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Das EU-Parlament kann weder eine Regierung mehrheitlich wählen noch abwählen

720 Abgeordnete werden Anfang Juni für das EU-Parlament gewählt, 20 aus Österreich. Sie verteilen sich auf sieben Fraktionen, von Links außen bis Rechtsaußen und auf 24 Ausschüsse, von Fischerei bis Menschenrechte. Die Macht im Parlament liegt bei den Fraktionen, in denen allerdings Österreichs Abgeordnete kaum Einfluss haben. Wenn jetzt im Wahlkampf selbstbewusst Strategien für Brüssel präsentiert werden, haben diese realistischerweise in den Fraktionen wenig Bedeutung. Die NEOS zum Beispiel haben einen von 102 Vertretern in der Fraktion der Liberalen. Die SPÖ fünf von 140 Mitgliedern der Sozialdemokraten und die ÖVP sieben von 178 Abgeordneten der Konservativen. In den Fraktionen entscheiden die Blöcke der großen Länder wie Deutschland, Frankreich, Italien und Spanien.

Vize-Präsident

Othmar Karas – er wird gerne als erfolgreichster und einflussreichster Österreicher im EU-Parlament hervorgehoben – schaffte es bis zum ersten Vize-Präsidenten. Vor ein paar Wochen verabschiedete er sich von den Abgeordneten. Weniger seine Rede irritierte den aufmerksamen Beobachter, eher der Hinter- und Vordergrund seines Auftritts. Als die Kamera ihm folgte, er vom Eingang des Parlaments zum Podium schritt, um dort das Mikrophon zurecht zu rücken, zeigt es kurz das Plenum. Es war völlig leer. Kaum jemand hatte Interesse. Ein durchaus übliches Schicksal der Mitglieder des Parlaments, egal, in welcher Position sie sich präsentieren.

In dem riesigen Saal reihen sich meist leere Sitzreihen aneinander, die wenigen Anwesenden warten geduldig bis sie ihre Rede halten dürfen. Einfach nur zuhören, das sind die Ausnahmen. Die zugeteilte Redezeit für Abgeordnete liegt zwischen einer und drei Minuten. Die Begrüßung des Präsidenten, der Präsidentin, und der Abgeordneten zu Beginn einer einminütigen Rede verschlingt gut ein Viertel der gesamten Redezeit. Der ehemalige EU-Kommissionspräsident Juncker bekam einst einen Wutanfall als er sich mit dem leeren Sitzungssaal konfrontiert sah, und kündigte an, niemals wieder hier eine Rede zu halten.

Das EU-Parlament ist wie ein Sumpf, in dem alle langsam versinken und vergessen werden. TV-Star Eugen Freund verschwand dort wie andere, deren Kandidatur bei den Wahlen Aufsehen erregte. Alles ist gigantisch, kompliziert, schwerfällig und die Mitglieder werden nur wahrgenommen, wenn ihr Auftreten eine innen politische Bedeutung hat. Struktur und Verantwortung des Parlaments verhindert einen lebendigen Dialog, wie in nationalen Parlamenten.

Opposition

Da es keine beschlussfähige, regierungsbildende Mehrheit und damit keine Opposition gibt, fehlen die kontroversen Auseinandersetzungen zwischen den Blöcken. Es können sich auch keine Koalitionen bilden, um eine Regierung zu stürzen und eine neue zu bilden. Mit der Entsendung der Kommissare durch die Mitgliedsländer und dem Rat, der die Regierungsverantwortung übernimmt, hat das EU-Parlament zwar ein Mitsprache- und Kontrollrecht in vielen Bereichen, ist dennoch ein eher langweiliger Verein im Vergleich zu nationalen Parlamenten.

Dazu kommt der ewige Konflikt zwischen nationaler und europäischer Verantwortung, der Abgeordnete in einen ausweglosen Konflikt drängt. Entweder wirft man ihnen vor, die nationalen Interessen nicht entsprechend zu vertreten, oder sie werden kritisiert, den europäischen Gedanken nicht genügend zu unter stützen. Als Vertreter oft widersprechender Systeme sind sie potenzielle Verräter für eine der beiden Seiten. So werden Parteien bei der EU-Wahl auch nicht aufgrund der politischen Arbeit ihrer Abgeordneten in Brüssel gewählt, sondern sie sind Moment aufnahmen der aktuellen politischen Situationen in den Mitgliedsländern. Abmahnung oder Lob wird für die nationale, nicht die europäische Performance verteilt.

Boykott

Im Februar 2000 diskutierte das Parlament die Boykott-Maßnahmen gegen die ÖVP/ FPÖ Regierung. Aus Wien kam der Auftrag, ich sollte dazu das Wort ergreifen. In meinem Zimmer in Brüssel überlegte ich, was man in zwei Minuten dazu sagen könnte, fand den Boykott-Zirkus lächerlich und heuchlerisch, als eine Meldung über die Agentur kam, dass bei dem Pferde-Turnier in Grenoble der österreichische Teilnehmer ausgeladen worden sei – als symbolischer Protest gegen die Regierung.

Da es ein wichtiges Thema war, saßen relativ viele Abgeordnete im Saal. Ich sprach ruhig, langsam und unaufgeregt und sagte, ich hätte eine Entgegnung gegenüber den Vorwürfen vorbereitet, doch kurz vor dem Verlassen meines Zimmers sei eine wichtige Meldung gekommen, die ich nun anstelle meiner Rede vorlesen würde:

Der Gemeinderat von Grenoble hat entschieden, den österreichischen Teilnehmer vom diesjährigen Pferde-Turnier auszuschließen. Es habe jedoch eine Diskussion im Gemeinderat gegeben, ob diese Entscheidung gegenüber dem Pferd fair wäre, und so wurde beschlossen, das Pferd einzuladen, unter der Bedingung, es würde sich unzweideutig von der österreichischen Regierung distanzieren. Für den Reiter sei die se Möglichkeit auszuschließen.“ Für einen Moment war es ruhig im Saal, dann begannen die ersten zu lachen. Ein Abgeordneter sprang auf und schrie, das sei eine Beleidigung des Parlaments und forderte den Vorsitzenden auf, er solle mich zurechtweisen. Es war Martin Schulz von der SPD, der spätere Präsident des Parlaments.

Der gigantische Apparat des EU-Parlaments könnte eine wichtige Verantwortung in Bezug auf die Regierbarkeit der EU übernehmen. Doch die Mitglieder zeigen bisher wenig Interesse, das Parlament zu stärken. So lange jedes Land in der Kommission vertreten ist, und der Rat die Entscheidungen trifft, kann das EU-Parlament keine EU-Repräsentation wählen, die den demokratischen Mehrheitsverhältnissen der EU entsprechen würde.

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