Der kunstbesessene Physiknobelpreisträger Anton Zeilinger gestaltet im Musikverein eine vergleichslose Reihe von Gesprächskonzerten. Am 8. Dezember geht es um das Geheimnis der Inspiration, zu Gast ist neben dem Schriftsteller Christoph Ransmayr die Regisseurin Andrea Breth
In besserer Gesellschaft und an geeigneterem Ort kann man sich der Demokratie der Dummheit in unserer bildungsfernen Zeit gar nicht verweigern. Da holt einer der größten lebenden Naturwissenschafter zwei Augenhohe aus dem Universum der Kunst zum Gespräch in den Musikverein, dort, wo die Elite der abendländischen Kultur jeden Abend ihr Fest feiert. Der musikvernarrte Gastgeber Anton Zeilinger, 79, ist Nobelpreisträger für Physik. Die Regisseurin Andrea Breth, 72, verkörpert in ihrem Beruf einsamen Standard, beharrlich und unablenkbar auf den Spuren der inneren Wahrheit eines Textes oder einer Partitur. Und der Weltliterat Christoph Ransmayr, mit seinen 70 der Benjamin der Runde, wird wegen seines universalen Bildungsbegriffs, der bei der klassischen Antike beginnt und bei der Beobachtung der Venus noch lang nicht endet, gern in der „Postmoderne“ verortet. Er ist schon in der vorwöchigen NewsAusgabe groß zu Wort gekommen.
Alle drei sind weiß und keine Teenager mehr. Aber nach dieser zweiten Runde der von Zeilinger kuratierten Reihe (der Dirigent Martin Haselböck hat schon im Oktober Haydns „Schöpfung“ analysiert) wird wieder der Weltsprache der Musik das Wort erteilt. Der Concentus Musicus und der Singverein stellen ja, so wie jedes ernstzunehmende Orchester, jeder maßgebliche Chor, viele Ethnien in den Dienst der gemeinsamen Sache. Dazwischen überbrückt der Pianist Andras Schiff mit Bachs „Wohl temperiertem Klavier“ das Universum zwischen Musik und Mathematik.
„Woher haben wir die Ideen?“
Die Gipfelkonferenz am 8. Dezember verpflichtet sich einer Schlüsselfrage der Zivilisation: „Wie kommt das Neue in die Welt?“ Das Thema, sagt Zeilinger, treibe ihn an, seit er denken könne. „Woher haben wir die Ideen?“ Nämlich? „Man muss vollkommen offen sein, was auch immer kommt. Man darf nicht einmal die kleinste Idee, auch nicht die Möglichkeiten einer Idee, schon vorher bewusst oder unbewusst wegschalten.“
Deshalb, so fügt er an, dürften sich schon die Lehrer in den Schulen durch Verordnungen wie das Herunterfahren des Literaturunterrichts nicht beirren lassen. Schon vor Jahrzehnten, als sich der heutige Zustand der Bildungsferne noch als unscharfe Kontur an die Wand zu malen begann, hat er die Unterrichtsministerin Gehrer mit dem Ansinnen verwirrt, die Bemusterung der Schulklassen mit Computern gleich wieder einzustellen. Weshalb die Lehrer mit Sachverhalten quälen, von denen die Schüler viel mehr verstünden? „Aber ich würde dafür sorgen, dass in jeder größeren Stadt ein verpflichtend humanistisches Gymnasium existiert. Das kann man nicht in einen Sonderkurs abschieben: Menschenbildung nennt man das.“
Der akademische Abstieg
Heute habe die Verschulung auch schon den akademischen Betrieb unterwandert. Statt über endlose Irrtümer an weder ahnbare noch planbare Resultate zu gelangen, müsse man, um überhaupt forschen zu können, enge, zeitlich begrenzte Zielvorgaben nachweisen.
„Aber es gibt Ideen, von denen man nicht weiß, woher sie kommen. Auf den ersten Blick können sie irrational erscheinen, aber es gibt eine Quelle, die nicht unbedingt logisch funktioniert.“ Deshalb lässt er am 9. März, dem letzten Termin der Reihe, den Singverein das Mystische in der Gestalt von Arvo Pärts „Dona nobis pacem“ aufrufen.
