Nach mehr als einem halben Jahrhundert Ehe einander noch immer in Liebe zugetan, unempfänglich für Versuchungen von außen. Viele von uns träumen davon, eine Beziehung zu führen wie Otto Schenk und seine Ehefrau Renée. Kennengelernt haben sie einander am Reinhardt Seminar, seit 1956 sind sie verheiratet. Verführungsversuchen anderer Frauen ist Schenk nie erlegen.
"Sie konnten nicht konkurrieren mit der Welt, die ich mit meiner Frau gefunden habe", sagt der Schauspieler und Regisseur. Er nahm die Avancen, die meist von Kolleginnen ausgingen, nicht einmal ernst: "Wir waren ja in der Inszenierung wie eine Familie, und mit Inzest wollte ich nichts zu tun haben", sagt Schenk und lacht. "Sehr zugutegekommen ist mir auch meine prinzipiell unerotische Ausstrahlung. Die Hauptstrategie gegen Untreue war aber meine unendliche Sucht zur Zärtlichkeit mit meiner Frau."
94% wollen treu sein, jeder Dritte wird schwach
Einander ein Leben lang treu zu bleiben wie Otto und Renée Schenk, das schafft nicht jeder. Mehr als vier von zehn Ehen in Österreich werden geschieden, einer der häufigsten Trennungsgründe ist Untreue. Einer Studie des Meinungsforschungsinstituts Marketagent von 2014 zufolge ist jeder Dritte in Österreich schon einmal fremdgegangen, egal ob Mann oder Frau. Als im Sommer der Server des Seitensprungportals Ashley Madison gehackt wurde, stellte sich heraus, dass dort auch knapp 30.000 Österreicher registriert waren (siehe Karte). Und das, obwohl in der erwähnten Studie 94 Prozent der Befragten angaben, dass ihnen Treue in einer Beziehung wichtig sei.
Das sagen die Paartherapeuten
Doch wie gelingt Treue? Für die Paartherapeuten Sabine und Roland Bösel, die in zwanzig Jahren Berufserfahrung schon etwa 2.000 Paare betreut haben, sind Reden und Zuhören die Schlüssel. "Ehrlich zu sein und miteinander zu sprechen sind die wichtigsten Aspekte, wie man einander treu bleiben kann", sagt Roland Bösel. "Wenn man über bestimmte Dinge nicht spricht, kann aus einer Kleinigkeit eine große Sache werden, wie bei einer Lawine. Dann wird es relativ leicht für eine dritte Person, hineinzufunken."
Oft handelt es sich nur um kleine Missverständnisse, die einer Beziehung schaden können, aber leicht auszuräumen wären, indem man den Partner beispielsweise fragt: "Wie hast du das gemeint?", oder ihm sagt: "Das hat mich gekränkt." Sabine und Roland Bösel wissen, wovon sie sprechen: Sie hatten beide außereheliche Beziehungen, haben es aber geschafft, einander zu vergeben und wieder zueinander zu finden.
Versuchung kommt von Suchen
Für Georg und Wilma Stifter hat Treue viel mit Achtung voreinander zu tun. Vor 55 Jahren haben sie einander beim Skifahren kennengelernt und ein Jahr später geheiratet. Zweifel an ihrer Ehe hatten sie nie. "Man darf nicht nur an sich selbst denken. An den Spaß, den man bei einer Affäre haben könnte", sagt Wilma Stifter. "Man muss auch an den anderen denken, wie sehr man ihn verletzt, wenn man ihn betrügt. Wer eine Familie hat, muss auch daran denken, was er den Kindern antut. Man darf nicht so ein Egoist sein."
Wilma Stifter wurde nie in Versuchung geführt, fremdzugehen. Es hätte sie auch nicht interessiert, sagt sie. Ihr Mann Georg, ein ehemaliger Kunstprofessor, hatte es gerade zu Beginn seiner Lehrtätigkeit immer wieder mit abenteuerlustigen Studentinnen zu tun. Darauf eingegangen ist er nie. "Ich habe mich bei dir zu Hause immer sehr verstanden gefühlt", sagt er und schaut seine Frau liebevoll an. "Das wollte ich nicht aufgeben."
