News Logo
ABO

Wolf Haas: „Schreiben? Das ist Zeitverschwendung“

Subressort
Aktualisiert
Lesezeit
10 min

©Rainer Iglar
  1. home
  2. Aktuell
  3. Menschen

Das Schreiben von Romanen sei so nerdig wie das Zusammensetzen eines Puzzles, erklärt Wolf Haas. Sein Serienermittler Simon Brenner verschaffte ihm ein Millionenpublikum. In seinem jüngsten Roman, „Wackelkontakt“, setzt er die „unmöglichen Perspektiven“ des kultischen Grafikers M. C. Escher aufregend in Literatur um

Hunderttausende Leser verbinden mit dem Namen Wolf Haas den sympathischen, ­verkrachten Serienermittler ­Simon Brenner. 1996 erschien dessen erster Fall, „Auferstehung der Toten“. Bis 2022 löste Brenner neun Fälle, vier davon wurden mit dem exzellenten Schauspieler und Kabarettisten Josef Hader verfilmt.

Im Dezember wurde Haas 64. Zwischen seinem achten und neunten „Brenner“-Roman ließ er acht Jahre vergehen. Obwohl er den Leitsatz seiner Figur, „Es ist schon wieder was passiert“, bereits 2003 entsorgt hat, wird dieser noch heute sogar in Politik- und Chronik-Artikeln zitiert. Aber so ist das eben, wenn man sich in die Literatur­geschichte eingeschrieben hat.

„Brillanz und Einfallsreichtum“

2024 wurde Haas in München „für sein immer überraschendes und sprachlich funkelndes Gesamtwerk“ mit dem „Erich-Kästner-Preis für Literatur“ geehrt. Die Jury attestierte dem Autor „Brillanz, Einfallsreichtum, souveränen Einsatz von Komik und Humor“. All das manifestiert sich, auch ohne Brenner, in seinem jüngsten Roman, „Wackelkontakt“.

Bereits die ersten Seiten haben es in sich. Franz Escher, ein Mann Ende 40, ist ratlos. In seiner Küche liegt leblos ein Elektriker, Wiederbelebungsversuche bleiben ohne Erfolg. Der Handwerker hätte den Wackelkontakt einer Steck­dose in der Küche beheben sollen. Escher glaubt nun, an dem Unglück die Schuld zu tragen, weil er eine Sicherung betätigt und damit einen tödlichen ­elektrischen Schlag ausgelöst hat.

Der Puzzlespieler und die Mafia

Bis zu diesem Moment war Eschers ­Leben beschaulich gewesen. Zu seinem 19. Geburtstag hat er ein Puzzle nach ­einem Werk seines Namensvetters M. C. Escher bekommen: „Die zeichnenden Hände“ bilden einander in einer Endlosschleife gegenseitig ab. Seither findet er sein Glück im Zusammensetzen von Puzzles. Später entwickelt er noch eine zweite Leidenschaft, die Büchern über die Mafia gilt.

Als der Elektriker seiner Arbeit nachgeht, will Escher gerade einen Roman über die ’Ndrangheta weiterlesen. In dessen Zentrum steht der junge Italiener Elio Russo. Der hat 27 Mafiosi, seine Verwandten, an die Polizei verraten, dafür soll er aus der Haft entlassen werden und sich mithilfe eines Zeugenschutzprogramms mit geänderter Identität eine neue Existenz fern von Italien aufbauen. Bis es so weit ist, soll Elio im Gefängnis Deutsch lernen. Das praktiziert er mit einem Roman. In dessen Zentrum steht ein Mann namens Franz Escher, der auf einen Elektriker wartet und Eschers „Zeichnende Hände“ als Puzzle zusammensetzt.

Blurred image background

Das Buch

In „Wackelkontakt“ lässt Wolf Haas das Prinzip von M. C. Escher verstörend zu Literatur werden, wenn ein alleinstehender Puzzle-Nerd die Geschichte des Mafia-Kronzeugen Elio Russo liest. Fulminant erzählt.

Hanser, € 25,70

 © Hanser

Roman im Roman

Wie in einer Endlosschleife lässt Haas die Geschichten von Franz Escher und Elio Russo ständig nahtlos ineinander übergehen, ganz so, als wäre Eschers Bild das Programm für seinen Roman.