Und das bürokratische Elend an den Universitäten? Der Nobelpreisträger vertraut da eher dem listigen Widerstand: „Na ja, wir sind aber alle intelligent genug, dass wir etwas hineinschreiben, von dem wir wissen, dass es gerne gelesen wird. Aber wenn jemand nach drei, vier Jahren noch immer das tut, was er gesagt hat, dann war das hinausgeschmissenes Geld.“
Als weitere Demonstration gegen die Gesetze des Hergebrachten findet die Gesprächsreihe am 8. Dezember gleich in zwei Tranchen statt: Man soll nach der Diskussion tunlichst in die Staatsoper weitergehen, wo nach eineinhalb Jahrzehnten wieder Pfitzners „Palestrina“ aufgeführt wird. Zeilinger hat an dem hoch spirituellen Werk, in dem es um den Triumph der Inspiration über die Bedrohung der Staatsmacht geht, als jugendlicher Statist selbst mitgewirkt. Jetzt steht in Salzburg die Pfitzner-Straße zur Diskussion, so wie auch der Karajan-Platz. Wegen zeithistorischer Verstrickungen.
Da ist es mit der heiteren akademischen Gelassenheit fast vorbei. Das werde vorübergehen, sagt er, „und es ist nicht mein Thema, weil es für mich mehr als banal ist. Ich tue den Leuten nicht den Gefallen, dass ich mich drüber aufrege. Ich finde es nur eine Anmaßung, dass Menschen heute es wagen, zu beurteilen, was damals in diesen Menschen wirklich vorgegangen ist.“
Andrea Breths Ansagen
Nächste Station auf dem inspirierenden Parcours durch die Kopfwelten der Widerdenker: Andrea Breth ist nach langen auswärtigen Verpflichtungen wieder in Wien. Sie verweigert sich der obwalten den postdramatischen Kuchlpädagogik aus zehnter Hand mit dankenswerter Sturheit. Packende, sich aus dem Text, auch dem Notentext beglaubigende Gestalten sind das Ziel ihrer Anstrengungen. Deshalb wird das anbrechende Jahr auch dicht: Ihre fabulöse „Butterfly“ ist aus Aix-en-Provence ans Opernhaus von Lyon zu übertragen, mit Premieren datum 18. Juli folgt Gabriel Faurés Homer-Oper „Penelope“ in München.
Dann begegnet man ihr endlich wieder in Wien, wo sie sich als rekordhaltende Nestroy-Laureatin in die Geschichte vor allem des Burgtheaters eingeschrieben hat. An der „Josefstadt“ wird man – News konnte es zuerst melden – unter ihrer Anleitung Goebbels’ Sekretärin Brunhilde Pomsel auf ihren Wegen durch die Kloake der Geschichte folgen. Lore Stefanek wird die Rolle spielen, eine bedeutende, Andrea Breth seit den Anfängerjahren verbundene Schauspielerin. Und sonst? Warum kommt nichts am Burgtheater, an der Staatsoper, die eine souveräne Regiehand bitter nötig hätten? „Ganz einfach, weil sie mich nicht gefragt haben.“
Aber das Thema „Josefstadt“ sitzt. Direktor Föttinger, der sie nach Wien überreden konnte, wurde gerade so verlogen wie folgenlos u. a. wegen Brüllens auf der Probe vorgeführt. „Das kann ich nicht beurteilen“, räumt sie ein. „Aber wenn es um Brüllen geht, so fassen wir uns im Theater alle nicht mit Samthand schuhen an. Wenn man sich 20 Mal entschuldigen muss, dass man überhaupt die Probebühne betreten hat, wird es absurd und ekelhaft. Als gäbe es keine anderen Probleme!“
Das Ende des Denkens
Um die Kunst, so holt sie zu einem ihrer so provokanten wie analytischen Monologe aus, sei es denkbar schlecht bestellt. Der langsame Verfall habe schon in den Schulen begonnen, mit der Abschaffung der humanistischen Gymnasien, schließt sie sich mit Zeilinger kurz.
