Zweimal im Jahr lässt Österreich die Zeit stillstehen. Zu Weihnachten und zu Ostern gönnen sich auch Entscheidungsträger ein wenig Auszeit, wichtige Treffen und Entscheidungen werden verschoben, die Redaktionen sind dünner besetzt als sonst, und es entsteht der Eindruck einer gemütlichen kleinen Welt, in der die wichtigste Frage lautet, ob Ostereier mit künstlicher Farbe (bunt, ungesund) oder in Natursud (blass, bio) gefärbt werden sollen. Oder ob der Osterschinken mit oder ohne Brotkruste zubereitet wird. Die 80er-Jahre lassen grüßen.
Ein paar Tage Auszeit vom Weltuntergang also. Man hat ja derzeit eine große Auswahl: verzweifeln, weil die Aussicht auf zwei oder drei Grad wärmere Sommer in Wien nicht sehr angenehm ist? Oder weil das Wasser in Österreich knapp wird? In der Früh das Bett nicht verlassen aus Angst vor einem Atomschlag Putins? Aus Sorge, die Kinder von heute könnten das erleben, was ihren Eltern und Großeltern erspart geblieben ist, nämlich Krieg und autoritäre Verhältnisse? Oder einfach, weil das Geld hinten und vorne nicht mehr reicht und der Job vielleicht wackelt?
Jede Zeit hat ihre eigenen Herausforderungen, heißt es, aber die heutigen scheinen besonders penetrant. Es wäre schön, sich angesichts dessen in den bestmöglichen Händen zu wissen. Es ist klar, kein Superheld der Politik löst die Klimakrise mit einem Fingerschnippen und ringt einem reumütigen Putin das Versprechen ab, die Ukraine und den Rest der Welt fortan in Ruhe zu lassen. Keiner versöhnt mit Blendax-Lächeln einander misstrauisch gegenüberstehende Bevölkerungsgruppen und überredet die „schlechten Ausländer“, in ihren Heimatländern zu bleiben, während er die „guten“ ergo nachgefragten Facharbeitskräfte nach Österreich strömen lässt.
Dies ist kein Ruf nach einem politischen Wunderwuzzi, der jung, schön und populistisch begabt ist – den hatten wir schon, und was davon übrig geblieben ist, kann man in den Ermittlungsberichten der WKStA nachlesen.
Es ist ein Ruf nach politischen Kräften, die sich und dieses Land in einer Phase größter Probleme ernst nehmen. Nach Kräften, die wissenschaftlich fundierte Fakten anerkennen, statt sie zu leugnen. Die verstehen, dass politische Programme nicht nur bis zur nächsten Wahl halten müssen, sondern darüber hinaus. Die sich nicht herumschwindeln um die großen Fragen unserer Zeit. Die selbstbewusst das Richtige tun, anstatt sich immer an jenen zu orientieren, die bewusst lügen, manipulieren und Zwietracht säen, und die nicht ausschließlich an ihrem eigenen Machterhalt interessiert sind, sondern an der Zukunft aller Menschen, die in diesem Land leben.
Gibt es so etwas in der gegenwärtigen Politlandschaft in Österreich? Machen Sie sich selbst ein Bild.
Nikolaus Kowall, der Mitte März seine Kandidatur als SPÖ-Vorsitzender bekannt gegeben, damit zahlreiche andere Bewerbungen ausgelöst und seine eigene nach drei Tagen wieder zurückgezogen hatte, reflektierte rückblickend seine 72 Stunden in der Spitzenpolitik. Politiker, schrieb er, seien von den innenpolitischen Abläufen so stark in Anspruch genommen, dass sie gar nicht mehr dazukämen, sich über politische Inhalte Gedanken zu machen.
Ein interessanter Gedanke. Vielleicht erklärt er den selbstgerechten, abgehobenen Habitus, mit dem manche Politiker und -innen verfahren. Stellen wir uns vor: Auch sie säßen einmal in aller Ruhe auf einem Mountainbike oder einer Gartenschaukel und dächten über all die Dinge nach, über die sich die Menschen im echten Leben die ganze Zeit den Kopf zerbrechen. Es könnte mit Sicherheit nur besser werden.
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