Sich verstanden fühlen
Wenn sich einer der beiden Partner nicht mehr verstanden oder vernachlässigt fühlt, steige die Gefahr eines Seitensprungs, sagt Sabine Bösel. Bestimmte Lebensphasen bergen mehr Risiko als andere: "Nach dem ersten oder zweiten Kind kommt verständlicherweise oft ein Einbruch in der Sexualität, die Erotik leidet, man ist nur noch Mama und Papa. Das Gleiche gilt, wenn einer der Partner die Eltern pflegt oder sich beruflich selbstständig macht."
Man sucht, was verloren gegangen ist
Auch wer bei seinem Partner schlicht kein Interesse mehr spürt, wendet sich ab. Darum sei ein Opfer-Täter-Denken bei Seitensprüngen oft zu kurz gegriffen, sagt Psychologin Doris Jeloucan. "Das Opfer einer Affäre ist nicht notwendigerweise auch das Opfer einer Beziehung. Es gibt viele Wege, wie man den Partner vorher schon auf andere Art betrogen haben kann: durch Desinteresse oder kleine Verletzungen." So weh es Betrogenen hinterher tut, es sich einzugestehen: Oft haben auch sie ihr Scherflein zur Untreue des Partners beigetragen, obwohl dieser für seine Handlungen selbst verantwortlich ist. "Beim Fremdgehen geht es oft nicht um Sex. Man sucht außerhalb der Beziehung etwas, das innerhalb verloren gegangen ist", sagt Doris Jeloucan. "Die meisten Seitenspringer nutzen einfach sich bietende Gelegenheiten, aber der Boden muss vorher schon genährt worden sein."
Deshalb gilt es, aktiv dafür zu arbeiten, dass die Verbindung zueinander bestehen bleibt. Dazu gehört zum einen, sich rechtzeitig zu Wort zu melden, wenn man sich alleine gelassen fühlt, zum anderen sollte man die Beziehung lebendig gestalten, rät die Psychotherapeutin und Sexualtherapeutin Claudia Trausmuth. "Es kann zwar nicht jeder den Nervenkitzel wegbekommen, eine Affäre haben zu wollen, aber man kann ihn minimieren. Man kann Zeit investieren, etwas Neues entdecken, weil gemeinsame Erlebnisse verbinden. Wenn man auf die Partnerschaft bezogen bleibt, dann ist man eher immun gegen Einflüsse von außen, so wie frisch Verliebte auch nicht anfällig sind dafür."
Das Gemeinsame stärkt
Susanne Jelinek und ihr Mann Karl haben das beherzigt. Seit 41 Jahren sind sie verheiratet. Als Erfolgsgeheimnis ihrer Beziehung nennen sie Treue, Offenheit und dem Partner seinen Freiraum zu lassen. "Wir treffen uns auch alleine mit Freunden, aber am liebsten unternehme ich etwas gemeinsam mit meinem Mann", sagt die Pädagogin. "Ich habe ihn dazu gebracht, mit mir Nordic Walken anzufangen und wir gehen gemeinsam tanzen." Weil ihre Beziehung nie zur Gewohnheit geworden ist, sind Romantik und der Funke zwischen ihnen auch nicht verloren gegangen.
"Mich elektrisiert es immer noch, wenn ich meine Frau im Badezimmer sehe und sie nichts an hat", sagt der Installateur. "Ich bin in jeder Hinsicht ein glücklicher Mann." Seine Frau lächelt und ergänzt: "Natürlich haben wir auch Konflikte, aber wir haben es immer so gehalten, dass wir alles ausgesprochen und bereinigt haben." Es gab nie einen Tag, an dem Karl Jelinek seiner Frau am Abend vor dem Einschlafen keinen Kuss gegeben hätte.
Achtung und Respekt vor dem Partner
Die Romantik über 44 Ehejahre zu retten, ist auch Ursula und Erich Hann gelungen. "Wenn er lang weg war und dann wiederkommt, hab ich Schmetterlinge im Bauch", sagt die Pensionistin, die ihren Mann beim Tanzen kennengelernt hat. Hann hat mehrere Jahre als Elektriker in Ägypten gearbeitet. Treu zu bleiben sei nicht immer leicht gewesen, gibt er zu: "Wenn ich von zu Hause weg war, habe ich nach ein paar Monaten begonnen, den feschen Mädchen hinterherzuschauen. Da wusste ich: Es wird wieder Zeit, wieder einmal heimzufliegen oder meine Frau auf Besuch zu holen." Ein Seitensprung wäre aus Achtung vor seiner Gattin nicht infrage gekommen.