Per E-Mail war Haas bereit, einige Fragen zu beantworten. Da stellt er sofort klar: „Mein Ausgangspunkt war nicht eine ausgeprägte Faszination für diesen Künstler. Es war nur so, dass das lustige Bild mit den Händen, die sich ­gegenseitig zeichnen, gut zu der Form meiner Geschichte gepasst hat. Am Anfang stand eine sehr einfache Idee. Ich wollte, dass eine Romanfigur ein Buch liest, und dass man als Leser sozusagen dieser Romanfigur über die Schulter schauen und mitlesen kann. So wie wenn man in der Straßenbahn die Zeitung des Sitznachbarn mitliest. Ich war neugierig, wie ich da aus dem zweiten Buch wieder rauskomme.“

Betrachtet man das Konstrukt des Romans, erkennt man unmissverständlich den mathematischen Aufbau von M. C. Eschers Kunst wieder. Sieht sich Haas da in einer Linie mit dem kultischen Grafiker, der sich selbst eher als Mathematiker denn als Künstler sah? „Einen Bezug zur Mathematik zu behaupten, wäre Hochstapelei. Aber man kann vielleicht über meine Bücher sagen, dass der formalen Ebene ein gewisses Gewicht zukommt. Der Inhalt meiner Geschichten würde in einer anderen Form keinen Sinn ergeben.“

Und die Kunstwerke, die er im Roman vorkommen lässt? Franz Eschers Kopf wird einmal sogar mit dem abgeschlagenen des Johannes auf einem Gemälde von Gian Francesco de‘ Maineri verglichen. Immer wieder setzt Franz Escher auch Puzzles von Breughel, etwa den „Turmbau zu Babel“, oder von Bildern Caravaggios zusammen. Die Kunstwerke, räumt Haas ein, kämen doch bei ihm nur als Puzzles vor, und daran fasziniere ihn „der verkitschte oder einfach verhunzte Zugang zu etwas scheinbar Wertvollem. Wie Mozartsonaten in Austrian-Flugzeugen. Also dieser Irrtum, zu glauben, dass man etwas verkleinern und verniedlichen kann, und es ist ­immer noch dasselbe.“

Wolf Haas zu Elon Musk und Twitter

„Ich war noch nie auf einem sozialen Netzwerk. Weniger aus politischer Überzeugung als aus Selbsterhaltungstrieb“

Im Sog der Identitäten

Und die Mafia? Wendet sich der Schöpfer der „Brenner“-Krimis jetzt dem organisierten Verbrechen zu? „Mir ging es nicht um die Mafia, sondern um diesen Mann, der im Zeugenschutz lebt. Das hat mich interessiert, weil man im Zeugenschutz sein ganzes Leben in einer falschen Identität zubringt. Das steht so schön konträr zur zeitgeistigen Phantasie des ,Authentischen‘.“

Auch das Puzzle ziele in diese Richtung. „Man macht ein Bild von einem Bild – befindet sich also auch in einer sehr wackeligen Realitätsbehauptung.“ Er selbst teile die Leidenschaft für Puzzles mit seiner Figur nicht, „aber“, fügt er hinzu, „ich schreib’ Romane. Das ist ähnlich nerdig. Beides ist eine ziemliche Zeitverschwendung. Man versucht, sich ein Bild von der Welt zu machen, ist aber sehr beschränkt durch die Untauglichkeit der Werkzeuge.“

Mensch und Maschine

Ein Bild der Welt von heute beschreibt folgende Szene: Als Escher versucht, seine Bank anzurufen, hält er die Telefonistin für eine künstliche Intelligenz. Haas: „Die Szene ist charakteristisch für die Figur. Dieser Franz Escher hat ziemliche Probleme, mit seinen Mitmenschen einen sinnvollen Kontakt herzustellen. Dann übertreibt er es wieder und macht sich sinnlose Gedanken über die Telefonistin. Er ist so in sich verstrickt, dass es fast schon egal ist, ob er einem Menschen oder einer Maschine gegenübersteht. Aber im Lauf des Romans erkämpft er sich doch ein bisschen Kontakt. Ich finde, das hat was Rührendes, wenn ein Unbegabter irgendwie doch ans Ziel kommt.“

Wenn man schon beim Thema „Mensch und Maschine“ ist: Was sagt er zu Elon Musks Eintreten für die deutsche rechtsradikale AfD auf X, dem ehemaligen Twitter? Fühlt er sich durch sein Fernbleiben dieser Plattform bestätigt? „Ich hab mich noch nie auf irgendeinem sozialen Netzwerk herumgetrieben. Weniger aus politischer Überzeugung als aus Selbsterhaltungstrieb.“

Eines noch: Ob er sich vorstellen könne, einen zehnten Brenner-Krimi zu schreiben? Das lässt Haas diplomatisch offen: „Das kommt darauf an. Aber ­leider weiß ich nicht, worauf.“

Blurred image background
 © Rainer Iglar
Schriftsteller:innen

Über die Autoren

Logo
Monatsabo ab 20,63€
2048ALMAITVEUNZZNSWI314112341311241241412414124141241TIER