das Flucht?
Glaubenssätze und Schutzreaktionen lassen einen unwissentlich immer gleich reagieren. Bei mir war es die Angst nach einem abgeschlossenen Erfolg, nicht noch einen Erfolg verzeichnen zu können, die Liebe oder Bewunderung wieder zu verlieren. Und das war der Grund, dass ich in vielen unterschiedlichen Bereichen tätig war, um zu zeigen, ich kann "überall" erfolgreich sein. Das Schlimme ist, dass ich, dass wir alle aufhören, unserer Intuition zu folgen, dem Bauchgefühl, das uns immer den richtigen Weg sagt. Der Titel meines Buchs, "Ich darf alles"*, bezieht sich auf diesen Weg. Wir haben eine Intuition, und unser Verstand führt oft dazu, dass wir diese missachten. Irgendwann ist deine Seele, dein Weg, einfach mit Schlacken gefüllt, dass du, so wie ich, völlig ausbrennst.

Aber wenn Sie feststellen, da läuft etwas schief in mir drin, auch in meinem Kopf, warum haben Sie nie professionelle Hilfe in Anspruch genommen?
Das passt doch nicht zu mir. Leider. Mein Ego, also der Verstand, hat doch zu mir gesagt: "Spinnst du? Du bist doch der Beste." Aber das funktionierte eben auch nicht ewig, wenn du so im Auge des Orkans gefangen bist und nix mehr siehst, dann kommst du da nicht mehr alleine raus. Man braucht jemanden zum Reden.

Das erste Mal hat Sie 2003 ein Burnout erwischt und Sie sind nach Nashville gegangen. Wie lange waren Sie dort? Was haben Sie überhaupt dort gemacht?
Das habe ich mir gedacht und versucht, mir selbst zu helfen. Es war aber keines. Es war all das, was ich gerade beschrieben habe. Ich hatte aufgehört, meinen Verstand zu benützen.

Als Sie wieder zurück waren, dachten Sie sich, es ist alles wieder okay. So war es doch.
Ich hab's so weit verdrängt gehabt, dass ich mit dem Leben wieder einigermaßen zurechtgekommen bin. Ich hab mir auch gesagt, das passiert mir nie wieder. Wie man sich denken kann, war ich überrascht, als mit dem Kulm-Ende 2018 ähnliche Gefühle wieder aufkamen wie schon 2003 nach dem World Sports Award.

Dann war ja bis 2018 Ruhe ...
Na ja, ich habe begonnen, eine Rolle zu spielen, insbesondere vor mir selbst. Ich habe meine Intuition, meine Authentizität total aufgegeben. Völlig absurd, wenn ich heute zurückblicke: Ich habe, ohne es zu merken, versucht, mich anzupassen. Ich habe meine Stärken und Gaben nicht mehr ausgespielt, weil ich glaubte, ich will mir das nicht mehr antun. Ich will nicht mehr nach Aufmerksamkeit heischen. Beim Arbeiten in den letzten Jahren und schließlich beim Schreiben von "Ich darf alles" habe ich ganz klar gelernt, dass Erkennen und Annehmen von Umständen das Schwierigste ist. Das liegt daran, dass das Ego sich vehement wehrt. Man ist selbst sein größter Feind. Das Ego sagt: "Hör auf zu jammern, jetzt sei einmal ein Mann." Und dann spielst du wieder eine Rolle. Und dann habe ich angefangen, mit einem Systemcoach zu arbeiten. Das war geil. Und das hat mir geholfen, voranzukommen und mein Buch zu schreiben.

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Als Quintessenz des Buches steht, man sollte dem Bauchgefühl folgen, auch wenn der Verstand etwas anderes sagt. Aber das ist doch kontraproduktiv.
Ich erkläre es an einem Beispiel: Meine Intuition hat mir damals gesagt, ich soll die Sporthilfe nicht machen. Ich wollt's auch nicht machen, weil ich damals so unter Druck gestanden bin mit den zwei vorangegangenen Skiflugveranstaltungen. Mein ganzer Energiezustand hat gesagt, ich brauche eine Pause. Und wie mich nacheinander der IOC-Präsident, der Staatssekretär für Sport und zuletzt der Bundeskanzler darum gebeten haben, hat mein Verstand "Na ja" gesagt. Die Intuition ist zwar gleich - "Ich will es nicht" -, aber weißt eh, der erste Mann im Staat fragt dich. Wer weiß, vielleicht kann es dir helfen. Also hat der Verstand richtige Argumente gebracht. Und ich hab Ja gesagt und bin in Nashville geendet.

Ist Ihr Buch zwar nicht als Ratgeber für die Menschen, aber als Selbstratgeber für Sie zu verstehen?
Das habe ich auch gelernt: Es ist nicht nötig, und ich glaube sogar, es ist anmaßend, sich in Systeme anderer Menschen einzumischen und zu glauben, dass man sie therapieren kann. Aber das, was ich hier niedergeschrieben habe, ist der Beweis, dass oft einmal ein Wort, eine Zeile, ein Ausdruck eines Absatzes einen Blickwinkel wechselt. Und wenn das passiert, wäre es mir recht. Aber ich geb das Buch nicht her, um zu sagen, so ist das Leben. Dann lebst du ja wieder das Leben von einem anderen.

Es heißt ja oft bei Autoren, nachdem sie die letzte Zeile geschrieben haben, zünden sie sich eine Zigarette an. Wie war das bei Ihnen?
Ich habe während des Schreibens geraucht. Nach dem Schreiben habe ich begonnen, alles, was ich erkannt habe, alles, was ich angenommen habe, zu akzeptieren. Ich war sozusagen bei der Nulllinie, und seitdem bemühe ich mich - ohne Stress und mit dem Wissen, dass es immer Rückschläge gibt -, mein Verhalten zu ändern. Für mich heißt das unter anderem, nicht immer "nur" der Beste sein zu wollen, sondern auch Spaß zu haben. Das ist das Wichtigste.

ZUR PERSON

Hubert Neuper wurde am 29. September 1960 in Bad Aussee geboren und wusste schon mit vier Jahren, dass er einmal Skispringer werden würde. Und er wurde einer der erfolgreichsten in Österreich: Er gewann 1980 den Gesamtweltcup sowie Olympia-Silber in Lake Placid. 1980 und 1981 war er Sieger der Vierschanzentournee. Er erfand den World Sports Award, war Geschäftsführer der Österreichischen Sporthilfe. Heute sieht er sich vor allem als Golfer.

Das Interview erschien ursprünglich im News 1+2/2023.

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