Erich Hann rät, bei Krisen auch Selbstkritik zu üben. "Ich schau immer, was ich falsch gemacht habe, wenn etwas nicht rennt. Ich muss an mir arbeiten, nicht an ihr. Wenn ich gleich aufgebe, habe ich bei der nächsten Frau dieselben Probleme, weil ich ja noch derselbe bin", sagt der 69-Jährige. Liebe sei für ihn, wenn er sich in der Nacht hinlege und die Haut seiner Frau spüre, wenn er die Hand ausstrecke. "Wennst dich freust, dass du sie in der Hand hast."
Deshalb wünschen wir uns Treue
Warum sind wir so überzeugt vom Ideal der ewigen Liebe und Treue? Zumal heute im Gegensatz zu früher wirtschaftliche Gründe für Monogamie -finanzielle Abhängigkeit der Frauen von ihren Männern und teure "Aufzucht" von Kindern - dank Emanzipation und Sozialstaat wegfallen. "Paarbindungen gehen aber über die ökonomische Ebene hinaus, es gibt auch die psychologische und emotionale Komponente", sagt die Verhaltensbiologin Elisabeth Oberzaucher vom Institut für Anthropologie der Universität Wien. "Die Erwartung, dass man sich auf den Partner verlassen kann, dass man in Krisensituationen auf eine stabile soziale Beziehung zurückgreifen kann, fördert die Monogamie. Darum wird sie sich auch nicht überholen, selbst wenn die Ansprüche an den Partner oft überzogen sind."
Eine Frage der Genetik?
Es gibt Menschen, die aufgrund gewisser Eigenschaften Schwierigkeiten haben, treu zu sein, auch genetische Faktoren stehen zur Diskussion. Einfach zu erklären, man hätte eben das "Untreue-Gen", ist aber eine Ausrede. "Die Tendenz zur Untreue kann sich entwickeln aus dem Zusammenwirken der genetischen Veranlagung und den Umweltbedingungen", sagt Oberzaucher. "Wir sind ja nicht nur biologische Organismen, sondern auch Sozial- und Kulturwesen. Wir sind unserer Biologie nicht hilflos ausgeliefert."
Ein Leben ohne Treue
Vielmehr sei Untreue eine Sache mangelnder Konsequenz, sagt die Wiener Poetin und Poetry-Slammerin Adina Wilcke. "Wir wollen alles ausprobieren, uns nicht auf eine Sache festlegen. Wir haben Angst, etwas zu verpassen oder nicht gut genug zu sein für etwas. Wir sind zu faul geworden, Entscheidungen zu treffen und zu ihnen zu stehen." Ein Leben ohne Treue vergleicht die 28-Jährige mit einem Bungee-Sprung ohne Seil: "Mit dem Seil ist es der gleiche Sprung, der Endorphinrausch, aber ich weiß, dass ich sicher auf den Boden zurückkomme und geborgen bin. Ohne Treue würden wir keine Geborgenheit erfahren. Und ich glaube, dass dadurch die Liebe schwinden könnte."
Diese Geborgenheit hat Schauspieler Otto Schenk mit seiner Renée offenbar gefunden: "Ich musste mich vor ihr nie verstellen, und sie war ein Genie im Nestbau. So sind wir fürs Leben beisammen geblieben."
Kommentare
AnmeldenMit Facebook verbindenOberonSo., 25. Okt.. 2015 17:19meldenWenn es in einer Beziehung Probleme gibt, die nie angesprochen werden, gibt es diese NACH dem Seitensprung noch immer, und ein größeres kommt noch dazu. Wer nicht treu sein kann oder will, sollte am Besten allein bleiben.
Ich bin immer ganz gerührt, wenn ich ein altes Ehepaar sehe, Händchen haltend, und ER die Tasche seiner Frau trägt. DAS ist echte Zuneigung und Vertrautheit.
Auch wenn es......
- besonders in der heutigen, oberflächlichen Zeit - langweilig rüber kommt, aber wenn ich mich auf einen Menschen eingelassen habe, dann "sehe" ich keinen anderen. Da könnte der Märchenprinz vor
mir stehen... ;-)