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Intuition: Warum unser Bauchgefühl nicht immer recht hat

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Psychologie - Intuition: Warum unser Bauchgefühl nicht immer recht hat

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Wenn es um schwierige Entscheidungen geht, wird häufig dazu geraten, aus dem Bauch heraus zu entscheiden. Doch wie ratsam ist es, den eigenen Bauchgefühlen zu folgen? Neurowissenschaftler und Psychiater Raphael Bonelli geht ihnen auf den Grund und erklärt, warum man ihnen gegenüber auch skeptisch sein darf.

Durst, Hunger, Schlafen und Nähe sind so ziemlich die ersten Bedürfnisse, die ein Mensch hat und stillen möchte. Neurowissenschaftler und Psychiater Raphael M. Bonelli nennt sie "Bauchbedürfnisse" und geht ihnen im eben erschienenen Buch "Bauchgefühle - Wie sie entstehen, was sie uns sagen, wie wir sie nützen"* auf den Grund.

Denn was der Psychiater in seiner jahrelangen Praxis beobachten konnte, ist nicht wenig: "Jeder Patient von mir hat ein Problem mit seinem Bauchgefühl. Deshalb habe ich dieses Thema auch seit mehr als zehn Jahren auf meiner Agenda." Auch wenn uns bei schwierigen Entscheidungen häufig dazu geraten wird, auf den eigenen Bauch zu hören: Bonelli sieht reine Bauchentscheidungen kritisch. Denn Bauchgefühle können durchaus trügerisch sein und dazu führen, dass wir nicht immer die besten Entscheidungen treffen, so der Experte. Es lohnt sich also, diese spontanen Gefühlsregungen aus unserer Körpermitte auch einmal kritisch zu überprüfen. Nur wie?

Der Ursprung des Bauchgefühls

"Das Bauchgefühl ist eine existenzielle Funktion des Menschen. Denn nicht nur die überlebensnotwendige Angst, etwas Gefährliches zu tun, geht von ihm aus. Ohne intuitive Sympathie, die wir Menschen gegenüber verspüren, die wir noch nie zuvor getroffen haben, gäbe es keine Gesellschaft, keine sozialen Bindungen", schreibt Bonelli in seinem Buch. Bauchgefühle sind also per se nicht schlecht. Allerdings muss man lernen, sie zu kontrollieren, so der Wissenschaftler.

Jeder Patient von mir hat ein Problem mit seinem Bauchgefühl

Der Bauch, so der Autor, will immer den Weg des geringsten Widerstandes gehen. "Er denkt nicht langfristig, er entwirft keine Lebensplanung. Er lebt im Hier und Jetzt. Ihn für unsere Probleme verantwortlich zu machen, wäre so, wie dem Wirtschaftsminister vorzuwerfen, dass das Bildungssystem nicht funktioniert. Es ist einfach nicht seine Aufgabe."

Menschen, die sich ausschließlich von ihrem Bauchgefühl leiten lassen und ständig nach Lustmaximierung streben, werden nur allzu schnell habgierig und lassen sich zu Leichtsinnigkeiten hinreißen, so der Psychiater. "Bauchgefühle widersprechen sich oft auch selbst, irren sich, und oft übertreiben sie." Sie sind maßlos, so der Forscher, und kennen keine Moral. "Ein reiner Bauchmensch, der immer das tut, was der Bauch sagt, ist wie eine Nussschale auf hoher See, die keine Richtung hat und einmal dahin und dorthin getrieben wird. Ein solcher Mensch kann sich nicht binden."

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Auch Zorn, Hass und Diskriminierung ordnet der Wissenschaftler den Bauchgefühlen zu. "Die emotional instabile Persönlichkeitsstörung besteht darin, dass der Mensch von seinen Gefühlen hin und her getrieben wird. Von Liebe zu Hass und umgekehrt." Aus diesem Grund, so Bonelli, ist es wichtig zu erkennen: Bauchgefühle weisen uns zwar auf etwas hin, haben aber eben nicht immer recht."

Die eigene Intuition zu schulen und Bauchgefühlen auch eine gesunde Portion Misstrauen entgegenzubringen, sollte deshalb gelernt sein. Denn Fakt ist: Nicht immer ist der Bauch der beste Ratgeber.

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 © istockphoto

Über die irreführende Wirkung der Bauchgefühle wusste auch Managerlegende Jack Welch Bescheid. Der ehemalige CEO von General Electric soll einmal gesagt haben, dass das Bauchgefühl in Sachen Geschäftemachen zwar durchaus hilfreich sein könne. Nicht jedoch wenn es beispielsweise um die Einstellung von Mitarbeitern geht.