Grundsätzlich, wendet sie sich ins größere Ganze, sei der Vorgang des Denkens in Verarmung begriffen, durch schlechte Politik und sehr stark durch Corona. Gegen die damals verordneten Maßnahmen auch nur Bedenken anzudeuten habe so drastische Konsequenzen nach sich gezogen wie zuletzt ihre Erstunterzeichnung des Manifests von Alice Schwarzer und Sahra Wagenknecht zur Erzwingung von Friedensverhandlungen in der Ukraine. „Das hat mir wahnsinnige berufliche Schwierigkeiten bereitet. Weil es in Deutschland keine Meinungsfreiheit gibt. Man wird sofort in eine ideologische Ecke gedrängt, wenn man nur mal gedanklich äußert, was wäre denn, wenn man nicht ständig einen Krieg mitfinanziert und auch über die andere Seite nachdenkt, die näher und näher rückende Nato.“
Speziell die Grünen hätten alle ihre Prinzipien gekippt, die bald scheidende deutsche Außenministerin Baerbock bereise als Kriegstreiberin die Welt, die Kohlekraftwerke nähmen emissionsfroh den Betrieb wieder auf. Das Land sei vom Chaos erfasst. „Versuchen Sie, in Berlin mit der S-Bahn zu fahren. Die Gleise werden repariert, es wird auf Bus umgestellt, aber es kommt kein Bus, weil es keine Busfahrer gibt. In Supermärkten steht man Stunden an der Kasse, weil es kein Personal gibt, denn es ist besser, zu Hause bleiben und 800 Euro Bürgergeld zu beziehen und dabei weder Miete noch Strom zu bezahlen. Wieso sollen denn diese Menschen arbeiten, wenn sie arbeitend weniger verdienen?“
Die rechtsradikale Flut
So und nicht anders, schließt sie den Kreis zum sich anbahnenden Abenteuer an der „Josefstadt“, habe man die rechtsradikale Flut in halb Europa entfesselt. „Weil sich die Menschen von den anderen Parteien nicht verstanden fühlen und die Rechtsparteien mit ihren Einwendungen ja recht haben.“ In der Tat? „Nur die verheerende Politik im Hintergrund der Rechtsparteien nimmt niemand wahr, weil niemand die Parteiprogramme liest, wie schon bei Hitler. Kaum jemand hat ,Mein Kampf‘ gelesen. Und das Hauptproblem: Europa funktioniert nicht.“
Der Fragende hat da schon kapituliert. Nach einem Jahrtausend journalistischer Erfahrung weiß man, wann es geraten ist, nur noch Stichworte zu geben und zuzuhören. Der neue Antisemitismus also, ein maßgeblich auch von links befeuerter Wahnsinn?
„Israel wird seit Jahrzehnten von der Hisbollah bedroht, und dass die Regierung einem Massenmord nicht tatenlos zusehen will, kann ich nachvollziehen. Nicht nachvollziehen kann ich die unerträgliche Situation im Gazastreifen, wo Menschen verhungern oder sterben, weil keine Hilfstransporte hineingelassen werden. Aber wer kann denn auf die Idee kommen, daran seien die Juden schuld? Die Spannung zwischen Palästinensern und Israelis, nicht Juden, liegt auf der Hand. Aber dass man daraus einen Antisemitismus schlimmster Sorte gebiert, ist falsch und dämlich.“
Soll man nun Kickl, in Deutschland die AfD, vom Regieren fernhalten? „Das ist der trostlose Versuch, sich daraus zu legitimieren, dass man etwas abwendet. Aber man muss die Politik verändern. Das ist das Problem. Über Österreich kann ich nicht reden, aber es ist schrecklich, in Deutschland eine Koalition zu haben, die sich jahrelang nur blockiert hat. Das Einzige, was ich richtig finde von Herrn Scholz, ist, dass er diesen Taurus nicht freigibt. Und was auch übersehen wird: Vieles, was in Deutschland jetzt marode ist, ist ja nicht seit gestern marode, die Infrastruktur, das Bildungssystem, das Gesundheitssystem, all das, was in Deutschland immer gut war, ist nicht von gestern auf heute kaputt gegangen. Wie lange war Frau Merkel denn an der Macht?“
Auch das muss man können: Mit einer Frage schließen und doch alles beantwortet zu haben.
Dieser Beitrag ist ursprünglich in der News-Printausgabe Nr. 49/2024 erschienen.