Warum es schaden kann, aufs Bauchgefühl zu hören

Das menschliche Urteil basiert nicht auf rein rationalen Entscheidungen. Im Gegenteil: Menschen sind weit weniger rational, als man lange Zeit annahm, und treffen deshalb auch häufig für sie nachteilige Entscheidungen, basierend auf Informationen, die auf den ersten Blick sogar eher unwichtig für die Entscheidungsfindung erschienen. Ein Phänomen, das die US-amerikanischen Kognitionspsychologen Daniel Kahneman und Amos Tversky als "Ankereffekt" bezeichneten. Dabei wird die Entscheidungsfindung in Richtung eines bestimmten Ankers verzerrt.

Bauchgefühle weisen uns zwar auf etwas hin, haben aber eben nicht immer recht

Deutlich beobachten kann man diese Wirkung beispielsweise bei numerischen Angeboten wie der berühmten "Nimm 3, zahl 2"-Verkaufstechnik: häufig belächelt, aber äußerst wirkungsvoll. Während man selbst also der Meinung ist, ein besonderes Schnäppchen getätigt zu haben, wurde die eigene Entscheidungsfindung in Wahrheit manipuliert.

In seinem vielbeachteten Werk "Schnelles Denken, langsames Denken" identifizierte Nobelpreisträger Daniel Kahneman zwei fiktive Systeme, die während eines Denkprozesses im Menschen ablaufen. System eins arbeitet schnell, automatisch und mit Urteilsheuristiken, bei System zwei geschieht das Nachdenken langsam, konzentriert und aufmerksam.

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Dennoch sind diese beiden Systeme nicht getrennt voneinander und beeinflussen einander. Empfindungen und Einstellungen, die auf den ersten Blick als reine Bauchgefühle erschienen, sind in Wahrheit nichts anderes als die Verknüpfung bisher gemachter Erfahrungen, auf deren Basis wir Urteile fällen. "Sie wissen vielleicht nicht, dass Sie wegen eines Projekts besonders optimistisch sind, weil die Teamleitende Sie an Ihre geliebte Schwester erinnert, oder dass Sie eine Person nicht mögen, weil diese optische Ähnlichkeit mit Ihrem Zahnarzt hat", so Kahneman. Sich rein auf das Bauchgefühl zu fokussieren und dem Bauch wichtige Entscheidungen zu überlassen, erscheint vor diesem Hintergrund also fast fahrlässig.

Bauchgefühle kontrollieren lernen

Um zu lernen, diese impulsiven Gefühle zu kontrollieren, sollten Hirn und Herz zu gleichen Teilen an Entscheidungs- und Bewertungsprozessen beteiligt sein, rät Bonelli. "Durch das Leben, den Kontakt mit der Außenwelt, können sich unsere Bauchgefühle verändern. Besonders verändern sie sich durch die Erfahrung. Intuition entsteht dann in einem nächsten Schritt dadurch, dass eine Erfahrung verarbeitet und die Bauchgefühle präziser werden."

Die Kontrolle über Bauchgefühle zu erlangen, ist also reine Übungssache und erfordert Selbsterkenntnis. Um Abstand zu schaffen zwischen sich selbst und den eigenen Gefühlen, rät Bonelli zu einer besonders effektiven Affirmation: "Ich bin nicht meine Emotion, ich habe Emotionen. Ich bin nicht mein Bauchgefühl, ich habe Bauchgefühle." Dadurch wird Distanz geschaffen und man lernt, vernünftig nachzudenken.

Durch die Vernunft entwickelt sich die Freiheit des Menschen

"Man sollte sich immer bewusst machen: Durch die Vernunft entwickelt sich die Freiheit des Menschen. Das Herz entscheidet sich zwischen Bauch und Kopf, macht eine Synthese oder findet einen Kompromiss."

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Ein intuitives Gefühl sollte also stets mit dem Kopf geprüft werden: "Ist es wahr, was das Bauchgefühl spricht? Und entspricht es meinen Werten? Möchte ich so ein Leben führen, will ich dieser Mensch sein?"

Erst wenn diese grundlegende Entscheidung getroffen ist, kann man auch gegen die eigenen Bauchgefühle agieren, so Bonelli. "Sie passen sich an Handlungen an. Man kann sich ihnen hingeben, sich also zum Beispiel in einem schwachen Moment für eine Affäre entscheiden, oder aber man entscheidet sich für die eigenen Werte und Prinzipien."

Allerdings bedeutet das nicht, dass wir unsere Bauchgefühle gänzlich ignorieren sollten, so der Psychiater. "Anhören sollte man sie auf jeden Fall. Aber man muss ihnen nicht tierisch gehorchen." Ratsamer ist deshalb, hinzuhorchen und dann zu prüfen, ob die Bauchgefühle auch wirklich richtig liegen. Denn sie sind im Endeffekt "eine Art sensible Alarmanlage", so der Wissenschaftler, und damit erfüllen sie immerhin eine wichtige Funktion für die Erhaltung unseres Lebens. Wer also lernt, Bauchgefühle zu kontrollieren und zu prüfen, wird langfristig erfolgreich sein und die besseren Entscheidungen treffen, schließt der Wissenschaftler. Privat wie beruflich.

Der Beitrag erschien ursprünglich im News 45/2022.

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